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Antikoagulation bei Vorhofflimmern und renaler Dysfunktion

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Academic year: 2022

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Im Rahmen eines von der Firma Daiichi-Sankyo gesponsorten Fortbil- dungsseminars für das CME-Angebot auf der Onlineplattform des Internet- dienstes «Medscape» (www.medscape.

org) haben namhafte Experten die Frage diskutiert, inwieweit eine fort- schreitende Nierenfunktionsverschlech - terung die Ergebnisse einer Antikoagu- lationstherapie bei Patienten mit VHF nachteilig beeinflussen kann. Darüber hinaus standen die Verabreichungs- empfehlungen für orale Antikoagulan- zien bei Patienten mit Nierenfunktions- störungen im Mittelpunkt. Die für diesen Anlass zusammengerufene Ge- sprächsrunde setzte sich zusammen aus Prof. Dr. Robert P. Giugliano, Prof. Dr.

Jeremy N. Ruskin (beide Havard Medi- cal School, Boston, MA) und Prof. Dr.

Gregory Y. H. Lip (University of Bir- mingham, UK) sowie Prof. Dr. Peter R.

Kowey (Jefferson Medical College, Phi- ladelphia, PA) als Moderator.

Gemäss der Framingham-Studie steigt das Risiko VHF-bedingter Schlagan- fälle mit zunehmendem Alter an (Ab- bildung 1): In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen waren etwa 1,8 Prozent der Patienten von VHF betroffen, und 2,8 Prozent der Schlaganfälle waren

auf VHF zurückzuführen. Von den 70- bis 79-Jährigen litten bereits 4,8 Pro- zent und von den 80- bis 89-jährigen 8,8 Prozent unter VHF, und der Anteil damit assoziierter Schlaganfälle betrug 9,9 beziehungsweise 23,5 Prozent.

Über lange Zeit wurden VHF-Patienten mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA; in den USA v. a. Warfarin, in Europa v. a.

Phenprocoumon [Marcumar®]) anti- koaguliert. Bei der Therapie mit diesen Medikamenten sind regelmässige Mes- sungen der INR (International Nor - malized Ratio) erforderlich, welche Aus sagen über das Level der Antiko- agulation erlauben. Mit den neuen, oralen (Nicht-VKA-)Antikoagulanzien (NOAK) sind solche Messungen nicht nötig, aber mit herkömmlichen Labor- tests auch nicht möglich. Es gebe je- doch, so Prof. Kowey in seiner Einfüh- rung zum Thema, vermehrt Hinweise, dass ein Monitoring der Dosis-Wir- kungs-Beziehung bei manchen Patien- ten, inklusive solcher mit renaler Dys- funktion, durchaus hilfreich sein könnte.

Monitoring der Nierenfunktion:

Bei wem und wie oft?

Nierenfunktionsstörungen sind bei den (meist älteren) Personen mit VHF und multiplen Komorbiditäten nicht selten.

Wie Prof. Lip berichtete, sei in einer ty- pischen Klinik durchschnittlich min- destens ein Drittel der Patienten davon betroffen. Die Frage, wie oft ein solches Therapiemonitoring beim einzelnen Patienten erfolgen sollte, lasse sich nur von Fall zu Fall beantworten. Als Faustregel könne gelten, was die euro- päischen Guidelines zum VHF empfeh- len, nämlich bei normaler Baseline- Nierenfunktion ein einige Male pro Jahr, bei moderater Nierenfunktions- störung dagegen wesentlich öfter wie- derholtes Monitoring. Zu beachten sei auch, dass selbst Patienten mit zu

BERICHT

Antikoagulation bei Vorhofflimmern und renaler Dysfunktion

Empfehlungen zur Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten und NOAK

Vorhofflimmern (VHF) und Niereninsuffizienz sind insbesondere bei älteren Menschen häufig miteinander vergesellschaftet. Beide Erkrankungen er - höhen das Schlaganfallrisiko deutlich, weshalb vielfach eine Therapie mit Gerinnungshemmern indiziert ist. Diese Medikamente werden allerdings überwiegend über die Niere ausgeschieden. Daher ist ein regelmässiges Monitoring der Nierenfunktion Voraussetzung für eine Antikoagulations - therapie. Das Problem der renalen Dysfunktion bei Patienten mit VHF sowie deren Management mittels oraler Antikoagulanzien waren Gegenstand eines Fortbildungsseminars bei «Medscape».

