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Institut für Klinische Pharmakologie
Direktor: Prof. Dr. med. Jens Jordan
Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung
Direktor: Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz
Arzneimittelsicherheit –
eine wissenschaftliche Analyse auf Grundlage von Verordnungsdaten
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades Dr. rer. biol. hum.
der Medizinischen Hochschule Hannover
vorgelegt von
Apothekerin Gesine Picksak aus Celle
Hannover 2009
Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 06.10.2010 Gedruckt mit der Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover
Präsident: Prof. Dr. Dieter Bitter-Suermann Betreuer: Prof. Dr. med. Dirk Stichtenoth
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis 3
Abkürzungsverzeichnis 7
1 Einleitung 9
1.1 Wissenschaftlicher Hintergrund 9
1.2 Strategische Bedeutung für die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) 10
1.3 Zielsetzung 11
2 Methoden und Arbeitsplan 12
2.1 Definitionen der Indexmedikamente und Wirkstoffkombinationen 12
2.2 Präanalysen 14
2.3 Definition der ABDA-Schweregrade für Interaktionen 14 2.4 Anzahl der Versicherten der KKH für die Jahre 2004, 2005 und 2006 15
2.5 Altersverteilung der KKH-Versicherten 16
2.6 Compound Annual Growth Rate (CAGR) 16
3 Ergebnisse 18
3.1 Präanalyse: Top 100 Wirkstoffverordnungen der Jahre 2004 bis 2006 für die Gesamtversicherten 18 3.2 Präanalyse: Top 100 Wirkstoffverordnungen der Jahre 2004 bis 2006 für die
Versicherten älter als 60 Jahre 23
3.3 Vergleich der Verordnungshäufigkeit zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 25
3.4 Verordnung problematischer Wirkstoffgruppen 27
3.4.1 Herzglykoside 28
3.4.2 ACE-Inhibitoren 30
3.4.3 Benzodiazepine 34
3.4.4 β-Blocker 39
3.4.5 Diuretika 41
3.4.6 Allopurinol 42
3.4.7 Statine 44
3.4.8 Protonenpumpeninhibitoren (PPI) 46
3.4.9 Antikoagulantia 49
3.4.10 Analgetika 51
3.4.11 Antidiabetika 59
3.4.12 TNF-α-Blocker 59
3.5 Verordnung besonders problematischer Wirkstoffe für Versicherte älter als 60
Jahre 62
3.5.1 Problematische Kardiaka im Alter 64
3.5.2 Problematische Antibiotika im Alter 66
3.5.3 Problematische Antidepressiva im Alter 67
3.5.4 Problematische Antihypertensiva im Alter 69 3.5.5 Problematische Sedativa (Benzodiazepine) im Alter 71 3.5.6 Problematische Antihistaminika / Sedativa im Alter 72
3.5.7 Problematische NSAR im Alter 74
3.5.8 Problematische Thrombozytenaggregationshemmer im Alter 75
3.5.9 Problematische Vasodilatatoren im Alter 76
3.5.10 Problematische Prokinetika / Antiemetika im Alter 78 3.5.11 Fazit aus der Analyse der Verordnungshäufigkeit besonders
problematischer Wirkstoffe für Versicherte älter 60 Jahre 79 3.6 Vermutete Folgekosten durch Nebenwirkungen einzelner Wirkstoffgruppen 79
3.6.1 Metamizol 79
3.6.2 Clindamycin und Ciprofloxacin 82
3.6.3 Leber- und nierentoxische Nebenwirkungen 84 3.7 Vermutete Folgekosten durch Nebenwirkungen von Wirkstoffkombinationen 86
4 Diskussion 95
4.1 Verordnungshäufigkeit problematischer Wirkstoffgruppen 95
4.7 Fazit: Interdisziplinäre Kommunikation zur Erhöhung der
Arzneimittelsicherheit 109
5 Zusammenfassung 111
6 Anhang 113
6.1 Phase 1 der Datenanalyse 113
6.1.1 Präanalyse 113
6.1.2 Verordnungshäufigkeit besonders problematischer Wirkstoffe sortiert
nach Wirkstoffgruppen 113
6.1.3 Verordnungshäufigkeit risikoreicher Wirkstoffkombinationen 127 6.1.4 Verordnungshäufigkeit besonders problematischer Wirkstoffe (sortiert
nach Wirkstoffgruppen) bei älteren Menschen (älter als 60 Jahre) 128
6.2 Phase 2 der Datenanalyse 134
6.2.1 Spezifizierung der Datenanalyse aus Phase 1 134 6.3 Tabellarische Gegenüberstellung der untersuchten problematischen
Wirkstoffe für ältere Versicherte (älter als 60 Jahre) (14-16) 138
6.4 Risikoreiche Wirkstoffkombinationen 147
6.4.1 Interaktion: NSAR + ACE-Inhibitor 147
6.4.2 Interaktion: NSAR + AT1-Antagonist (Sartan) 148
6.4.3 Interaktion: NSAR + β-Blocker 149
6.4.4 Interaktion: NSAR + kaliumsparendes Diuretikum 150
6.4.5 Interaktion: NSAR + Glukocorticoid 151
6.4.6 Interaktion: Digoxin + Amiodaron 151
6.4.7 Interaktion: Digoxin + β-Blocker 152
6.4.8 Interaktion: Statin + Fibrat 153
6.4.9 Interaktion: Statin + Makrolid-Antibiotikum 155
6.4.10 Interaktion: Antidepressivum + SSRI 156
6.4.11 Interaktion: Antidepressivum + Neuroleptikum 157 6.4.12 Interaktion: ACE-Inhibitor + kaliumsparendes Diuretikum 158 6.4.13 Interaktion: ACE-Inhibitor + Allopurinol 159 6.4.14 Interaktion: Carbamazepin + Makrolid-Antibiotikum 160
7 Literaturverzeichnis 162
Danksagung 172
Lebenslauf 173
Erklärung nach § 2 Abs. 2 Nr. 8 und 9 PromO 176
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ACE-Inhibitor Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitor
ApBetrO Apothekenbetriebsordnung ASS Acetylsalicylsäure
ATC-Code Anatomischer-Therapeutischer-Chemischer Code ATP Adenosintriphosphat
AV-Knoten Atrioventrikularknoten
AVR Arzneiverordnungs-Report
AVWG Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung
BLAK Bayrische Landesapothekerkammer BMI Body mass index
CAGR Compound Annual Growth Rate CDS Computerized Decision Support
cGMP Cyclisches Guanosinmonophosphat COPD Chronic Obstructive Pulmonary Disease
COX Cyclooxygenase CPOE Computerized Physician Order Entry CSE Cholesterin-Synthese-Enzym CYP Cytochrom-P450-Isoenzym DDD Daily Defined Doses
DRG Diagnosis Related Groups
DWH Data-Ware-House EKG Elektrokardiogramm GABA Gammaaminobuttersäure G-CSF Granulocyte-Colony Stimulating Factor
GKV Gesetzliche Krankenversicherung
HAZV Hausarztzentrierte Versorgung HCT Hydrochlorothiazid
HMG-CoA 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A HWZ Halbwertszeit
ICD International Classification of Diseases
IGV Integrierte Versorgung
ISEG Institut für Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung
KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung
KHK Koronare Herz-Krankheit
KIS Krankenhausinformationssystem KKH Kaufmännische Krankenkasse Hannover
KV Kassenärztliche Vereinigung
LDL Low Densitiy Lipoprotein
LVÄ Leistungs- und Vertragsmanagement Ärzte Mio. Millionen
MUPS Multiple Unit Pellet System
NSAR Nicht-steroidale Antirheumatika NO Stickstoffmonoxid
OTC Over the Counter
pAVK Periphere arterielle Verschlusskrankheit
PID Persönliche Identifikationsnummer PPI Protonenpumpeninhibitor
QTc frequenzkorrigierte QT-Zeit
QT-Zeit Gesamtdauer des Kammerteils im Elektrokardiogramm SGB Sozialgesetzbuch
SSRI Selektiver Serotonin-Reuptake-Inhibitor Tab. Tabelle
TIA Transitorische ischämische Attacke TNF-α-Blocker Tumor-Nekrose-Faktor- α-Blocker
Tsd. Tausend
TTS Transdermales therapeutisches System
UAW Unerwünschte Arzneimittelwirkung USA United States of America
VJ Versichertenjahr
WHO Weltgesundheitsorganisation WS Wirkstoff
WSG Wettbewerbsstärkungsgesetz
1 Einleitung
1.1 Wissenschaftlicher Hintergrund
Lange Zeit wurde die medizinische und ökonomische Bedeutung unerwünschter Arzneimittel- wirkungen (UAW) vernachlässigt. Für den stationären Bereich existieren inzwischen detaillierte Daten, dass 5% der Krankenhauseinweisungen durch UAW bedingt sind. 5% der schweren UAW führen bei stationären Patienten zu einer Liegezeitverlängerung und ca. 1% der Patien- ten auf internistischen Stationen stirbt an den Folgen einer UAW. Dabei wäre die Hälfte aller UAW bei korrekter Indikationsstellung, individueller Dosierung sowie Beachtung von den jeweiligen Kontraindikationen und Interaktionen nicht eingetreten. Hierbei verdienen vor allem die Arzneimittelinteraktionen besondere Aufmerksamkeit, da diese bei 20 bis 30% als Ursache für die UAWs gelten und prinzipiell vermeidbar sind (1).
