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Blickwinkel und Irritationen - Zur aktuellen Bedeutung von Bürgerrechten in den ostmitteleuropäischen Staaten

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günstige politische Gelegenheitsstruktur auch für Frauen. Gleichwohl wird dabei vor allem unser Umgang mit Asylsuchen- den und Migrantinnen aus den nicht EU-Ländern zum eigentlichen Prüfstein staatsbürgerlicher Aktivität werden. Es wird sich die Frage stellen, wie wir es mit der Exklusivität des neuen Gemein- schaftsstatus halten, und ob wir Europa mit Hilfe der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik tatsächlich zu einer

>Festung< ausbauen werden. Auch hierzu lohnt es sich, den Amsterdamer Vertrag ernst zu nehmen, der just im Zusammen- hang der Maßnahmen in bezug auf das Asyl und die Einwanderung »die Erhal- tung und Weiterentwicklung der Union als R a u m der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« anmahnt (vgl. Art. 2 des Ver- trages über die E U und Art. 61 des E G - Vertrages in der Amsterdamer Fassung).

Vlasta Jalusic

Blickwinkel und Irritationen - Zur aktuellen Bedeutung von Bürgerrechten in den ostmitteleuropäischen Staaten

Die politische Ausgrenzungspraxis, die gegenwärtig in den Staaten Mittel- und Osteuropas betrieben wird, ist trotz all ihrer Besonderheiten von einer globalen Natur und bringt gewisse totalitäre Ten- denzen und Versuchungen hervor, die sehr schwierig zu bekämpfen sind. Dieser Beitrag soll zeigen, wie dies für die Kate- gorie Citzenship selbst zum Problem wird.

Auch wenn einige Theoretiker mei- nen, der Begriff Bürgerschaft/Citizenship liefe Gefahr, seine Spezifik zu verlieren, wenn wir ihn mit zu vielen Inhalten voll- stopfen, werde ich hier die Auffassung vertreten, dass unter »Citizenship« eine multiple Existenz zu verstehen ist, die sich nicht auf die formale Mitgliedschaft zu einem Staatsgebilde beschränkt, sondern

— ihrer Form wie ihrem Inhalt nach - to- talitäre Versuchungen entweder unterstüt- zen oder verhindern kann. Ich verstehe also »Bürgerschaft« in einem doppelten Sinne: als Status und zugleich als einen ständigen Prozess, innerhalb dessen die Voraussetzungen für ein verantwortliches

und aktives Handeln der Einzelnen ge- schaffen werden. Es geht mir also um eine aktive Bürgerschaft im Sinne eines poli- tisch-demokratischen Projektes.

Ausgrenzungsphänomene und unter- schiedliche Praxen von Citizenship

Viele der Ausgrenzungsphänomene, die während der Transitionszeit in den mit- tel- und osteuropäischen Staaten sichtbar wurden, sind natürlich Konsequenzen des Zerfalls der ehemaligen Staatenbündnisse und der Herausbildung neuer National- staaten. Mit dem Ubergang zum Kapita- lismus und zur Mehrparteiendemokratie wurde die Region in das globale System eingebunden, mit der Folge, dass sie es hinsichtlich Nationalstaatlichkeit, Globa- lisierung und Souveränität mit ähnlichen Problemen zu tun hat, wie andere Staaten der sogenannten westlichen Welt. Als Konsequenz der Globalisierung, des Marktfundamentalismus und der neuen nationalstaatlichen Kontexte ist diese R e -

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1 / 0 3

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gion nun auch von ähnlichen totalitären Versuchungen erfasst worden wie der Westen. Zwar sind diese Versuchungen von anderer Art als diejenigen, mit denen die ost- und mitteleuropäischen Staaten sich im Kommunismus konfrontiert sa- hen, aber sie sind darum nicht weniger problematisch und gefährlich.

