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Grundriß der Geschichte

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Frauen in den Streitkräften, hrsg. von Johann Hurni u.a., Brugg: Verlag Effingerhof AG 1992, 350 S.;

S F R 4 2 -

Der vorliegende Sammelband enthält die Vorträge und Podiumsdiskussionen eines 1990 in der Schweiz veranstalteten interna- tionalen Symposiums. Ein erster Abschnitt behandelt die Rolle von weiblichen Mitglie- dern der Streitkräfte vor 1900. Er soll bele- gen, daß Frauen lange vor dem aktuellen Jahrhundert ihre Rolle in der Landesvertei- digung hatten. Er beginnt mit einem Bei- trag von Jebuda L. Wallach über die »Feld- herrenrolle« der Prophetin Deborah im Feld- zug gegen die Kanaaniten. Weitere Arbei- ten beschäftigen sich mit frühneuzeitlichen Beispielen, zunächst Günter Barudio mit dem »Bild der Frau während der Epoche des Teutschen Krieges 1618—1648.« Julie Wheel- wrights Beitrag über die sich wandelnde Rol- le von Frauen in der Britischen Armee -röh- rend des 19. Jahrhunderts ist eine gut do- kumentierte Analyse, die sich vor allem auf literarische Beispiele wie Kolportageroma- ne etc. stützt. Sie zeigt, daß Frauen erst im viktorianischen Zeitalter ganz aus ihrer Rol- le als militärische Heldinnen verdrängt wur- den und erst mit der Übernahme viktoria- nischer Prüderei zunehmend kriminalisiert und asozialisiert wurden. Zwei weitere Bei- träge befassen sich mit der historischen Rol- le von Schweizerinnen bei der Landesvertei- digung (Rosy Gysler-Schöni und Jürg Stüssi- Lauterhurg).

Der nächste Hauptabschnitt des Buches über Frauen in Streitkräften des 20. Jahr- hunderts beginnt mit einem Beitrag von Sampo Ahto über die Finnischen Lottas im Zweiten Weltkrieg, eine ab 1941 der Finni- schen Armee angehörende, jedoch schon 1919 auf Vereinsebene gegründete Frauen-

vereinigung, die besonders die Verpflegung, Bekleidung und den Sanitätsdienst während des Krieges gegen das Stalinistische Rußland bestritt. Zwei weitere Aufsätze behandeln die Rolle von Frauen in den Armeen Ost- europas. Anton Behler beschreibt, wie die quantitative und qualitative Rolle, die Frau- en in den Partisanenarmeen des ehemaligen Jugoslawien gespielt haben, von der kom- munistischen Propaganda übertrieben wur- de. In einem der wenigen militärkritischen Beiträge im Band gibt Peter Gosztony das Schicksal der zahlreichen Rotarmistinnen wieder. Ahnlich frei von romantischer Schönfärberei ist Nora Kinzer Stewarts Auf- satz über Frauen in Angelsächsischen Ar- meen des Zweiten Weltkrieges, der vor al- lem erschütternde autobiographische Be- richte betroffener Frauen, meist Kranken- schwestern, wiedergibt.

Der letzte Abschnitt des Bandes beleuch- tet die aktuelle Frage der Integration von Frauen in Streitkräfte mit Beiträgen über die Vereinigten Staaten (Sandra Carson Stanley), Kanada (Cheryl C. Lamerson), Australien und Neuseeland (Cathy Dowries), Schweden (Anne Nilsson, Henrietta Göbel), der Volks- republik China (Mady Wechsler Segal, Xiao- lin Li, David R. Segal), der Schweiz (Johan- na Hurni). Besonders erwähnt seien die Bei- träge von Gwyn Harries Jenkins über Großbritannien, der einen integrationsso- ziologischen Zugang wählt, von Ekkehard Lippert über die Situation in der Bundesre- publik Deutschland, der die Diskussion um Frauen in der Bundeswehr im politischen Kontext der gesellschaftlichen Rolle der Streitkräfte nachzeichnet, und von Hedva Almog über die Integration von Frauen in die Israelische Armee, der klarmacht, daß entgegen weitverbreiteten Vorstellungen die Integration von Frauen in die Armee nur soweit erfolgte, wie dies ein strenges Kosten-

Militärgeschichtliche Mitteilungen 53 (1994), S. 227—289 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.Br.

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228 MGM 53 (1994) Annotationen Nutzen-Kalkül angesichts der kürzeren

Dienstzeiten von Frauen erlaubte.

Zwei Roundtable-Gespräche führen die Breite der Diskussion vor. Sie behandeln so ungleiche Fragen wie die nach der Behand- lung weiblicher Kriegsgefangener, nach der Gerechtigkeit des Krieges, nach der Integra- tion von Frauen in Streitkräften gemessen an der beruflichen und gesellschaftlichen In- tegration von Frauen überhaupt, die Frage, wie weit die militärische Integration von Frauen von der realen militärischen Bedro- hung eines Landes abhängt, die Frage, ob die weiter fortgeschrittene Integration von Frauen in die Luftwaffe von den geringeren körperlichen Anforderungen dieser Diszi- plin abhängt oder davon, daß es sich um eine neue, noch nicht stark männlich ge- prägte Institution handelt. In dem Ziel, Frauen so weit wie möglich in den Militär- dienst ihres Landes zu integrieren, ihnen gleiche Aufstiegschancen und Ausbildungs- möglichkeiten zu geben, sind sich die Au- toren der Aufsätze sowie die Diskussions- teilnehmer weitgehend einig.

Insofern gibt der Band sicher nicht die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Diskus- sionen in den unterschiedlichen Ländern wieder. Einige Desiderata seien formuliert:

Es fehlen gänzlich Beiträge aus islamischen Ländern und aus den aufstrebenden Mili- tärnationen der Dritten Welt. Pazifistische Positionen bleiben außer Betracht, ebenso streng traditionalistische Sichtweisen. Man- che der Desiderata sind in einem Sympo- siumsband sicher unumgänglich. Die Aus- lassungen geben aber das gesellschaftliche, sicher nicht unumstrittene Ziel des Sympo- siums wieder: Eine weitere Integration von Frauen in Streitkiäfte im Rahmen einer wei- teren gesellschaftlichen Emanzipation von Frauen zu fördern. B. Elkeles

Ausgewählte Operationen und ihre militärhistorischen Grundlagen, hrsg.

von Hans-Martin Ottmer und Hei- ger Ostertag im Auftrag des Militär- geschichtlichen Forschungsamtes, Herford, Bonn: Mittler 1993, 484 S.

(= Operatives Denken und Handeln in deutschen Streitkräften, Bd4);

DM 34,80

Mit dem hier zu besprechenden Band legt das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) einen Querschnitt seiner For- schungs- und Publikationstätigkeit der letz- ten Jahre vor. Die meisten Beiträge sind den bisher drei Bänden der Reihe »Operatives Denken und Handeln in deutschen Streit- kräften« entnommen, einige andere sind zu- vor in militärischen Fachzeitschriften er- schienen, lediglich für den Aufsatz von Emst-Heinrich Schmidt über das konzentri- sche Operieren mit getrennten Heerestei- len in der Zeit um 1800 ist kein früherer Druckort vermerkt.

Ob es notwendig und sinnvoll war, aus drei Bänden einer Reihe einen vierten zu kompilieren und Texte, von denen einige bereits zweimal publiziert wurden, erneut abzudrucken, mag dahingestellt bleiben. Da die meisten Studien je für sich bzw. in ande- rem Zusammenhang entstanden sind, grei- fen sie immer wieder dieselben Gedanken und Beispiele auf, was naturgemäß zu zahl- reichen Überschneidungen und Wiederho- lungen führt. Augenscheinlich beabsichtigte das MGFA, eine komprimierte Zusammen- fassung vorzulegen, die wohl weniger Histo- riker und historisch interessierte Laien an- sprechen soll, sondern vielmehr dem Prak- tiker, also Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr, einen Leitfaden operativen Denkens an die Hand geben will.

Ohne auf den Inhalt der ja bereits bekann- ten Texte näher einzugehen, sei kurz erläu- tert, wie der Sammelband seiner Zielset- zung gerecht zu werden versucht. Das Buch gliedert sich in einen allgemeinen und einen

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Annotationen MGM 53 (1994) 229

speziellen Teil. D e n Anfang macht Günter Roth mit einem Streifzug durch die Militär- und Kriegsgeschichte, der grundlegende Begriffe und Sachverhalte vermittelt, jedoch in der Mehrzahl jene Beispiele behandelt, die in anderen Aufsätzen ebenfalls thema- tisiert werden. Auf der anderen Seite wird etwa über die Kriegführung im Mittelal- ter, erst recht natürlich über das Kriegs- wesen außerhalb Europas, kaum ein Wort verloren.

N a c h dem Beitrag von Schmidt über das konzentrische Operieren u m 1800 folgt die rund ein Drittel des gesamten Buches umfassende, aus drei ursprünglich selb- ständigen Texten zusammengesetzte Stu- die von Hans-Peter Stein über die Entwick- lung der Gefechtsarten Angriff, Verteidi- gung und Verzögerung in der europäischen Neuzeit.