Die meisten Studien zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen liegen aus den USA vor. Für Deutschland ist soweit bislang nur eine neuere Studie bekannt, die bei prospektiver Untersu- chung von 40.000 Aufnahmen in zwei Rostocker Krankenhäusern bei 3,6% der Patienten eine UAW als Aufnahmegrund fand. Als besondere Problemfelder stellten sich in dieser Untersu- chung Bradykardien durch vermeidbare Arzneimittelinteraktionen und gastrointestinale Blutun- gen durch nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) heraus (2). Bei Extrapolation der internationalen Daten ergaben sich für Deutschland für das Jahr 2000 folgende Zahlen: 50.800 vermeidbare Krankenhausaufnahmen, 319.000 vermeidbare UAW und 28.000 vermeidbare Todesfälle bei stationären Patienten. Durch Arzneimittelinteraktionen entstanden somit insge- samt 2,59 Milliarden Euro vermeidbare Mehrkosten in den Krankenhäusern (3).
Gegenüber der klaren Problembeschreibung im stationären Bereich ist der ambulante Sektor nur wenig erforscht. Zwei neuere US-amerikanische Studien geben eine Inzidenz von uner- wünschten Arzneimittelwirkungen zwischen 5 und 27% für die ambulante Arzneimitteltherapie an (4,5). Die vermeidbaren Folgekosten werden in einer publizierten Studie an Patienten über 65 Jahren mit 27.365 Dollar pro Jahr angegeben.
Für Deutschland liegen bislang keine solchen Daten vor, eine Rostocker Studie zeigt jedoch mit 3,6% UAW-bedingter Krankenhausaufnahmen die Spitze des Eisberges (2). Eine Fallbe- richtssammlung aus dem relativ kurzen Zeitraum von Januar 1999 bis Dezember 2002 lässt die Dimension des Problems erahnen: 44 Patienten wurden mit lebensbedrohlicher Hyperka- liämie notfallmäßig von der Abteilung Nephrologie der Universitätsklinik Magdeburg aufgenommen. Ursache war in allen Fällen die ambulante Therapie mit ACE-Inhibitoren und Spironolacton in zu hoher beziehungsweise nicht der Nierenfunktion angepasster Dosierung.
Die durchschnittliche Spironolactondosierung lag bei 88 mg täglich. 37 Patienten mussten
dialysiert werden, 2 Patienten starben, 6 Patienten bleiben chronisch dialysepflichtig mit Folge- kosten von etwa 180.000 Euro pro Jahr (6).
Das Fehlen verlässlicher Zahlen im ambulanten Sektor ist methodisch bedingt. Eine repräsen- tative Erfassung ist nur mit extrem hohem Aufwand möglich und auch dann nur mit erheblicher Ungenauigkeit, wie die oben genannten US-amerikanischen Studien zeigen. Ein praktikabler Ansatz zur Risikobeschreibung bietet dagegen die Auswertung der Verordnungsdaten. Bei ungewichteter Auswertung findet sich bei 15 bis 20% aller Verordnungen mindestens ein Ver- schreibungsfehler (7,8). Eine US-amerikanische Studie fand eine Rate von 7,6% klinisch-rele- vanter Verordnungsfehler, 24% davon waren schwerwiegend, 2% lebensbedrohlich (4). Am häufigsten beteiligt waren NSAR, Antidepressiva, Antibiotika und Opioid-Analgetika.
Auch bei Analyse der Verordnungsdaten zeigte sich das besondere Problem der Arzneimittel- interaktionen. Einer französischen Studie zufolge fanden sich bei 5,36 Millionen Verschreibun- gen in der Nord-Pas de Calais Region über 14.000 gefährliche Arzneimittelkombinationen (9).
1.2 Strategische Bedeutung für die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)
Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie stehen heute mehr denn je im Fokus der Gesundheitspolitik. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein starker Wandel in der Arznei- mitteltherapie vollzogen. Immer effektivere Wirkstoffe ermöglichen die Therapierbarkeit einer steigenden Anzahl von Erkrankungen. Die Zunahme chronischer Krankheiten mit einer Lang- zeitbehandlung immer häufiger bis in ein sehr hohes Lebensalter hinein führen zusätzlich zu einer steigenden Komplexität der Arzneimitteltherapie des einzelnen Patienten. Dabei besitzen Arzneimittelinteraktionen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen ein nicht unerhebliches Risikopotential.
Das Roadmap-Beratungsprojekt „Modernes Arzneimittelmanagement in der KKH“ (Kaufmänni- sche Krankenkasse Hannover) von Schönermark.Kiehlhorn+Collegen gab Signale für ein risikoreiches Verordnungsverhalten bei KKH-Versicherten Patienten. Bereits die Erfassung der verordneten Medikamente nach Kosten zeigte, dass bestimmte Medikamentengruppen mit
liegenden Untersuchung das der KKH, können so kritische Versichertensegmente erkannt und maßgeschneiderte Lösungskonzepte entwickelt werden. Auf dieser Basis können die vorhandenen Ressourcen zu einer Verbesserung der Versorgung gezielt eingesetzt und sowohl die Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit als auch die Kosteneffizienz gesteigert werden.
Eine wissenschaftliche Aufbereitung der Analysedaten im Folgenden bietet in diesem Kontext eine solide Basis für Diskussionen und Verhandlungen mit Leistungserbringern und positioniert die GKV als kompetente Kassen mit speziellem Expertenwissen auf dem politisch hochaktuel- lem Feld der Arzneimitteltherapie.