Diese Tendenzen haben mit Proble- men der Migration zu tun, es geht um Flüchtlinge, um Staatenlose und um Fra- gen der (nationalen) Identitäten. Sie sind mit Mechanismen der Ausgrenzung oder Integration verschiedener Bevölkerungs- gruppen verknüpft, die sich weder eth- nisch noch auf andere Weise assimilieren lassen. Sie sind möglicherweise auch noch gefährlicher als frühere totalitäre Tenden- zen, da es sich heute nicht um einen wildgewordenen Staat handelt, der in ei- ner leviathanischen Weise alles kontrollie- ren will, sondern eher um einen diffusen bzw. sozialen Totalitarismus der Massen- gesellschaft im wahrsten Sinne des Wor- tes. Dies geht einher mit einem relativ schwachen (erst entstehenden) Rechts- staat, mangelnder Rechtssicherheit und einer umfassenden öffentlichen »Norma- lisierung« von Ausgrenzung und Diskri- minierung. Und diese totalitären Versu- chungen werden auch gespeist von einem

»starken Diskurs« des Neoliberalismus und seiner Ideologie des freien Marktes, der schwer, wenn nicht sogar unmöglich zu bekämpfen ist und durch den eine Politik der Diskriminierung im Zeichen sozialer, politischer und ethnischer Diver- sifizierung nur bestärkt wird.

Das kommunistische System basierte auf kollektiven Rechten und auf einem Verständnis von Bürgerschaft als Pflicht, es umfasste rituelle Praktiken der gesell-

schaftlichen Partizipation im Sinne einer bindenden Verpflichtung. Zugleich be- deutete Bürgerschaft vor allem Mitglied- schaft im Sinne der Staatsangehörigkeit.

Für die Einzelnen hieß das, ein Reisedo- kument zu besitzen, das in vielen Staaten allerdings gar keinen Wert hatte (Jugosla- wien stellte diesbezüglich seit den 1970er Jahren eine Ausnahme dar)1. Das kollek-

tive Rechtssubjekt war die arbeitende Bevölkerung und die meisten Bürger- rechte — einschließlich vieler Teilhabe- rechte — leiteten sich aus der Erwerbs- tätigkeit her. Allerdings waren in diesem Arrangement viele Rechte nicht vorgese- hen. So waren zivile Rechte ausgeschlos- sen, die Marshall (1991,16 ff.) zufolge die Grundlage für die Entwicklung einer ka- pitalistischen Ökonomie abgeben und politische Rechte im Sinne freier politi- scher Assoziation bedeuten. Aber es gab doch einen umfangreichen Korpus »so- zialer Bürgerrechte«. Und obwohl dieser wiederum einige bürgerliche Rechte ausschloss, ermöglichte er doch die In- klusion bestimmter Rechte, Themen und Personen, die innerhalb der liberalen bür- gerlichen nationalstaatlichen Tradition ausgeschlossen wurden oder gar nicht existierten. Man könnte sagen, dass Staatsbürgerschaft in diesem Arrangement so etwas wie »soziale Mitgliedschaft« in einem allumfassenden Staat darstellte, der nur teilweise auf nationaler Souveränität basierte. Aus der Perspektive der Ent- wicklung unterschiedlicher Praxen von Citizenship durchlief die Transformation dieser Systeme grob gesprochen drei Pha- sen.

In der ersten Phase fand eine Integra- tion oder besser Erweiterung statt. Oppo- sitionelle, zivilgesellschaftliche Aktivitäten

Es gibt einen großen Unterschied gegenüber den Pässen anderer, insbesondere westlicher Län- der, in denen Balibar (1988, 729) zufolge ein Pass immer weniger die Zugehörigkeit zu einer autonomen Macht dokumentiert als vielmehr zunehmend zur Voraussetzung wird, ein Z u - gangsrecht zur »Cosmopolis« der modernen Kommunikation und finanziellen Transaktionen zu bekommen.