Teil 2, wenig treffend mit »Operatives Denken von Moltke bis Manstein« über- schrieben, bringt zunächst je einen Beitrag von Roland G. Foerster und Günter Roth über operatives Denken bei Moltke dem Äl- teren bzw. Schlieffen und Manstein. Das letzte Viertel des Buches bleibt sechs Fall- studien zu militärischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges vorbehalten. Neben Schilderungen einzelner Feldzüge (Hans- Martin Ottmer über die deutsche Invasion in Dänemark und Norwegen, Horst Boog über den Luftkrieg gegen die Niederlande im Mai 1940 und Reinhard Stumpf über Rommels wechselvolle Kämpfe in Nord- afrika) finden sich einige übergreifende Fra- gestellungen. Karl-Heinz Frieser widerlegt in seinem überaus anregenden Beitrag über- zeugend die nach dem Westfeldzug 1940 entstandene »Blitzkriege-Legende, während Roland G. Foerster die deutschen politischen und strategischen Überlegungen Ende 1944 und die aus ihnen resultierende Ardennen- Offensive behandelt. Eine Darstellung der Abwehr dieser letzten deutschen Offensi- ve durch die Angloamerikaner (C h r i s t i a n Greiner) bildet den Abschluß.

Die für den Band ausgewählten Operatio- nen stammen sämtlich aus dem Zweiten Weltkrieg und sind, von der soeben genann- ten Untersuchung Greiners abgesehen, aus der Sicht der deutschen Seite behandelt. Die Kriegführung im Pazifik kommt demgegen- über nicht vor. Durch die Aufnahme von Operationen aus dem Ersten Weltkrieg, mögen diese auch weniger spektakulär ver- laufen sein, oder aus den kriegerischen Aus- einandersetzungen nach 1945 hätte die Aus- wahl etwas abwechslungsreicher und reprä- sentativer gestaltet werden können.

Im wesentlichen gut gelungen ist die rei- che Ausstattung mit Fotos und Karten- skizzen, bei deren Gestaltung m a n freilich durch die Beigabe von Erläuterungen zu taktischen Zeichen und Symbolen den Zi- vilisten unter den Lesern hätte entgegen- k o m m e n können.

Insgesamt vermitteln die Studien, die sich durch eine klare, verständliche Sprache und überlegene Sachkenntnis ihrer Autoren aus- zeichnen, ein instruktives Bild der Entwick- lung des operativen Gedankens in der Land- kriegführung seit dem 18. Jahrhundert. D e m vom M G F A vertretenen Verständnis mo- derner Militärgeschichtsschreibung folgend werden die ausgewählten Operationen in ih- rem strategischen, politischen, wirtschaft- lichen und sozialen Kontext beleuchtet. Die Autoren scheuen sich nicht, neben der rei- nen Faktenschilderung Kommentare und Kritik zu äußern, durch die Licht und Schatten in der deutschen militärischen Tra- dition der letzten zwei Jahrhunderte ange- messen zur Geltung kommen. Martin Moll

Jakob Seibert, Hannibal, Darmstadt:

Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993, X X , 552 S. und 10 Karten;

D M 5 9 , -

Die Person Hannibals hat die Antike und die spätere Nachwelt nicht zuletzt deshalb

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2 3 0 M G M 53 (1994) Annotationen beschäftigt, weil sie stets amorph geblieben

ist. Hannibals Leistungen, sein Krieg gegen Rom, fesselten nicht zuletzt wegen ihres Scheiterns, eine gewisse Tragik hat denn auch das Suchen nach den Hintegründen mit beeinflußt, was für die Darstellung der Ereignisse wie die moderne Forschung gilt.

Im übrigen hängt das Bild der Zusammen- hänge, der allgemeinen Gegebenheiten, der persönlichen wie politischen Hintergrün- de und insbesondere der militärischen Er- eignisse von der Zeichnung der Autoren ab, für die Hannibal längst zur festen Größe geworden war; d. h., das Bild, von dem wir auszugehen haben, ist neben einer notori- schen Unkenntnis insbesondere Karthagos bei den antiken Autoren nicht zuletzt von der Absicht der Verzeichnung (die politi- sche Barbarei und ihre Kriterien; die Aus- einandersetzung mit ihr als moralische An- gelegenheit) und einer Rechtfertigung der eigenen, römischen Geschichte bestimmt.

Legenden- und Anekdotenbildung lag na- he, sie haben wohl früh das Ihre zu einer Verfremdung getan und bewirkt, daß der Eindruck von Dämonie einer übermensch- lichen Größe und zugleich plausibler Zü- ge eigenartig durcheinander gehen. Ein kla- res, brauchbares Bild des Phänomens zu zeichnen, das der historischen Bedeutung Hannibals gerecht zu werden vermag, un- ternimmt nun vorliegende Arbeit.

In betont einfacher, aber unmißverständ- licher Sprache und ohne den sonst üblichen Aplomb prüft sie das einschlägige primä- re wie sekundäre Material und legt den Lebenslauf in seinen natürlichen Etappen dar. Die Darstellung der Ereignisse ist im wesentlichen minutiös synchronistisch un- ter Betonung vor allem der sachlichen Kri- terien: Dramatische Szenen indes ergeben sich auch bei kritischer Reflexion zur Ge- nüge. Daß die Arbeit das weitere Umfeld einbezieht und vor allem auch die Krite- rien deutlich zu machen hat, die die Ge- genseite kennzeichnen, ergibt sich aus der Natur der Sache. Wichtig für den Vf. ist

denn in der Tat die Prüfung des Faktischen, d.h. alles sachdienlichen, politischen und staatsrechtlichen Materials, der geographi- schen Voraussetzungen des Krieges und vor allem der logistischen Möglichkeiten, und dies auf beiden Seiten. Die Dokumentation ist lückenlos und wird durch — leider zu klein geratene — Kartenskizzen, den In- dex und ein umfassendes Literaturverzeich- nis ergänzt. Es gelingt Vf. besonders, et- wa die Legenden auf ihren möglichen hi- storischen Kern zu reduzieren und die im- mer wieder aufgewendete Topik als das deutlich zu machen, was sie ist. Eine ab- schließende (S. 530 ff.) Synkrise vermag das überlieferte Charakterbild in einer Weise zu interpretieren, daß von dem Unerklärlich- Abschreckenden der Person wenig mehr bleibt.

Was auf diese Weise entsteht, ist das Bild eines militärischen Taktikers, dessen Über- legenheit nicht zuletzt auf den unverkenn- baren, wenigstens anfangs kalkulierten Füh- rungsschwächen und Fehlern seiner Gegner beruht. Die Ziele seines Krieges gegen Rom, den er als Erbe übernimmt, lassen sich — vielleicht mehr noch als Vf. annimmt — aus einem Einfluß hellenistischer Modelle mit erklären. An der Loyalität Karthagos gegen- über seinen Feldherren ist nicht zu zwei- feln. Unwägbarkeiten vermochte Hannibal vorwiegend dort zu meistern, wo sie vor- auszusehen waren, seine Konzeption war die des Blitzkrieges mit anschließender Ka- pitulation Roms; sein Festhalten an ihr frei- lich bewirkt das Scheitern unmittelbar be- reits nach Cannae. Als Hannibals Schwäche erweist sich auch sonst ein Mangel an poli- tischer Flexibilität, der seine Strategie sicht- bar beeinträchtigt. Demgegenüber entwik- kelt Rom gerade jetzt erst seine Fähigkeit zur Ausnutzung aller verfügbaren Kräfte, und es bildet sich eine Führungselite, de- ren Stärke in der Kooperation besteht, ge- gen sie scheint Hannibal mehr und mehr isoliert. Man wird die Korrektur unseres Bildes in ihrer fundierten Eindringlichkeit

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Annotationen MGM 53 (1994) 231 dankbar annehmen. Wichtig sind die Ana-

lysen im einzelnen, die der Ergänzungsband (Forschungen zu Hannibal) mit einschlägi- gen Forschungen des Vf.s und Auseinander- setzungen in Sachfragen enthält.

Gerbard Wirth

Horst Gründer, Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Gütersloh:

Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1992, 751 S.; DM 128 — Die Verbreitung des christlichen Glaubens stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem okzidentalen Expansionismus, seit Portugiesen und Spanier am Ausgang des 15. Jahrhunderts mit der Suche nach dem Seeweg nach »Indien« den Startschuß für ein europäisch geprägtes, weltumspannen- des Kolonialzeitalter gegeben hatten. Nicht nur ökonomisch-militärische Motive, ge- paart mit Abenteuerlust, leiteten seitdem das Expansionsbestreben, sondern vor al- lem die Verkündung des Evangeliums, des ersten und vielleicht stärksten Anreizes für die Expansion. Religion und Missionierung wurden somit zum unentbehrlichen Hilfs- mittel der Expansion; Handel, Politik und Religion bedingten sich alsbald wechselsei- tig. »Spirituelle Eroberungen« sollten in der Folgezeit dafür sorgen, daß das kolonial- herrschaftliche Milieu tiefgreifend durch die

»Europäisierung« mentaler Strukturen be- stimmt wurde und eine einschneidende so- ziokulturelle Transformation indigener Strukturen erfolgte.

