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Semitische Sprachprobleme.
Von H. Baner.
5. Die Verwandtschaftsnamen und üah „Gott" im
Semitischen.
Es ist eine merkwürdige Erscheinnng, daß die nrsprünglich
zweiradikaligen Verwandtschaftswörter 'ab, 'a]i, harn in allen semi¬
tischen Sprachen lange Kasusvokale aufweisen. Da bei anderen 5
zweiradikaligen wie jad, dam, auch bin .Sohn", diese Erscheinung
nicht auftritt, so ist sie offenbar aus der Natur der genannten Ver¬
wandtschaftswörter zu erklären. Das Eigenartige dieser Wörter ist
nun , daß sie besonders häufig als Anruf gebraucht werden , und
zwar dürfen wir wohl eine ursprüngliche Anrufform mit ä vorans- 10
setzen (so noch häufig im Arabischen, im äthiop. abä, im babyl.
beläma [Delitzsch, Assyr. Grammatik*, § 101]). Diese Formen
Cabä, 'ahä, hama) konnten aber in der Folge leicht als Akkusativ ge¬
deutet Und dazu ein entsprechender Nominativ ('abü usw.) und
Genitiv ('abi usw.) gebildet werden, ähnlich wie ja im Arabischen 15
neben ursprünglich dä ein sekundäres Nominativ dü und Genitiv
di steht. Wenn bin .Sohn' diese langen Vokale nicht aufweist,
so liegt der Grund wohl darin, daß dieses Wort weniger als An¬
ruf gebraucht wird, weil dafür gewöhnlich der Eigenname eintritt.
Da es überdies eine andere Vokalisation wie die übrigen drei auf- 20
weist, so brauchte es anch nicht in deren Analogie hineingezogen
zu werden.
Aus einer Gmndform 'ahä .Bruder" erklärt sich nun auch
zwanglos die auffällige Form 'ahät .Schwester' wie arab. ot3 (hebr.
hnt) aus dä. — 25
Was eben für die Verwandtschaftswörter ausgeführt wurde,
gilt in analoger Weise für den Namen .Gott'. Auch dieser wird
unendlich häufig im Anruf gebraucht worden sein, und es ist daher
von vornherein wahrscheinlich, daß bei ihm neben der ursprüng¬
lichen eine verlängerte Anrufform als die normale sich festgesetzt so
hat. Wenn wir nun annehmen dürfen, daß die im Arabischen tat¬
sächlich noch vorliegende Anmfendung äh («^i^, .0 Mann') im
Ursemitischen an il angetreten ist , so wäre damit ' diese so rätsel¬
hafte Form in einfachster Weise erklärt. Arab. o'^bSt .Göttin' wäre
c-
wie 'a^at .Schwester' zn erklären und würde demnach ein ilä 35
.Gott' voraussetzen. [Korrekturzusatz: Wie ich nachträglich sehe,
faßt auch Völlers in ZA. 17, 305 ff. üah als Vokativ.]
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662 Bauer, Semitische Sprachprobleme.
6. Die Entstellung des semitischen Passivums.
Bekanntlich dient im Arabischen das sogenannte Passivum auch
• . >
znm Ausdruck für krankhafte Zustände (gJ^ „Kopfweh haben«,
,am Schnupfen leiden'), und die Krankheitsnamen (von der Form
5 fu'äl) selbst sehen aus wie Infinitive zum Passiv. Nun scheint aber die weite Verbreitung dieser Krankheitsnamen in den Einzelsprachen
(zu der umfangreichen Liste von Nöldeke in den Beitr. zur sem.
Sprachw., S. 31 f. wäre mit Brockelmann, Vergl. Gramm., I, 347,
vielleicht noch hinzuzufügen assyr. huSähu „Hungersnot', surnämu
10 „Durst' und der Krankheitsname sualu) darauf hinzudeuten , daß
diese sehr alt sind und vermutlich ins ürsemitische zurückreichen.
