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Diabetes, Blutzucker und Niereninsuffizienz

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Academic year: 2022

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Der angemessene Blutzuckerziel- wert im Hinblick auf die Nierenge- sundheit scheint in dem Rahmen zu liegen, der sich bereits in anderen Studien abgezeichnet hat: Allzu tief ist offenbar genauso schlecht wie allzu hoch.

ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE

Dass eine gute Blutzuckerkontrolle die Entwicklung einer Niereninsuffizienz bei Diabetes mellitus verhindern oder zumindest hinauszögern kann, ist be- kannt. Ob jedoch Diabetiker, die be- reits eine chronische Niereninsuffizienz aufweisen, ebenfalls von einer strikten Blutzuckerkontrolle profitieren könn- ten, wurde bis anhin noch kaum unter- sucht. Im Gegenteil: Solche Patienten wurden bei Diabetesstudien in der Regel systematisch ausgeschlossen. Als Richtwert gilt für Diabetiker mit oder ohne Niereninsuffizienz zwar ein HbA1cvon 7 Prozent, wirklich evidenz- basiert sei dies aber nicht, so die Auto- ren einer vor Kurzem in der Zeitschrift

«Archives of Internal Medicine» er- schienenen epidemiologischen Studie aus Kanada. Das Autorenteam um Sabin Shurraw von den Universitäten Alberta in Edmonton und Calgary ver- suchte, diese Wissenslücke durch das

Auswerten der Krankenakten von Typ- 1- und Typ-2-Diabetikern mit vermin- derter glomerulärer Filtra tionsrate (GFR) zu schliessen.

Diese Patienten wiesen bei der routine- mässigen Unter suchung zwischen 2005 und 2006 eine GFR von weniger als 60 ml/min/1,73 m2auf. Insgesamt fan- den sich in den Krankenakten 21 155 Diabetiker mit einer chronischen Nieren insuffizienz im Stadium 3 (30–

59,9 ml/min/1,73 m2; entspricht einer moderaten Nierenfunktionseinschrän- kung) und 2141 Diabetiker mit einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium 4 (15–29,9 ml/min/1,73 m2; entspricht einer schweren Nierenfunk- tionseinschränkung).

Über einen mittleren Follow-up-Zeit- raum von 46 Monaten wurde der Zusammenhang zwischen HbA1c und den folgenden Parametern betrachtet:

Mortalität, Spitaleinweisungen, kar- dio vaskuläre Ereignisse (Myokard - infarkt, Hirnschlag, Herzinsuffizienz), Nierenversagen (Endstadium), Pro- gression der Niereninsuffizienz (= Ver- doppelung des Serumkreatinins bei 2 konsekutiven Messungen).

Der mittlere HbA1c-Wert betrug 6,9, und etwa jeder Zehnte hatte ein HbA1c von über 9 Prozent. Zur Berechnung relativer Risiken wurden in jeder Nie- reninsuffizienzstufe (Stadium 3 oder Stadium 4) je drei Gruppen gebildet:

HbA1c< 7, HbA1c7 bis 9 und HbA1c

> 9. Referenzwert (Risiko = 1) war je- weils die Gruppe HbA1c< 7.

U-förmige Assoziation von HbA1c- Wert und Mortalität

Unabhängig von der ursprünglichen GFR ergab der Vergleich HbA1c < 7 versus HbA1c7 bis 9 oder HbA1c> 9 immer ein statistisch signifikantes, erhöhtes relatives Risiko für alle oben genannten Parameter.

Doch die sich anbietende Annahme «je tiefer das HbA1c, umso besser» erwies sich als falsch: Trug man in einem Dia- gramm die Mortalität nach HbA1cauf, so wurde ein bereits in anderen diabe- tologischen Studien zu beobachtender Effekt bestätigt, dass sowohl ein relativ hohes wie ein allzu tief angesetztes HbA1c nicht sinnvoll ist (Abbildung):

«Eine bessere glykämische Kontrolle bei Patienten mit chronischer Nieren - insuffizienz der Stadien 3 und 4 geht mit einer besseren kli nischen Entwick- lung einher, aber eine übermässig inten- sive Therapie (d.h. HbA1c-Zielwert unter 7%) könnte schädlich sein», schreiben die Autoren der kanadischen Studie.

Im Gegensatz zur Mortalität fand sich für die kardiovaskulären Parameter und das Nierenversagen kein erhöhtes Risiko bei den tiefen HbA1c-Werten.

Welche Diabetiker mit Niereninsuffi- zienz profitieren am meisten?

Weniger eindeutig als bei der Mortali- tät sieht es bezüglich eines allfälligen Zu sam menhangs zwischen HbA1cund der Pro gnose der Niereninsuffizienz aus:

Ist es im Niereninsuffizienzstadium 4 vielleicht sowieso schon «zu spät», um mittels Blutzuckerkontrolle die Pro - gnose zu verbessern?

Für die Patienten mit chronischer Nie- reninsuffizienz im Stadium 3 bei einem HbA1czwischen 7 und 9 wurde ein um 22 Prozent höheres relatives Risiko für Nierenversagen innert vier Jahren er- rechnet, für diejenigen mit einem HbA1cüber 9 lag es gar um 152 Prozent höher. Für Patienten im Nieren insuf - fizienzstadium 4 hingegen war die Asso- ziation mit dem HbA1cweniger beein- druckend: Hier stieg das relative Risiko für Niereninsuffizienz nur um 3 bezie- hungsweise 13 Prozent. Die Autoren deuten dies als «Point of no return»-Ef- fekt. Sie nehmen an, dass die Nieren bei Patienten im Stadium 4 sowieso bereits dermassen geschädigt sind, dass es auf den Blutzucker offenbar nicht mehr allzu sehr ankommt.