1.3 Zielsetzung
Die Untersuchung ist ein Folgeprojekt aus dem KKH-Roadmap-Beratungsprojekt „Modernes Arzneimittelmanagement“. Im Fokus sind bei diesem Projekt die Analysen der überproportional häufig verordneten problematischen Wirkstoffe, Fehlverordnungen und die Bestimmung der Häufigkeit risikoreicher Wirkstoffkombinationen aus den Verordnungsdaten der KKH. Ausgeh- end vom spezifischen Risikoprofil einzelner Versichertensegmente sowie der Identifikation kritischer Medikationen und Fehlverordnungen im Versichertenkollektiv sollen konsekutiv strategische Implikationen analysiert werden. Hieraus sollen Handlungsempfehlungen zur Adressierung der wesentlichen Problemfelder zur Problemlösung entwickelt werden. Dabei definiert sich die Projektzielsetzung über die Entwicklung zentraler Kernfragen:
1. Wie stellt sich die Verordnungshäufigkeit besonders problematischer Wirkstoffgruppen in dem Versichertenkollektiv dar?
2. Welches Verordnungsmuster findet sich in definierten Versichertengruppen unter Be- achtung besonders gefährdeter Segmente?
• Alter
• Geschlecht
• Indikation
• Komorbidität
• Leber- und Nierenfunktionsstörungen
3. Mit welcher Häufigkeit treten problematische Arzneimittelkombinationen in dem Gesamt- kollektiv sowie in definierten kritischen Segmenten auf?
4. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Krankenkassen der GKV Unterneh- men (Produktideen, Prüf- und Regressalgorithmen, politische Inhalte)?
2 Methoden und Arbeitsplan
2.1 Definitionen der Indexmedikamente und Wirkstoffkombinationen
Es wurden als Basis der Analysen Indexmedikamente definiert und daraus eine Liste von Wirk- stoffen erstellt (Tab. 1), die vermehrt zu Nebenwirkungen aufgrund ihres UAW-Potentials, nicht im Sinne von therapeutisch umstritten, durch Therapiefehler wie zum Beispiel Missachtung des Patientenalters, der Leber- und Nierenfunktion führen können. Als Grundlage dienten hier die Ergebnisse aus dem oben genannten Beratungsprojekt und weitere nebenwirkungsauffällige Wirkstoffe aus der Praxis wie zum Beispiel dem Metoclopramid (10-13). Diese Wirkstoffe sind alle klinisch empirisch therapiewirksame Medikamente und in Deutschland zugelassen.
Tab. 1: Problematische Wirkstoffe
Wirkstoffgruppe Wirkstoffe
Herzglykoside Digoxin, Metildigoxin, β-Acetyldigoxin, Digitoxigenin Prokinetikum / Antiemetikum Metoclopramid
Urikostatikum Allopurinol
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) Omeprazol, Esomeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Rabeprazol Statine Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin, Lovastatin
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)
Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin, Naproxen, Piroxicam, Meloxi- cam, Celecoxib, Etoricoxib, Lumiracoxib
Opioide Fentanyl, Morphin, Oxycodon
Antidepressiva Amitriptylin, Doxepin, Imipramin, Opipramol, Trimipramin, Mirtaza- pin, Duloxetin
TNF-α-Blocker Etanercept, Infliximab
Diuretika Thiazide: Hydrochlorothiazid (HCT), Chlortalidon, Xipamid, Clopa- mid, Indapamid
Sulfonamide: Furosemid, Piretamid, Torasemid Aldosteronantagonist: Spironolacton
Kalium-sparend: Triamteren, Amilorid Sonstige: Etacrynsäure
ACE-Inhibitoren Enalapril, Ramipril, Captopril, Lisinopril, Benazepril, Quinapril
Des Weiteren wurden als Basis der Analysen Wirkstoffe definiert, die für ältere Versicherte (älter als 60 Jahre) altersbedingt vermehrt zu Nebenwirkungen führen können (Tab. 2). Als Grundlage dienten hier die Veröffentlichungen der Arbeitsgruppen Beers (USA), McLeod (Ca- nada) und Fialova (Europa) (14-16). Eine tabellarische Gegenüberstellung der Wirkstoffe befindet sich im Anhang dieser Arbeit (siehe 6.3).
Tab. 2: Besonders problematische Wirkstoffe für Versicherte älter als 60 Jahre Wirkstoffgruppe Wirkstoffe
Kardiaka Amiodaron, Disopyramid, Flecainid, Sotalol, Digoxin Antibiotika Nitrofurantoin
Thrombozytenaggregationshemmer Dipyridamol, Ticlopidin
Antihypertensiva Doxazosin, Clonidin, Moxonidin, Reserpin, Methyldopa Sedativa Chlordiazepoxid, Diazepam, Flurazepam
Antihistaminika Hydroxyzin, Promethazin
NSAR Naproxen, Piroxicam, Indometacin
Vasodilatatoren Pentoxifyllin, Cyclandelat
Antidepressiva Amitriptylin, Doxepin, Fluoxetin, Imipramin Prokinetikum / Antiemetikum Metoclopramid
Über Einzelmedikamente hinaus wurden risikoreiche Wirkstoffkombinationen (Tab. 3) definiert, die vermehrt zu Interaktionen (zum Beispiel Nierenfunktionsstörungen, Hypertonie, Intoxikatio- nen) führen können. Als Grundlage dienten hier die Ergebnisse aus dem Roadmap-Beratungs- projekt, eine Analyse der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) in öffentlichen Apotheken und weitere Interaktionen aus der Praxis (17). Viele der Wirkstoffkombinationen sind in der Praxis vertretbar, wenn die Symptome und Folgen der Interaktion dem behandeln- den Arzt und Versicherten bekannt sind.
Tab. 3: Risikoreiche Wirkstoffkombinationen
Wirkstoffkombination Schweregrad (nach ABDA-Klassifi-
zierung)
Pharmakologischer Effekt (ausführlich im Anhang)
NSAR plus ACE-Inhibitor mittelschwer Blutdrucksenkender Effekt abgeschwächt → erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko, erhöhtes Risiko von Nierenfunktionsstörun- gen
NSAR plus AT1-Antagonist (Sartan) mittelschwer Verminderte blutdrucksenkende Wirkung → erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko NSAR plus β-Blocker mittelschwer Verminderte blutdrucksenkende Wirkung →
erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko NSAR plus Spironolacton mittelschwer Hyperkaliämie und Nierenversagen
NSAR plus Glukocorticoid mittelschwer Verstärkte ulzerogene Wirkung, intestinale Blutungen
Wirkstoffkombination Schweregrad (nach ABDA-Klassifi-
zierung)
Pharmakologischer Effekt (ausführlich im Anhang)
Digoxin plus Amiodaron mittelschwer Herzglykosid-Intoxikation, schwere Reizlei- tungsstörungen
Digoxin plus β-Blocker geringfügig Verstärkte Bradykardie, erschwerte Überlei- tung am AV-Knoten
Statin plus Fibrat mittelschwer Erhöhte Inzidenz von Myopathien und Nierenversagen
Statin plus Makrolid-Antibiotikum schwerwiegend Rhabdomyolyse, Myopathie mit Nierenversa- gen
Antidepressivum plus SSRI mittelschwer Wirkungsverstärkung der Antidepressiva bis zur Intoxikation
Antidepressivum plus Neurolepti- kum
mittelschwer Erhöhtes Risiko für ventrikuläre Tachykardien (Torsades de pointes (QT-Zeit-Verlängerung)) und weitere UAWs
Spironolacton plus ACE-Inhibitor mittelschwer Hyperkaliämierisiko steigt ACE-Inhibitor plus Allopurinol mittelschwer Erhöhte Gefahr der immunologischen Neben-
wirkungen (Leukopenien, Hautreaktionen) Carbamazepin plus Makrolid-
Antibiotikum
mittelschwer Carbamazepin-Intoxikation
2.2 Präanalysen
Der Zweck der Präanalysen bestand darin, beispielhaft für alle GKV Auffälligkeiten bei den Verordnungsdaten der KKH über die drei Jahre aufzudecken, um neben den schon festgesetz- ten Analyseschwerpunkten gegebenenfalls weitere auffällige Wirkstoffe und / oder Wirkstoffgruppen den Auswertungen hinzufügen zu können. Ziel dieser Analyse war es damit, einen ersten Überblick über die Verordnungshäufigkeit mancher Wirkstoffe zu erhalten und auffällige Wirkstoffe (zum Beispiel Clopidogrel) und Wirkstoffgruppen (zum Beispiel Opioide) zu identifizieren. Mittels der Präanalyse konnte auch überprüft werden, ob die im Vorfeld defi- nierten Arzneimittelgruppen aufgrund ihrer Verordnungshäufigkeit am Beispiel des Versichertenkollektivs der KKH für die der GKV allgemein problematisch werden können.
