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11 Magnetohydrodynamik
11.1 Grundgleichungen der Magnetohydrodynamik
Magnetohydrodynamik (MHD) ist die Hydrodynamik von magnetisierten Flüssigkeiten oder Plasmen. Grundlagen der MHD sind die Hydrodyna- mik, die Elektrodynamik und die Plasmaphysik.
In einem magnetisierten Plasma wirken Lorenzkräfteqv×B auf die ge- ladenen Teilchen. Die Bewegung der Teilchen quer zum Magnetfeld ist eine Kreisbewegung, mit Larmor-Radius (oder Gyroradius)r und Zyklo-L tronfrequenzωC
qB mvperp
rL= (11.1)
m qB
C =
ω (11.2)
Wenn der Larmorradius sehr klein ist im Vergleich zur charakteristischen Länge L des Systems, so erfolgt die Bewegung der einzelnen Teilchen (im mitbewegten System) praktisch nur noch längs der Magnetfeldlinien.
Die Magnetohydrodynamik betrachtet langsam veränderliche Systeme mit kleinen Gyroradien:
T L
r
C L<< <<
ω
, 1 (11.3)
Die Impulsgleichung der MHD enthält einen zusätzlichen Term für die Lorenzkraft:
B j v
v v
× +
−∇
=
∇
⋅
⋅
∂ +
∂ p
t ρ( )
ρ (11.4)
jist dabei elektrische Stromdichte, B die magnetische Induktion. Viskosi- tätsterme können vernachlässigt werden, weil Transportprozesse quer zum Magnetfeld durch die Gyration stark behindert sind und längs der Feldlinien meist die Advektion dominiert. Gleichung (11.4) erhält man durch Addition der separaten Bewegungsgleichungen für Ionen und E- lektronen in einem (insgesamt neutralen) Plasma.
Die Stromdichte ist mit dem Magnetfeld verknüpft durch die Ampère- Maxwell-Gleichung (in der MHD-Näherung darf der Verschiebungsstrom vernachlässigt werden)
89 j
B=µ0
×
∇ (11.5)
also (unter Verwendung von (5.11))
(
B)
B(
B)
BB
j + ⋅∇
−∇
=
×
×
∇
=
×
0 0 2
0
1 2 1
µ µ µ
B (11.6)
damit erhalten wir die Impulsgleichung der MHD, aus welcher der Strom mit Hilfe des Magnetfeldes eliminiert worden ist:
(
B)
Bv v v
∇
⋅
+
∇
−
−∇
=
∇
⋅
⋅
∂ +
∂
0 0
2 1
) 2
( µ µ
ρ
ρ B
t p (11.7)
Die Grösse
( )
02 2µ
B bezeichnet man alsmagnetischen Druck.
Die Feldgleichung fürB erhalten wir aus dem Induktionsgesetz t E
B=−∇×
∂
∂ (11.8)
aus der wir das elektrische Feld mit Hilfe des verallgemeinerten Ohm’schen Gesetzes
(
E v B)
j=σ + × (11.9)
eliminieren {Resultat aus der Plasmaphysik, vgl. Krall und Trivelpiece, Kap. 3.5 (Magnetohydrodynamics). Man erhält diese Gleichung aus der Differenz der Bewegungsgleichung für Ionen und Elektronen und den Näherungen der MHD}.σ ist die elektrische Leitfähigkeit, im weiteren betrachten wir sie als konstant.
Einsetzen von (11.9) in (11.8) liefert
(
v B) (
B)
t
B=∇× × − ∇× ∇×
∂
∂
0
1
σµ (11.10)
Mit der Vektorindentität (5.14) wird die Gleichung für das Magnetfeld schliesslich zu
(
v B)
Bt
B 2
0
1 ∇ +
×
×
∇
∂ =
∂
σµ (11.11)
Das Verhältnis der beiden Terme auf der rechten Seite ist bestimmt durch diemagnetische Reynoldszahl
σUL µ0
ReM≡ (11.12)
Zusammen mit der Kontinuitätsgleichung bilden die Gleichungen (11.7) und (11.11) ein System, das nur noch die Grössen u und B enthält (aber nicht mehrj oder E).
90 Wir können (11.11) mit der Vektorbeziehung (5.13)
(
a×b) (
= ∇⋅b) (
a− ∇⋅a) (
b− a⋅∇)
b+(
b⋅∇)
a×
∇ umformen zu
(
v)
B(
B)
v v B Bt
B 2
0
) 1
(∇⋅ + ∇
−
∇
⋅
=
∇
⋅
∂ +
∂
σµ (11.13)
Formal ist diese Gleichung identisch mit der Vorticity-Gleichung (5.15).
Sie hat die Form einer Transportgleichung für das Magnetfeld. Für belie- big gute Leitfähigkeit (ReM→∞) beschreibt sie das im Plasmaeingefro- rene Feld („frozen-in field“), welches vom Plasma mitgeführt wird.