Ausgehend von der These, daß bei der Schaffung einer kolonialen Mentalität die Ausbreitung der christlichen Kultur einen originären Beitrag zum westlichen Expan- sionismus geliefert habe, sich der Expansio- nismus mithin nicht ausschließlich als Pro- dukt politischer oder ökonomischer Inten-

tionen interpretieren lasse, verfolgt das an- zuzeigende Handbuch Horst Gründers, ei- nes ausgewiesenen Kenners der europäi- schen Kolonial- und Missionsgeschichte, nichts weniger, als die Rolle der christlichen Religionsausbreitung im Rahmen des neu- zeitlichen Expansionismus vom 15. bis zum 20. Jahrhundert zu erhellen.

Gründer will ausdrücklich keine umfas- sende Geschichte der christlichen Mission liefern; ihm ist vielmehr daran gelegen, un- ter weitgehendem Rekurs auf Sekundärma- terial und gestützt auf eigene einschlägige Forschungen, ein repräsentatives Grundmu- ster herauszupräparieren, das die politische Stellung sowie die kulturelle und soziale Funktion von Religion bzw. Mission im Kolonialzeitalter verständlich macht.

Im ersten Teil geht der Autor den mis- sionspolitischen Vorstellungen der katho- lischen (Portugiesen, Spanier, Franzosen) und protestantischen (Engländer, Nieder- länder) Mächte in der ersten Kolonialepo- che (1500—1800) auf dem amerikanischen Kontinent sowie in Asien nach. Dabei wird deutlich, daß im Gegensatz zu Amerika, wo politische Kontrolle, Mission und Han- del stets Hand in Hand gingen und die Ureinwohner frühzeitig ins Abseits ge- drängt wurden, in Japan und Indien die Ab- wehrkraft traditioneller Wert- und Reli- gionssysteme ausreichte, um die Ausbrei- tung der christlichen Religion fast gänzlich zu blockieren. Anders als in Amerika stan- den in Asien keine kolonialen Machtmit- tel zur Verfügung, die das Christentum als Agentur soziokulturellen Wandels hätten etablieren können.

Teil 2 befaßt sich sodann mit dem zwei- ten Ausgriff nach Ubersee im 19. und 20.

Jahrhundert, der in den Imperialismus mündete. Im Mittelpunkt des Interesses ste- hen hier vor allem Afrika und Ozeanien im Zeichen der von wirtschaftlich-strategischer Rivalität und Prestigedenken geprägten Auf- teilung der Welt und der Neuorientierung von Staat und christlicher Kirche angesichts

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2 3 2 MGM 53 (1994) Annotationen

der missionarischen »Herausforderung«

durch Kolonien, Protektorate und Einfluß- sphären.

Horst Gründer ist ein ebenso gründliches wie wissenschaftlich fundiertes, zugleich aber lesbares Handbuch gelungen, das in Konzeption und Informationsdichte beein- druckend ist; ein Werk, das alsbald zur Stan- dardausrüstung von Historikern und Semi- naren zählen dürfte. Rolf-Harald Wippich

Michael I. Handel, Masters of war, Sun Tsu, Clausewitz and Jomini, London: Frank Cass 1992, VIII, 176 S.;£24

Vergleichender Kritik mußten sich die Au- toren militärtheoretischer Versuche späte- stens zu Beginn des 19. Jahrhunderts stel- len. Das Bestreben, die eigene militärische Autorität zu festigen, erklärt, daß dabei eher die Unterschiede als die Gemeinsam- keiten der Erkenntnisse in den Vordergrund gestellt wurden. So überraschen weder die Seitenhiebe Clausewitz' gegen Jomini noch dessen grundlegende Polemik gegen das Werk »Vom Kriege«. Die Epigonen beider

»Schulen« bemühten sich später nach Kräf- ten, die theoretischen Gräben durch oftmals unpassende Auslegung noch zu vertiefen.

Obwohl bereits 1772 in einer französischen Ubersetzung publiziert nahmen weder Clausewitz noch Jomini von ihrem chine- sischen Vorläufer Sun Tsu nachweisbare Notiz. Erst um die Jahrhundertwende, aus- gehend von japanischen Militärs, entstan- den gegenüberstellende Studien westlicher und östlicher Strategen und Theoretiker, die jedoch stets aus nationalen Motiven heraus bestrebt waren, eine Hierarchie der Denker festzulegen.

Michael Handel, Professor für Strategie am US Naval War College, gebührt das Ver- dienst, die Hauptwerke der drei großen Mi-

litärtheoretiker auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht zu haben. Ausgehend von klaren Textgrundlagen neuester Überset- zungen von Clausewitz und Sun Tsu er- forscht Handel in seinem Essay den Wert dieser klassischen Werke für die moderne Kriegführung. Einfühlsam und kenntnis- reich stellt er die Denker in ihr historisches Umfeld und ist bemüht, die Rückführung auf die logischen Prämissen ihres Forschens zu betreiben, damit nicht fehlinterpretier- te zeitliche, kulturelle, geographische und sprachliche Umstände — die Autoren tren- nen über 2000Jahre und 10 000 Kilometer — den Zugang zu den Gemeinsamkeiten ver- bauen. Handel entwirft en passant ein Bild der historischen Umbruchsituationen, in denen alle Texte entstanden, und ordnet die Autoren pointiert in ihre philosophischen und militärischen Traditionen ein. Sein Hauptverdienst aber besteht darin, daß er in der Gegenüberstellung längerer Zitate deutlich macht, auf welcher Ebene — stra- tegisch, operativ oder taktisch — Clause- witz, Sun Tsu und Jomini ihre Gedanken zu folgenden Problemkreisen ansiedeln: Primat der Politik, rationale Kriegführung, Füh- rung und Feldherr, die Rolle der Intuition bei den Entscheidungen des Kommandeurs, die Bedeutung von Aufklärung, Überra- schung und Täuschung und anderen. Han- del legt dar, daß Mißinterpretationen der Vergangenheit oft deswegen entstanden sind, weil beispielsweise strategische Überlegun- gen Sun Tsus zum Faktor Aufklärung mit Clausewitzschen Vorstellungen im Bereich der Taktik verglichen wurden. Überzeugend weist er die fundamentalen logischen Ge- meinsamkeiten »westlicher« und »östlicher«

Strategie nach, beispielsweise in der Aner- kennung des Primats der Politik, bei den Fähigkeiten des Feldherrn, der militäri- schen Autonomie auf dem Schlachtfeld oder der Bedeutung der Überlegenheit der Zahl. Abgesehen vom Primat der Politik weisen auch Jomini und Clausewitz unge- ahnte Ähnlichkeiten auf. Handels unvorein-

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Annotationen MGM 53 (1994) 233

genommene Studie ist ungemein geistreich und anregend. Darüber fallen kleine Unge- nauigkeiten nicht ins Gewicht, etwa »Lu- dendorf« (S. 58) und Friedrich der Große als ein nicht ganz passendes Beispiel, um die Unterschiede zwischen persönlichen, dyna- stischen und staatlichen Interessen (S. 63) zu verdeutlichen, denn gerade die Hohenzol- lern und insbesondere Friedrich Π. sind die historischen Exempel für die fast völlige Übereinstimmung von Dynastie und Staat.

Olaf Rose

Ludwig Vones, Geschichte der Ibe- rischen Halbinsel im Mittelalter (711-1480), Reiche - Kronen - Regionen, Sigmaringen: Thorbecke 1993, 390 S.; D M 1 2 8 , -

Die von Ludwig Vones vorgelegte, Odilo Engels gewidmete Geschichte der Iberi- schen Halbinsel im Mittelalter kann als so- lides Handbuch gelesen werden. In einer einleitenden Skizze werden die zentralen Ansätze der spanischen Geschichtsschrei- bung der letzten einhundert Jahre vorge- stellt. Gerade gegen die auf Kastilien zen- trierte Sicht ist Vones* Werk gerichtet, das angesichts der gegenwärtigen Entwicklung in Spanien vielmehr die spezifische Bedeu- tung der einzelnen Regionen hervorheben will. Die Darstellung verläuft dabei in sechs Kapiteln streng chronologisch: beginnend mit der Aufrichtung der arabischen Herr- schaft seit 711, über die Herausbildung der fünf Reiche Kastilien, Leon, Aragon, Navar- ra und Portugal, den Kampf Kastiliens und Aragons u m die Hegemonie sowie ihre Ver- einigung 1469 bis zur Vorbereitung des mo- dernen Einheitsstaates. Als Anhang finden sich elf genealogische Tafeln der Herrscher- häuser, eine nach Regionen gegliederte Zeit- tafel und eine umfangreiche, mit Kurzkom- mentaren versehene Bibliographie.