Von Ralf Behrens

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Bei älteren Personen mit Vorhofflim- mern (VHF) und multiplen Komorbidi - täten liegt oft gleichzeitig eine Nieren- funktionsstörung vor.

Patienten mit VHF und chronischer Niereninsuffizienz erleiden nicht nur häufiger Schlaganfälle, sondern auch öfter Herzinfarkte als solche mit nor- maler Nierenfunktion.

Sämtliche oralen Antikoagulanzien werden mehr oder weniger über die Niere abgebaut, weshalb ihr Einsatz von einem regelmässigen Monitoring der Nierenfunktion begleitet werden muss.

Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) scheinen Studien zufolge bei Patienten mit VHF und moderater Nierendysfunk- tion Vorteile gegenüber Vitamin-K- Antagonisten zu bieten.

Wie oft beim Einsatz von NOAK ein Monitoring der Nierenfunktion erfolgen muss sowie ob und wann Dosisanpas- sungen erforderlich sind, wird vom Ausmass der renalen Elimination der einzelnen Substanzen bestimmt.

MERKSÄTZE

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Therapiebeginn normaler Nierenfunk- tion zum Teil nicht davor gefeit sind, dass diese sich im Verlauf deutlich ver- schlechtert. Patienten mit VHF und chronischer Niereninsuffizienz erlitten nicht nur häufiger Schlaganfälle, son- dern auch öfter Herzinfarkte als solche mit normaler Nierenfunktion. Sie seien einem höheren Sterblichkeitsrisiko aus- gesetzt und gleichzeitig gefährdeter, eine Major- oder eine intrakranielle Blutung zu entwickeln. Dabei spiele es in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die Patienten NOAK oder VKA erhalten. Bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung oder gar Nie- reninsuffizienz im Endstadium könne Warfarin aktuelleren Studien zufolge möglicherweise mit einem klinischen Nettonutzen eingesetzt werden, denn ihr hohes Schlaganfallrisiko lasse sich

durch das Medikament reduzieren, das Blutungsrisiko sei dabei allerdings ebenfalls hoch. Hier komme es ent- scheidend auf eine gute Kontrolle der Antikoagulation an, die sich anhand des TTR (time in therapeutic range)- Wertes ablesen lasse(Abbildung 2).

NOAK ist nicht gleich NOAK Die NOAK unterscheiden sich dahin- gehend, wie und auf welchem Weg sie im Körper abgebaut werden (Abbil- dung 3). Daher, so Prof. Giuglianos Einschätzung, sei es unter Umständen erforderlich, Patienten auf unterschied- liche Weise zu überwachen, je nach- dem, welches Antikoagulans sie jeweils erhalten. Eines der wesentlichsten Merkmale, anhand derer sich die ein- zelnen NOAK gegeneinander abgren- zen lassen, sei der Grad ihrer renalen

Elimination: Diese ist am höchsten bei Dabigatran (ca. 80%) und am niedrigs- ten bei Apixaban (27%). Dies habe wichtige Auswirkungen darauf, wie oft die Nierenfunktion überprüft werden und ob beziehungsweise wann eine Dosisanpassung erfolgen muss.

Daneben bestehen zwischen den einzel- nen NOAK auch Unterschiede hin- sichtlich ihrer möglichen Wechselwir- kungen mit anderen Medikamenten.