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ließen eine spontane republikanische Bürgerschaft entstehen: Es entwickelte sich eine Revolte gegen das alles umfas- sende System, neue Themen und Akteure traten hervor, es eröffneten sich neue po- litische Räume, neue Formen des Akti- vismus und des Handelns. Wir können das als ein Modell der aktiven, inklusiven Bürgerschaft betrachten, insofern es neue Freiräume schuf und Politik als Möglich- keitsraum entdeckt wurde.2

Die zweite Phase stellte sich als Homogenisierung/Verengung dar, als eine »Systemtransformation«, in der die frühere bürgerliche Gesellschaft wieder

»an die Macht« kam und diese Macht ins- titutionalisierte. Dadurch kam es zu einer gewissen Homogenisierung der politi- schen Akteure als potentiellen Trägern der neuen Souveränität. Im Gegensatz zur früheren Pluralisierung der Akteure (die in hohem Maße inklusiv war), welche eine Öffnung und Integration des ganzen Spektrums ermöglichte, hatte die H o m o - genisierung zur Folge, dass Bürgerschaft wieder in einem Status erstarrte. Das Prinzip Integration versus Ausgrenzung wurde wieder eingeführt, wenn auch nicht auf Basis des Sozialen, sondern auf der Grundlage des Nationalen oder des Ethnos.3 Das Entstehen der neuen Staa- ten als souveräner politischer Einheiten führte zu einer Redefinition von Citi- zenship in verschiedenen Bereichen: Das liberale Verständnis von Citizenship als Mitgliedschaft zu einer Nation wurde dominant. Die bürgerlichen Rechte tra- ten in den Vordergrund, die sozialen Rechte wurden delegitimiert oder abge- schafft. In vielen dieser Staaten erodierte das Konzept der kollektiven Rechte

(außer den nationalen bzw. ethnischen) einschließlich des sozialen Sicherungssys- tems. Z u m Rechtsträger wird das Indivi- duum, die Einzelnen sind für die Aus- übung ihrer Rechte selbst verantwordich.

Sie haben als Personen ihre Rechte ein- zuklagen und zu verwirklichen, während der Staat ihre Rechte vor Übergriffen schützen soll. In diesem Sinne wird der Status des Staatsbürgers zu einer Voraus- setzung der Verwirklichung fast aller Rechte und er ist zu einer Art National- heiligtum geworden. Im Gegensatz zum früheren System ist dem Status des Staats- bürgers damit sichtlich ein innenpoliti- scher Mehrwert zugewachsen.

Im Anschluss daran oder gleichzeitig entwickelten sich Prozesse der Ausgren- zung, die das Modell des liberal-demo- kratischen Nationalstaats konsolidierten und in denen festgelegt wurde, welche Gruppen, Institutionen, Minderheiten, Themen, Personen (rechtlich gesehen) dazu gehören sollten und welche nicht.

Im Zuge der Kodifizierung von Recht und Verfassung wurden Unterscheidun- gen zwischen Staatsangehörigen und Nichtzugehörigen getroffen und neue Hierarchien hinsichtlich des jeweiligen Status hergestellt. So kam es in den neuen postsozialistischen Staaten Ost- und Mit- teleuropas auch von Anfang an zu unge- heuerlichen Projektionen gegenüber zahlreichen angeblichen Feinden, die als Bedrohung der neuen Demokratien gal- ten: die Fremden, Anderen und Andersar- tigen und letzten Endes auch die An- gehörigen des »anderen Geschlechts«, die im Falle von zuviel Autonomie hinsicht- lich der Reproduktionsrechte die neue politische Einheit bedrohen könnten.

2 Walzer (1995) widmet der Rolle der Zivilgesellschaft im Kontext der osteuropäischen demo- kratischen Revolutionen Aufmerksamkeit und schlägt vor, dass westliche Demokratien das Konzept Zivilgesellschaft neu abwägen.

1 Rupnik (1999,61) betont, dass die Rückkehr der Demokratie im Jahr 1989 untrennbar mit der Rückkehr der Nation verbunden war, in dem der politische Körper< häufig mit einem matio- nal-ethnischen Körper< identifiziert wurde und demzufolge ein >ethnischer Staat< entstand.

