DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
ie neuen endoskopischen Verfahren haben zwar den herkömmlichen Ka- talog der Operationsmethoden ergänzt, sie haben ihn jedoch nicht ersetzt. Die Beherrschung und Anwendung der „klassi- schen" chirurgischen Operati- onsverfahren sind weiter erfor- derlich. Die minimal-invasive Chirurgie (MIC) hat bisher eng gestellte Anwendungsbereiche.Die neuen Verfahren und Tech- niken zielen auf eine Minderung der operativen Risiken, der Schmerzen und auf eine Verkür- zung der Verweildauer der Pa- tienten im Krankenhaus. Dies stellten Dr. med. Friedrich Goetz, Leiter der laparoskopi- schen Abteilung am Kreiskran- kenhaus Grevenbroich, Prof. Dr.
med. Edgar Ungeheuer, Gene- ralsekretär der Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie e.V., Frankfurt/Main, und Prof. Dr.
med. Hans Wilhelm Schreiber, Vorsitzender der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Endo- skopie der Deutschen Gesell- schaft für Chirurgie, Hamburg, beim Fortbildungskongreß der
Operationsmethoden
Entscheidung im Einzelfall
Bundesärztekammer in Davos
„aus gegebenem Anlaß" fest.
Die Chirurgen wiesen die Meinung von Rechtsanwalt Rolf Bossi, München, zurück, der kürzlich in einer Fernsehsen- dung angeregt hatte, einen Mu- sterprozeß gegen herkömmliche Operationsmethoden anzustren- gen, um die endoskopische Ope- rationstechnik überall und un- verzüglich zu erzwingen. Die bis- herigen Operationsmethoden, so hieß es in dem Fernsehbei- trag, würden dem Patienten un- nötige Schmerzen zufügen, ei- nen langen Arbeitsausfall und damit unvertretbaren Schaden verursachen. Es sei mit einer Flut von Prozessen mit Entschä- digungsanprüchen („Fehlbe- handlung") zu rechnen.
Demgegenüber stellten die Sprecher der Deutschen Gesell- schaft für Chirurgie fest: Die la- paroskopische Chirurgie ist in geeigneten Fällen eine gute Operationsmethode, die einen echten Fortschritt darstellt. Sie ist jedoch in ihrer Anwendungs- möglichkeit heute noch be- grenzt, so daß die konventionel- len Verfahren weiterhin erfor- derlich sind. Eine Entscheidung über die Wahl der Operations- methode könne allein der erfah- rene Operateur treffen.
Vor dem Kongreß hieß es:
Die neueren Verfahren lösten die alten nicht ohne weiteres ab.
Der Einsatz neuerer Methoden und Techniken erfordere eine wissenschaftlich begründete An- wendung und angemessene praktische Erfahrung des Ope- rateurs. Es sei wirklichkeits- fremd, die Anwendung der her- kömmlichen Operationsverfah- ren als schlichtweg überholt, überflüssig oder sogar als „feh- lerhaft" zu bezeichnen. Inkom- petente Äußerungen verunsi- cherten nur die Kranken und hülfen ihnen nicht. HC
A
ls Ärzte begegnen wir Pa- tienten, Leidenden und nicht selten auch Sterben- den. Wie reagieren oder agieren wir dann? Sicher entsteht in je- der neuen Begegnung ein ande- res Verhalten, aber es gibt auch Ähnlichkeiten. Vielleicht gibt es sogar sehr grundsätzliche Mu- ster, die bei jedem Menschen im Umgang mit seinem Leiden mehr oder weniger ausgeprägt und wechselnd zu finden sind.Im folgenden soll noch ein- mal an die Phasen erinnert wer- den, die Elisabeth Kübler-Ross in ihrem Buch „Interviews mit Sterbenden" herausgestellt hat.
Da unser Denken von der christ- lich-abendländischen Kultur ge- prägt ist, ist es vielleicht gar nicht so erstaunlich, direkte Par- allelen in den Passionsgeschich- ten der Bibel zu finden.
Für die erste Phase, die des Nichtwahrhabenwollens, findet sich zwar keine direkte Überein-
Passionszeit
Begegnung mit den Leidenden
stimmung, aber schon die zweite Phase des Zorns spiegelt sich im Markus-Evangelium (15,34):
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?!" Die dritte Phase des Verhandelns hat ihre Parallele im Matthäus- Evangelium (26,39): „Mein Va- ter, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst." Auch die vierte Phase der Depression hat ihre Ent- sprechung im Matthäus-Evange- lium (26,38): „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod, bleibet hier und wachet mit mir." Eine gewisse Lösung findet sich in der
fünften Phase der Zustimmung im Lukas-Evangelium (23,46):
„Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hände!" und in der Phase der Hoffnung im Jo- hannes-Evangelium (16,33): „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden."
Vielleicht ist es gerade in der Passionszeit einmal möglich, daß wir uns mehr oder weniger unabhängig von unseren persön- lichen Glaubensbindungen erin- nern, daß wir immer wieder Pa- tienten, das heißt Leidenden, begegnen. Und neben unserem direkten Eingreifen wird Hilfe oft auch darin bestehen, daß wir den Leidenden begleiten und wahrnehmen.
Und dies kann uns um so leichter fallen, wenn wir wissen, wie ähnlich und grundsätzlich menschliche Reaktionen auf Leiden sein können.
Dr. Meinhard Blattgerste
Dt. Ärztebl. 89, Heft 15, 10. April 1992 (1) A1-1281