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Archiv "Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs: Mistellektin-1-normierte Viscumtherapie" (16.11.2001)

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A

A3036 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 46½½16. November 2001

D

ie Zahl kontrollierter Studien, die zu Prävalenz, Kosten und Be- weggründen für die Wahl kom- plementärmedizinischer Behandlungs- methoden bei Tumorerkrankungen durchgeführt werden, ist im Vergleich zur Vielzahl der Publikationen sehr gering. Dennoch besitzen unkonven- tionelle Therapiekonzepte weltweit, vor allem aber in den hoch entwickel- ten Industrieländern Europas sowie den Vereinigten Staaten von Amerika eine hohe Popularität (10, 14, 36). Die derzeitige Beliebtheit der Komple- mentärmedizin ist, nach der Ansicht von E. Ernst (1998), eine ernst zu neh- mende Kritik am heutigen Medizinbe- trieb: Enttäuschte und verzweifelte Pa- tienten wenden sich dorthin, wo es (ver- meintlich) Hoffnung und Verständnis gibt (12).

Von den zahlreichen unkonventio- nellen Methoden, die bei der Krebs- bekämpfung eingesetzt werden, nimmt die Behandlung mit Mistelextrakten aufgrund historischer Entwicklungen vor allem in der Schweiz und in Deutschland eine herausragende Stel-

lung ein (18, 28). Wissenschaftliche Beweise für den Effekt einer Therapie mit Viscumextrakt bei einer definier- ten Tumorentität fehlen bis zum heuti-

gen Zeitpunkt (13). Dabei liegen fast 1 000 Publikatio- nen vor, die Viscumextrakte oder deren Inhaltsstoffe be- treffen und die in sechs re- levanten medizinischen Da- tenbanken gefunden werden können.

Die weitaus größte Zahl der Publikationen, die die Be- handlung mit Viscumextrak- ten oder deren Inhaltsstoffen zum Thema haben, beinhaltet Untersuchungen aus dem Be- reich der Grundlagenfor- schung. Die Zahl kontrollier- ter klinischer Studien, die Re- zidiv- und Überlebensrate als Zielkriterium behandeln, ist seit der 1994 erstellten Übersicht von Kleijnen und Knipschild (29) kaum gestiegen.

Die Gesamtkosten für Mistelex- trakte werden in Deutschland auf cir- ca 70 bis 80 Millionen DM jährlich ge- schätzt. Exakte Angaben liegen nur für Präparate von drei Herstellern vor, da deren Umsatz sozioökonomisch re- levant erscheint (22). ✁

Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs

Mistellektin-1-normierte Viscumtherapie

Zusammenfassung

Im Rahmen einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Multicenterstudie bei Patienten mit resektablen Kopf-Hals-Plattenepithelkarzi- nomen, bei denen der Einfluss einer adjuvanten ML-1-normierten Mistelextrakttherapie (Eurixor) auf die rezidivfreie Überlebensrate überprüft werden sollte, wurden 495 Patienten rando- misiert und 477 entsprechend dem Studien- protokoll behandelt. Patienten der Therapie- gruppen erhielten neben der Operation und ge- gebenenfalls Radiatio über 60 Wochen lang zweimal pro Woche subkutane Injektionen des Extraktes (1 ng ML-1 pro kg KG) in Therapiezy- klen von drei Monaten und vier Wochen Thera- piepause. Weder bezüglich des krankheitsfreien Überlebens, der krankheitsspezifischen Überle- bensrate, hinsichtlich ausgewählter Immunpara- meter oder der Lebensqualität konnte nach einer medianen Nachbeobachtung von 40 Monaten ein signifikanter Unterschied in den Vergleichs-

gruppen gefunden werden. Aus der Untersu- chung können weder Rückschlüsse auf andere Tumorentitäten noch auf andere Viscumextrakte oder Dosierungen gezogen werden.

Schlüsselwörter: ML-1-normierter Mistelex- trakt, adjuvante Therapie, Kopf-Hals-Platten- epithelkarzinom, krankheitsfreie Überlebens- rate

Summary

ML-1 Standardized Mistletoe Treatment in Patients with Head and Neck Squamous Cell Carcinoma

A prospective, randomized, multicentre trial in patients with head and neck squamous cell carci- noma was conducted. A total of 495 patients were enrolled to undergo either surgery with or without adjuvant mistletoe treatment or surgery and radiotherapy with or without adjuvant

mistletoe treatment. Patients who were ran- domly but unblinded assigned to the adjuvant mistletoe treatment received subcutaneous in- jections of a mistletoe lectin-1 (ML-1) standardiz- ed mistletoe extract (1 ng ML-1 per kilogram of body weight twice a week over one year, in treatment cycles of three months followed by a break of four weeks). The median follow up after enrollment was 40 months. In the main analysis based on 477 patients (202 treated with surgery, 275 treated with surgery and radiotherapy) no statistically significant differences in the disease free survival, in the overall survival, in defined immune parameters or quality of life parameters could be detected. Further controlled clinical trials concerning other cancers have to clarify the mistletoe efficacy.