Dabigatran und Edoxaban werden le- diglich in kaum nennenswertem Aus- mass über das Cytochrom-P-450-Sys- tem abgebaut, sodass bei ihnen, anders als bei Apixaban oder Rivaroxaban, im Falle gleichzeitiger Einnahme eines starken P450-Inhibitors keinerlei Do- sisanpassungen empfohlen werden.

Unterbrechen der Antikoagulation Ein anderes Problem stellen Situatio- nen dar, in denen die Antikoagulation aufgrund von anstehenden operativen Eingriffen oder anderen Prozeduren unterbrochen werden muss, wie Prof.

Ruskin erklärte. Hier werde der Zeit- punkt des vorgängigen Absetzens des Medikaments direkt von der Nieren- funktion bestimmt. Ist diese beein- trächtigt, sei eine längere Medikamen- tenabstinenz erforderlich, um in einen unantikoagulierten Zustand zu gelan- gen, aber auch hier bestünden zwischen den einzelnen NOAK bestimmte Un- terschiede (Abbildung 4).Zwar werde inzwischen generell mehr und mehr an- gestrebt, möglichst viele solcher Proze- duren ohne Unterbrechung der Antiko- agulation durchzuführen, aber bei den durchführenden Chirurgen, Zahnärz- ten oder Endoskopisten gebe es noch sehr grosse Unterschiede dahingehend, welche Risiken sie hier einzugehen be- reit sind.

Von Bedeutung, so Lip, sei dabei natür- lich auch, um welche Art von Eingriff oder Prozedur es sich im Einzelnen handelt. Eine Darmspiegelung zum Beispiel könne problemlos durchge- führt werden. Anders sehe es allerdings aus, wenn dabei Polypen entdeckt wer- den und der Endoskopist der Versu- chung nicht widerstehen kann, diese sofort zu entfernen, und dadurch wo- möglich eine Blutung verursacht.

Prof. Kowey merkte an, dass dennoch wohl weniger das Beenden als vielmehr die Wiederaufnahme einer Antikoa - gulation mit den NOAK Probleme be-

50–59 60–69

Altersgruppe (Jahre)

70–79 80–89

VHF-Prävalenz

VHF-bedingte Schlaganfälle

Patienten (%)

0,5 1,5 1,8 2,8

4,8

9,9 8,8

23,5

Abbildung 1: Framingham-Studie: Der prozentuale Anteil von vorhofflimmer-(VHF-)beding- ten Schlaganfällen steigt mit dem Alter an. (Nach[1])

Abbildung 2: Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Ereignisse in Relation zur TTR («time in therapeutic range»; KI: Konfidenzintervall). (Nach [2])

Ereignisse pro 100 Jahre bei bestehendem Niereninsuffizienzrisiko (95%-KI)

TTR <60% TTR 60 bis 69% TTR 70%

Schlaganfall 3,3 (1,8–5,7) 3,8 (1,8–7,0) 2,2 (1,2–3,6) Thrombembolie 8,4 (5,7–12,1) 7,5 (4,5–11,7) 4,7 (3,1–6,7) Intrakranielle Blutung 1,0 (0,3–2,6) 0,7 (0,1–2,6) 0,4 (0,1–1,3) Blutung jedweder Art 11,5 (8,2–15,6) 9,2 (5,8–13,8) 5,9 (4,1–8,2)

Tod 9,3 (6,5–12,8) 9,0 (5,8–13,3) 5,9 (4,2–8,0)

30

20

10

0

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reite, und zwar deshalb, weil Chirurgen oder andere die jeweiligen Prozeduren durchführende Ärzte an die im Ver- gleich zu den NOAK relativ langsam einsetzende Wirkung von Warfarin ge- wöhnt seien, welche erst drei oder vier Tage nach der Einnahme eintritt.

«In der Tat wirken NOAK nahezu in- stantan und haben nach 1 bis 3 Stun- den bereits ihr Wirkungsmaximum er- reicht», so Giugliano. Hier sei unbe- dingt zunächst das Eintreten einer Blut- stillung abzuwarten, bevor die Anti koa -

gulationstherapie fortgesetzt werden dürfe.

