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Archiv "Marsch in den Gewerkschaftsstaat" (18.05.1978)

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Marsch in den Gewerkschafts- staat

Ausgehend von einer neuerlichen Studie des aus früheren Veröffent- lichungen wohlbekannten Wirt- schafts- und Sozialwissenschaftli- chen Instituts des DGB mit dem Titel "Sozialpolitik und Selbstver- waltung", hat der Deutsche Ge- werkschaftsbund "Vorstellungen zur Reform der Organisations- struktur der Sozialversicherun- gen" vorgelegt, die auf dem in we- nigen Tagen bevorstehenden Bun- deskongreß des DGB in Harnburg behandelt werden sollen.

Nach Auffassung des DGB, auf die sich alle Mitgliedsgewerkschaften einschließlich der IG Metall geei- nigt haben, sind die Nachteile der gegenwärtigen Struktur durch den konsequenten Aufbau von Arbeits- gemeinschaften der Sozialversi- cherungsträger auf allen Ebenen zu überwinden. Eine verbindliche Mindestgröße eines Krankenversi- cherungsträgers müsse ermittelt oder kleinere Kassen zur Koopera- tion verpflichtet werden, wenn nicht freiwillig, dann mit Hilfe des Gesetzgebers. Auf Bundesebene müsse ein Dachverband aller Spit- zenverbände der sozialen Kran- kenversicherung und ebenso für die Rentenversicherungsträger gebildet werden. Die Selbstverwal- tung muß Vorstellungen über quantitative und qualitative Stan- dards der Versorgung entwickeln und die Bedürfnisse der Lei- stungsempfänger ermitteln, sie in Bedarfsnormen umsetzen und die Effektivität des Leistungsangebo- tes kontrollieren.

Die Gewerkschaften seien alleine berechtigt, geeignete Vertreter der Arbeitnehmer für die Selbstver- waltungsorgane zu benennen. Die Arbeitgeber werden ausgebootet und tragen lediglich noch zur Fi- nanzierung der Kranken- und Ren- tenversicherung bei. Gefordert wird außerdem

.... die Gleichschaltung (ein Wort, das uns Älteren aus der Vergan- genheit nur zu gut bekannt ist) der Kassenarten,

.... ein einheitliches Mitglied- schafts-, Beitrags-, Leistungs- und Vertragsrecht,

..,. ein Einheitshonorar für die

"Leistungserbringer",

.... ein Lasten- und Finanzaus- gleich zur Vermeidung von "Ver- zerrungen und Einseitigkeiten".

Die Zeitschrift "Arbeit und Sozial- politik" (1 /78) bemerkt dazu: "Un- ter dem Schlagwort ,Demokrati- sierung des Sozialstaates' wird die totale Entmündigung des Bürgers im Rahmen der Gewerkschafts- herrschaft betrieben, die bis zur Gängelung der Lebensführung reicht und alle zwischenmenschli- chen Beziehungen, ganz beson- ders das persönliche Vertrauens-

verhältnis zwischen Arzt und Pa-

tient zerstören will ... Der Harr- schaftsantritt (der Gewerkschaf- ten) soll sich zuerst in den Selbst- verwaltungsorganen vollziehen. Der zweite Schritt ist der im Ansatz bereits erkennbare Ausbau der Krankenkassen von ,Inkasso-Insti- tutionen' zu einem Dienstlei- stungssystem. Die Krankenkassen werden selbst zu Leistungserbrin- gern. Dabei kann es zunächst of- fenbleiben, ob die Kassen zu Dienstherren ihrer bisherigen Ver- tragspartner werden oder ob sie billiger davonkommen, indem sie den von der ,Gegenmacht' der Bürger kontrollierten Ärzten (nach Mobilisation dieser Bürger gegen die Ärzte) noch das Risiko der Freiberuflichkeit auf dem Niveau diktierter Honorare lassen."