Key words: ML-1 standardized mistletoe pre- paration, adjuvant treatment modality, head and neck squamous cell carcinoma, disease free survival

1 Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Arnold), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

2Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Albrecht Neiß), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

Miriam Katharina Steuer-Vogt

1

Viktor Bonkowsky

1

Michael Scholz

2

Wolfgang Arnold

1

(2)

´ Tabelle 1CC´

Registrierte Mistelextrakte auf dem deutschen Arzneimittelmarkt

Handelsname Wirtsbaum Firma/Zulassung Lektingehalte (8, 25, 31, 35, 41, 48, 51)*1

1 ABNOBA viscum Abietis*1 Tanne Abnoba Heilmittel GmbH/1972 n.b.*2

2 ABNOBA viscum Aceris*1 Ahorn n.b.

3 ABNOBA viscum Amygdali*1 Mandelbaum Stufe 2 – 3 000 ng Lektin/ml

4 ABNOBA viscum Betulae*1 Birke n.b.

5 ABNOBA viscum Crataegi*1 Weißdorn n.b.

6 ABNOBA viscum Fraxini*1 Esche Verd. Stufe 2 – 10 700 ng Lektin/ml

7 ABNOBA viscum Mali*1 Apfelbaum Verd. Stufe 2 – 6 000 mg Lektin/ml; Verd. Stufe 3 –

1 000 mg Lektin/ml; enthält nur wenig ML-1, v.a. ML-2/3

8 ABNOBA viscum Pini*1 Kiefer Verd. Stufe 2 – 300 ng Lektin/ml; 50 mal weniger

Gesamtlektin als Quercus; enthält nur ML-2/3

9 ABNOBA viscum Quercus*1 Eiche Verd. Stufe 2 – 8 500 ng Lektin/ml; Gesamtlektingehalt 7 000 ng/ml

10 Cefalektin*3 Apfel Cefak KG/1999 n.b.

11 Eurixor*3 Pappel Biosyn Arzneimittel GmbH/1990 70 ng ML-1/ml Extrakt (Biosyn Arzneimittel GmbH) 12 Helixor A*1 Tanne Helixor Heilmittel GmbH 50 mg – 4 400 ng Lektin/ml; 100 mg – 2 600 ng

& Co./1982 Lektin/ml; 650 – 6 400 ng Mistellektine/ml

13 Helixor M*1 Apfelbaum 20 mg – 230 ng Lektin/ml; 30 mg – 675 ng Lektin/ml

50 mg – 1 040 – 4 050 ng Lektin/ml; 100 mg – 1500 ng Lektin/ml; enthält nur ML-2/3 5 200 ng Gesamtlektin/ml

14 Helixor P*1 Kiefer 50 mg – 50 ng Lektin/ml; 100 mg – 2 000 – 6 400 ng

Lektin/ml; enthält nur ML-2/3 8 500 ng Gesamtlektin/ml 15 Iscador M*1 Apfelbaum Weleda AG/ca. 1930 402 ng Lektin/ml; enthält nur ML-2/3; Iscador 5%; 145 – 920 ng

Gesamtlektin/ml, 580 ng Gesamtklektin/ml

16 Iscador P*1 Kiefer 8 ng Lektin/ml; 2 ng ML-2/ml, enthält keine Mistellektine (ML-1,2, 3)

17 Iscador Qu*1 Eiche 565 ng Lektin/ml; 5% – 400 ng Lektin/ml, 866 ng Gesamtlektin/ml

18 Iscador U*1 Ulme n.b.

19 Isucin Mali*1 Apfelbaum Wala-Heilmittel GmbH ca. 1960 n.b.

20 Isucin Quercus*1 Eiche n.b.

21 Isucin Pini*1 Kiefer n.b.

22 Isucin Tiliae*1 Linde n.b.

23 Isucin Crataegi*1 Weißdorn n.b.

24 Isucin Abietis*1 Tanne n.b.

25 Isucin Salicis*1 Weide n.b.

26 Isucin Populi*1 Pappel n.b.

27 Lektinol L*3 Pappel Madaus AG/1996 ML-1 normierter wässriger Extrakt [15 ng

ML-1/0,5 ml Extrakt] (Madaus AG)