Lip verwies in diesem Zusammenhang auf die europäischen Leitlinien, die für den Fall, dass keinerlei Anzeichen für Blutungen mehr bestehen, eine Karenz- zeit von wenigen Tagen empfehlen. In komplizierteren Fällen, in denen der Verdacht auf Blutungen besteht, sollten zusätzliche bildgebende Verfahren he- rangezogen werden, um eine Entwick- lung von Hämatomen auszuschliessen.

Letztendlich liessen sich, so die Ein-

schätzung Lips, jedoch auch hier keine allgemeingültigen Aussagen treffen, und die Situation müsse jeweils indivi- duell bewertet werden.

NOAK oder doch lieber Vitamin-K-Antagonisten?

Nun konfrontierte Kowey seine Ge- sprächspartner mit dem folgenden Sze- nario: Angenommen, man habe es mit einem Patienten mit VHF und hohem kardiovaskulären Risiko sowie schwe- rer Nierendysfunktion zu tun, der sich zwar noch nicht an der Dialyse, jedoch mit seiner Kreatinin-Clearence (CrCl) schon im Bereich zwischen 15 und 30 ml/min befindet und antikoaguliert werden muss. Welches Medikament beziehungsweise welche Dosis ist hier am ehesten indiziert?

Für Ruskin war bis vor etwa einem Jahr in einer solchen Situation ganz klar Warfarin die erste Wahl. «Seitdem wur- den viele Patienten bei uns auf Apixa- ban umgestellt.» Im Allgemeinen blei- ben er und seine Kollegen bei der Dosis von 5 mg 2-mal täglich, falls nicht zwei der drei in den Leitlinien für die Apixabandosierung festgelegten Kriterien für eine Dosisanpassung auf 2,5 mg (Alter > 80 Jahre, Gewicht

≤ 60 kg, Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl)

erfüllt sind.

Die Daten, auf denen die Thereapie- empfehlungen für Apixaban beruhen, stammen aus der ARISTOTLE-Studie.

Hier hatte sich gezeigt, dass die Blu- tungswahrscheinlichkeiten für Warfa- rin und Apixaban umso mehr vonei- nander abwichen, je schlechter die CrCl ausfiel – mit deutlich weniger schweren Blutungsereignissen bei Patienten, die mit Apixaban behandelt wurden (Ab- bildung 5).Im CrCl-Bereich um 30 ml/

min ergaben sich im Apixaban-Arm etwa 50 Prozent weniger Blutungen als im Warfarin-Arm. Diese Zahlen stell- ten für sehr viele Behandler, so Lip, eine vernünftige Rechtfertigung dar, bei nie- reninsuffizienten Patienten auf Apixa- ban zurückzugreifen. Eine gut kontrol- lierte Warfarintherapie mit hohen TTR-Werten sei jedoch in einer solchen Situation nach wie vor ebenfalls keine falsche Lösung. Patienten, die bereits Erfahrung mit Warfarin haben, würden sich mit dem erforderlichen Heim- TTR-Monitoring allerdings leichter tun als solche, die neu diagnostiziert und erstmals therapiert werden.

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Abbildung 3: Pharmakokinetische Merkmale der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK;

Absorption, Verteilung, Metabolismus, Exkretiona–d; BCRP «breast cancer resistance protein;

a: nach [3], b: nach [4], c: nach [5], d: nach [6])

Abbildung 4: Terminierung der Unterbrechung der NOAK-Therapie vor geplanten Eingriffen/

Prozeduren (CrCl: Kreatinin-Clearence) (Nach [7][8])

Apixaban Rivaroxaban Dabigatran Edoxaban

Niedriges Hohes Niedriges Hohes Niedriges Hohes Niedriges Hohes

CrCI, mL/min Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h)