Die DGB-Vorstellungen sind auch vor dem Hintergrund jüngster Vor- schläge in den DGB-Einzelge- werkschaften zu sehen:

Mitte September 1977 forderte die IG Metall auf ihrem Kongreß in Düsseldorf, alle Erwerbstätigen (einschließlich der Beamten und Selbständigen) sollten unabhän-

Die Information:

Bericht und Meinung DER KOMMENTAR

gig von ihrer beruflichen oder so- ziologischen Zuordnung einer ein-

heitlichen Kranken- und Renten-

versicherung angehören. Die be- trieblichen Versorgungswerke (und die der freien Berufe?) soll- ten in die gemeinsame Rentenver- sicherung einbezogen werden. Der Bundesarbeitsminister beeilte

sich, zu erklären, daß diese "lnsti-

tutionsfrage für ihn keine politi- sche Aktualität" habe, und einzel- ne Gewerkschaften distanzierten sich ausdrücklich von der Forde- rung einer Einheitsversicherung. Besonders heftig tat dies die Ge- werkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in ih-

ren "Gesundheitspolitischen Per-

spektiven" vom Oktober 1977. Da- bei unterscheiden sich die Thesen dieser Gewerkschaft aber nicht grundlegend von denen der IG Metall. Zwar will die ÖTV keine

"einheitliche Krankenversiche-

rung", macht jedoch die "starke

Zersplitterung der Krankenkas-

sen" für die "schwache Stellung

der gesetzlichen Krankenversiche- rung im Gesundheitswesen" ver- antwortlich und fordert deshalb

ein "versichertennahes, wirt-

schaftlich arbeitendes, regional gegliedertes Sozialversicherungs- system, dessen einzelne Zweige auf örtlicher und regionaler Ebene eng zusammenarbeiten".

Im übrigen sind die gesundheits- politischen Perspektiven der ÖTV fast ein Spiegelbild der gesund- heitspolitischen Leitsätze der SPD. Und mehr! Aus dem OTV- Papier seien zum Beleg dafür sol- che Thesen zitiert, die über die bisherigen Wünsche der SPD hin- ausgehen oder besonders "reiz-

voll" formuliert sind:

CD

Kritik wird geübt am kurativen System der medizinischen Versor- gung. Vorsorge und Früherken- nung sollen auf alle häufigeren, auch bisher nicht therapiefähigen Krankheiten ausgedehnt werden.

Damit könnten Krankheiten weit- gehend vermieden werden (wis- senschaftliche und finanzielle Uto- pie). Die Früherkennung aus-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 20 vom 18. Mai 1978 1171

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

Anspruch der DGB-Gewerkschaften

schließlich in der Hand des nieder- gelassenen Arztes zwinge diese in

"das Korsett der kurativen Medi- zin".

®

"Privilegien" und das Arztmo- nopol müßten abgebaut werden, um eine gleichberechtigte Zusam- menarbeit aller Medizinalberufe (Psychologen, Pädagogen, Sozial- arbeiter, Krankenpfleger usw.) zu erreichen. Dazu muß man wissen, daß in der ÖTV über 100 000 Ange- hörige medizinischer Assistenzbe- rufe, aber relativ wenig angestellte Ärzte organisiert sind, die über- wiegend dem Marburger Bund an- gehören. Für die Ausbildung aller Medizinalfachberufe ist eine mög- lichst weitreichende gemeinsame Grundausbildung vorzusehen. Die Ausbildung der Medizinalfachbe- rufe, auch der Krankenschwe- stern, soll in Schulen der öffentli- chen Hand erfolgen_

®

Fachübergreifende Gruppen- und Gemeinschaftspraxen werden gefordert; Ärztehäuser mit selb- ständigen Ärzten mit oder ohne gemeinsame Nutzung technischer Geräte werden abgelehnt.

@ Werksärzte sollten Angestellte der Berufsgenossenschaft sein, ihre Anstellung nur bei gleichbe- rechtigter Mitbestimmung (und Zustimmung) der betroffenen Ar- beitnehmer erfolgen.

®

Eine Selbstbeteiligungwird ab- gelehnt. "Durch Selbstverantwor- tung der Versicherten ist eine ar- beitnehmerorientierte Gesund- heitspolitik durchzusetzen, die der Entstehung von Krankheiten ent- gegenwirkt." "Die kostentreiben- de Grundstruktur unseres Ge- sundheitswesens, nämlich die öf- fentliche (?) Finanzierung und die private Leistungserstellung wurde (durch das KVG nach Ansicht der ÖTV leider) nicht angetastet."