So begrüßenswert eine grundlegende deutschsprachige Darstellung des spanischen Mittelalters auch ist, enttäuschend bleibt doch die vollkommen einseitige Fixierung des Autors auf die Haupt- und Staatsaktio- nen der fünf Reiche. N u r wenige Seiten sind den muslimischen Territorien am Anfang und den gesellschaftlichen Entwicklungen im christlichen Spanien am Ende des Bu- ches zugestanden. Von marginalen Hinwei- sen abgesehen, ist in dieser Politikgeschichte traditionellen Stils für die ganz besonderen Aspekte einer Sozial- und Wirtschafts-, Ideen- und Kulturgeschichte der von Chri- sten, Juden und Muslimen bewohnten Ibe- rischen Halbinsel außer in der Bibliogra- phie kein Platz. — Schade u m die verpaßte Gelegenheit. Rainer Brüning

Johannes Fried, Die Formierung Eu- ropas 840—1046, München: Olden- bourg 1991, VIII, 302 S. ( = Grund- riß der Geschichte, Bd 6); D M 3 6 , -

Die von Jochen Bleicken, Lothar Gall und Hermann Jakobs herausgegebene Reihe

»Oldenbourg-Grundriß der Geschichte«

will Geschichtswissen im europäischen und

— im Bereich der neueren Geschichte — weltpolitischen Kontext vermitteln, und zwar mit einem neuartigen Konzept: Je- der Band ist in drei Hauptkapitel, näm- lich I. Darstellung, II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung, III. Quellen und Literatur gegliedert. Die weitere Untertei- lung in Unterkapitel ist in jedem Haupt- kapitel gleich. Im vorliegenden Band spie- gelt sie Ergebnisse und Richtungen mo- derner Geschichtsforschung: 1. Menschen und Umwelt, 2. Gesellschaftliche Bindun- gen, 3. Wissen und Verstehen, 4. Haus und Wirtschaft, 5. Regionale Bindungen und Schranken, 6. Königreiche und ihre Verfas- sung, 7. Das Papsttum im frühen Mittel-

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234 MGM 53 (1994) Annotationen alter, 8. Religiosität und Kirche, 9. Schu-

len und Bildung. Zielgruppe der Reihe sind vor allem Studenten und Lehrer der Ge- schichte.

Der vorliegende Band schließt die Lücke zwischen den bereits 1988 bzw. 1990 in zwei- ter Auflage erschienenen Bänden 7 (H. Ja- kobs, Kirchenreform und Hochmittelal- ter) und 5 (R. Schneider, Das Fiankenreich).

Der Zeitraum von der Auflösung des Fran- kenreiches nach dem Tod Ludwigs des F r o m m e n 840 bis zu den Synoden von Sutri und R o m 1046, der von manchen zu- mindest für die erste Hälfte mit dem Prä- dikat »finster« belegt wurde, ist für die Ent- wicklung Europas von großer Bedeutung, und der Titel »Die Formierung Europas«

scheint mir durchaus berechtigt. Eine Viel- falt neuer Reiche und Völker bildet sich heraus und stabilisiert sich mit der abend- ländischen Kirchenreform des 11. Jahrhun- derts.

Die Darstellung, aufgrund des Reihen- konzepts frei von Fußnoten und den Lese- fluß hemmenden Exkursen, ist kompakt und bewegt sich auf hohem sprachlichem Niveau. Gut ausgewählte und farbige Quel- lenzitate beleben den Text. Ein historisches Grundwissen zur behandelten Epoche soll- te der Leser unbedingt mitbringen; eine Zeittafel mit den wichtigsten Eckdaten bie- tet ihm einige Unterstützung wie auch zwei Stammtafeln der wichtigsten Spätkarolin- ger bzw. Ottonen und frühen Salier.

Sowohl im Darstellungsteil als auch bei der Erörterung der Forschungslage beschränkt sich der Autor nicht nur auf objektive Be- richterstattung, sondern bezieht, wo es ihm angebracht erscheint, eindeutig Stellung. Bei den Verweisen auf die Literatur, die sich auf den Nachnamen des Autors und die laufen- de N u m m e r im Literaturverzeichnis be- schränken, wäre die Hinzufügung des Er- scheinungsjahres durchaus von Nutzen ge- wesen.

Die Fülle an Quellen- und Literatur im ΙΠ. Hauptkapitel, nicht weniger als 1454

Titel, präsentiert sich dennoch sehr über- sichtlich, weil der Autor innerhalb der Gliederung nach den Unterkapiteln noch eine weitere sachthematische Unterteilung vorgenommen hat. Zu den zuverlässigen Personen-, Orts- und Sachregistern gesellt sich ein überaus nützliches Autorenregi- ster.

Etwas inkonsequent wird bei der Trans- literation arabischer Personennamen verfah- ren: Wenn man die diakritischen Zeichen bei den Kalifen al-Mansur und al-Hakim wegläßt, sollte man dies bei Ibrahim ibn Jacqüb (korrekt wäre Yacqüb) ruhig auch tun. Ein erheiternder Druckfehler sei an- gemerkt: Auf S. 99 muß es natürlich D o m - kapitel und nicht Domkapital heißen.

D e m Wert des Buches vermögen diese kleinen Ausstellungen keinen Abbruch zu tun. Sowohl der an der behandelten Epo- che allgemein Interessierte als auch der For- scher, der sich rasch über einen bestimm- ten Teilaspekt informieren will, werden vollauf zufriedengestellt. Daß die Lektüre auch genußreich ist, soll nicht verschwie- gen werden, gerade im Bereich der Ge- schichtswissenschaft ist dies keineswegs selbstverständlich. Karl-Ernst Lupprian

Siedlungen und Landesausbau zur Sa- lierzeit, hrsg. von Horst Wolfgang Böhme

Teil 1: in den nördlichen Landschaf- ten des Reiches, 298 S.;

Teil 2: In den südlichen Landschaf- ten des Reiches, 215 S., Sigmarin- gen: Thorbecke 1991 ( = Römisch- Germanisches Zentralmuseum, For- schungsinstitut für Vor- und Früh- geschichte, Bd 27 + 28); D M 198 —

Die Entwicklung des Befestigungswesens in salischer Zeit bekommt ihre deutlicheren Konturen vor dem Hintergrund des Entste-

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Annotationen M G M 53 (1994) 2 3 5 hens der Siedlungen und des fortschreiten-

den Landesausbaus, denen die hier anzuzei- genden Bände gewidmet sind. Zu den we- sentlichen Neuerungen während der Salier- zeit gehört nämlich ohne Zweifel der be- deutende Machtzuwachs des Königshauses, der Adelsfamilien und der Reichskirche durch den Ausbau alter, ζ. T. auf römische Vorgänger zurückgehender urbaner Wirt- schaftszentren einerseits und durch die Ge- winnung neuen agrarischen Siedlungslandes andererseits. Denn nach wie vor galt der Grundsatz, daß Rodung Herrschaft begrün- det. Die Erschließung der bisher nicht oder nur dünn besiedelten Mittelgebirge, der wei- ten Sanderflächen im nordwestlichen Flach- land, der hochwasserbedrohten Marschge- biete entlang der Nordseeküste oder der ex- trem hochgelegenen Almen in den Zentral- alpen führte zu einer erheblichen Erweite- rung der nutzbaren Acker- und Weideflä- chen. Sie gehört zu den eindrucksvollsten Leistungen des beginnenden Hochmittel- alters.

Zu den dafür erforderlichen Maßnahmen zählten sowohl der damals beginnende Deichbau und die damit verbundenen Ent- wässerungsarbeiten in der Niederung als auch die Urbarmachung der unwegsamen, höhergelegenen Waldgebiete des Harzes, der Eifel, des Schwarzwaldes oder der Vogesen.

Dabei stand nicht nur die erhoffte Vergrö- ßerung des Landesbesitzes, sondern auch die Gewinnung unerschlossener Bodenschätze wie Eisen, Kupfer und Silber im Vorder- grund des Interesses. Gerade für den Bereich Südwestdeutschlands wird der letzte Aspekt mit besonderer Gründlichkeit und Ein- dringlichkeit herausgearbeitet. In hohem Maße waren bei diesem groß angelegten, intensiven Landesausbau königliche und bischöfliche Ministerale beteiligt, die sich in salischer und später dann in staufischer Zeit nicht zuletzt durch diese neuen Auf- gaben emanzipieren konnten. Parallel zu dieser Rodungstätigkeit bisher nicht ge- kannten Ausmaßes vollzog sich, zumal in

den bis in die Spätantike zurückreichenden nichtagrarischen Siedlungen des Rheinlan- des, ein Wandel, der freilich erst in den fol- genden Jahrhunderten voll zum Tragen kommen sollte.

