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ass es dem kleinsten und sozial engagiertesten Or- chester Berlins, den Ber- liner Symphonikern, an den Kragen gehen soll, ist aus- nahmsweise nicht „nur“ eine Nachricht über eine der vielen typischen geplanten Haupt- stadtkürzungen vom Berliner Senat, sondern bundesweit ein Problem.Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Mainz muss beispielsweise ver- kleinert werden, und Auflö- sungspläne wurden dort auch schon laut. Mehr als 50 000 Mainzer haben ihre Unter- schrift für den Erhalt des Main- zer Orchesters abgegeben. In München weiß man, dass die Münchner Philharmoniker 394 000 Euro im Jahr 2003 ein- sparen müssen, somit müssen Musikerstellen reduziert wer- den und Eintrittspreise steigen.Der Zuschuss für das Münch- ner Jugendorchester wurde so lange verschoben, bis er der Haushaltssperre zum Opfer fiel.
In Zeiten dieser schmerzli- chen Kürzungen ist die Nach- frage nach zukunftweisenden Modellen groß. So sind die Berliner Symphoniker nicht nur nach Ansicht ihres Inten- danten Jochen Thärichen „das preiswerteste Orchester der Stadt“. Wer den Klangkörper unter wirtschaftlichen Aspek- ten betrachtet, sieht, dass er eine schlanke Verwaltung mit einer Intendantenstelle und zweieinhalb Verwaltungsstel- len hat. „Vergleichsweise ar- beiten in der Berliner Philhar- monie über 100 Menschen in der Verwaltung“, sagte Thäri- chen. Die Symphoniker haben mit ihren 52 Musikern (1993 waren es noch 71) auch nach Ansicht der kulturpolitischen Sprecherin des Kulturaus- schusses des Berliner Landta-
ges, Alice Ströver (Bündnis 90/Die Grünen), eine Struktur für zukunftsorientierte För- dermodelle. Das Einspieler- gebnis liegt mit 19 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von zwölf Prozent. Musiker und Intendant verzichten seit Jahren auf das 13. Monatsge- halt. Gegen den Senatsbe- schluss, das Orchester aufzulö- sen, wurden schon fast 60 000
Unterschriften gesammelt. En- de Oktober engagierten sich alle neun Orchester der Haupt- stadt mit einem gemeinsamen Solidaritätskonzert für den Erhalt. Und Ende November haben das Berliner Sinfonie- orchester, das Orchester der Deutschen Oper, das Orche- ster der Komischen Oper und die Staatskapelle Berlin sowie die Deutsche Orchesterver- einigung (DOV) einen Vor- schlag präsentiert, nach dem sich der fehlende Betrag für die Symphoniker fast vollstän- dig durch die vier anderen lan- deseigenen Orchester erwirt- schaften lässt. Der Vorschlag sieht vor, den Tarifvertrag, der für die anderen Landesbe- diensteten 2003 abgeschlossen
wurde, auch auf die Orchester anzuwenden. Er sieht weiter vor, nach einer – wie für den öffentlichen Dienst Berlins vereinbarten – 2,4-prozentigen Anhebung auf bis zu zwölf Prozent ihrer Vergütung zu verzichten. Der Verzicht er- bringe nach Rechnung des DOV etwa 3,1 Millionen Euro und damit in etwa den fehlen- den Betrag. Die Berliner Lan-
desregierung ist jetzt in einer peinlichen Lage. Ihre Behaup- tung, für die Symphoniker ge- be es überhaupt keine Rettung mehr, ist widerlegt. Mit dem Wegfall des Klangkörpers wür- de Berlin sein sozial enga- giertestes Orchester verlieren.
Denn: Die Berliner Symphoni- ker besuchen mit ihren Blech- und Holzinstrumenten sowie Streichergruppen jährlich bis zu 190 Schulen unter dem Motto „klingende Klassenzim- mer“. Sie arbeiten mit Schü- lern in Workshops zusammen, bieten Familienkonzerte zu Familienpreisen an und för- dern den Nachwuchs. Der Ver- ein hält ermäßigte Karten für soziale Einrichtungen bereit und offeriert ein Abonnement
für Arbeitslose. Bereits 1993 und 1998 drohte die Abwick- lung des nichtstaatlichen Or- chesters durch den Senat. Dass ausgerechnet das preiswerte- ste Orchester der Stadt immer wieder auf der roten Liste steht, liegt an seiner Struktur.
Es handelt sich um das einzige Sinfonieorchester Berlins, bei dessen Auflösung keine ver- tragsbedingten Folgekosten auf die Stadt zukommen, ihr Zuschussvertrag lässt sich am leichtesten kündigen.
Zurzeit laufen in Berlin, Mainz, München und noch vie- len Städten mehr Gespräche über die Zukunft der Orche- ster. Die Musikhochschulen und der Deutsche Musikrat befürchten von einer Abwick- lung der Berliner Symphoni- ker eine bundesweite „fatale Signalwirkung“ und ein Brök- keln der Berliner Orchester- landschaft. In der Ausbildung würden enorme Lücken ent- stehen. Der Senat will mit dem Haushalt 2004/2005 alle Sub- ventionen streichen.An diesen Plänen hatte auch das Ange- bot der Beschäftigten des lan- deseigenen Orchesters nichts geändert, bis 2008 auf zwölf Prozent ihres Gehalts zugun- sten der Symphoniker zu ver- zichten. Mit der geplanten Ab- wicklung drohe ausgerechnet denjenigen das Aus, die sich seit Jahrzehnten beispielhaft für die musikalische Bildung engagieren, sagte Christian Höppner, Vizepräsident des Deutschen Musikrates, Ende Januar in Berlin vor Journali- sten. Spätestens Anfang März wird das Abgeordnetenhaus darüber entschieden haben, ob die jährlichen Zuwendungen von 3,3 Millionen Euro ab 2004 tatsächlich gestrichen werden. Susanne Lenze V A R I A
Berliner Symphoniker
Preiswertes Orchester mit schlanker
Verwaltung
Eine Rettungsidee macht die Abschaffung der Symphoniker erst mal unmöglich.
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A592 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 927. Februar 2004
Feuilleton
Foto:Berliner Symphoniker