Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 51/52 vom 20. Dezember 1980
Die Wegenersche Granulomatose
Arwed Beigel, Harald Lehmann und Konrad Hans Müller-Hermelink
Aus der Abteilung für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten (Direktor: Professor Dr. med. Heinrich Rudert), der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin
(Direktor: Professor Dr. med. Arnold Bernsmeier) und
der Abteilung für Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie (Direktor: Professor Dr. med. Karl Lennert)
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Definition
Die Erkrankung wurde von Klinger 1931 als besondere Form der Panar- teriitis nodosa beschrieben. Wege- ner (7)*) nannte sie eine „eigenartige rhinogene Granulomatose" und be- tonte die Eigenständigkeit des Krankheitsbildes. Godman und Churg (3) prägten die Bezeichnung
„Wegenersche Granulomatose".
Die Diagnose stützt sich nach McDo- nald und Edwards (5) auf folgende pathologisch-anatomische Trias:
• Nekrotisierend-granulomatöse Prozesse in den oberen Luftwegen wie Nase, Nasennebenhöhlen, Epi- pharynx oder im unteren Respira- tionstrakt wie Trachea, Bronchien und Lungen.
O Eine herdförmige Glomerulitis mit Nekrose einzelner Schlingen so- wie der Ausbildung granulomatöser Prozesse am Glomerulum.
O Eine generalisierte, herdförmi- ge, nekrotisierende Vaskulitis der Arterien und Venen, fast immer der Lungen und mehr oder weniger dis- seminiert in anderen Körperre- gionen.
Pathologie und Ätiologie Das histologische Präparat (Abbil- dung 1) besteht aus einem Granula- tionsgewebe mit histiozytär-epithe- Ioidzelligen vielkernigen Riesenzel- len vom Langhans-Typ. Daneben fin- den sich Plasmazellen, Lymphozy- ten, polymorphkernige und eventu- ell gehäuft eosinophile Granulozy- ten. Die Gefäßbeteiligung ist auffal- lend stark. Neben der typischen ne- krotisierenden Arteriitis mit Elastika- defekten, Phlebitis und Perivaskuli- tis beobachtet man bisweilen das Vorkommen einer granulomatösen
„Riesenzellvaskulitis".
Die Ätiologie der Wegenerschen Granulomatose, die dem Formen- kreis der Kollagenosen zugeordnet wird, ist ungeklärt. Wegener selbst nahm ein infekt-allergisches Ge- schehen des oberen Respirations- traktes an. Es wurden erhöhte Se- rumspiegel der Immunglobuline A und E sowie des Komplementfaktors C 3 gefunden. Die Bedeutung von Immunkomplexen, die in den Nie- renglomerula gefunden wurden, ist nicht bekannt.
*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis.
Die Wegenersche Granuloma- tose, eine seltene Krankheit aus dem Formenkreis der Kol- lagenosen, befällt initial den oberen Respirationstrakt. im Generalisationsstadium sind neben anderen Organen vor allem Lungen und Nieren be- troffen. Die Krankheit endet meist letal durch eine Nieren- insuffizienz. Die Sicherung der Diagnose erfolgt zu 90 Prozent durch Biopsien des HNO-Arztes. Der frühzeitige Einsatz von Cyclophosphamid kann die insgesamt ungünsti- ge Prognose verbessern.