2.3 Definition der ABDA-Schweregrade für Interaktionen
Die Daten der ABDA-Datenbank wurden seitens des ABDATA Pharma-Daten-Service in Esch- born erarbeitet (18). Die Klassifizierung der Interaktionen erfolgte zum Zeitpunkt der Analyse
– Mittelschwer: Die Kombination führt häufig zu therapeutischen Schwierigkei- ten, doch bei sorgfältiger Überwachung des Patienten (Laborwerte wie zum Bei- spiel Quickwert; klinische Symptome) kann die Kombination gegeben werden.
– Geringfügig: Bei geringfügigen Interaktionen können etwas verstärkte oder verminderte Wirkungen auftreten oder sie betreffen nur einen bestimmten Personenkreis (zum Beispiel Patienten mit Nieren- oder Leberinsuffizienz, Langsam-Acetylierer).
– Unbedeutend: Interaktionen, die meist keine oder nur geringe Auswirkungen haben und in der Regel keine Maßnahmen erfordern, werden nur ausnahms- weise aufgenommen, weil sie zum Beispiel in vielen Lehrbüchern erwähnt wer- den. Für diese Interaktionen werden meistens keine ausführlichen Texte erstellt.
2.4 Anzahl der Versicherten der KKH für die Jahre 2004, 2005 und 2006
Für die Analysen wurden vom Data-Ware-House (DWH) der KKH und dem Institut für Epide- miologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) zur Erzielung einer höheren Genauigkeit Versichertenjahre (VJ) herangezogen. Durch einen rechnerischen Bezug auf Versichertenjahre können so auch Personen mit nur einer zeitweiligen Versicherung innerhalb eines Jahres adä- quat berücksichtigt werden.
Beispiel :
99 Personen sind 12 Monate versichert 1 Person nur 4 Monate 1 Person nur 6 Monate 1 Person nur 2 Monate
100 Versichertenjahre entsprechen 100 Personen
{ }
= 12 Monate+ 1 Person
Tab. 4: Anzahl der Versicherten der KKH
Versichertenjahr Gesamtzahl der Versicherten
Versicherte in Versichertenjahre
Versicherte > 60 Jahre
Versicherte > 60 Jahre in Versi-
chertenjahre
2004 1.954.405 1.864.364 408.216 401.307
2005 1.947.428 1.856.239 412.858 405.114
2006 1.945.738 1.858.878 418.843 411.554
2.5 Altersverteilung der KKH-Versicherten
0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800
< 64 Jahre 65 - 74 Jahre 75 - 84 Jahre > 85 Jahre
Tsd. Versicherte
Altersgruppe 2004 2005 2006 CAGR = -9,7%
CAGR = + 8,3%
Abb. 1: Altersverteilung der KKH-Versicherten
Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen) über einen spezifizierten Zeitabschnitt (2 Jahre) (Abb. 2).
Dabei wird ein exponentieller Vorgang angenommen.
Abb. 2: Compound Annual Growth Rate (CAGR)
Mit Hilfe der CAGR kann ausgewertet werden, wie verschiedene zu betrachtende Größen (Altersverteilung, Wirkstoffe, Wirkstoffgruppen) über die Zeit abgeschnitten haben. Mittels der CAGR wird es möglich, die Daten gegenüber dem Marktindex, den Daten des Arzneiverord- nungs-Reports (AVR), auszuwerten und zu vergleichen. Die CAGR ist ein historisches Maß.
Historische Resultate sind nicht immer ein zuverlässiger Indikator für erwartete Ergebnisse in der Zukunft. Denn die CAGR nimmt an, dass eine Investition mit gleich bleibender Geschwindigkeit wächst. Dieses entspricht normalerweise nicht der Wirklichkeit. Folglich ist CAGR ein imaginäres Konzept. Es beschreibt das Wachstum einer Investition, als ob sie mit gleich bleibender Geschwindigkeit gewachsen ist. Die Volatilität ist wichtig zu betrachten, wenn man eine Entscheidung auf Grundlage der CAGR trifft.
3 Ergebnisse
3.1 Präanalyse: Top 100 Wirkstoffverordnungen der Jahre 2004 bis 2006 für die Gesamtversicherten
Alle in dieser Arbeit verwendeten Originaldaten stammen aus dem Pool des DWH der KKH, können aber aufgrund ihrer Aussagekraft größtenteils auf die gesamten GKV übertragen wer- den.
In dieser Analyse wurden für den ersten groben Überblick als Präanalyse die Top 100 Wirk- stoffverordnungen für die Jahre 2004 bis 2006 für die Gesamtversicherten ermittelt. Die wich- tigsten Resultate sollen im Folgenden besprochen werden.
In der entstandenen Rankingliste wurden die Top 25 Wirkstoffe intensiviert betrachtet. Um den Bezug zur aktuellen Situation zu wahren, wurden für die Auswertung der Grafiken immer die ermittelten Zahlen des Jahres 2006 herangezogen, da diese den deutlichsten Hinweis auf die heutige Situation geben. In diesem Top 25 Wirkstoffranking wurden die Akut- (Antibiotika-) (A) und Kinderverordnungen (K), Wirkstoffe, die bei den gesetzlichen Krankenkassen nur für Kin- der bis zum 12. Lebensjahr und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebens- jahr erstattungsfähig sind, kenntlich gemacht.
Innerhalb der ersten 25 Wirkstoffe der Top 100 Wirkstoffe aller Versicherten im Jahr 2006 zei- gen sich acht Wirkstoffe mit einer signifikanten Steigerung in den Verordnungen (Abb. 3).