Durch die Ansiedlung spezialisierter Handwerker, den Ausbau des Fernhandels und des Warenumschlags, die Vergrößerung der städtischen Siedlungsareale und vor al- lem durch die Befestigung dieser Urbanen Zentren mit Hilfe gewaltiger Steinmauern entstanden in salischer Zeit eindrucksvolle städtische Gemeinwesen. Ihr Erscheinungs- bild hob sich deutlich von dem der dama- ligen Dörfer ab. Die eher lockere Innenbe- bauung der Zentren des 11./12. Jahrhun- derts zeigte zwar noch nicht jene Geschlos- senheit spätmittelalterlicher Städte, doch war das Bild der Straßen und Gassen inner- halb des Mauerringes bereits geprägt durch eine Vielzahl stattlicher Gebäude, Unter diesen sind solche in anspruchsvoller Stab- bauweise ebenso zu nennen wie die wohn- turmartigen, steinernen Kemenaten. Die in den beiden Bänden dargelegten Themen werden in den von mehr als zwanzig Ar- chäologen, Historikern und Bauforschern aus den Niederlanden, der Schweiz und aus Deutschland verfaßten, reich illustrierten Aufsätzen ebenso behandelt wie Fragen zu den Anfängen einer frühen Bürgerschaft ζ. B. Speyers oder die Entwicklung des höl- zernen Wohnbaus in Stadt und Land. Die beigegebenen Skizzen, Schnitte und Fotos erläutern den Textteil in ausgezeichneter Weise und lassen kaum einen Wunsch des Lesers nach genauer Erkenntnis des Gegen- standes aus. Rekonstruktionsversuche von salischen Städten und bäuerlichen Anwesen vermitteln einen ausgezeichneten Eindruck, wie es anhand der archäologischen Befun- de in diesen Gemeinwesen ausgesehen ha- ben könnte: Bis zur Auswertung von Fäka- liengruben gehen die archäologischen Be- funde, die hierzu eine in allen Bereichen bescheidene Speisekarte ausweisen.

Manfred Kehrig

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236 MGM 53 (1994) Annotationen Burgen der Salierzeit, hrsg. von

Horst Wolfgang Böhme

Teil 1: In den nördlichen Landschaf- ten des Reiches, 342 S.;

Teil 2: In den südlichen Landschaf- ten des Reiches, 388 S., Sigmaringen:

Thorbecke 21991 (= Römisch-Ger- manisches Zentralmuseum/For- schungsinstitut für Vor- und Früh- geschichte, Monographien: Bd 25 + 26); DM 198 —

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts be- gannen in Deutschland die ersten Ausgra- bungen und Vermessungen auf mittelalter- lichen Burgen, doch erst gegen Ende des Jahrhunderts setzte eine wissenschaftlich- systematische Erforschung dieses vorwie- gend von Adel und Ministerialität bevor- zugten Siedlungstyps ein, von dem bis zum Ende des 15. Jahrhunderts allein in Zentral- europa nahezu 15000 Einzelanlagen nach- weisbar sind. Die Wissenschaft wandte sich schon bald nach dem Erscheinen der frü- hen Inventare mittelalterlicher Wehrbauten den Fragen nach Entstehung und Entwick- lung der Adelsburgen in Europa zu, kam aber bisläng zu keinen allgemein verbind- lichen Erkenntnissen, was auf den Mangel an nach modernen Methoden ausgegrabe- nen Anlagen zurückzuführen ist.

Um diesem Mangel für die salische Εροτ che ein wenig abzuhelfen, entschloß sich das Römisch-Germanische Zentialmuseum, im Rahmen der Vorbereitungen zu der in Speyer demonstrierten Salier-Ausstellung, ein Symposion zum Problem der Datierung von Burganlagen des 11. und frühen 12.

Jahrhunderts zu veranstalten und die dort vorgetragenen und in den nachfolgenden Monaten vertieften Beiträge in zwei Bänden zu publizieren. Die Anzahl der in Frage kommenden Wehrbauten war jedoch so vielgestaltig und umfangreich, daß nur ei- nige Burgenlandschaften, bzw. einzelne Bur- gen exemplarisch ausgesucht wurden. Die- ses Unternehmen gedieh zu einem stattli-

chen Erfolg, und mit den anzuzeigenden Aufsätzen zum Burgenbau der Salierzeit dürfte zumindest ein erster Versuch unter- nommen sein, unseren heutigen Kenntnis- stand zu Fragen nach der Entstehung der hochmittelalterlichen Adelsburg in Mittel- europa während des 11./12. Jahrhunderts zusammenfassend darzustellen.

Aus der Fülle der insgesamt 23 Beiträge deutscher und ausländischer Gelehrter ra- gen einige wegen ihres weitgesetzten Rah- men hervor. Hans-Wilhelm Heine behandelt die Burgen der salischen Zeit in Niedersach- sen, einem Gebiet, das überwiegend zum sächsischen Stammesherzogtum gehörte.

Durch die Ausgrabungen in den Königs- und Kaiserpfalzen sowie von zahlreichen Burgwällen des frühen Mittelalters läßt sich von der Befestigungsweise des 9./10. Jahr- hunderts ein repräsentatives Bild gewinnen, welches auch die Domburgen Verden, Bre- men, Hamburg und Hildesheim miteinbe- zieht. Danach sind Niederungsburgen vom Typ Motte in frühsalischer Zeit noch nicht nachweisbar, wohl aber an Flußauen orien- tierte befestigte Anlagen als Fluchtanlagen neben Herrenhöfen. Dagegen finden sich zahlreiche Wohntürme und feste Steinhäu- ser, die später zur Turmhausburg überlei- ten, und baugeschichtlich ist das Aufkom- men des Ründturmes und des Steinbaus als charakteristisch festzuhalten. Träger des Burgenbaus sind König, Bischöfe und die großen, später auch edelfreie Adelsgeschlech- ter. Heines Beitrag wird mit einem auf- schlußreichen Exkurs über den slawischen Burgenbau abgeschlossen.

Hansjürgen Brachmann widmet sich dem slawischen Burgenbau zwischen Harz und Elbe, also einem der salischen Kernlande, und weist vor allem auf die abseits der Sied- lungen gelegenen neuen Burgen hin, die, neues Kennzeichen, als steinerne Höhen- burgen konzipiert sind. Überhaupt wurde um die Jahrhundertwende Stein zum bevor- zugten Baumaterial, was die Kombination vielfältiger befestigungstechnischer Elemen-

(11)

Annotationen MGM 53 (1994) 2 3 7 te ermöglichte, und überall kann man be-

obachten, daß die Wälle durch Mauern er- setzt werden. Mit dem Ubergang zum Stein- bau im Befestigungswesen wurde auch eine Neuordnung der Innenbebauung der Bur- gen möglich, weil die steinerne Ringmauer die Möglichkeit bot, die Bebauung an die- se und damit den Innenrand der Befestigung anzulehnen; auch für den Raum zwischen Harz und Elbe läßt sich mit dem Ubergang zur Verwendung des Steins als Baumaterial die zunehmende Anlage von Rundtürmen beobachteji, für Heine alles Anzeichen für eine engere Einbindung dieses Gebiets in den deutschen Reichsverband und seine in- tensive politisch-administrative Durchdrin- gung; zwanzig in Form eines Kataloges vor- gestellte Befestigungsanlagen des behandel- ten Raumes werden auf ihren salischen Bau- zustand hin exakt beschrieben.

Andre Matthys und Johanny de Meulenmee- ster beschrieben salische Wehranlagen in Brabant und Lothringen. Friedrich Reinhard solche im nördlichen Rheinland, Jeannot Mitzier und Johny Zimmer solche im heuti- gen Großherzogtum Luxemburg. Der Bur- gen in den Bundesländern Hessen, Rhein- land-Pfalz und Saarland nimmt sich dann Horst-Wolfgang Böhme in einer ebenso material- wie erkenntnisreichen Studie an.

Aber auch er muß, wie die anderen Auto- ren, für die salische Zeit den großen Man- gel allgemeiner Kenntnisse bedauern und sich mit dem Zusammentragen, Beurteilen und Werten mosaikartiger Ausgrabungser- gebnisse zunächst begnügen. Doch gibt die Fülle an Einzelerkenntnissen, die sich aus 39 dichten Beschreibungen von Bur- gen ergeben, Zeugnis von seiner stupenden Beherrschung des Stoffes und der interna- tionalen Literatur. Zusammenfassend ver- mag Böhme festzustellen, daß die vorgestell- ten Burganlagen außerordentlich kleinräu- mig waren (0,04—0,3ha innerhalb des Be- rings) und sich von den älteren Ringwall- Befestigungen des 9./10. Jahrhunderts ein- drucksvoll unterscheiden. Die Kleinburgen

des 11. und frühen 12. Jahrhunderts waren private Adelsburgen, als ständige und reprä- sentative Wohnsitze konzipiert, aus deren Kern ein mächtiger Wohnturm herausrag- te. Palas und Burgfried bilden aber noch die Ausnahme. Während der Hochadel sei- ne Bauten als dominierende Höhenburgen aufführte, errichteten die aufstrebende Reichsministerialität und kleinere Edelher- ren ihre wehrhaften Kleinburgen ausnahms- los in der Ebene in Anlehnung an Höfe und Dörfer.