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Wegener' Granulomatose
Abbildung 3: Befall des Nasen-Rachen- Raums durch Wegenersche Granuloma- tose. In beiden Choanen weißlich-granu- lomatöses, borkiges Gewebe
Abbildung 1: Arteriitis und riesenzellhaltige granulomatöse Entzündung am Rande einer Nekrose bei Wegenerscher Granulomatose — A: Arterie, RZ: Riesenzelle, N: Nekrose, Ladewig-Färbung
Abbildung 4: Septumperforation und borkige Rhinitis bei Wegenerscher Granulomatose —, 1: mittlere Nasenmu- schel —, 2: Hinterrand der Septumperfo- ration mit borkigen Belägen
Abbildung 2: Röntgen Nasennebenhöhlen. Deutliche Verschattung der linken Kiefer- höhle als Zeichen des Befalles durch Wegenersche Granulomatose
Abbildung 5: Mikroskopischer Kehlkopf- befund bei Wegenerscher Granulomato- se. Weißlich-granulomatöses Material im Bereich der vorderen Kommissur und des linken Stimmbandes
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Wegener' Granulomatose
Abbildung 6: Weichteilgranulom im Bereich der Parotis bei Wegenerscher Granulomatose
Abbildung 7: Röntgen Thorax p. a. bei Wegenerscher Granulo- matose mit beidseitigen polyzyklisch begrenzten, zum Teil zen- tral eingeschmolzenen Infiltrationen
Abbildung 8: Einsattelung des Nasenrückens bei Wegenerscher Granulomatose — links: bei Auftreten der ersten Symptome — rechts: zwei Jahre später
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Wegener' Granulomatose
Alter und
Geschlechtsverteilung
Die Wegenersche Granulomatose ist eine seltene Krankheit. Bis jetzt wur- den etwa 320 Fälle publiziert, unter denen das männliche Geschlecht leicht überwiegt. Der jüngste be- schriebene Patient war drei Monate, der älteste 75 Jahre alt. Das Haupter- krankungsalter liegt zwischen 30 und 50 Jahren. Wir überblicken zur Zeit 20 Fälle. 9 dieser Patienten sind verstorben, 6 wurden obduziert, das Geschlechtsverhältnis beträgt 1:1, das Durchschnittsalter bei Auftreten der ersten Symptome 51 Jahre, bei Diagnosesicherung 53 Jahre.
Klinischer Verlauf 1. Erstsymptome
Bei etwa 70 Prozent der Patienten äußert sich die Wegenersche Granu- lomatose initial unter der Sympto- matik einer chronischen, therapiere- sistenten, borkigen, leicht blutenden Rhinitis mit Nasenatmungsbehinde- rung, die häufig von einer Sinusitis begleitet wird (Abbildungen 2 und 3). Bisweilen findet sich eine Sep- tumperforation (Abbildung 4). Hä- moptoe, chronischer Reizhusten oder ein inspiratorischer Stridor deuten auf einen Befall des unteren Respirationstraktes hin (Abbildung 5). Seltener können als Erstsympto- me Konjunktivitiden, Hautausschlä- ge, Weichteilgranulome, Arthralgien oder auch Schwerhörigkeiten, an- fänglich meist Schalleitungs- später auch Schallempfindungsschwerhö- rigkeit als Folge einer subakuten Mittelohrentzündung auftreten. All- gemein leiden die Patienten unter Abgeschlagenheit, Inappetenz und subfebrilen Temperaturen.
2. Generalisationsstadium
Die typische Verlaufsform ist durch einen generalisierten Organbefall gekennzeichnet, der das Prodromal- stadium ablöst (Abbildung 6). Fast immer sind Lunge und Nieren be- troffen (Abbildung 7). Eine Mitbetei- ligung von Augen, Gelenken, Herz, Leber, Haut und Nervensystem ist häufig. Im oberen Respirationstrakt führen die Granulome zu schweren Destruktionen von Knorpel und Kno-chen, was sich äußerlich am auffäl- ligsten durch eine Einsattelung des Nasengerüstes manifestiert (Abbil- dung 8). Der letale Ausgang wird durch eine Niereninsuffizienz her- beigeführt. Neben der generalisier- ten Verlaufsform gibt es eine soge- nannte „limited form" mit aus- schließlichem Lungenbefall. Höh- lenbildungen durch Abhusten ne- krotischen Materials („Lungenab- szesse") sind nicht selten (siehe auch Abbildung 7).
Diagnose und Differentialdiagnose
Die Diagnose ist häufig schwierig, da die Erstsymptome unspezifisch sind, der Organbefall flüchtig sein kann und nur selten die erste Probe- exzision das Ergebnis bringt. Un- charakteristische Verläufe, die äu- ßerst dramatisch, aber auch protra- hiert sein können, erschweren die Diagnose. Das endgültige Urteil wird in den meisten Fällen erst aus der Synopsis der anamnestischen, klini- schen, röntgenologischen und pa- thologisch-anatomischen Befunde gefällt, wobei eine enge interdiszipli- näre Zusammenarbeit zwischen Internisten, Otorhinolaryngologen, Dermatologen, Ophthalmologen und Pathologen unerläßlich ist. Der wichtigste Spezialist für die Diagno- stik ist der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, da in über 90 Prozent der Fälle die Diagnose durch eine Biopsie aus ei- ner Veränderung der oberen Luftwe- ge gesichert wird.