A – Akutmedikatonen
K – Erstattungsfähig für Kinder - steigende Verordnungszahlen
- stagnierende Verordnungszahlen - sinkende Verordnungszahlen
0 2 4 6 8 10 12 14
Ibupr ofen
Diclofenac Levothyroxin-N
atrium Metoprolol
Amoxicillin Me
tamizol-Na triu
m
Me toclopramid
Xylometa zolin Paracetamol
Om eprazol
Phenoxym ethylpenicillin
Simvastatin Doxycyclin
Bisoprolol
Sulfam ethoxazol un
d Trimethoprim Ciproflox
acin Salbuta
mol Am
broxo l
Clarithromy cin Clindamy
cin Ramipril
Allopurinol Roxithromycin
Acetylcyst ein Azithromycin
Versicherte je 100 VJ
2004 2005 2006
Abb. 3: Top 25 Wirkstoffe der Jahre 2004 bis 2006 für die Gesamtversicherten der KKH Steigende (+) Verordnungszahlen (rot in Abb. 3 gekennzeichnet) bei
• Levothyroxin + 5,4%
• Metoprolol + 6,3%
• Omeprazol + 17,9%
• Simvastatin + 26,3%
• Bisoprolol + 7,9%
• Salbutamol + 5,8%
• Clindamycin (A) + 5,8%
• Ramipril + 34%
Ein Anstieg der Verordnungen kann auf vielfältige Ursachen zurückgeführt werden: Levothyro- xin wird für die Indikation Hypothyreose eingesetzt, die durch einen ausgeprägten, anhalten- den Iodmangel, vermutlich durch eine falsche Ernährungsweise ausgelöst, entsteht (19).
Die Mehrverordnung von Metoprolol und Bisoprolol (β-Blocker) kann auf ein geändertes Ver- ordnungsverhalten der Ärzte zurückgeführt werden. Es werden weniger kostenintensive β-Blo- cker eingesetzt, sondern mehr kostengünstige Wirkstoffe aus dieser Gruppe (siehe 3.4.4).
Bei dem Protonenpumpeninhibitor (PPI) Omeprazol wird eine allgemeine Überversorgung der Versicherten mit einem PPI vermutet (siehe 3.4.8).
Auch ist eine allgemeine Zunahme der Atemwegserkrankungen (Asthma bronchiale und chronischer Bronchitis mit oder ohne Lungenemphysem) in Deutschland bekannt, so dass es durchaus berechtigt zu der Mehrverordnung von Salbutamol kommen kann (20).
A
A
A
A
A A
A A A
K K
K K
Die Steigerung der Verordnungshäufigkeit von Clindamycin verdeutlicht die allgemein steigen- den Antibiotikaverordnungen bei den Versicherten. Allerdings ist die Verordnung von Clindamy- cin mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko behaftet (siehe 3.6.2).
Anfang des Jahres 2007 trat die Bonus-Malus-Regelung für die Ärzte in Kraft. Die Angst vor Regress beherrschte das Tagesgeschehen in den Arztpraxen. Die Bonus-Malus-Regelung sah ab 2007 Strafzahlungen für Ärzte vor, wenn diese für bestimmte Krankheiten festgelegte Tagestherapiekosten überschreiten (Malus). Verschrieben die Ärzte hingegen besonders güns- tige alternative Arzneimittel oder verordneten kleinere Dosierungen, so erhält die Kassenärztli- che Vereinigung (KV) einen Bonus. Mit der Einführung der Rabattverträge im Sommer 2007 rückte die Bonus-Malus-Regelung dann deutlich in den Hintergrund. Damit kam fast unbe- merkt die Einführung eines neuen Steuerungsinstruments – der Leitsubstanzen, die den Zwang zu kostengünstigen Verordnung bis jetzt fortsetzt. Unter der Zielvereinbarung „Leitsub- stanzen“ versteht man diejenigen Arzneimittel einer Substanzgruppe, die ein Arzt besonders häufig verordnen muss, um auch in Zukunft einem Regress zu entgehen. Die Leitsubstanzen sind immer preiswerter als entsprechende Vergleichspräparate. Zunächst war es eine Liste von sieben verordnungsstarken Wirkstoffgruppen, die 2008, um Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren, bis auf zwölf erweitert worden ist. Folgende Substanzgruppen gehören zu den Leitsubstanzen:
• Statine
• Selektive β-Adrenorezeptor-Antagonisten (β-Blocker)
• α-Adrenorezeptor-Antagonisten (in der Urologie)
• Selektive Serotonin-Reuptakeinhibitoren (SSRI)
• Bisphosphonate zur Behandlung der Osteoporose
• Selektive Serotonin-5HT1-Antagonisten (Triptane)
• Protonenpumpeninhibitoren (PPI)
• ACE-Inhibitoren
• Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)
• Orale Antidiabetika
• Sulfonamide
• Niedermolekulare Heparine
Substanzgruppen mit hohem Einspareffekt auf die Verordnung des jeweils preisgünstigsten Generikums gelenkt werden. Des weiteren soll die Substitution von noch patentgeschützten – oft „Me-too“-Präparate genannt – und damit in der Regel teuren Medikamenten durch Leitsub- stanzen dieser Gruppe erzwungen werden. Für den Vertragsarzt bedeutet dies, dass er sich bei seiner zuständigen KV kundig machen muss, welche Bedeutung Leitsubstanzen in der Steuerung des Verordnungsverhaltens in seiner KV haben und welche Zielquote in seiner KV vereinbart wurde. Auf Bundesebene haben die Leitsubstanzen und ihre Quoten bislang nur Empfehlungscharakter.
So werden die Ärzte von den KVen jeweils dazu angehalten, verstärkt diese Leitsubstanzen zu verordnen. Die Daten vom Simvastatin und Ramipril, die zu den Leitsubstanzen gehören, wür- den diese Aussage bestätigen (siehe 3.4.2 und 3.4.7).
Nur drei Wirkstoffe innerhalb der ersten 25 der Top 100 Wirkstoffe aller Versicherten 2006 scheinen in ihrer Verordnungshäufigkeit zu stagnieren (gelb in Abb. 3 gekennzeichnet). Dazu gehören:
• Metoclopramid
• Sulfamethoxazol und Trimethoprim (A)
• Allopurinol
Ebenfalls nur drei Wirkstoffe innerhalb der ersten 25 der Top 100 Wirkstoffe aller Versicherten 2006 weisen signifikant sinkende (-) Verordnungszahlen (grün in Abb. 3 gekennzeichnet) auf:
• Phenoxymethylpenicillin (A) – 3%
• Roxithromycin (A) – 10,4%
• Acetylcystein – 16,6%
Eine Reduktion dieser Verordnungen wird auf zwei maßgebliche Punkte zurückgeführt: Die Antibiotikaverordnungen (Phenoxymethylpenicillin und Roxithromycin) verlagern sich zu ande- ren Wirkstoffen hin. Es werden bedauerlicherweise nicht weniger Antibiotika verordnet, im Ge- genteil mit Blick auf die ganze Gruppe sogar mehr.
Acetylcysteinverordnungen konnten minimiert werden, da dieser Wirkstoff als OTC-Medika- ment im Handel ist und so nur noch für chronische Erkrankungen (zum Beispiel Mukoviszidose und Chronic Obstructive Pulmonary Disease (COPD)) und Kinder bis zum 12. Lebensjahr und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebensjahr erstattungsfähig ist.
Generell ließen sich die Kinder- und Akutverordnungen durch strengere Indikationsstellungen weiter einschränken.
