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Archiv "Prof. H. E. Bock: „Wir suchen die therapeutischen Normen“" (18.09.1975)

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Bericht und Meinung NACHRICHTEN

Prof. H. E. Bock:

„Wir suchen die therapeutischen Normen"

Die 27. Therapiewoche in Karlsru- he bescherte den Teilnehmern dank des rechtzeitig eingeweihten Neubaues der Städtischen Bühnen zum ersten Mal einen räumlich ge- schlossenen Kongreß. In den Ge- bäuden um den Festplatz, ein- schließlich aller früheren Theater- räume, können nun auch Kurse und Seminare abgehalten werden.

Neben den traditionellen Vorträgen der Kapazitäten gab es genügend Möglichkeiten zur Diskussion im kleineren Kreis. Eine Verflachung zum „Feld-, Wald- und Wiesenkon- greß" läßt sich dieser traditionellen Fortbildungsveranstaltung gewiß nicht nachsagen, obwohl unter dem Sammelmotiv Therapie neben allen Fachbereichen auch Randge- biete, wie z. B. Hypnose und auto- genes Training, einbezogen wer- den.

Das Niveau war hoch, das wissen- schaftliche Angebot groß — und dennoch war die sommerliche Sze- ne nicht jene „lichtdurchflutete glückliche Landschaft um den Strom der Wissenschaft", die man angesichts aller modernen Heil- möglichkeiten laut der Präsiden- tenrede erwarten sollte. Sie wurde übrigens nicht gehalten, denn schon nach den Begrüßungsworten von Prof. Dr. Hans J. Sewering im Namen der Bundesärztekammer, nach seiner Warnung vor fragwür- digen, staatlichen Experimenten, wurde es im Saal buchstäblich du- ster. Der Vortrag von Prof. H. E.

Bock wird gewiß bald zu lesen sein, denn er gibt — auch in kurzer Zeit — die diesjährige Karlsruher Stimmung wieder:

„Stärker und mannigfaltiger als in früheren Zeiten sind die Wirkungen des sozialen Umfeldes heute auf Patienten, auf Arzneihersteller, auf Ärzte und ihre Gebräuche. Mitspra- che aus Mitverantwortung ist stets

zu begrüßen; Mitentscheidungsan- spruch ist gefährlich ohne Sach- kenntnis oder aus undurchsichti- gen Motiven, selbst auch intellektu- ellem Spieltrieb oder Imponierge- habe. Die Sonne über unserer So- ziallandschaft hat einen wechseln- den Stand; theatralische Aufgänge und feuilletonistische Untergänge bestimmen Einebnung und Profilie- rung. Der Schattenwurf ist unter- schiedlich, lang oder kurz, hart oder weich. Kaum einer bemerkt seinen eigenen Schatten; keiner kann — oder will auch nur darüber hinwegspringen. Oft erschwert der Schatten des einen die Erkenn- barkeit des anderen — und selt- samerweise sogar die Selbster-

kenntnis.

Wolken des Mißtrauens und Schwaden des Neides ziehen über diese Landschaft hinweg. Vertrau- ensschwund droht den Patienten mehr noch als den Arzt zu schädi- gen. Polarisierung soll die Span- nung des Feldes erhöhen. In dem- agogischer Zuspitzung fordert selbst der geistreiche Illich nach der ,Entschulung` nun auch die

,Entarztung` der Gesellschaft. ,Die Zunft der Ärzte ist zu einer Haupt- gefahr für die Gesundheit gewor- den', lautet der erste Satz in der Einleitung von Ivan Illichs Buch ,Die Enteignung der Gesundheit'.

Weiter: ,Die Summe der Leiden nimmt mit den therapeutischen Maßnahmen zu'. — ,Das Wunder der modernen Medizin ist diabo- lisch — es besteht darin, daß nicht nur Individuen, sondern ganze Be- völkerungen dazu gebracht wer- den, auf einer inhuman niedrigen Stufe der persönlichen Gesundheit zu überleben.' ...

,Gesundheit entspricht meiner Fä- higkeit, für mein Verhalten im Lei- den verantwortlich zu bleiben'.

Ein großartiger Satz. Aber, so mei- ne ich, Krankheit ist eben leider die Unfähigkeit, gesund verant- wortlich zu sein, und deshalb dele- giert man zweckmäßigerweise die Aufgabe, wieder gesund zu wer- den, an den Arzt, der die uralte Si- tuation des Nothelfers zu beherr- schen gelernt hat — aus Herz und aus Hirn, soweit seine Epoche ihm

Fortbildungsfilmpreis

Den neuen Fortbildungsfilmpreis der Bundesärztekammer überreichte Prof.

Dr. Walter Kreienberg anläßlich der Therapiewoche 1975 an Dr. Arnold Becker (links), Leiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Abteilung des Hauses Byk-Gulden-Pharmazeutika, Konstanz, für das Filmwerk „Formen- kreis Rheumatismus" auf Grund didaktisch-technisch hervorragender Qualität. Über die Schaffung dieses Filmpreises, der am 4. September 1975 erstmals verliehen wurde, ist in unserem Heft 35, Seiten 2385 und 2421 ausführlich berichtet worden Foto: Schlesiger

2594 Heft 38 vom 18. September 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung AUS ZEITUNGEN

das erlaubt. Wich meint, Gesetze müßten das Recht jedes einzelnen anerkennen, seine eigene Gesund- heit zu definieren. Bessere Ge- sundheitspflege werde nicht von ir- gendwelchen therapeutischen Nor- men abhängig sein, sondern vom Grad der Bereitschaft und Kompe- tenz des einzelnen, sich selbst ge- sund zu pflegen. Offenbar sind wir auf dem Holzwege, wenn wir hier auf der Therapiewoche zum Bei- spiel Arzneikunde treiben, Arzneisi- cherheit anstreben und uns von den erfahrensten Sachkennern über erwünschte und erhoffte, aber auch über unerwünschte oder ver- fehlte Wirkungen belehren lassen.