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Tatsächlich w i r d die Frage der a u t o n o - m e n K o n t r o l l e der R e p r o d u k t i o n in ras- sistischen Diskursen oft m i t d e m T h e m a der s o g e n a n n t e n u n k o n t r o l l i e r t e n E i n - w a n d e r u n g v e r b u n d e n . D i e A u s g r e n z u n - gen, die Kriege, die Prozesse der e t h n i - schen S ä u b e r u n g h a t t e n zur Folge, dass alle Staaten dieser R e g i o n sich sehr schnell mit d e m P r o b l e m der Verbannten, Flüchtlinge u n d Staatenlosen k o n f r o n t i e r t sahen.

Wer wurde ausgegrenzt?

Und wer integriert?

In d e n verschiedenen Staaten g i n g es u m unterschiedliche I n d i v i d u e n u n d G r u p - p e n . D i e M e t h o d e n der A u s g r e n z u n g r e i c h t e n von Verfassungsdefinitionen der Staatsbürgerlichkeit, die einige G r u p p e n a p r i o r i ausschlössen, ü b e r eine R e i h e v o n Einzelgesetzen, die A u s g r e n z u n g ü b e r s o - ziale M e c h a n i s m e n definierten, bis zu raf- finierteren M e c h a n i s m e n . Es gibt B e i - spiele f ü r A u s g r e n z u n g e n a u f g r u n d der ideologischen bzw. angeblich politischen U n t e r s c h i e d e zwischen E x k o m m u n i s t e n o d e r G e h e i m d i e n s t a n g e h ö r i g e n u n d N i c h t k o m m u n i s t e n . Lustrationsgesetze w u r d e n vor allem in einigen der f r ü h e r e n Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes erlassen, etwa in Polen, U n g a r n u n d d e n baltischen Staaten. A m häufigsten o r i e n - t i e r t e n sich A u s g r e n z u n g e n o d e r Einglie- d e r u n g e n aber an Nationalität o d e r E t h - nizität, so etwa in d e n baltischen Staaten, w o d i e russische B e v ö l k e r u n g a p r i o r i v o n d e r n e u d e f i n i e r t e n Staatsbürger- schaft ausgeschlossen w u r d e .4 E i n anderes Beispiel ist Kroatien, w o auf der G r u n d - lage des ius sanguinis die Kroaten a u ß e r - halb des Landes (in H e r z e g o w i n a u n d a n - derswo) d e m »Staatskörper« einverleibt,

zugleich aber andere ausgeschlossen w u r - den. D i e gesetzlichen R e g e l u n g e n aller postjugoslawischen Staaten (mit Aus- n a h m e v o n Post-Dayton-Bosnien) e n t - halten diskriminierende Verfahren bei der E i n b ü r g e r u n g d e i j e n i g e n ehemaligen B ü r g e r des g e m e i n s a m e n Staates, die nach d e m ius sanguinis keinen A n s p r u c h auf die Staatsbürgerschaft haben. Ahnliches gilt beispielsweise f ü r die Tschechische R e - publik, Weißrussland u n d U n g a r n . N u r z u m Teil w u r d e nach d e m P r i n z i p des ius soli verfahren.

H ä u f i g erscheinen die Ausschließun- gen als v o l l k o m m e n unschuldige, d r i n - gend g e b o t e n e bürokratische M a ß n a h - m e n . Es gibt zwei schändliche Beispiele einer U r s ü n d e bei der slovenischen u n d bei der tschechischen Staatsgründung. In Slowenien w u r d e n m i t d e r Auslöschung aus d e m Bevölkerungsregister mehrere zehntausende Apatriden geschaffen, die keinerlei Status reklamieren k ö n n e n u n d die alle ihre R e c h t e , samt des Eigentums u n d der R e n t e n a n s p r ü c h e , auf einen Schlag verloren. Es handelt sich u m E i n - w o h n e r des f r ü h e r e n Jugoslawien, die e n t w e d e r k e i n e n Antrag auf die sloweni- sche Staatsangehörigkeit eingereicht hat- ten o d e r z. B. w e g e n angeblicher Gefähr- d u n g der öffentlichen O r d n u n g abgewie- sen w u r d e n , obgleich sie schon seit Jahr- z e h n t e n in Slowenien lebten. In der tschechischen R e p u b l i k w u r d e 1993 die sogenannte »Zigeunerklausel« in das Staatsbürgerschaftsrecht e i n g e f ü h r t , die es der R o m a b e v ö l k e r u n g u n m ö g l i c h m a - c h e n sollte, die Staatsbürgerschaft zu e r - w e r b e n .