®

Die Belegärzte beanspruchten angeblich die kommerzielle Nut- zung kommunaler Einrichtungen.

Im Krankenhaus habe sich "ein hierarchisches System etabliert, das aus einem Geflecht von Ab-

hängigkeiten" bestehe.

(J) Bedauert wird außerdem, daß

"die Krankenkasse weder Einfluß

auf die Verordnung noch auf den Preis des Medikaments hat."

@ Die Selbstverwaltung im Ge- sundheitswesen sollte sich nach den Wünschen der ÖTV aus Ver- tretern der Versicherten, der Be- schäftigten im Gesundheitswesen und den Gebietskörperschaften zusammensetzen ("Drittelpari- tät"). Das bedeutet die absolute

Mehrheit der Gewerkschaften in den gemeinsamen Selbstverwal- tungsorganen, an denen die Ärzte- schaft mit weniger als-einem Drit- tel der Mitglieder beteiligt wäre.

Die Deutsche Angestellten-Ge- werkschaft, die Ersatzkrankenkas- sen und die FDP haben den ge- sundheitspol itischen Perspektiven der ÖTV unmittelbar nach ihrer Verkündung eine Absage erteilt.

ZITAT

Fortschritt - rückwärts, aber nicht rückgängig ...

"Wir haben der Auffassung

zum Durchbruch verholfen, daß Sozialpolitik eigenstän- dige gesellschaftspolitische Ziele zu verfolgen hat und sich nicht bloß mit dem zu- friedengeben kann und darf, was vom Tisch der Wirt- schafts- und Finanzpolitik an Brosamen abfällt. Aus dieser Überzeugung ziehen wir den Schluß, daß die Soziallei- stungen der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen sind. Diesen gesellschafts- politischen Fortschritt wol- len wir auch in der Situation weltweiter wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht rück- gängig machen_"

Eugen Glombig MdB (SPD) bei der ersten Beratung des SPD/FDP-Entwurfs zum 21. Rentenanpassungsgesetz im Bundestag, 16. März 1978

1172 Heft 20 vom 18. Mai 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Bereits durch das KVWG und das KVKG sind die "Essentials der Kassenärzte", die zum größten Tei I auch unverzichtbare Rechte der Versicherten beinhalten, er- heblich tangiert, nämlich

C> die freiberufliche Tätigkeit des

Kassenarztes,

C> die Vertragsfreiheit der Kas-

senärztlichen Vereinigung,

C> die Therapiefreiheit des Arztes,

C> die freie Zulassung,

C> die freie Arztwahl des Versi-

cherten,

C> der Sicherstellungsauftrag der

Kassenärztlichen Vereinigung und

C> die leistungsgerechte Honorie-

rung der ambulanten Leistung.

~ Würden darüber hinaus die Vorstellungen des Deutschen Ge- werkschaftsbundes, im Verein mit SPD und Ortskrankenkassen, auch nur teilweise Gesetz werden, wären diese Rechtspositionen des Kassenarztes völlig beseitigt und die der Versicherten erheblich be- einträchtigt.

Ich habe das Gefühl, daß viele Ärz- te noch nicht begriffen haben, was auf dem Spiele steht, andere ohne Engagement zuwarten unter dem Motto: "Die da oben werden schon machen" und wieder ande- re resigniert haben. ln keinem Land der Welt wurde eine einmal erfolgte Sozialisierung des Ge- sundheitswesens bisher rückgän- gig gemacht, auch nicht von nach- folgenden bürgerlichen Regierun- gen!

~ Wenn wir unser freiheitliches Sozialversicherungssystem und

die individuelle ärztliche Betreu-

ung unserer Mitbürger erhalten wollen, brauchen wir die Koopera- tion, die Solidarität und den per- sönlichen Einsatz jedes einzelnen Arztes und aller ärztlichen Verbän- de und Körperschaften!

Dr. med. Friedrich Kolb

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