Zu den Wirkstoffen der Top 25, die nur für Kinder bis zum 12. Lebensjahr und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebensjahr erstattungsfähig sind, gehören:
• Xylometazolin (2006 Platz 8) → Nasenspray
• Paracetamol (2006 Platz 9) → Schmerz- und Fiebermittel
• Ambroxol (2006 Platz 18) → Hustenlöser
• Acetylcystein (2006 Platz 24) → Hustenlöser
• (Efeublätter (2006 Platz 35) → Hustenlöser)
Unter den Top 25 Wirkstoffen befinden sich allein neun Antibiotika zur Akutmedikation, die für die KKH sehr kostenintensiv sind:
• Aminopenicillin: Amoxicillin (2006 Platz 5)
• Penicillin V: Phenoxymethylpenicillin (2006 Platz 11) – sinkende Verordnungszahlen um – 3%
• Tetracyclin: Doxycyclin (2006 Platz 13)
• Sulfonamid: Sulfamethoxazol und Trimethoprim (2006 Platz 15) – stagnierende Verord- nungszahlen
• Gyrasehemmer: Ciprofloxacin (2006 Platz 16)
• Makrolid: Clarithromycin (2006 Platz 19)
• Lincosamid: Clindamycin (2006 Platz 20) – steigende Verordnungszahlen um + 5,8%
• Makrolid: Roxithromycin (2006 Platz 23) – sinkende Verordnungszahlen um – 10,4%
• Makrolid: Azithromycin (2006 Platz 25)
Allein 6% der Top 100 Wirkstoff-Bruttokosten betreffen die Akutverordnungen (Antibiotika) (Abb. 4), die sich bei strengerer Indikationsstellung durchaus reduzieren ließen.
13.413.679 €; 6%
Grundsätzlich unterscheiden sich die verschiedenen Antibiotikasubstanzen in ihren Wirkungs- mechanismen und Erregerspektren, gegen die sie wirksam sind. So unterschiedlich wie der Wirkungsmechanismus ist auch das Wirkungsspektrum der Antibiotika. Dennoch treten Überschneidungen auf. Um das mögliche Substitutionspotential (in Euro) für die Antibiotika zu ermitteln, wurden die Antibiotikaspektren der neun Top 25 Antibiotika mit denen der häufigsten Diagnosen abgeglichen (Tab. 5).
Tab. 5: Die Antibiotikaspektren im Vergleich
Diagnose Häufigste Erreger Mittel der Wahl akute Bronchitis nur selten Pneumokokken,
Haemophilus influenzae, (pri- mär Viren)
Aminopenicillin, Cephalosporin, Gyrasehemmer, Makrolid, Tetra- cyclin
akute Otitis media Pneumokokken, H. influenzae, Moraxella catarrhalis, Staphylo- kokken, A-Streptokokken
Cephalosporin, Aminopenicillin +/- β-Lactamase-Inhibitor, Mak- rolid, Gyrasehemmer
akute Sinusitis Pneumokokken, H. influenzae, Moraxella catarrhalis, Staphylo- kokken, Staphylokokkus aureus
Cephalosprin, Aminopenicillin +/- β-Lactamase-Inhibitor, Gyra- sehemmer
Tonsillitis A-Streptokokken Penicillin Laryngitis/Pharyngitis (primär Viren), selten A-Strepto-
kokken, Haemophilus influen- zae, Staphylokkokus aureus
Penicillin V, Aminopenicillin, Chephalosporin, Gyrasehem- mer, Makrolid
akute Enteritis Salmonellen, Camphylobacter jejuni, Yersinien, Shigellen
Gyrasehemmer akute unkomplizierte Zystitis Echerichia coli, Proteus mirabi-
lis, Staphylokokken
Sulfonamid, Gyrasehemmer
Einer Substitutionsempfehlung für die Antibiotika zur Kostenreduktion für die KKH ist aus medizinischer Sicht nur schwer zuzustimmen (Resistenzförderung). Fakt ist, dass die Verord- nungszahlen allgemein zu hoch sind. Als Handlungsoption bleibt für die KKH die kritische Abklärung der Indikationsstellung von Seiten des Arztes (Fehldiagnose viraler Infekt, denn 80% der Erkältungsfälle sind viral bedingt (21)). Eventuell ist in einem Folgeprojekt die Diagno- sestellung zu überprüfen, denn vermutlich werden gerade Kindern zu schnell Antibiotika verordnet, so dass es zu einer Überversorgung mit Antibiotika und einer Resistenzförderung kommt (22,23).
3.2 Präanalyse: Top 100 Wirkstoffverordnungen der Jahre 2004 bis 2006 für die Versicherten älter als 60 Jahre
In dieser Analyse wurden zusätzlich zu dem Überblick der Gesamtversicherten als Präanalyse die Top 100 Wirkstoffverordnungen für die Jahre 2004 bis 2006 für die Versicherten älter als 60 Jahre ermittelt. Die Gründe für diese Präanalyse sind dieselben wie die der Analyse für die Gesamtversicherten (siehe 3.1). Innerhalb der Top 25 Wirkstoffe 2006 der älteren Versicherten zeigen sich elf Wirkstoffe mit einer signifikanten Steigerung in den Verordnungen (Abb. 5).
0 5 10 15 20 25
Diclofena c Metop
rolol Simvastatin Lev
othyrox in-Natrium
Ibupr ofe
n Om
epraz ol Bisopro
lol
Metamizol-Natrium Allopur
inol Ramipril Acetylsalicylsäure
Am lodipin
Enalapr il Metformin
Me toclopr
am id
Glucos e, Diagnostika
Tor asemid
Ciprofloxacin Pantoprazol
Hydrochlorothiazid Phenpr
ocoum on Fur
osemid
Sulfameth
oxazol und Trimethoprim Estriol, vaginal
Ram ipril und H
ydroch lorothiazid
Versicherte je 100 VJ
2004 2005 2006
Abb. 5: Top 25 Wirkstoffe der Jahre 2004 bis 2006 für die Versicherten der KKH älter 60 Jahre
Steigende (+) Verordnungszahlen (rot in Abb. 5 gekennzeichnet):
• Metoprolol + 6,8%
• Simvastatin + 25,3%
• Levothyroxin + 5,7%
• Omeprazol + 18%
• Bisoprolol + 8,1%
• Amlodipin + 22,6%
• Metformin + 8,3%
• Torasemid + 21,1%
• Hydrochlorothiazid (HCT) + 3,2%
• Phenprocoumon + 7,9%
• Ramipril plus Hydrochlorothiazid + 32,5%
Unter den Top 25 Wirkstoffen 2006 der Versicherten älter als 60 Jahre befinden sich allein sechs Wirkstoffe von den elf mit steigenden Verordnungszahlen, die unter anderem zur Hyper-
A A
A – Akutmedikationen
Die Verordnungszahlen des Allopurinols, der Acetylsalicylsäure, des Metoclopramids, des Cotrimoxazols und des Vaginal-anzuwendenden Estradiols stagnieren (gelb in Abb. 5 gekenn- zeichnet).
Die Abnahme (-) der Enalaprilverordnungen um – 3,9% (grün in Abb. 5 gekennzeichnet) ist pharmakokinetisch positiv zu sehen. Die Dosierung des Wirkstoffs muss aufgrund der Wirk- dauer des Enalaprils (8 bis 10 Stunden) 2 bis 3x täglich erfolgen. Ramipril als Leitsubstanz (mit steigenden Verordnungszahlen) hat dagegen eine Wirkdauer von 24 Stunden, so dass die Dosierung 1x täglich in der Regel ausreicht. Diese Entwicklung wird in Bezug auf die Compli- ance bei älteren Versicherten mit nicht selten einer Multitherapie positiv gesehen.
3.3 Vergleich der Verordnungshäufigkeit zur Gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV)
Das Versichertenkollektiv der KKH ist in seiner Gesamtzahl mit fast 2 Millionen Versicherten repräsentativ, so dass die Ergebnisse der KKH-Untersuchungen Rückschlüsse auf die Gesamtversicherten der GKV zulassen. Zu bedenken ist dabei, dass die KKH und die restli- chen GKV eine unterschiedliche Mitgliederstruktur haben, was die Übertragbarkeit der KKH- Analysenergebnisse einschränkt und Auffälligkeiten nur vermuten lässt.