In einem Gastkommentar in der glei- chen Ausgabe der «Archives of Internal Medicine» warnt der Epidemiologe Dr. David C. Goff Jr. von der Wake Fo- rest School of Medicine, Winston- Salem (USA), jedoch vor allzu raschen Schlussfolgerungen. Er gibt zu beden- ken, dass es nur bezüglich des Nieren-

STUDIE REFERIERT

290

ARS MEDICI 6 2012

Diabetes, Blutzucker und Niereninsuffizienz

HbA

1c

zwischen 7 und 8 Prozent ist vorteilhaft

Merksätze

❖Eine bessere glykämische Kontrolle kann bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zu einer besseren Prognose führen.

❖Ein HbA1c-Zielwert unter 7 Prozent ist dabei nicht sinnvoll.

(2)

versagens überhaupt einen statistisch relevanten Unterschied für einen «HbA1c- Effekt» gemäss Niereninsuf fizienz - sta dium gegeben habe. Hingegen sei die Risikoassoziation GFR-Rückgang/

HbA1c unabhängig vom Nieren insuf - fizienzstadium. Es sei doch merkwür- dig, so Goff, dass zwei Nierenparame- ter hier zu unterschiedlichen Resultaten führten.

Auch könne bei dem vermeintlichen Unterschied zwischen den Niereninsuf- fizienzgruppen der Zufall seine Hand im Spiel gehabt haben. Die Statistik zu den insgesamt 7 Parametern in der Stu-

die würde nämlich mit einer einer doch recht beachtlichen Wahrscheinlichkeit von 30,2 Prozent so oder so einen p-Wert von < 0,05 liefern, so Goff.

Den durchschnittlichen Leser mögen diese vermutlich korrekten, aber mit- unter doch schwer nachvollziehbaren statistischen Überlegungen noch nicht an der klinischen Relevanz der auf den ersten Blick beeindruckenden Risiko- beziehung zwischen HbA1c und Nie- renversagen bei Diabetikern zweifeln lassen. Die Betrachtung der absoluten Zahlen, auf die Goff im Gegensatz zu den Studienautoren eingeht, ist aller- dings recht ernüchternd und stellt obendrein die Hypothese vom «Point of no return» infrage:

Bei den Diabetikern im Niereninsuffi- zienzstadium 3 und mit einem HbA1c

< 7 entwickelten 42 von 10 709 (0,4%) innert 46 Monaten das Endstadium Nierenversagen. Bei denjenigen mit einem HbA1c< 9 waren es 40 von 2386 (1,7%); die absolute Differenz beträgt 1,3 Prozent.

Bei den Diabetikern im Niereninsuffi- zienzstadium 4 und einem HbA1c< 7 kam es bei 116 von 1072 Patienten zum Nierenversagen (10,8%), bei denjeni- gen mit einem HbA1c < 9 waren es 54 von 276 (19,5%); die absolute Diffe- renz beträgt 8,7 Prozent.

David Goff wagte sich noch einen Schritt weiter und schätzte die «num- ber needed to treat» folgendermassen ein: Im Stadium 3 müsste man 168 Dia- betiker auf den niedrigen HbA1c-Wert bringen, um bei einem von ihnen das

Endstadium Nierenversagen zu verhin- dern. Bei denjenigen im Stadium 4 müssten es hingegen nur 71 Patienten sein, um einen zu retten. So gesehen wäre der absolute «HbA1c-Effekt» für diejenigen mit Niereninsuffizienzsta- dium 4 vielleicht sogar wichtiger.

Résumé für die Praxis

Diese Studie wird das Vorgehen in der Praxis vermutlich nicht verändern. Die einmal mehr bestätigte Hypothese, dass bei Diabetikern ein HbA1c von 7 bis 8 Prozent nicht unbedingt noch weiter gesenkt werden muss, bildet ab, was ohnehin in der Praxis gemacht wird.

Sicher wichtig für die Praxis ist jedoch die Bemerkung von Kommentator David Goff, dass – im Gegensatz zur HbA1c-Frage – die Evidenz für den Nutzen einer guten Blutdruckkontrolle zur Prävention von Nierenschäden bei Diabetikern sehr gut sei. ❖ Renate Bonifer

Shurraw S et al.: Association Between Glycemic Control and Adverse Outcomes in People With Diabetes Mellitus and Chronic Kidney Disease. A Population-Based Cohort Study. Arch Intern Med 2011; 171(21): 1920–1927.

Goff DC: Glycemic Control and Cardiorenal Outcomes in Patients With Advanced Chronic Kidney Disease – Rela- tive or Absolute Risks? Arch Int Med 2011; 171(21):

1927–1928.

Interessenlage: Die Autoren der Studie geben keine finan- ziellen Interessenkonflikte an; die Studie wurde von ver- schiedenen öffentlichen Institutionen gefördert. Der Autor des Kommentars gibt Studiensponsoring von Merck und Takeda an.

STUDIE REFERIERT

292

ARS MEDICI 6 2012

Hazard Ratio Anteil Patienten (%)

HbA1c 1,8

1,6

1,4

1,2

1,0

0,9

20

16

12

8

4

0 5 6 7 8 9 10 11

Abbildung: HbA1c-Wert und Mortalitätsrisiko in der epidemiologischen Studie von Shurraw et al.

2011; die graue Schattierung markiert das 95-Pro- zent-Konfidenzintervall. Die roten Balken geben den Anteil der Diabetiker an, die in dieser Studie den entsprechenden HbA1c-Wert aufwiesen.

Referenzen

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