D i e Linie zwischen A u s g r e n z u n g u n d Integration verlief auch entlang des G e - schlechts, was zwar nicht d e n Ausschluss aus der Staatsbürgerschaft als formaler Mitgliedschaft bedeutete, aber eine Aus-

4 Die baltischen Staaten legten Wert auf die Schaffung eines >body of citizens<, in dem Citizen- ship an die ursprünglich Berechtigten zurückgegeben wurde (vgl. Bruebaker, zit. n. Barsova

1995,51).

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g r e n z u n g aus d e r (liberal definierten) Gleichheit z u r Folge hatte. H i e r h e r g e h ö r e n z . B . die vollständige o d e r teil- weise A b s c h a f f u n g des R e c h t e s auf A b - treibung o d e r aber A u s g r e n z u n g e n auf- g r u n d der sexuellen O r i e n t i e r u n g . D i e Situation ist e i n i g e r m a ß e n paradox, b e - sonders i m H i n b l i c k darauf, dass die neu e i n g e f ü h r t e n b ü r g e r l i c h e n R e c h t e der i n - dividuellen A u t o n o m i e zugute k o m m e n sollen. Allerdings w u r d e ein traditionell liberaler K o r p u s v o n staatsbürgerlichen R e c h t e n e i n g e f ü h r t , der die T e n d e n z z u m Ausschluss v o n Frauen aus d e m »Staats- körper« beinhaltet.

D i e Politik d e r A u s g r e n z u n g ist, w e n n auch nicht i m m e r in transparenter Weise, ein wesentlicher Bestandteil politischer D e b a t t e n u n d Entscheidungsprozesse, die verschiedene M e n s c h e n in unterschiedli- cher Weise b e t r e f f e n . I m Verlauf der D e - batte über illegale E i n w a n d e r e r in Slowe- nien entwickelte sich ein durch die M e - dien gestützter f r e m d e n f e i n d l i c h e r u n d rassistischer Diskurs, innerhalb dessen die Slowenen als O p f e r einer Flut illegaler E i n w a n d e r u n g dargestellt w u r d e n . Als der Innenminister verkündete, die illegale E i n w a n d e r u n g stelle eine B e d r o h u n g der nationalen Sicherheit dar, begann die P o - lizei das P r o b l e m auf ihre Weise zu lösen.

U n t e r a n d e r e m b e h i n d e r t e sie eine faire B e h a n d l u n g d e r Asylsuchenden. G l e i c h - zeitig e n t w i c k e l t e sich ein massives anti- staatliches R e s s e n t i m e n t in den Fällen, in d e n e n B e h ö r d e n die M e n s c h e n r e c h t e von M i g r a n t e n zumindest z u m Teil g e - g e n ü b e r A n g r i f f e n auf lokaler E b e n e zu schützen bereit w a r e n .

U m e i n e n R a h m e n für politisches H a n d e l n u n d zur D u r c h s e t z u n g des R e c h t s zu schaffen w u r d e n einerseits b e - stehende Ausgrenzungsmuster m i t n o r m a - tiven D e f i n i t i o n e n von (Staats-)Bürger- schaft v e r b u n d e n , andererseits aber bilde- ten diese Ausgrenzungmuster selbst eine Grundlage f ü r n o r m a t i v e Definitionen. Es

entstand eine gewisse »Dialektik der A u s - grenzung«, in der die Gesetzgebung m i t der Schaffung n e u e r »Rechte« A u s g r e n - zungsprozesse in G a n g setzte, andererseits aber i m Prozess der Konsolidierung n e u e legale D e f i n i t i o n e n ausschließender u n d n u r scheinbar harmloser »bürokratischer«

oder polizeilicher M a ß n a h m e n e r m ö g - licht w u r d e n , durch die sich der Staatskör- per z u n e h m e n d m e h r als n a t i o n a l - e t h n i - scher K ö r p e r definierte.