Dieses vorausgesetzt, liegt es aber nahe, die Entstehung des Passivums
selbst aus solchen Krankheitsnamen herzuleiten. Wir hätten dabei
nur eine gewöhnliche Bedeutungserweiterung anzunehmen, nämlich
15 den Übergang vom „schmerzlich Affiziertsein' zum „Affiziertsein'
iurch eine Handlung überhaupt. Um ein konkretes Beispiel zu
gebrauchen, so wäre su'äl „Husten' = „vom Husten geplagt werden',
hunäq „Angina' = „gewürgt werden' ; wie man sieht, ist von hier
aus zu Bildungen wie *duräi „geschlagen werden', *qutäl „getötet
20 werden' nur mehr ein Schritt. Es brauchten an diese Formen nur
die Suffixe des Perfekts (qutäl-iä > qutalta) bezw. die Präfixe des Aorist (ta-qutäl 'J> tuqtal) zu treten, um ein wirkliches Verbum fin. passivum zu ergeben.
Zweifelhaft ist hier nur die ursprüngliche Vokalisation des Perfekts.
26 Während das Hebräische ein qutal, quttal, kuqtal voraussetzt und
die letztere Form auch im Biblisch-Aramäischen vorliegt, haben wir
im Arabischen qutila etc. , im Qal des ,Biblisch-Aramäischen q^til.
Ich glaube, daß schon das hohe Alter der hebräischen Formen für
ihre Ursprünglichkeit spricht; zudem erklärt arab. qutila sich leicht 30 als Angleichung an qatil und bibl.-aram. q^til ist wohl nicht quill,
sondern eher qatll.
Mit der hier angenommenen Entstehungsweise des Passivums
würde sehr gut dessen arabische Bezeichnung stimmen: ^-cv t| Joe
aJLcLs „Tätigkeit, deren Urheber unbekannt ist', sowie die gleich-
35 bedeutende Tatsache , daß es niemals mit dem Urheber der Hand¬
lung verbunden werden darf In dieser Regel scheint in der Tat
noch die Herkunft der Form aus der Bezeichnung von Krankheits-
zuständen nachzuwirken, für welche eben das Affiziertsein („gestochen,
gedrückt, gebrannt werden' usw.) ohne einen nachweisbaren Täter
40 bezeichnend ist.
Warum die Krankheitsbezeichnungen selbst gerade durch die
Form fu'äl ausgedrückt werden, brauchen wir nicht weiter zu unter¬
suchen. Es wäre denkbar, daß sie nach einem Wehruf u'ä, wie er
im Assyrischen vorliegt, gebildet sind. Vielleicht hat aber die eine
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Bauer, Semitische Sprachprobleme. 563
oder andere besonders häufige oder gefürchtete Krankheit von Haus
aus zufällig diese Form aufgewiesen und die übrigen Krankheiten
wurden nach dieser Form gebildet bezw. umgebildet. Auf solche
Weise haben wir uns ja überhaupt die gleiche Vokalisation be¬
stimmter Bedeutungskategorien im Semitischen entstanden zu denken, s
7. Das aramäische Aoristpräfix n.
Die Herkunft des aramäischen Aoristpräfixes n ist noch nicht
mit Sicherheit erklärt. Die Ansicht von Barth, daß dieses n
ein mit gleichbedeutendes deiktisches Element sei, ist ganz ab¬
zuweisen ; denn dann müßten beide in die Zeit der Entstehung des lo
4.orist, also über das ürsemitische zurückreichen, während doch das
w-Präfix sehr jung und nur aramäisch ist. Der wirkliche Hergang
der Entstehung des w-Präfixes ergibt sich vielleicht auf Grund der
beiden folgenden Erwägungen.
Zunächst finden wir auf aramäischen Sprachgebiet (vor allem i6
im babylonischen Talmud, weniger häufig im Mandäischen, in Resten
im' biblischen Aramäisch) für die 3. Person Aor. das Präfix l. Wie
man auch über die Entstehung dieses l denken mag ^) , jedenfalls
steht nichts der Annahme entgegen , daß es dem n zeitlich voran¬
gegangen und daß durch einen lautlichen Vorgang, dessen Wesen 20
wir zunächst auf sich beruhen lassen, ^ zu w geworden ist.
Nun ist es aber ein merkwürdiger sprachgeschichtlicher Zufall,
daß gerade im Aramäischen eine große Anzahl der alltäglichsten
und daher am häufigsten gebrauchten Verba (teils gemeinsemitische,
teils spez. aramäische) ein l enthalten. Ich erinnere nur an syr. 25
echal „essen", ezal „gehen", n^fal „fallen", 'all „hineingehen", sei
„verlangen", §a"el „fragen", nettel „geben", S^qal „heben etc.", l^beä
„anziehen", aubel „bringen", qabbel „nehmen", äfihel „fürchten" u. a.