Udo Liessem behandelt den salischen Bur- genbau am Mittelrhein, Helmut Bernhard und Dieter Barz jenen in der Pfalz, Thomas Biller und Bernhard Metz stellten die Ent- wicklung im Elsaß vor. Joachim Zeune steu- ert einen ungemein inhaltreichen Beitrag über salische Burgen in Bayern bei. Zahl- lose Bilder und Skizzen ergänzen und er- läutern den Text in vorzüglicher Weise. Was fehlt, ist der militärgeschichtliche Kontext, in dem sich die Entwicklung der salischen Wehrbauten entwickelt. Leider erfährt der Leser nichts über die Wehrorganisation und Taktik, über Ausbildung und Bewaffnung, über Rüstung und Logistik der salischen Zeit. Das Fehlen einer gediegenen mili- tärgeschichtlichen Einführung bleibt aber wohl der einzige kritische Einwand, wenn auch ein gewichtiger, den der Rezensent er- heben möchte. Manfred Kehrig

R. Rogers, Latin siege warfare in the twelfth century, Oxford u.a.: Clar- endon Press 1992, XII, 292 S.; £ 35 Für das besondere Interesse der bisherigen Forschung an Feldschlachten oder Festungs- bauten des Mittelalters macht Rogers nicht zuletzt Erfahrungen der modernen Kriegs- geschichte verantwortlich, die auch das drei- bändige Standardwerk G. Köhlers (1886 bis 1990) geprägt hätten. Die Konzentration auf

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238 MGM 53 (1994) Annotationen die vielfältigen strategischen, politischen,

technischen und personengeschichtlichen Aspekte hochmittelalterlicher Belagerungen fördert nun erstaunliche Einsichten in die Bedeutung dieser Art von Kriegführung zu- tage. Sehr quellennah wird die Entfaltung der Technik im ersten Kreuzzug wie in der normannischen Reichsbildung in Süditalien und ihre frühe Blüte in der spanischen Re- conquista, in den kriegerischen Auseinan- dersetzungen Friedrichs I. in Oberitalien und schließlich in militärischen Unterneh- mungen italienischer Stadtrepubliken ver- folgt. Der rasche Siegeszug der Belagerungs- methoden, die erheblichen personellen, lo- gistischen und handwerklichen Aufwand erforderten, wurde nicht zuletzt durch

»Spezialistenkarrieren« bewirkt, unter de- nen die Gastons IV. von Bearn herausragt:

Bereits bei der Belagerung von Jerusalem führend beteiligt, tat er sich erneut vor Saragossa hervor (S. 51, 171 f., 237f.; das Register müßte S. 290 entsprechend berich- tigt werden). Zwar bleibt das personenge- schichtliche Material im 12. Jahrhundert noch dürftig, doch Herrscher und Kommu- nen bedienten sich in zunehmendem Maße der effektiven Belagerungstürme (Quellen- belege im Appendix I) und -maschinen (App. II), deren Bau und Bedienung den Aufstieg entsprechender Spezialisten er- möglichte.

Hinweise auf das deutsche Reich sind im anzuzeigenden Werk mit Ausnahme ei- ner von italienischen Erfahrungen gezeich- neten Belagerung Heinrichs des Löwen auf einem Abodritenfeldzug ebenso rar wie ein stringenter Vergleich mit der in der For- schung besser analysierten westeuropäi- schen Entwicklung. Die Studie bietet somit eine wohldokumentierte (gelegentlich hät- te man sich die breitere Erfassung der neu- eren deutschen Forschung gewünscht) An- alyse mediterraner Belagerungstechniken mit ihren militärgeschichtlichen, politi- schen und sozialen Implikationen.

Bernd Schneidmüller

Hans-Joachim Bartmuß/Heinz Käthe, Kleine Geschichte Sachsen-Anhalts.

Von den Anfängen bis zur Gegen- wart, Halle: Mitteldeutscher Verlag 1992, 195 S.; DM 29,80

Mit dem kleinen Band wollen die Hallenser Hochschullehrer die Landesgeschichte vor- stellen. Schon der Umfang läßt keine tiefer gehenden Erörterungen erwarten, und in ei- nigen der neun Kapiteln bestätigt sich dann der Eindruck einer oberflächlichen Darstel- lung. In dem von H.-J. Bartmuß verfaßten Mittelalterteil lassen sich durch den penetran- ten Bezug auf »unser Gebiet« schnell die Be- wohner des heutigen Bundeslandes Sachsen- Anhalt als Adressaten ausmachen. Da der ganze Band keine brauchbaren Karten bein- haltet, kann nur, wer mit der Geographie bestens vertraut ist, die Aneinanderreihung von naturräumlichen Gebietsgrenzen nach- vollziehen. Gerade zu der für die Ausbil- dung deutscher Staatlichkeit zentralen Epo- che, als die sächsischen Kaiser hier ihr Wir- kungsfeld hatten, fehlt eine anschauliche Darstellung. Dies liegt daran, daß kultur- historische Erläuterungen zu so bedeuten- den Sachzeugnissen wie dem Naumburger Dom auf einen Halbsatz beschränkt bleiben oder zur Stiftskirche in Quedlinburg ganz fehlen, historische Fachbegriffe durchgän- gig nicht erklärt werden und auch auf Zita- te aus Quellen verzichtet wird. Statt dessen folgen seitenweise Aufzählungen, wer wann und wo regiert hat. Demiunvorbereiteten Le- ser wird wenig zum Verständnis der histori- schen Zusammenhänge geboten. Anzumer- ken ist auch, daß die Verwendung des Kür- zels »v.u.Z.« nicht mehr zeitgemäß ist.

Lebendiger und schlüssiger wird der Text im zweitem Teil, der von Heinz Käthe ver- faßt ist. Hier werden knappe, aber darum nicht weniger nachvollziehbare Entwicklun- gen der Landesgeschichte mit Einbindung in den mitteldeutschen Raum gerafft darge- stellt. Personen werden endlich in Ansätzen charakterisiert statt nur aufgelistet. Übertrie-

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Annotationen M G M 53 (1994) 2 3 9

ben ist die Einschätzung, daß die im Ver- hältnis zu anderen Territorialstaaten geringe Ausbeute, die der Dreißigjährige Krieg Bran- denburg-Preußen eingebracht hatte, »seinen Aufstieg zur stärksten Territorialmacht«

(S. 102) einleitete. Weniger als im Mittelalter- teil fällt das Bestreben auf, Kontinuitäten und zielgerichtete Entwicklungen herauszu- stellen, insbesondere, wenn daraus eine Dis- krepanz zwischen dem Status des Herr- schenden und des Beherrschten erwächst.

Aufallend oft und umfangreich werden in den beiden letzten Kapiteln die politischen Ambitionen der Arbeiterschaft (S. 147, 149, 155 f.) und die KPD (S. 160-162, 165) be- handelt. Informationen über die Stellung der anderen Parteien, den Provinziallandtag, die Oberpräsidenten und ihr Wirken sowie z.B. in der republikanischer Zeit das Ver- hältnis zwischen Provinzialverwaltung und preußischer Staatsregierung fehlen gänzlich.

Anmerkungen besitzt die Publikationen keine, bei den Abbildungen fehlen Anga- ben zur Entstehungszeit und Herkunft, und das Literaturverzeichnis fällt recht ma- ger aus. Fazit: Publikationen zur Landes- geschichte sind wichtige Mittler regionaler Identität. Der angezeigte Band dient diesem Ziel höchstens im zweiten Teil und dort nur partiell. Stephan Kaiser

Kolumbus' Erben. Europäische Ex- pansion und überseeische Ethnien im ersten Kolonialzeitalter, 1415—

1815, hrsg. von Thomas Beck, An- nerose Menninger und Thomas Schleich, Darmstadt: Wissenschaft- liche Buchgesellschaft 1992, VIII, 323 S.; DM 39,80

Im »Kolumbusjahr« 1992 erschien ein Band wie dieser gerade zur rechten Zeit, um die Euphorie angesichts der 500-Jahrfeier der

»Entdeckung« Amerikas zu dämpfen und nachdrücklich auf die Problematik der von

Kolumbus ausgelösten ersten europäischen Expansionswelle nach Ubersee hinzuwei- sen. In neun Fallstudien unternehmen es jüngere Historiker, allesamt Spezialisten im Bereich Ubersee- und Kolonialgeschichte, einige Schlaglichter auf Spezifika der Kul- turkontakte zwischen Europäern und den von der Aufklärung zu »Exoten« gemach- ten amerikanischen, afrikanischen und asia- tischen Ethnien in der ersten Kolonialepo- che zu werfen, in der die Europäisierung der Erde hin zur imperialistischen Weltbe- herrschung im 19. Jahrhundert vorgezeich- net war. Die Entdeckung amerikanischer Indianerkulturen, des »schwarzen Konti- nents« sowie der als märchenhaft geltenden ostasiatischen Region zwangen die Europä- er seit dem 15. Jahrhundert ganz konkret, sich mit dem Fremden zu beschäftigen und ihre vertrauten Vorstellungen perspektivisch mit neuen Eindrücken zu verbinden. Der Kulturkontakt bewirkte zunächst kein eu- ropäisches Superioritätsgefühl, sondern — wie zeitgenössische Landkarten eindrucks- voll dokumentieren — die Inkorporation Europas in eine sich zur Welt hin öffnen- de globale Interaktionsgemeinschaft. Trotz der — retrospektiv betrachtet — linearen Entwicklung zu einer europäisch dominier- ten Welt, die ihren Ausgangspunkt in der portugiesischen Eroberung Ceutas 1415 fand, bargen die 400 Jahre prämodernen Ko- lonialismus' vielfältige Formen und Mög- lichkeiten in der Begegnung mit den keines- wegs nur eine passive Statistenrolle beklei- denden »Anderen«. Abgesehen von dem frühzeitig einer rücksichtslosen Conquista ausgelieferten südamerikanischen Subkon- tinent waren die fremden Zivilisationen in ihrem je eigenen Kulturkreis zumeist noch genügend gefestigt, um den von ökonomi- schem Interesse diktierten Kontakt weitge- hend zu kontrollieren. Der Band, der mit aussagekräftigem Bildmaterial angereichert ist, kann als anregende Lektüre zum Ein- stieg wie zum Weiterstudium wertvolle Dienste leisten. Rolf-Harald. Wippich