>60

30–60

15–30

<15

≥24h ≥36h ≥48h ≥96h ≥120h unbekannt

Substanz Dabigatrana Rivaroxabana Apixabana Edoxabana, d

Target II (Thrombin) Xa Xa Xa

Bioverfügbarkeit (%) 6–7 80 66 62

Cmax(Stunden) 2c 2–4 1–3 1–2

Transporter P-Glykoprotein P-Glykoprotein/ P-Glykoprotein P-Glykoprotein BCRP

Verteilungsvolumen 50–70 50 21 107

(Liter)

Halbwertszeit (Stunden) 12–14 5–13 8–15 10–14

Renale Elimination (%) 80 66* 25 50

Cytochrom-P-450- keine 66 15 <4

Metabolismus (%)

Proteinbindung (%) 35 >90 87 55

* etwa die Hälfte davon unverändert über den Urin ausgeschiedena

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Werten bis hinunter auf 15 ml/min, waren zwei der in der ENGAGE-AF- TIMI-48-Studie (Abbildung 6) mit Edoxaban untersuchten Subgruppen, wie Giugliano ergänzte. Deren Resul- tate unter diesem NOAK waren we- sentlich besser als unter Warfarin.

Bezüglich des Blutungsrisikos bei ab- nehmender Nierenfunktion ergaben sich deutliche Vorteile für Edoxaban, vergleichbar mit den Daten zu Apixa- ban in der ARISTOTLE-Studie. Glei- ches war für die VKA-naiven Patienten zu beobachten, weshalb diese beiden Patientengruppen für Giugliano exzel- lente Kandidaten für eine NOAK-The- rapie darstellen.

Wie sinnvoll

sind Dosisanpassungen?

Sämtliche NOAK würden renal elimi- niert, mithin sinke mit zunehmender CrCl die Wirkstoffkonzentration im Körper, so Giugliano weiter. Aus der Studie mit Edoxaban, und auch aus der mit Apixaban, habe es interessante Hinweise darauf gegeben, dass in CrCl- Bereichen oberhalb von 80 bis 95 ml/

min ein geringerer Schutz vor ischämi- schen Schlaganfällen bestehen könnte, was für die US-amerikanische Food and Drug Administration Anlass gewe- sen sei, den Einsatz von Edoxaban bei Patienten mit einer CrCl von mehr als 95 ml/min nicht zu empfehlen. Dies sei durchaus kontrovers diskutiert und etwa in Japan, in der Schweiz und zu- letzt auch im übrigen Europa auch anders eingeschätzt worden. Warfarin könne nach wie vor als gute Alternative gelten, solange sich die INR bei Patien- ten mit normaler und überdurch- schnittlich guter Nierenfunktion kon- trollieren lasse. Der mit Edoxaban und Apixaban beobachtete Effektivitäts- verlust in hohen CrCl-Bereichen habe sich unter Dabigatran oder Rivaroxa- ban nicht gezeigt, daher könnten letz- tere bei Patienten mit guter beziehungs- weise hoch normaler Nierenfunktion ebenfalls eine Option darstellen.

In diesem Kontext wies Kowey an- schliessend darauf hin, dass die wirk - liche Ursache dieses Phänomens gar nicht so sehr ein Effektivitätsverlust von Edoxaban im Bereich sehr hoher CrCl-Werte, sondern vielmehr etwas

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anderes gewesen sei. Giugliano griff dies auf und erklärte, dass zwei ver- schiedene Vorgänge in die Berechnung der entsprechenden Hazard-Ratio ein- gingen, und zwar bleibe mit zunehmen- der Nierenfunktion zum einen die Ereignisrate für Edoxaban konstant, während andererseits die Ereignisrate für Warfarin erheblich abnehme. Dies lasse sich nun in verschiedene Richtun-

gen interpretieren, so der Experte.

Daher habe es auch zahlreiche Diskus- sionen um die Möglichkeit gegeben, bei diesen Patienten die Edoxabandosis zu erhöhen, wie Kowey ergänzte.