H i e r stellt sich die Frage, w a r u m (Staats-)Bügerschaft vorher, im k o m m u - nistischen bzw. sozialistischen System - m i t A u s n a h m e der außenpolitischen B e d e u t u n g — gar nichts galt, u n d w a r u m sie jetzt, nach d e m U b e r g a n g zu N a t i o - nalstaat, Staatsnation u n d M a r k t ö k o n o - m i e nahezu alles b e d e u t e t . Binnenstaat- lich garantiert inzwischen die Staatsbür- gerschaft den Z u g a n g zu den meisten R e c h t e n u n d C h a n c e n . O h n e Staatsbür- gerschaft k a n n m a n h e u t e in Slowenien u n d a n d e r e n mittel- u n d osteuropäischen postsozialistischen Staaten k a u m e i n e n Arbeitsplatz finden, einige Posten k a n n m a n o h n e Staatsbürgerschaft sowieso nicht besetzen. O h n e Staatsbürgerschaft ist das R e c h t auf Arbeit eingeschränkt, es gibt aber auch kein R e c h t auf G e s u n d - heits- u n d Sozialversorgung. K u r z u m , u m ein M e n s c h zu w e r d e n , der n i c h t n u r seine nackte Existenz hat, muss m a n o d e r frau die Staatsbürgerschaft e r w e r b e n , u n d das ist n i c h t möglich, w e n n m a n o d e r frau nicht ü b e r g e n ü g e n d M i t t e l verfügt, u m sich sozial abzusichern. D i e Frage der B ü r g e r r e c h t e ist d a d u r c h in e i n e m circulus vitiosus gefangen, aus d e m es k e i n e n A u s - w e g zu g e b e n scheint.

E n t g e g e n der A n n a h m e einiger T h e o - retiker, der Nationalstaat verlöre a n g e - sichts der Globalisierung an Status u n d B e d e u t u n g , k ö n n e n w i r b e o b a c h t e n , dass Staatsbürgerschaft als Status sowohl in der I n n e n p o l i t i k als auch in der A u ß e n p o l i t i k an B e d e u t u n g i m m e r n o c h z u n i m m t . In

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beiden Bereichen steigt ihre Bedeutung als Staatsangehörigkeit, Mitgliedschaft, Status, soziales Privileg und Überlegen- heit auf einer globalen Skala. Als An- gehörige^) und Bürger(in) eines super- souveränen Staates ist man fast überall auf der Welt bestens geschützt, viel besser als zahlreiche »Minderheiten«, die im statisti- schen Sinne oft gar keine Minderheiten sind. So geschützt kann man in bestimm- ten Staaten und Gesellschaften einen ge- genüber anderen Nicht-Staatsangehöri- gen privilegierten Status haben. Doch geht es in diesen Fällen nicht um das Po- tenzial aktiver Bürgerschaft und Partizi- pation, das in einer politischen Einheit, die sich gegen totalitäre Versuchungen verwahren will, an erster Stelle gefragt ist.

Ganz im Gegenteil handelt es sich viel- mehr um ein »Modell« antipolitischer Bürgerschaft und um ein Problem, auf das vor allem einige Kommunitaristen, Femi- nistinnen und Linke hingewiesen haben.

Mary G. Dietz (1998, 392) schrieb dazu:

»Politisch gesehen leben die Amerikaner in beschränkten Verhältnissen. Unser Selbstver- ständnis als Bürger hat wenig mit demokrati- schen Normen und Werten zu tun. Ich habe die Auffassung vertreten, und vermutlich trifft dies auch zu, dass die meisten Amerikaner bei

>citizenship< überhaupt nicht daran denken.