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2 4 0 M G M 53 (1994) Annotationen Andreas Kappeler, Rußland als Viel-

völkerreich. Entstehung, Geschich- te, Zerfall, München: Beck 1992, 395 S.; DM 5 8 , -

Der Zerfall der Sowjetunion bedeutete nicht allein das Ende der Herrschaft der KPdSU und den Zusammenbruch des über- kommenen sozialistischen Systems. Eben- so brachte er das Ende eines Vielvölker- reichs, das sich unter russischer Vorherr- schaft im Verlauf von Jahrhunderten her- ausgebildet hatte.

Vor diesem Hintergrund versucht der Au- tor, einen Gesamtüberblick über die Ge- schichte der Völker Rußlands zu geben. Da- bei wird der »ethnische Faktor« bewußt zum zentralen Untersuchungsgegenstand.

Ziel der Abhandlung ist es, »gegenüber der russozentrisch-nationalstaatlichen Optik und gegenüber der verengten Perspektive der nationalen Historiographien den übernatio- nalen, polyethnischen Charakter des vor- modernen Rußland herauszustellen« (S. 13).

Ausführlich wird die Expansion des Za- renreichs seit dem 16. Jahrhundert abgehan- delt, sei es beim »Sammeln der Länder der Goldenen Horde« im Wolgagebiet und in Sibirien, sei es bei der Westexpansion des russischen Imperiums gegenüber Polen und im Baltikum, in der Kasachen-Steppe oder im Kaukasusgebiet. Gleichzeitig wird nach den Ursachen für den Expansionismus ge- fragt, wird die Form der russischen Herr- schaftsausübung über die fremden Völker in ihrem allmählichen Wandel untersucht, werden Parallelen und Unterschiede im Ver- gleich zum Kolonialismus der westeuropäi- schen Staaten herausgearbeitet. Kontinuitä- ten von der frühen Zarenzeit bis in die jüngste Vergangenheit werden dabei eben- so sichtbar wie Brüche nach der Oktober- revolution oder zur Zeit des Stalinismus.

Umfangreiche Literaturangaben, über- sichtliche Tabellen und ein ausführliches Register runden das Werk ab. Entstanden ist dadurch nicht allein eine äußerst lesens-

werte Abhandlung, sondern zugleich auch ein bislang einmaliges Nachschlagewerk zu sämtlichen Völkerschaften und ethnischen Gruppen im Gebiet der ehemaligen Sowjet- union. Manfred v. Boetticher

Hans Miksch, Der Kampf der Kaiser und Kalifen

Bd 3: Wien — das Stalingrad der Os- manen, Bonn: Bernard & Graefe 1992, 453 S.; DM 6 8 , -

Der vorliegende Band schließt die 1986 be- gonnene Reihe ab (siehe MGM, 48 [1990], S. 259 f.). Er umfaßt den Zeitraum vom Be- ginn des 14. Jahrhunderts bis zum Frieden von Karlowitz 1699. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt bei Ungarn, dem Gegen- stand der jahrhundertelangen Auseinander- setzungen zwischen Habsburg und dem Os- manischen Reich, die 1699 mit der Rückge- winnung Ungarns und Siebenbürgens durch Osterreich ein vorläufiges Ende fanden.

Während der sicherlich nicht so strenge

— wie geschildert — habsburgische Abso- lutismus einem nicht immer gerechtfertig- ten Verdikt des Autors verfällt,'finden die ungarischen Adeligen in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit eher seine Sympathie. Auch die Figur des polnischen Königs Johann III. Sobieski scheint etwas abenteuerlich überzeichnet1.

Wer sich an den manchmal saloppen und modern militärischen, oft aber auch heroi- sierenden Stil des Autors gewöhnt, wird zu- verlässig informiert. Verdienstvoll die Auf- schlüsselung der oft sehr unterschiedlichen Schreibweise der im umkämpften Gebiet liegenden Ortschaften. Störend die Anmer- kungen im laufenden Text. Alles in allem aber ein gelungener Abschluß der drei Bän- de, die nun einen guten Uberblick über ei- nen wichtigen Abschnitt der europäischen

Geschichte bieten. Greiner

1 Gerda Hagena, Sobieski. Polens König — Ret- ter des Abendlandes, Wien, München 1983.

(15)

Annotationen MGM 53 (1994) 241 Robert Schwarz, Von Guinegate

(1479) bis Mailand (1516) - Kaiser Maximilian I. in zehn Schlachtenbil- dern, Wien 1992, 180 S. (= MHD- Sonderreihe, Bd 2)

Um das Urteil gleich vorwegzunehmen:

Das erstaunlichste an dieser Arbeit ist, daß man damit den akademischen Grad eines Magisters an einer historischen Fakultät er- werben konnte. Die Arbeit erhebt den An- spruch, in Ergänzung zu den monumenta- len Werken Hermann Wiesfleckers1 über Epoche und Person des gleichzeitig »Letz- ten Ritters« und »Vaters der Landsknechte«

Kaiser Maximilian I. eine »wissenschaftliche Darstellung des Kriegsmannes und Feld- herrn Maximilian« (S. 2) zu liefern. Dazu hat der Autor drei Feldschlachten, zwei Be- lagerungen, in einem Exkurs über die Ri- valität von Schweizer Fußknechten und Landsknechten je eine weitere Schlacht und Belagerung, sowie zwei Seegefechte heran- gezogen. Bei einigen dieser Auseinanderset- zungen, wie der Schlacht bei Marignano und dem Seegefecht von Sluis war der Kai- ser gar nicht anwesend, der Seekrieg um Li- vorno dagegen verdient kaum diese Bezeich- nung, da außer wirrem Herummanövrie- ren beider Seiten keine nennenswerte Ge- fechtsberührung zur See zustande kam.

Jeder dieser Abschnitte besteht aus einem Vorspann über den historischen Hinter- grund, Angaben zum Kampfverlauf und ei- nem Kommentar. Die »wissenschaftliche«

Leistung des Autors besteht im wesentli- chen darin, die vorhandene Sekundärlite- ratur zum Thema mehr oder weniger ge- schickt zu kompilieren. Bei einem solchen Vorgehen ist nie auszuschließen, daß irgend- ein wichtiges Werk übersehen wird; bei der mittlerweile kaum mehr überschaubaren Literaturfülle sollte man das keinem Bear- beiter allzusehr ankreiden. Wenn indes das souveräne Ubergehen wichtiger Standard- werke zu ebenso offensichtlichen wie ver- meidbaren Mängeln, Auslassungen und Irr-

tümern führt, so kann das nicht übergan- gen werden. So ist völlig unverständlich, wie man bei einer Darstellung der Anfän- ge des Landknechtswesens auf ein Werk vom Range der Arbeit Fritz Redlichs2 zu diesem Thema verzichten kann. Auch hät- te die Lektüre von Keegans einschlägigem Werk den wirren Ausführungen über Funk- tion und Bedeutung der persönlichen Anwe- senheit eines Feldherrn auf dem Schlacht- feld wenigstens zu einigen Konturen verhel- fen können3, weiter fällt bei der Durch- sicht des Literaturverzeichnisses auf, daß auf die Verwendung fremdsprachlicher Werke vollständig verzichtet wurde.

Bei der Zusammenstellung werden selbst offensichtliche Fehler und Widersprüche ohne jeden Ansatz von Quellenkritik hin- genommen. So wird nicht einmal bemerkt, daß in einer Quelle mehrfach von acht Ge- schützen bei einer Schlacht die Rede ist, der Autor aber ohne Nennung seiner Quelle sechs Rohre angibt (S. 112 f.). Da ist von der größeren Reichweite und Durchschlagskraft der Arkebuse gegenüber Armbrust und Bo- gen die Rede (S. 23), während aus Angaben von zwei Seiten zuvor — im übrigen kor- rekterweise — zu entnehmen ist, daß der Langbogen an die zeitgenössischen Donner- büchsen zumindest heranreichte (S. 21). Un- klar bleibt auch, wie Schwarz bei der Ar- tilleriereform Maximilians, einer der zentra- len Innovationen des Kaisers, auf acht Ge- schützklassen kommt, während die erhal- tenen Originalschriften des Geschützgie- ßers Löffler explizit nur die Hälfte auswei- sen4. Eine Karacke anhand eines Siegels zu beschreiben als »Dreimaster mit kostbar wie prachtvoll ausgestatteten Tüchern« (S. 127) muß schon fast als Beleidigung der Mari- nehistoriker angesehen werden, die sich er- folgreich bemüht haben, diese Schiffstypen zu analysieren und zu rekonstruieren5. Die Behauptung, die weltgeschichtlichen Ent- scheidungen seien vor dem 16. Jahrhundert zu Land gefallen, verkennt gerade im Mit- telmeer die entscheidende Rolle der See-

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242 MGM 53 (1994) Annotationen

Streitkräfte von den Tagen der Athener über die Punischen Kriege, die Seemacht der By- zantiner, die ihnen Uberleben und Blüte trotz der arabisch-islamischen Expansion si- cherte, bis zur Rolle Venedigs und Genuas.