11.2 Alfvén-Wellen
Wir betrachten Schwingungen des Magnetfeldes in einem ruhenden Plasma
) , (xt B B
B= 0+ 1 (11.14)
Das konstante MagnetfeldB0zeige in x-Richtung, die Schwingung sei inkompressibel, das Plasma unendlich gut leitfähig, und es sei
) 2 /( 0
2 µ
B
p<< . Wir betrachten SchwingungenB1in y- oder z-Richtung, und schreiben die Impuls- und Induktionsgleichungen in der Form
( ) (
1)
00 0
1
1 B B B B
v= ∇× × = ∇× ×
∂
∂
ρ µ ρ
µ
t (11.15)
(
v B)
B=∇× ×
∂
∂
t (11.16)
In Komponenten:
x B B t
vyz yz
∂
= ∂
∂
∂ ,
0 , 0
ρ
µ (11.17)
x B v t
Byz yz
∂
= ∂
∂
∂ ,
0
, (11.18)
Ableiten nachx bzw. t liefert die Wellengleichung
2 , 2
0 2 0 2
, 2
x B B t
Byz yz
∂
= ∂
∂
∂
ρ
µ (11.19)
2 0
2 2 2
2 =
∂
− ∂
∂
∂ V x
t A
B
B (11.20)
mit der Alfvéngeschwindigkeit
91 ρ
µ0
B0
VA = (11.21)
Alfvénwellen sind transversale Schwingungen des Magnetfeldes, für die das Magnetfeld die rücktreibende Kraft bewirkt und die Plasma-Dichte die Trägheit.
Für Plasmen mit endlicher Temperatur koppeln sich akustische und Alfvénwellen, es entstehen die langsamen und schnellen magneto- akustischen Wellen.
Aus dem Verhältnis von Schallgeschwindigkeit, Alfvéngeschwindigkeit und Strömungsgeschwindigkeit (bzw. thermischem, magnetischem und dynamischem Druck) lassen sich weitere dimensionslose Zahlen definie- ren
( )
0 20 2µ
β B
= p (Plasma-Beta) (11.22)
0 2
2
MaA
µ ρ B
u V
u
a
=
= (Alfvén- Machzahl) (11.23)
Je nachdem, ob β und MaAgrösser oder kleiner als 1 sind, dominiert der dynamische, thermische oder magnetische Druck die Impulsbilanz (bzw. kinetische, thermische oder magnetische Energie die Energiebi- lanz).
92
11.3 Magnetosphären
Weil in magnetisierten Plasmen die Teilchen an die Magnetfeldlinien
„gebunden“ sind, mischen sich magnetisierte Flüssigkeiten äusserst schlecht. Wechselwirkungen zwischen magnetisierten Flüssigkeiten er- zeugen also Gebilde mit scharfen Grenzflächen.
Typische Beispiele sind die Magnetosphären der Planeten (und anderer Himmelskörper). Das Magnetfelder eines Planeten stellt für den Son- nenwind, ein voll ionisiertes Plasma, das mit Überschall (und Über- Alfvéngeschwindigkeit) von der Sonne wegströmt, ein Hindernis dar. Der Sonnenwind wird in einer Stossfront auf Unterschallgeschwindigkeit ab- gebremst. Er umströmt und deformiert das Magnetfeld des Planeten, da- bei entsteht ein langer Magnetschweif („Magnetotail“). Die Magnetopau- sebildet die Grenze zwischen dem Sonnenwind und dem magnetosphä- rischen Plasma.
Der Abstand der Magnetopause auf der sonnenzugewandten Seite lässt sich abschätzen aus dem Gleichgewicht zwischen dynamischem Druck des Sonnenwindes und magnetischen Druck des planetaren Magnetfel- des:
0 2 2
2µ
ρv = B (11.24)
Nähert man das Feld durch das Dipolfeld
3 0
0
= r B R
B (11.25)
so ergibt dies
2 0 0
2
0 16
2 R
u r B
= ρ
µ (11.26)
Für die Erdmagnetosphäre, mit B0 ≈3x10-5T, und einen Sonnenwind mit u = 400 km/s und ρ≈107Protonen/m3ergibt dies näherungsweise
7 RE
r ≈ (11.27)
Nahe den Polen können energiereiche Teilchen des Sonnenwindes bis in niedere Schichten eindringen, wo sie durch Wechselwirkung mit der Atmosphäre die Aurora erzeugen (in ca. 60 – 1000 km Höhe).
93 Der überwiegende Anteil der Materie im Kosmos besteht aus Plasma, und fast alle diese Plasmen sind magnetisiert. Magnetosphären sind deshalb verbreitete Phänomene. Die untenstehende Figur zeigt zum Ab- schluss einen Grössenvergleich zwischen den Magnetosphären der Pla- neten, einer Galaxie und eines Pulsars.
(Figur aus Friedmann, Die Sonne)