Nach Einschätzung Ruskins sprechen die Analysen eher für die Beibehaltung der 60-mg-Dosis auch in CrCl-Berei- chen oberhalb von 50 ml/min. Eine Dosiserhöhung sei zwar ein interessan-

ter Vorschlag, jedoch existierten für den Nutzen einer solchen Massnahme keinerlei Daten. Für Lip ist dies ist ein wesentlicher Punkt, falls die renale Ex- kretion von Edoxaban als Erklärung für diesen Effekt herangezogen wird.

Denn ein ähnlicher Effekt sei mit Dabi- gatran, das ja in noch höherem Aus- mass renal ausgeschieden werde, nicht beobachtet worden.

Diese Überlegungen rückten für Kowey einen anderen Gesichtspunkt in den Fokus, nämlich das Verhältnis von Wirkstoffkonzentration und Anspre- chen. Möglicherweise liege vielen die- ser Bedenken hinsichtlich der Nieren - insuffizienz die Vermutung zugrunde, dass das Prinzip «one size fits all» hier möglicherweise nicht greift. Tatsäch- lich, so Lip, seien ja in der EU im Falle von Dabigatran zwei Dosierungen (110 und 150 mg) verfügbar; die in den USA zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF zugelassene 75-mg-Dosierung gebe es hier nicht. Die Standarddosis seien 150 mg – für Senioren (in der EU definiert als Personen im Alter von 80 Jahren und darüber), bei Komedika- tion mit interagierenden Substanzen wie etwa Verapamil sowie bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (gemäss ESC-Leitlinie definiert durch einen HAS-BLED-Score > 3) seien 110 mg vorgesehen. «Somit habe ich bei Pa- tienten, deren Nierenfunktion im Ver- lauf nachzulassen droht, die Wahl», er- gänzte Kowey, und er entscheide sich generell für die niedrigere Dosis. «Die Gefahr der Überdosierung ist ein sehr wichtiger Aspekt.»

Dem stimmte Lip zu: Insbesondere gelte dies bei einer Substanz, die wie Dabigatran sehr abhängig von der re- nalen Exkretion ist. Es gebe in ARIS- TOTLE eine ähnliche Analyse für Api- xaban, mit der CrCl als kontinuier - licher Variable. Im niedrigen CrCl- Bereich unterhalb von 30 ml/min sei Dabigatran kontraindiziert. Näher bei 30 ml/min beginne man mit der 150- mg-Dosis etwas mehr auf die ungünsti- gere Seite zu rücken, insbesondere was die Blutungen angehe (Abbildung 7).

In der eigenen Praxis tendiert Lip bei einer CrCl im Bereich zwischen 30 und 40 ml/min eher zur niedrigeren Dosis.

Giugliano mutete die 75-mg-Dosis in den USA stets seltsam an: «Ist deine CrCl heute 31 ml/min, erhältst du 150 mg, und wenn sie morgen 29 ml/min be- Abbildung 5: Effektivität von Apixaban in Relation zur Nierenfunktion bei Patienten mit

Vorhofflimmern (eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate nach Cockcroft-Gault-Formel;

HR: Hazard Ratio, KI: Konfidenzintervall) (Nach [9])

Apixaban Warfarin HR p-Wert für

(%/Jahr; n) (%/Jahr; n) (95%-KI) Interaktion

eGFR (ml/min)

> 80 0,99 (70) 1,12 (79) 0,88 (0,64–1,22)

> 50–80 1,24 (87) 1,69 (116) 0,74 (0,56–0,97) 0,705

≤ 50 2,11 (54) 2,67 (69) 0,79 (0,55–1,14)

> 80 2,33 (169) 2,71 (195) 0,86 (0,70–1.06)

> 50–80 3,41 (244) 3,56 (251) 0,96 (0,81–1,14) 0,627

≤ 50 7,12 (188) 8,30 (221) 0,86 (0,70–1,05)