Eine auffällige problematische Wirkstoffgruppe bei der KKH im Vergleich zur GKV sind die Antidepressiva. Die Verordnungen pro Versicherten sind im Verhältnis zu hoch. In den Verord- nungsdaten spiegelt sich die Versichertenstruktur der Krankenkasse. Generell liegen die Verordnungen pro Versicherten der KKH bei allen Wirkstoffgruppen unterhalb der der GKV- Versicherten. Die Diuretika und Antidepressiva zeigen jedoch eine deutliche Abweichung vom Durchschnitt (Abb. 6).
0,3505
0,1888
0,4455
0,3995 0,3724
0,3509
0,1997
0,0743
0,1022 0,2612
0,1245
0,0708 0,0629
0,1083
0,2309
0,1258 0,0836
0,1307 0,0834
0,0846
0,0000 0,0500 0,1000 0,1500 0,2000 0,2500 0,3000 0,3500 0,4000 0,4500 0,5000
ACE-Inhibitoren
Diuretika Metoclopr
ami d
Allopurinol
NSAR
Benzodiazepine
Antidepressiva
Statine PPI
Verordnungen / Versicherten
Gverordnung/Gversicherten KKH Gverordnung/Gversicherten GKV
Abb. 6: Vergleich der Verordnungsdaten der KKH zur GKV (26)
Es gibt damit Unterschiede in der Verordnungshäufigkeit und bei den Umsatzkosten der Top 100 Wirkstoffe der KKH im Vergleich zur GKV. Aufgrund des im Vergleich zur GKV sehr jungen Versichertenklientels der KKH wird im Vorfeld eine unterdurchschnittliche Verordnung erwartet.
Der im Vergleich zu den übrigen Wirkstoffen höhere Anteil an Verordnungen bei den Antide- pressiva lässt den Rückschluss auf einen überdurchschnittlichen Frauenanteil bei den KKH- Versicherten vermuten, der sich in den Jahren 2004 bis 2006 so auch zeigt.
Der im Vergleich zu den übrigen Wirkstoffen niedrigere Anteil an Verordnungen bei den Diure- tika lässt den Rückschluss auf einen unterdurchschnittlichen Anteil von älteren Männern (älter 65 Jahre) bei der KKH vermuten, der sich ebenfalls in den Jahren 2004 bis 2006 so auch zeigt (Abb. 1).
Beim Kostenvergleich zeigen sich die größten Abweichungen vor allem bei den Diuretika und
- 34,06%
- 11,12%
8,97
3,68
0,99 1,16
1,91
5,25
12,37
10,01 8,98 11,14
3,51
1,48 1,68
4,47
0,83 0,87 2,44
6,88
1,64 5,53
0,00 2,00 4,00 6,00 8,00 10,00 12,00 14,00
ACE-Inhibitoren
Diuretika
Metoclopramid Allopu
rino l
NSAR Ben
zodiaze pine
Antidepressiva
Statine PPI
Umsatz / Versicherten in €
Gumsatz/Gversicherten KKH Gumsatz/Gversicherten GKV
Abb. 7: Vergleich der Kosten pro Versicherten der KKH zur GKV (26)
3.4 Verordnung problematischer Wirkstoffgruppen
Die Analysen sollten unter besonderer Berücksichtigung der „älteren“ Versicherten der KKH erfolgen. Bei älteren Menschen ab 65 Jahren fehlen häufig klinische Prüfungen / Studien für den Arzneistoff. Die Zulassungsstudien schließen in manchen Fällen explizit die älteren Patienten als Anwendergruppe aus. In diesem Fall tragen der Arzt und Apotheker für den älte- ren Patienten eine besondere Verantwortung.
Dabei ist die Definition des „alten Patienten“ schwierig. Dem heutigen Verständnis nach sind Menschen mit einem Lebensalter von ≥ 65 Jahren älter, von ≥ 75 Jahren alt und mit einem Lebensalter von ≥ 85 Jahre hochbetagt bzw. sehr alt. Die Altersentwicklung, besser die Alters- zusammensetzung einer Gesellschaft hängt im Wesentlichen von den Faktoren Geburtenrate und individuelle Lebenserwartung, die in der heutigen Zeit rasant durch die ständig optimierte medizinische Versorgung ansteigt, ab. In Deutschland wird sich damit das zahlenmäßige Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Menschen in den nächsten Jahren erheblich verschieben. Die deutsche Gesellschaft wird in den nächsten Jahrzehnten immer älter (27).
Basierend auf der erwarteten Altersentwicklungsstruktur in Deutschland sowie auch bedingt durch die momentan zurückgehenden Geburtenzahlen ist es sinnvoll, eine Altersstrukturierung für die Analysen vorzunehmen, die nicht dem heutigen Verständnis entspricht. Damit wurde für
- 33,14%
- 33,7%
die Analysen das Alter etwas jünger als in der Literatur angesetzt (60 bis 64, 65 bis 74, 75 bis 84 und älter 85 Jahre), um das möglicherweise gefährdete Versichertenkollektiv frühzeitig zu identifizieren.
Die Abfragen der Daten im DWH zur Analyse erfolgten allgemein für die Gesamtversicherten und speziell für „ältere“ Versicherte.
Jüngere Versicherte < 64 Jahre Ältere Versicherte < 74 Jahre Alte Versicherte < 84 Jahre Sehr alte Versicherte > 85 Jahre
Im Allgemeinen ist das funktionelle Alter eines Menschen wichtiger als das chronologische.
Damit gibt es auch 80-Jährige, die das funktionelle Alter eines 60-Jährigen haben (28). Des Weiteren wurden die Analysen nach Geschlecht männlich und weiblich getrennt, da einige Wirkstoffe unspezifische und / oder geschlechtsspezifische Indikationen haben oder dafür zugelassen sind.
Die zugrunde liegende Erkrankung bei der Auswertung erschloss sich über den ATC-Code (Indikation des Wirkstoffs). Die Komorbidität und die Überprüfung der Leber- und Nierenfunk- tion sind fast ausschließlich nur über die Nachverfolgung von Indexfällen über PIDs auswert- bar, was mit dieser Analyse nicht möglich war. Voraussetzung für alle Analyseergebnisse ist für alle Versicherten jeden Alters durch eine entsprechend angemessene Arzneimitteltherapie die Erhaltung der Selbstständigkeit und Altersaktivitäten.
3.4.1 Herzglykoside
Hochproblematische Wirkstoffe wie die Herzglykoside (siehe auch 6.1.2.1) werden den Ge- samtversicherten der KKH kaum noch verordnet, seit 2006 sind diese für die Versicherten nicht mehr relevant (Abb. 8).
0 10 20 30 40 50 60 70
Herzglykoside AC
E-Inhibitoren
Diuretika Metoclopr
am id
Allopurinol
NSAR
Benzodiazepine Antide
pressiva
Statine
PPI
Verordnungshäufigkeit nach DDDs in Mio.
2004 2005 2006
Abb. 8: Verordnungshäufigkeit der problematischen Wirkstoffgruppe „Herzglykoside“
Die Indikation der Herzglykoside ist nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allge- meinmedizin und Familienmedizin (Stand 2006) die symptomatische Therapie der chronischen Herzinsuffizienz (New York Heart Association-Stadien III und IV) und sie sind zudem zur Fre- quenzkontrolle bei tachyarrhythmischem Vorhofflimmern indiziert (29). Heutige Leitsubstanzen und damit Mittel der ersten Wahl für diese Indikationen sind die ACE-Inhibitoren sowie die AT1- Antagonisten, so dass von Seiten der Ärzte nur noch wenige Neueinstellungen mit Herz- glykosiden vorgenommen werden (29). Die ACE-Inhibitoren und AT1-Antagonisten sind gerade im Alter wegen einer häufig bestehenden chronischen Herzinsuffizienz und / oder Hypertonie sowie bei diabetischer Nephropathie viel versprechend einzusetzende Substanzen. Sie beein- flussen das lokale Renin-Angiotensin-Aldosteron-System in den Gefäßen und am Herzen.
