4 granatapfel10 ∙ 2017
Konversation möglich ist. Wenn sie diesen Kindern eine Frage stellen, bekommen sie oft irgendeine Phrase aus einem YouTube-Video als Antwort“, schildert Eva Huber, Logopädin und therapeutische Leiterin des Sprachthera- piezentrums, die alarmierende Situation.
Kein Bildungsfernsehen
Bereits Dreijährige würden bis zu drei Stun- den pro Tag vor dem Tablet verbringen, gibt Huber einen besorgniserregenden Einblick in den Therapiealltag: „Ein fixer Bestandteil des Erstgesprächs mit den Eltern ist daher die Frage nach dem Medienkonsum. Und meist ist dieser eben eklatant hoch.“ Viele Eltern sind der Meinung, mit den langen Internet- besuchen ihrem Nachwuchs etwas Gutes zu tun. Huber: „Da kommt oft das Argument, dass die Kinder ja mit dem Internetvideo auch die Sprache lernen würden. Das Gegen- teil ist der Fall. Es fehlt die für die Sprachent- wicklung so wichtige Interaktion mit einem Erwachsenen.“
Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Handy und Sprachentwicklung lässt sich in allen Fällen dann auch im Therapieverlauf festmachen. Huber: „Wird der Konsum von Tablet und Handy auf null gesetzt, tritt meist auch rasch eine deutliche Verbesserung der Sprache ein.“ – „Klarerweise ist es nicht das Verbot der Bildschirmmedien, das die Sprach- entwicklung vorantreibt“, betont Priv.-Doz. Dr.
Lange Autofahrten, ein Essen im Restaurant oder ein Familienbesuch sind Situationen, die nicht selten für Kinder und Eltern zur Geduldsprobe werden. Die schnellste Lösung:
iPad oder iPhone her – und der Nachwuchs
„wischt“ über den Bildschirm und ist ruhig- gestellt. Eine Entwicklung, die nicht ohne Folgen bleibt. Insbesondere dann, wenn schon Kleinkinder eine hohe „Wisch- kompetenz“ aufweisen.
Eine im Mai 2017 veröffentlichte amerikani- sche Studie zeigt, dass Kinder, die vor dem Sprechen-Lernen bereits regelmäßig Zeit mit Tablets oder Smartphones verbringen, deutlich später zu sprechen beginnen. Die Forsche- rInnen vom „The Hospital for Sick Children“
im kanadischen Toronto fanden heraus, dass das Risiko, dass ein Kind später sprechen lernt, pro 30 Minuten am Bildschirm sogar um 49 Prozent steigt.
Folgeschäden
Umso drastischer wirkt sich der frühe Konsum der „neuen Medien“ auf Kinder aus, die eine Sprachentwicklungsstörung aufweisen. Exper- tInnen des Sprachtherapiezentrums der Barm- herzigen Brüder Linz schlagen Alarm: „Auf Kinder, die ohnehin im Bereich der Sprach- entwicklung ein Problem haben, wirkt sich ein übermäßiger Tablet- oder Handykonsum dramatisch aus. Wir haben vierjährige Kinder bei uns in Therapie, mit denen keine normale
Wischen statt sprechen
Barmherzige Brüder Linz ExpertInnen des neuen Sprachtherapiezentrums warnen: Die unkontrollierte Nutzung von Smartphones und Tablets kann die kindliche Sprachentwicklung verzögern. Besonders drastisch wirkt sich der frühe Konsum der „neuen Medien“ auf Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung aus.
V O N M A N U E L A K A A R
Fotos: ClipDealer, Barmherzige Brüder Linz
Gesundheit
&Lebenshilfe Sprachentwicklung
Im Internet fehlt die für die Sprach-
entwicklung
so wichtige
Interaktion
mit einem
Erwachsenen.
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„Für Kinder unter zwei Jahren empfehlen wir dringend einen
Tablet- und Handyverzicht.“
Daniel Holzinger, der Leiter der Neurologisch- linguistischen Ambulanz und des Sprach- therapiezentrums. „Nur wenn die dadurch gewonnene Zeit für Gespräche zwischen Eltern und Kind genutzt wird, unterstützt dies die Sprachentwicklung.“ Die Menge der an ein Kind gerichteten Elternsprache steht in direk- tem Zusammenhang zu dessen Sprach- und Denkentwicklung. Aber auch freie Spielzei- ten des Kindes unter Beobachtung der Eltern sind für die Gesamtentwicklung von höchster Bedeutung. So ist etwa ein kreatives Spiel mit Küchenutensilien am Fußboden, während die Mutter das Essen zubereitet und das Spiel des Kindes immer wieder kommentiert, für die Entwicklung des problemlösenden innovativen Denkens für ein Kleinkind wesentlich wichti- ger als jede Bildschirmnutzung.
Beschränkte Zeiten
Huber plädiert jedoch dafür, die neuen Medien nicht generell zu verteufeln: „Wie immer machen die Dosis und die Art der Anwendung den Unterschied. In Anlehnung an die Emp- fehlung der Amerikanischen Fachgesellschaft der Kinderärzte empfehlen wir für Kinder unter zwei Jahren dringend einen Tablet- und Handyverzicht. Zwischen zwei und sechs Jah- ren maximal 60 Minuten am Tag – und zwar inklusive Fernsehzeit. Wobei auf ausgewählte Angebote zu achten ist und die Eltern gemein- sam mit ihren Kindern die Medien verwenden und Inhalte kommentieren und besprechen
Kinder von den neuen Medien komplett fernzuhalten, ist nicht sinnvoll. Es kommt vielmehr auf die Dosis und die Art der Anwendung an.
Eröffnung des Sprachtherapiezentrums im März 2017 mit (v.l.n.r.) Eva Huber (Therapeutische Leiterin), Ruth Stoeckel (Mayo Clinic Rochester), Peter Ausweger (Krankenhaus-Gesamtleiter), Prior Matthias Meczywor, Priv.-Doz. Dr. Daniel Holzinger (Leiter Neurologisch- linguistische Ambulanz), Primarius Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger (Institut für Sinnes- und Sprachneurologie), Landeshauptmann Josef Pühringer
N E U E S S P R A C H T H E R A P I E Z E N T R U M
Im März wurde das Sprachtherapiezentrum der Barmherzigen Brüder Linz eröffnet. Es versteht sich vor allem als Anlaufstelle für Kinder mit schwer ausgeprägten oder komplexen Störungsbildern, die hier von einem multiprofessionellen Team aus den Fachbereichen Neurologie, Logopädie und Psychologie betreut werden. Insbesondere die sozioemotionale, aber auch die kognitive und sprachlich-kommunikative Entwicklung des Kindes können hier optimal gefördert werden.
sollten. Bei Kindern über sechs Jahren emp- fiehlt sich dann die Vereinbarung fester Zeiten, die Eltern müssen entscheiden, was das Kind medientechnisch konsumiert.“
Nicht zuletzt ist die starke Nutzung von Bildschirmmedien durch die Eltern ein Faktor mit Vorbildwirkung. Zudem verringert sich dadurch die Zeit für gemeinsame Gespräche, Spiele und das Besprechen von Kinderbü- chern, die für die Gehirnentwicklung junger Kinder grundlegend ist. Primarius Priv.-Doz.
Dr. Johannes Fellinger, Vorstand des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie, rät daher:
„Augen und Hände möglichst oft frei haben für ein echtes Gespräch mit dem Kind! Echte Zuwendung erfordert, dass man darauf wartet, was vom Kind kommt, um entsprechend dar- auf eingehen zu können.“