Wenigstens ein gelungenes »Schlachtbild«

sucht der Leser dann auch vergebens — statt der Holzschnitte aus dem »Weißkunig« wä- ren als Illustrationen wenigstens ein ungefäh- rer Aufmarschplan nebst Schlachtskizzen äußerst hilfreich gewesen. Wie man es hätte machen können, hätte der Autor den be- kannten Dissertationen der Delbrück-Schu- le zu einzelnen Schlachten entnehmen kön-

• nen, von denen er zumindest eine verwen- det hat. In dem jeweiligen »Kommentar«

zur Schlacht sucht man denn auch kommen- tierende Durchdringungen der Materie oder wenigstens eigene Analysen und Interpreta- tionen vergebens. Vielmehr nimmt der Au- tor das Ereignis zum Anlaß, von allgemei- nen Ausführungen zu übergreifenden The- men der Militärgeschichte wie dem Befesti- gungswesen, der Geschichte der Artillerie, dem Verlauf der Auseinandersetzungen des Habsburgerreiches mit Venedig oder Gliede- rung und Gefechtsweise von Schweizern und Landsknechten zu schweifen — auch hier vermißt man die Heranziehung graphischer Darstellungen, wie sie die ebenfalls überse- hene Darstellung von Herbert Schwarz so reichlich enthält6. Unklar bleibt hier die Systematik, die den Autor anhand der See- aktionen bei Sluis zu Ausführungen über die burgundische Heeresverfassung und die Ritterturniere am Hofe Maximilians führt.

Eine eigene kritische Auseinandersetzung mit den in der Literatur vorgetragenen The- sen erwartet man auch hier vergebens.

Als Fazit einer ärgerlichen Lektüre ver- bleibt die Einsicht, daß eine grundlegende militärwissenschaftliche Arbeit über die Stellung Maximilians auf der Scheidelinie zwischen mittelalterlichem und neuzeitli- chem Kriegswesen wohl noch geschrieben werden muß. Die vorliegende Arbeit leistet dazu keinen Beitrag. Thomas Scheben

1 Als summa seiner Befassung mit dieser Person siehe Hermann Wiesflecker, Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, Wien-München 1991.

2 Fritz Redlich, The German Military Enterpri- ser and his Workforce, 2 Bde, Wiesbaden 1964 f.

3 John Keegan, The Mask of Command, New York 1987.

4 Vgl. Dorothea Goetz, Die Anfänge der Artil- lerie, Berlin (Ost) 1985, S. 33 f., oder Georg Or- tenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeital- ter der Landsknechte, Koblenz 1984, S. 69 u.a.m.

5 Für den im Mittelmeer verwendeten Typ Sieg- fried Dauber, Die Marine des Johanniter-Mal- teser-Ritterordens, Graz 1989, S. 158 ff.

6 Herbert Schwarz, Gefechtsformen der Infan- terie und ihre Entwicklung in Mitteleuropa, München 1962.

Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806

Bd 1: Olaf Groehler, Das Heerwe- sen, Berlin: Brandenburgisches Ver- lagshaus 1993, 144 S.; DM 58,—

Innerhalb der dreibändigen Reihe über das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806 liegt nunmehr der Band von Olaf Groehler über das Heerwesen vor.

Groehler beschreibt im ersten Abschnitt den Soldatenalltag, erläutert Ausbildung, Garnisondienst und Unterbringung der Männer, diskutiert Alterszusammensetzung und Ausländeranteil in den Regimentern und untersucht die soziale Herkunft der Soldaten. Das zweite Kapitel ist dem »Wer- den und Wachsen« des Offizierkorps gewid- met. Den umfangreichsten Abschnitt bil- det die Beschreibung von Struktur und Or- ganisation der Armee — unterteilt nach Waffengattungen. Vorgestellt werden aber nicht nur Infanterie, Kavallerie und Artil- lerie, geschildert werden auch technische Truppen, Spielleute, Feldprediger und das Sanitätswesen. Eine Nachzeichnung der Entwicklung von Taktik und Strategie bil- det den Abschluß des Bandes.

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Annotationen M G M 53 (1994) 2 4 3

Zwar erfährt der Fachhistoriker nicht viel Neues, lesenswert und unterhaltsam ist der Band von Groehler allemal, zumal eine schier verschwenderische Fülle von größ- tenteils auch farbigen Abbildungen zeitge- nössischer Stiche und Drucke die Texte be- gleitet. Ralf Pröve

Johannes Kunisch, Fürst — Gesell- schaft — Krieg. Studien zur bellizi- stischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln, Weimar, Wien:

Böhlau 1992, IX, 244 S.; DM 48,- Es war ein guter Gedanke, hier sieben the- matisch zusammenpassende Aufsätze zu ei- nem Buch zusammenzufassen. Im Gegen- satz zu den meisten Aufsatzsammlungen wurden hier die Beiträge unter Berücksich- tigung der neuesten Literatur überarbeitet und so auf den heutigen Forschungsstand gebracht. Obwohl es sich um eine Aufsatz- sammlung handelt, deren Beiträge ursprüng- lich in verschiedenen Zeitschriften und Sam- melwerken in den 1980er Jahren, sowie 1990 und 1991 erschienen sind, bilden sie doch eine gewisse Einheit.

Ihnen liegt nämlich, wie der Autor mit Recht betont, eine gemeinsame Fragestel- lung zugrunde. Diese beschäftigt sich mit der Problematik, aufgrund welcher Voraus- setzungen der absolute Fürstenstaat des 17.

und 18. Jahrhunderts eine so offenkundige Affinität zu Expansion und kriegerischem Wettstreit im Rahmen der sich formieren- den Staatensysteme gehabt hat.

Der erste Beitrag mit dem Titel »La guer- re — c'est moi! Zum Problem der Staaten- konflikte im Zeitalter des Absolutismus«

war ursprünglich 1987 in der Zeitschrift für Historische Forschung erschienen. Ausge- hend von Thesen von Ekkehard Krippen- dorff und Joseph A. Schumpeter setzt sich Kunisch hier mit der Frage auseinander, wie in der Geschichtsschreibung und von eini-

gen sozial- und wirtschaftswissenschaftli- chen Autoren die Konflikte der Staaten un- tereinander im Ancien Regime, ihre Ursa- chen und Handlungsträger, wie Ziele, Mo- tive und Folgen eingeschätzt worden sind.

In einem von H. Duchhardt herausge- gebenen Beiheft der gleichen Zeitschrift ist der profunde zweite Beitrag ursprüng- lich veröffentlicht worden: »Der Nordische Krieg von 1655 bis 1660 als Parabel früh- neuzeitlicher Staatenkonflikte«. K. versucht hier in sehr interessanter Weise eine Ana- lyse des Konfliktpotentials in den frühneu- zeitlichen Staaten, gezeigt an seinem kon- kreten Beispiel. Die 1987 zum ersten Mal er- schienene Studie über »Friedrich den Gro- ßen als Feldherr« bewertet das Verhältnis von Krieg und Politik im Zeitalter des Ab- solutismus. Hier hätte man m.E. auch den für die spätere Geschichte so unheilvollen Aspekt der Politik des Preußenkönigs nach dem Prinzip »Macht vor Recht« noch nä- her behandeln können.

Von besonderem Interesse sind auch der Beitrag über den österreichischen Feldmar- schall Ernst G. Frhr. v. Loudon, der Auf- schlüsse über das Sozialgefüge der hohen Generalität bietet, und der Artikel über die »Friedensidee und das Kriegshandwerk im Zeitalter der Aufklärung«, zum ersten Mal 1988 erschienen in der Zeitschrift »Der Staat«.

Die vorletzte Studie mit dem Titel »Das

>Puppenwerk< der stehenden Heere. Ein Beitrag zur Neueinschätzung von Soldaten- staat und Krieg in der Spätaufklärung« zeigt, daß der Krieg damals schon vor der Fran- zösischen Revolution als eine Art morali- sche Anstalt für Soldat und Vaterland ver- standen wurde. Schließlich behandelt der Autor unter Hinweis auf das Werk Kleists die »Umwertung des Krieges im Zeitalter der Revolutions- und Freiheitskriege«.

Alles in allem ist die Aufsatzsammlung von K. ein relativ geschlossenes, sehr anre- gendes und auch geistvolles Buch über einen interessanten Themen- und Fragenbereich

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