Die meisten dieser Verba finden sich auch in der Sprache des
babylonischen Talmud nnd im Mandäischen , hier auch noch das so
häufige aab „nehmen".
Da nun gerade Sonoren einander sehr leicht stören, so ist von
vomherein zu erwarten , daß bei einem aramäischen Verbsuffix l
eine Dissimilation eintritt, und da der Lautbestand des Verbums
selbst durch alle anderen Formen geschützt ist, so wird eben das ss
Präfix l durch Dissimilation umgestaltet werden.
Das Ergebnis dieser zu erwartenden ümgestaltung wäre die
Umwandlung des ^ in w , die aber nur im Syrischen ganz durch¬
geführt, im babylonischen Talmud und im Mandäischen hingegen
anf halbem Wege stehen geblieben ist. 4.0
1) Am eiofacbsten werden wir darin eine verblaßte Hervorhebungspartikel sehen, wie das im Arabischen mit dem Emphaticus verbundene la „fürwahr", also lajeqtel ^ Uijeqtel ]>■ leqtel.
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Kleine Mitteilungen.
Hebr. natdn „geben' im Arabischen and Äthio¬
pischen. — Hebr. "jn:, geben erscheint im Assyrischen mit par¬
tieller Assimilation des t an n (SPG 43,2; AG'' §57,c)i) als
naddnu und im Syrischen (mit Dissimilation; vgl. Viri für yin
5 = D-'JC, sovyie BÄ. 6,4, S. 72) als bn:. Daß diese Porm aus
bin: entstanden sei, wie noch Brockelmann, Vgl. ör. 1, 291,
unten, annimmt, ist wenig wahrscheinlich; syr. bn: bedeutet nicht
nur geben, sondern mindestens ebenso häufig setzen, stellen, machen
und wird dann nicht mit b verbunden.
10 Im Arabischen heißt ndtana „stinken', aber die ursprüngliche
Bedeutung ist rT'i in: (Gant. 1, 12; 2, 13) „einen Geruch von sich
geben' (vgl. lat. ara dabat fumos), wobei das Objekt weggelassen
ist, ebenso wie man im Hebräischen bei bip Nii;;, "an ni^jn, nb nyo
das Objekt weglassen kann , oder wie wir im Assyrischen natdlu
15 mit der Bedeutung ansehen, eigentlich (die Augen) erheben finden ;
vgl. Kings (SBOT) 129, 20; 217, 2. Im Assyrischen wird ittadi
„er warf aus', auch ohne Zusatz von rü'tu „Speichel' = Nnyil)
für ausspucken gebraucht, ebenso türu ohne ßmu (JAOS 32, 18)
im Sinne von Nachricht bringen; vgl auch syr. mn im Sinne von
so ausspeien, erbrechen, engl, throw up, deutsch Auswurf.
Im Äthiopischen beißt astantdna „sich eifrig mit etwas be¬
schäftigen', aber die eigentliche Bedeutung ist sich hingeben; vgl.
hebr. Tirc:n lab "jn: (1 Chr. 22, 19) sowie lat. se philosophiae dare,
franz. s'adonner h l'etude, griech. imdidovai (eavrbv) eig XQVcpi^v.
25 Paul Haupt.
Armen, g für u. — OLZ 17, 455 habe ich den Lautüber¬
gang von m (= m) im Sumerischen besprochen und durch entspre¬
chende Erscheinungen im Pranzösischen (z. B. Gascons = Vascones,
Basken ; Gap = Vapirwum) und Englischen (z. B. ward, guard; wile,
so guile; wise, guise) erläutert. Auch im Armenischen finden wir g
für u, z. B. armen, gini „Wein' = folvog; gorc „Werk' = feqyov;
vgl. Brugmann's Grundriß, 1 (1886), § 162; Kurze vgl. Gr.
(1902), § 155; 0. Schräder, Sprachvergleichung und Urgeschichte
1) Für die Abkürzungen vergleiche oben S. 170, A. 1.