Wir suchen die therapeutischen Normen."

Diese geistvolle Analyse, die bei der Eröffnungsfeier leider der Zeit- not zum Opfer fiel, hätte eine be- sondere Motivation für die vielen Tausende bedeutet, die in Karlsru- he wieder ihre Kenntnisse erwei- terten, wohl wissend, daß der

„mündige Patient" noch lange Zeit im Ernstfall lieber die iatrogenen Früchte dieser Fortbildung genie- ßen möchte, als sich heroisch im Leiden zu üben.

So sprach auch der Karlsruher Oberbürgermeister Otto Dullenkopf dem Bürger eher als dem Ideolo- gen aus dem Herzen, wenn er von Gefährdungen für einen Berufs- stand sprach, zu dem der Hilfesu- chende noch immer aufblickt, weil er sich vom behandelnden Arzt mehr erhofft als nur Interesse für einen medizinischen Fall. Trost des Erfahrenen: „Wo die Schelte amts- immanent ist, z. B. bei der Gruppe der Oberbürgermeister, da hat die Immunität schon gewaltige Fort- schritte gemacht. Andere Gruppen sind erst in der Eingewöhnungs- phase, zum Beispiel die Ärzte".

Daß dieses Stadium bereits nahezu überwunden ist, machte Bundes- ärztekammer-Präsident Prof. Sewe- ring deutlich: „Wir reagieren heute eiskalt auf Angriffe, weil bei aller Hetze das Vertrauen der Bevölke- rung in ihre Ärzte nicht erschüttert wurde." SW

Gegen BGH-Urteil

„Ärzte und Richter sollten dringend die zwischen ihnen bestehenden Mißverständnisse über die Rolle der medizinischen Gutachter aus- räumen. Dies forderte die Ärzte- kammer Nordrhein, nachdem der Bundesgerichtshof in einem Urteil

Frankfurternundschau]

ärztlichen Sachverständigen vorge- worfen hatte, bei sogenannten Kunstfehlerprozessen voreinge- nommen für ihre Kollegen zu votie- ren. In dem Karlsruher Spruch, der in der jüngsten Ausgabe der ,Neu- en juristischen Wochenschrift' ver- öffentlicht wurde, heißt es, daß die Gerichte ärztliche Gutachten nicht unbesehen übernehmen dürften.

Eine nicht geringe Zahl der Sach- verständigen habe Schwierigkei- ten, sich bei der Ausübung ihres Amtes von überholten und manch- mal der Rechtsordnung widerspre- chenden Standesregeln freizuma- chen. In dieser Äußerung sieht die Ärztekammer Nordrhein eine Her- absetzung und Kränkung jener Ärz- te, die sich bei Prozessen als medi- zinische Sachverständige zur Ver- fügung stellen. Das höchste deut- sche Gericht habe sich damit nach dem Motto ,Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus' ein uner- trägliches Vorurteil zu eigen ge- macht."

„Ärztliche Grauzonen"

„Das Gebot der ärztlichen Kolle- gialität findet dort seine Grenzen, wo ärztliche Fehler vertuscht wer- den sollen, befindet die Ärztekam- mer Nordrhein. Soweit die schöne Theorie standesärztlichen Selbst- verständnisses. Daß die Praxis an- ders aussieht, dringt immer wieder einmal an die Öffentlichkeit, zum Beispiel, wenn es einem Kläger selbst unter größten Mühen nicht gelingen will, einen medizinischen Sachverständigen als Gutachter ge- gen eine Kapazität in den Gerichts- saal zu zitieren. Der Bundesge-

richtshof, der Gutachtern Schwie- rigkeiten attestiert, sich von „über- holten Standesregeln freizuma- chen", sagt das nicht obenhin, son- dern auf Grund Ärgernis provozie- render Erfahrungen. Auch auf die mögliche Voreingenommenheit des Gutachters soll der Richter achten, meint das höchste bundesdeut- sche Gericht. Da erhebt sich die Frage, woher eine solche Vorein- genommenheit wohl kommen mag?

Ist nicht etwa schuld daran das praktizierte Selbstverständnis der Ärzte als einer geschlossenen Ge- sellschaft mit besonderer Beru- fung, in der nicht sein kann, was nicht sein darf? Handfeste Nachtei- le für Ärzte, die wider den Standes- stachel löckten, wird man schwer nachweisen können. Aber es gibt ein nicht mit Händen zu greifendes

FrankfurierRundschau 1

Mißtrauen, eine graue Zone von Di- stanzierung, in der das Gefühl wächst, verachtet, zumindest be- äugt zu werden. In diese Grauzone zu geraten, scheinen Gutachter ge- legentlich zu scheuen." -pp-

Disziplin

im Gesundheitswesen

„Die Kostenlawine im Gesund- heitswesen lasse sich nur durch mehr Disziplin aller Beteiligten auf- halten, erklärte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfrak- tion, Hansheinrich Schmidt-Kemp- ten, auf der Jahrestagung des Ver- bandes der privaten Krankenversi- cherung (PKV) in Berlin. Die priva- ten Krankenversicherer zeigen

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nach Ansicht von Schmidt Wege, wie das Kostenproblem zu lösen sei, weil sie Tarife mit und ohne Selbstbeteiligung anböten und je- dem Versicherten seine eigenen Krankheitskosten vor Augen führ- ten." dpa

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 18. September 1975 2595

Referenzen

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