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URO-Kult

Forever young

Der Hänger im Roggen

A

m Morgen des 16. Juli 1951 liegt in den Buchhandlungen auf der New Yorker Fourth Avenue ein brandneuer Roman im Schaufenster.

Der Umschlag sticht sofort ins Auge: ein wildgewordenes rotes Karussellpferd auf weißem Grund und darüber in Druck- buchstaben der Titel „The Catcher in the Rye“. In dem vermutlich teilweise im fränkischen Gunzenhausen verfassten Text dreht sich alles um drei Tage im Leben des gerade zum x-ten Mal von der Schule geflogenen 16-Jährigen Holden Caulfield, der seine rote Jagdmütze schon damals nonkonformistisch mit dem Schirm im Nacken trägt und in der Originalausgabe 255-mal „goddamn“

und 44-mal „fuck“ sagt. Der vulgär um- gangsprachliche Duktus des Ich-Erzäh- lers sorgte vor genau siebzig Jahren neben psychedelischer Begeisterung auch für erbitterte Kritik und in einigen angelsächsischen Ländern für einen Platz auf dem Index.

Rotzfrech, respektlos und zotig Leistung, Anpassung, Streben nach Wohlstand – für die Werte seiner Mit- telschichteltern hat Holden nur radikale Verachtung und üble Verwünschungen übrig. Der Verlogenheit der „Phonies“

entkommen in seiner volatilen Gemüts- lage bestenfalls Kinder: „Jedenfalls stel- le ich mir dabei immer lauter kleine Kin- der vor, die in einem großen Roggenfeld spielen und so. Tausende von kleinen Kindern, und niemand ist da – also, kein Großer – nur ich. Und ich stehe am Rand eines verrückten Abgrunds. Und da muss ich alle fangen, bevor sie in den Abgrund fallen“.

„Der Fänger im Roggen ist so realis- tisch, dass es weh tut, und all die verwirr- ten Erwachsenen werden ihn zu ihrem eigenen Vergnügen verschlingen und ihn sofort vor ihren Kindern ver stecken“

warnte die Kritikerin Irene Elwood von der Los Angeles Times damals. Nie zuvor war in der Sprache der Betroffenen so rotzfrech, respektlos und zotig über die- se Phase der extremen Verwirrung und Verletzlichkeit geschrieben worden, die der Psychoanalytiker Kurt R. Eissler als eine Periode von stürmischem und un- vorhersehbarem Ver halten beschreibt, das durch Schwankungen der Stimmung zwischen tieftraurig und glückselig ge- kennzeichnet ist. Deshalb sei es in der Adoleszenz oft schwierig, Befindlich- keitsstörungen von psychiatrischen Dia- gnosen abzugrenzen.

Mentale und soziale Entwicklungen

In der Isle-of-Wight-Studie berichteten etwa 40 % der 14- bis 15-Jährigen über Gefühle des Unglücklichseins, 20 % ga- ben Selbstwertkrisen an und 7 % hatten Suizidgedanken. Letztere Angaben ent- sprechen jüngeren Daten aus Deutsch- land. Während der Begriff der Pubertät die biologischen Prozesse bezeichnet, meint Adoleszenz die „psychosoziale Pubertät“, in der wesentliche mentale

und soziale Entwicklungen erfolgen:

„Der Mensch erlebt das, was ihm zu- kommt, nur in der Jugend in seiner gan- zen Schärfe und Frische, davon zehrt er sein Leben lang“, resümiert auch Her- mann Hesse. Ähnlich wie der von ihm geschaffene archetypische Adosleszent Holden hat Jerome David (J. D.) Salinger, Jahrgang 1919, laut Klappentext drei misslungene Versuche an verschiedenen Colleges hinter sich, darüber hinaus traumatisierende Weltkriegserfahrun- gen. Während sein Buch weltweiten Ruhm als fast mystischer Schullektüren- klassiker erlangte, bleibt der 2010 in New Hampshire verstorbene Autor bis heute enigmatisch. Er schlug Lesungen und Interviews aus und verschanzte sich manchmal wochenlang in einem Bunker vor seinen Mitmenschen. Sein einziger Roman verkaufte sich bis heute mehr als 65 Millionen-mal, und von Billy Wilder, Jerry Lewis bis zu Steven Spielberg boten etliche Regisseure vergeblich erkleck- liche Summen für die Filmrechte.

Pickeliger Anti-Held

In zahllosen Werken der Literatur und Popkultur wird Bezug auf den „Catcher“

genommen. Mark David Chapman, der Mörder von John Lennon, trug ein Ex- emplar am Tag der Tat bei sich und gab an, sich mit dem pickeligen Anti-Helden zu identifizieren. Alle Kinderurologen kennen die dunklen Seiten der Transiti- on und wissen um die Komplexität.

Werden sonst zuverlässig wahrgenom- mene Termine geschwänzt, wird trotzig und phlegmatisch kommuniziert, nicht mehr oder nur noch selten katheterisiert und steigen die Restharne, dann ist klar:

Es dräut die Pubertät und wir „hängen“

im Roggen! Will man die nachlassende Compliance in dieser Lebensphase ver- stehen, lohnt es sich, das zerfledderte Büchlein mal wieder in die Hand zu nehmen: Was zum Teufel machen die En- ten im Central Park im Winter?

Prof. Dr. med. Elmar W. Gerharz J.D. Salingers Roman „Der Fänger im

Roggen“ in der Originalausgabe

© Bebeto Matthews / AP Photo / picture alliance

Prisma URO-Kult

78 URO-NEWS 2021; 25 (9)

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