Wir sind offenbar hypnotisiert von einer libe- ralen Konzeption von >citizenship< als Rech- ten, die uns zustehen, von unablässigem Kon- sum, den wir mit Freiheit verwechseln und von einer kapitalistischen Ethik, die wir für unsere kollektive Identität halten.«

Totalitäre Versuchungen

Gerade aus dieser wachsenden Bedeutung von Bürgerschaft als Status, der keine Möglichkeiten des politischen Handelns eröffnet, entspringen totalitäre Versu- chungen mit ihren vielfältigen Konse- quenzen: Es bilden sich alle möglichen

Formen und Praxen der Aussschließung und Vernichtung des Anderen und Ver- schiedenen heraus, mitsamt dem sozialen Hass, der auf dieser Grundlage entsteht.

Es entsteht eine Rangfolge von Status und Rechten und damit eine Feudalisie- rung der Gesellschaft.

In den Zentren der Globalisierung wie an deren Peripherie entstehen — von der Gesellschaft toleriert oder total enthuma- nisiert — Gruppen von Menschen, denen nur noch der eigene, oft buchstäblich nackte, menschliche Körper zum Einsatz in einer politischen Aktion bleibt, die, wie uns das Beispiel der Kurden in der Kirche von Calais zeigt, oft einen selbstmörderi- schen Ausgang nimmt.

Die Nationalstaaten und auch die neuen transnationalen Verbindungen (wie die EU) sind unfähig oder weigern sich, Inklusion im politischen Sinne ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit zu ge- währleisten, das heißt, den faktisch exis- tierenden transnationalen Status anzuer- kennen.

Es entsteht so etwas wie gesellschaftli- che Uberflüssigkeit und in diesem Zu- sammenhang werden Fremdenhass und Rassismus in ihren verschiedenen For- men normalisiert.

Der soziale Hass, der alle mögliche Konturen des >Anti-< annimmt (Antiame- rikanismus, Antiglobalisierung, Antikapi- talismus, Antiislamismus, Anti-EU usf.), breitet sich aus.

Es vollzieht sich der Zerfall der alten, großen Staaten und das Unmöglichma- chen der neuen politischen Gründungen (Bosnien, Kosovo, Palästina usw. und die daraus folgenden Katastrophen) und die Fragmentierung der inneren Souveränität der alten großen Staaten (wie USA oder die UDSSR).

Gleichheit wird total delegitimiert:

Gleichheit als universelles Prinzip scheint etwas nicht Normales und Unmögliches zu sein. Es scheint dagegen normal zu

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sein, wenn einige unter Bedingungen le- ben, die Hannah Arendt barbarische Ver- hältnisse inmitten der Zivilisation nannte.

Bevor ich darauf eingehe, ob wir die- sen totalitären Versuchungen widerstehen können, möchte ich fragen, ob dem Kon- zept von Citizenship in diesem Kontext überhaupt noch eine Bedeutung zu- kommt. Worin könnte dessen Funktion bestehen, wenn nicht in Entpolitisierung?

Welche Art der aktiven Bürgerschaft ist im gegenwärtigen nationalstaatlichen System noch möglich?

Für viele Länder und deren Einwoh- ner sind die in der Mehrzahl heutiger Demokratien vorhandenen totalitären Versuchungen immer noch verbunden mit dem Niedergang nationalstaatlicher Souveränität auf der einen und dem Auf- stieg einiger gigantischer Souveräne und der global vernetzten Gesellschaft auf der anderen Seite. Die global vernetzte Ge- sellschaft öffnet und zerstört Grenzen le- diglich in einer Richtung. Man könnte behaupten, dass das europäische System des Nationalstaats nach dem Zweiten Weltkrieg ein globales Modell geworden ist, das das oben beschriebene System zeitgenössischer Bürgerschaft als mehr oder weniger privilegierte Mitgliedschaft sanktioniert. Dies kann aber keine Basis für aktive Bürgerschaft sein. Generell muss heute hinsichtlich des Status als Bürger von mindestens drei Kategorien von Menschen gesprochen werden:

a) Angehörige großer Nationalstaaten, die die einzigen Staaten sind, die Souver- änität praktizieren können (Staaten wie die USA);

b) Menschen, die zu Staaten mit be- grenzter Souveränität gehören;

c) Menschen, die eine (Staatsbürger- schaft besitzen, aber keinen Schutz des Staates genießen sowie Menschen ohne Staatsbürgerschaft.

Wie und mit welchen Mitteln können wir totalitären Tendenzen begegnen?

Mit einer globalen Bürgerschaft und mit einer globalen Verantwortlichkeit, sagen Einige. Das Problem aber ist, dass wir in eine globale feudale Gesellschaft hinein geworfen wurden, in der der Status einer besonderen (Staats-)bürgerschaft zu- nimmt. Wenn es auch schien, dass in Ost- europa eine neue politische Freiheit ent- standen ist, ist diese Freiheit inzwischen eher mit einer Freiheit des uneinge- schränkten Konsumierens verbunden und mit vielfältigen Ausgrenzungen der An- deren aus diesen >Konsumrechten<. Die neu geschaffenen politischen Räume sind verschwunden, der Raum der Freiheit oder Gleichheit wurde nicht erhalten, sondern hat sich in einer tiefen Amnesie verloren.

Eine große Frage ist nun, ob die er- weiterte und neu fundierte E U einen Raum für bürgerlichen Aktivismus bieten kann, für ein politisches Handeln, das sich den totalitären Tendenzen widersetzt.

Oder wird die Europäische Bürgerschaft nur Staatsbürgerschaft im Sinne der gleichartigen Mitgliedschaft der Einzel- nen und Gruppen (bestimmter Völker, Bauern, Frauen usw.) innerhalb eines gi- gantischen Staates werden, in dem die Staatsangehörigkeit und der kulturelle

>Mehrwert< eine Abgrenzung zum Rest der Welt darstellen? Und wird Europa ähnlich wie die Nationalstaaten funktio- nieren, also von Staatlichkeit betrunken?

Oder wird es auch einen Raum für die neue persönliche/bürgerliche Verant- wortlichkeit geben, die gesellschaftliche Auswirkungen für die ganze Menschheit haben wird? Aber das scheint zur Zeit eher eine rhetorische Frage zu sein.

Zugegeben, dieser Beitrag kommt nicht besonders feministisch und optimis- tisch daher. Aber ich möchte mit einem Zitat von Mary Dietz schließen. In einem

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Aufsatz über Feminismus und Theorien zu Citizenship schrieb sie:

»Feminist political practice will not in some automatic way become an inspiration for a new citizenship. Instead, feminists must become self-conscious political thinkers — defenders of democracy — in a land of liberalism.«

(Dietz 1998,393)

(Bearbeitet von Regine Othmer)

Literatur

Dietz, Mary G. (1998): Context is all. Femi- nism and Theories of Citzenship. In: Phi- lips, Anne (Hrsg.): Feminism and Politics.

Oxford, N e w York, S. 378-397

Marshall, Thomas H. (1991): Citizenship and Social Class, and other Essays. London Rupnik, Jacques (1999): The Postcommunist

Divide. In: Journal of Democracy, Jg. 10, H. 1, S. 57-62

Walzer, Michael (1995): T h e Civil Society Ar- gument. In: Beiner, Ronald (Hrsg.): Theori- zing Citizenship. Albany, S. 153-174

Balibar, E. (1988): Propositions on Citizenship.

In: Ethics 98

Barsova, Andrea (1995): Citizens and Aliens.

Problems of Law and Nationality in the Newly Created States in the Perspective of the Recent developments in Central and Eastern Europe. A dissertation submitted to the legal studies department in candidacy for the LL.M.

Degree. Budapest: Central European U n i - versity

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