Differentialdiagnosen sind unter an- derem Vaskulitiden, granulomatöse Entzündungen, pulmorenale Erkran- kungen, Neoplasmen und bakteriell- infektiöse und pilzbedingte Granu- lome.
Therapie und Prognose
Die Therapie der Wahl ist die im- munsuppressive Behandlung. Nach- dem anfänglich Azathioprin, Chlor- ambucil und Methotrexat eingesetzt wurden, wird jetzt allgemein Cyclo- phosphamid (Endoxan®) meist in Kombination mit Kortikoiden gege- ben. Die tägliche Dosis beträgt 1 bis 2 mg Cyclophosphamid/kg KW und 30 bis 40 mg Ultralan per os. Die
Behandlung sollte mindestens ein Jahr andauern. Falls eine Besserung ausbleibt, kann die Dosis um 25 mg Cyclo/die gesteigert werden. Krite- rien des Therapieerfolges sind eine Verminderung der pulmonalen Infil- trate, der Rückgang von granu loma- tösen Erscheinungen im Bereich des oberen Respirationstraktes, die Normalisierung der erhöhten BSG und das Absinken des Kreatininspie- gels als Ausdruck einer Besserung der Nierenfunktion.
Die Prognose der Wegenerschen Granulomatose ist durch die immun- suppressive Therapie deutlich ver- bessert worden. Während 1967 von Wegener die durchschnittliche Überlebenszeit der Patienten nach Diagnosestellung mit vier bis sieben Monaten angegeben wurde, beträgt sie in unserem Patientengut mehr als 28 Monate. Von anderen Autoren sind vereinzelt sogar vollständige Remissionen beschrieben worden.
In der Mehrzahl der Fälle hat die Erkrankung aber auch heute noch quoad vitam eine schlechte Pro- gnose.
Literatur
(1) Carrington, C. B.; Liebow, A. A.: Limited forms of angiitis and granulomatosis of Wegener's type, Amer. J. Med. 41 (1966) 497-527 — (2) Fauci, A. S.; Wolff, S. M.; John- son, J. S.: Effect of cyclophosphamide upon the immune response in Wegener's granulomatosis, New Eng. J. Med. 285 (1971) 1493-1496 — (3) Godman, G. C.; Churg, J.:
Wegener's granulomatosis, Pathology and re- view of the literature, Arch. Pathol. 58 (1954) 533-553 — (4) Lehmann, H.; Beigel, A.; Müller- Hermelink, H.-K.; Schlaak, M.: Klinik und The- rapie der Wegener'schen Granulomatose, Dtsch. med. Wschr. 105 (1980) 1051-1055 — (5) McDonald, J. B.; Edward, R. W.: „Wegener's granulomatosis" — a triad, J. amer. med. Ass.
173 (1960) 1205-1209 — (6) Shillitoe, E. J.;
Lehner, T.; Lessof, M. H.; Harrison, D.F.N.:
Immunological features of Wegener's granulomatose, Lancet 1 (1974) 281-284 — (7) Wegener, F.: Über eine eigenartige rhinogene Granulomatose mit besonderer Beteiligung des Arteriensystems und der Nieren. Beiträge zur path. Anat. 109 (1939) 36-67 — (8) Wegener, F.: Die pneumogene'allgemeine Granulomato- se (PG) — sog. Wegener'sche Granulomatose — in: Kaufmann, E., Staemmler, M. (Hrsg.) Lehr- buch der speziellen pathologischen Anatomie, Ergänzungsband I, 1. Lieferung 1, S. 225, Wal- ter de Gruyter, Berlin (1967)
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Arwed Beigel HNO-Klinik der Universität Kiel Hospitalstraße 20, 2300 Kiel 1