> 80 1,46 (96) 1,84 (119) 0,80 (0,61–1,04)

> 50–80 2,45 (157) 3,21 (199) 0,77 (0,62–0,94) 0,030

≤ 50 3,21 (73) 6,44 (142) 0,50 (0,38–0,66)

0.25 0.5 1 2

Primäre Wirksamkeit Schlaganfall/ systemische Embolie

Mortalität jedweder Ursache

Major- Blutung

12,5–

42,8 42,9–

50,5 50,6–

57,1 57,2–

63,6 63,7–

70,3 70,4–

77,8 77,9–

86,6 86,7–

98,0 98,1–11

7,1

>11

7,1 CrCl (ml/min)

Ischämische Schlaganfälle (%/Jahr)

Edoxaban 30 mg Edoxaban 60 mg Warfarin

ENGAGE ARISTOTLE

(Edoxaban) (Apixaban)

CrCl-Bereich HR CrCl-Bereich HR (ml/min) (mITT) (ml/min) (mITT)

>50 bis 80 0,62 >50 bis <80 0,87

≥80 1,58 ≥80 1,35

Abbildung 6: ENGAGE-AF-TIMI-48-Studie: ischämische Schlaganfälle in Abhängigkeit von der Nierenfunktion (CrCl: Kreatinin-Clearence, HR: Hazard Ratio, mITT: «modified inten- tion-to-treat») (Nach [10])

2,8 2,6 2,4 2,2 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0

(6)

trägt, bekommst du 75 mg zweimal täglich.» Dazu erklärte Kowey, dass man in den USA hier gewissermassen lahmgelegt sei. Seiner Ansicht nach ist

der mangelnde Ermessensspielraum bei der Dosierung auch der Grund dafür, dass Dabigatran dort die Erwartungen nicht erfüllt hat. Auch eine Vielzahl

der für Dabigatran beschriebenen Blu- tungsfälle lasse sich damit erklären.

«Mehr Flexibilität wäre schön, aber un- glücklicherweise haben wir sie nicht», bedauerte der Moderator abschliessend.

Ralf Behrens

Interessenkonflikte: Das hier vorgestellte CME-Seminar von Medscape Education wurde von der Firma Daiichi-Sankyo Europe GmbH gesponsort. Die eingeladenen Ex perten unter- halten verschiedene Geschäftsbeziehungen zu diversen Pharmaunternehmen und/oder haben von diesen Firmen finanzielle Forschungsunterstützung erhalten.

Quelle: Online-Fortbildungsseminar «What You Didn't Know About AF and Renal Dysfunction». Medcape Education Car- diology, 14.7.2015, www.medscape.org/viewarticle/ 845003.

Literatur:

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10. FDA Draft Briefing Document for the Cardiovascular and Renal Drugs Advisory Committee (NDA 206316).

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Jährliche Ereignisrate

Schlaganfall oder systolische Embolie Major-Blutung

Schlaganfall oder systolische Embolie Major-Blutung Apixaban

Warfarin p-Wert für Interaktion = 0,67

Apixaban Warfarin p-Wert für Interaktion = 0,005

DE150 Warfarin

DE150 Warfarin p-Wert für Interaktion = 0,1301 p-Wert für Interaktion = 0,8245

Baseline-eGFR (ml/min) Baseline-eGFR (ml/min)

0,04 0,02 0

0,12 0,08 0,04 0

0,10 0,05 0 0,08

0,06 0,04 0,02 0

30 60 90 120 30 60 90 120

30 40 50 60 70 80 90 100 30 40 50 60 70 80 90 100

Abbildung 7: Effektivität und Sicherheit von Apixaban (nach [9]) und Dabigatran (nach [11]) unter kontinuierlicher Analyse der Nierenfunktion (DE150: Dabigatran etexilate 150 mg, eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate nach Cockcroft-Gault-Formel)

Jährliche Ereignisrate

Referenzen

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