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5
Glycer oltrinitrat
Digitoxin
Isosorb iddi
nitrat
Acetyldigox in
Isosor bidm
onon itrat
Versicherte je 100 VJ
2004 2005 2006
Abb. 9: Verordnungshäufigkeit von Kardiaka bei Versicherten älter 60 Jahre
Die Verordnungshäufigkeit von Herzglykosiden und vor allem der NO-Donatoren (Glyceroltri- nitrat, Isosorbiddinitrat, -mononitrat) sind bei den Versicherten älter als 60 Jahre ebenfalls deutlich rückläufig (Abb. 9). Die Indikation dieser Wirkstoffe ist die Koronare Herz-Krankheit (KHK) und die Behandlung der Angina pectoris.
Andere Leitsubstanzen statt der Herzglykoside sind in der heutigen Zeit die Regel (29). Das bedeutet, dass nur die Patienten, die auf diese Wirkstoffe vor langer Zeit eingestellt worden sind und auf andere Wirkstoffe weniger gut ansprechen, noch mit diesen therapiert werden.
Neueinstellungen sind daher die Ausnahme.
3.4.2 ACE-Inhibitoren
Die Verordnungshäufigkeit der ACE-Inhibitoren steigert sich über die Jahre 2004 bis 2006 auf mehr als 20% (Abb. 10). Eine langjährige Unterversorgung bei Hypertonie (30,25), Herzinsuffi-
CAGR = - 4,2%
- 5% - 12,8%
- 11,9%
- 15,1%
dem Alter ist ein Blutdruckanstieg immer wahrscheinlicher (25). Ein chronischer Hypertonus ist normalerweise ohne Symptome. Oftmals wird dieser gar nicht erkannt und somit nicht behan- delt, nur selten kommt es zu akuten Beschwerden. Damit ist die Hypertonie eine latente Ge- fahr unserer Bevölkerung. Über die Hälfte der Patienten ist und wird nicht diagnostiziert. Von den 20 Millionen diagnostizierten Hypertonikern werden insgesamt schätzungsweise nur 10 bis 20% richtig mit zwei bis vier verschiedenen Wirkstoffen therapiert (32). Die Auswahl der Wirkstoffe erfolgt bei jedem Versicherten individuell, um spezifisch organprotektive Wirkungen der Antihypertensiva wie bei den ACE-Inhibitoren gezielt auf die Nieren ausnutzen zu können.
Problematisch ist diese Wirkstoffgruppe allerdings, da Fehldosierungen und -kombinationen zu Nierenschäden führen können (siehe auch 6.1.2.2).
Die Vermeidung schwerwiegender Folgeerkrankungen durch das generelle Bewusstsein um die Blutdruckproblematik und eine konsequente leitliniengerechte Therapie (Stand 2008) mit unter anderem ACE-Inhibitoren unter der Mitbehandlung weiterer Risikofaktoren sind anzustre- ben (29). Eine routinemäßige Aufklärung der Risikogruppen wie Diabetiker, Raucher, Adipöse und Nierenkranke über ihre Gefährdung sollte durch die Hausärzte erfolgen. Zudem gibt es eine zunehmende Therapienotwendigkeit von Hypertonie auch schon bei Kindern (33).
Als Handlungsstrategie der KKH kann die Einführung einer Hypertonieschulung im Versor- gungsmanagement für hochdruckkranke Patienten etabliert werden. Der informierte Patient wird damit aktiv in das Behandlungskonzept mit einbezogen.
0 10 20 30 40 50 60 70
Herzglykoside
ACE-Inhibitoren Diuretika
Metoclopr am
id Allop
urinol
NSAR Benzodi
azepine Antidep
ressiva
Statine PP
I
Verordnungshäufigkeit nach DDDs in Mio.
2004 2005 2006
Abb. 10: Verordnungshäufigkeit der problematischen Wirkstoffgruppe „ACE-Inhibitoren“
CAGR = + 22,6%
0 1 2 3 4 5 6 7 8
Ramipril Enalapril Lisinopril Candesartan Captopril
Versicherte je 100 VJ
2004 2005 2006
Abb. 11: Verordnungshäufigkeit von ACE-Inhibitoren bei Versicherten älter als 60 Jahre
0 1 2 3 4 5 6 7 8
Ramipril undHydrochlorothiazid Valsartan undDiuretika Candesartan undDiuretika Enalapril undDiuretika Captopril undDiuretika Ramipril undDiuretika
Versicherte je 100 VJ
2004 2005 2006
Abb. 12: Verordnungshäufigkeit von Kombinationspräparaten aus ACE-Inhibitor / AT1-
CAGR = - 3,9%
- 3,6%
+ 15,9%
- 18,2%
+ 32,5%
+ 10,5% + 10% + 8% - 14,2% - 65,9%
die pharmakokinetisch ungünstigeren Wirkstoffe wie Captopril und Enalapril immer mehr an Bedeutung (Abb. 11).
ACE-Inhibitoren sind eine klassische Wirkstoffgruppe zur Therapie bei Alterskrankheiten (Abb.
13 bis 16). Die Verordnungshäufigkeit je 100 Versichertenjahre steigt mit zunehmendem Alter sowohl für die männlichen als auch für die weiblichen Versicherten an. Sehr deutlich wird in den Abb. 13 bis 16, dass bei den Wirkstoffen Captopril und Enalapril aufgrund der geringeren Wirkdauer (8 bis 10 Stunden) eine Dosierung zwei- bis dreimal notwendig ist, Ramipril dage- gen nur einmal täglich mit einer Wirkdauer von 24 Stunden dosiert werden muss. Ramipril ist damit gerade für die älteren und alten Versicherten mit einer Polymedikation sehr Compliance- fördernd.
Männer < 64 Jahre
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6 1,8 2
Benazepril Captopril Enalapril Lisinopril Quinapril Ramipril
Versicherte je 100 Versichertenjahre
2004 2005 2006
Abb. 13: Verordnungshäufigkeit der ACE-Inhibitoren bei den Männern jünger 64 Jahre
0 2 4 6 8 10 12 14
Benazepril Captopril Enalapril Lisinopril Quinapril Ramipril
Versicherte je 100 Versichertenjahre
2004 2005 2006
Abb. 14: Verordnungshäufigkeit der ACE-Inhibitoren bei den Männern älter 85 Jahre
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6 1,8 2
Benazepril Captopril Enalapril Lisinopril Quinapril Ramipril
Versicherte je 100 Versichertenjahre
2004 2005 2006
Abb. 15: Verordnungshäufigkeit der ACE-Inhibitoren bei den Frauen jünger 64 Jahre
0 2 4 6 8 10 12 14
Benazepril Captopril Enalapril Lisinopril Quinapril Ramipril
Versicherte je 100 Versichertenjahre
2004 2005 2006
Abb. 16: Verordnungshäufigkeit der ACE-Inhibitoren bei den Frauen älter 85 Jahre
3.4.3 Benzodiazepine
Die KKH verzeichnet bei der problematischen Wirkstoffgruppe „Benzodiazepine“ (siehe auch