28 Vysorel A*4 Tanne Novipharm GmbH 1983 n.b.

29 Vysorel M*4 Apfelbaum Stärke 24 – 12 ng Lektin/ml; Stärke 36 – 16 ng Lektin/ml

Stärke 60 – 750 ng Lektin/ml

30 Vysorel P*4 Kiefer n.b.

*1Anthroposophische Monographie; *2n.b. = nicht bekannt/publiziert; *3Phytotherapeutische Monographie; *4Entzug der Zulassung zum 1. Juli 2000,

*5weitere Verdünnungsstufen als die angeführten sind der Roten Liste zu entnehmen

(3)

Heterogenität der Mistelpräparate

Bis Juli 2000 waren auf dem deutschen Arzneimittelmarkt 30 Viscumextrakte von acht Herstellern verfügbar (Tabelle 1), die als Vielgemischsubstanzen teil- weise sehr unterschiedliche und größ- tenteils unbekannte Zusammensetzun- gen aufwiesen (Tabelle 2). Diese rühren sowohl vom Wirtsbaum, vom Zeitpunkt der Ernte als auch von differenten Her- stellungsverfahren her (48).

Zwei unterschiedliche Denkansätze existieren innerhalb der Misteltherapie (46). Zum einen wurde und wird postu- liert, dass nur die jeweilige Gesamtkom- position des nativen Wirkstoffgemi- sches eine positive Wirkung beim Tu- morpatienten entfalten kann, auf der anderen Seite wurde das Hauptmistel- lektin ML-1, welches identisch ist mit dem Viscum album L. Agglutinin 1 (VAA-1), als wirksamkeitsbestimmen- de Substanz im Gesamtextrakt defi- niert.

Bei den verschiedenen Viscumex- trakten besteht keine Phytoäquivalenz, kein einziges Präparat eines Herstellers ist mit dem eines anderen identisch.

Deshalb sollte bei Untersuchungen mit Mistelextrakten stets der Handelsname unter Einschluss der Wirtspflanze ange- geben werden, da die Mittel der ver- schiedenen Hersteller nicht gegenein- ander austauschbar sind (11). So umge- ben bei einem Hersteller Vesikel die Wirkstoffe, wässrige Auszüge zeigen unterschiedliche Konzentrationen der Extrakte oder die Angabe der Konzen- tration erfolgt durch Angabe der Frisch- pflanzenmenge. Teilweise werden fer- mentierte Auszüge basierend auf einer Milchsäuregärung verwandt oder aber der Saft von acht Wirtsbäumen unter Wärmeeinwirkung und Mischung zu ei- nem Präparat verarbeitet. Bei einem Hersteller wird die biologische Akti- vität anhand der Wirkung des Präpara- tes an Zellkulturen bestimmt, bei einem anderen wiederum werden die Präpara- te auf den Viscotoxingehalt standardi- siert.

Im phytochemischen Bereich wird in- nerhalb der Europäischen Union zwi- schen normieren und standardisieren unterschieden. Ist bei dem Phytothera- peutikum eine wirksamkeitsbestim-

mende Substanz bekannt, so erfolgt ei- ne Einstellung (Normierung) auf einen festgelegten Normwert (entspricht dem Wirkstoffgehalt), um eine gleichblei- bende Wirkung zu erzielen. Es kommt hier darauf an, eine ausreichende Men- ge der Wirksubstanz zu rezeptieren (be- zogen auf Mistelextrakte beispielsweise ML-1) und nicht eine definierte Menge an nativem Extrakt, um die pharmako- logische Wirkung zu erzielen. Bei Dro- genzubereitungen ohne wirksamkeits- bestimmende Substanzen ist der gesam- te Anteil des nativen Extraktes maßge- bend und qualitätsbestimmend, eine Normierung auf einen Inhaltsstoff kann nicht erfolgen. Die Standardisierung er- gibt sich aus der Spezifikation der Ex- traktzubereitung, des so genannten Standards, der reproduzierbar erreicht werden muss. Das Verhältnis von nati- vem Extrakt zu technischen Hilfsmit- teln muss bei allen Chargen konstant bleiben (17).

Zwischenzeitlich wurden sowohl die Aminosäurensequenz als auch die drei- dimensionale Struktur des Mistellektins ML-1 beschrieben (39, 40, 45). Auch re- kombinant hergestelltes ML-1 (rML-1)

steht für Forschungszwecke bereits zur Verfügung (38). Dieses müsste aller- dings sämtliche gesetzlich vorgeschrie- benen Bedingungen erfüllen, um als Arzneimittel registriert werden zu kön- nen, da es nun – chemisch klar definiert – nicht mehr zu den Phytotherapeutika zählt. Eine solche Zulassung würde zwi- schen 300 und 500 Millionen DM ko- sten.

Lektin-normierter Extrakt als Immunmodulator

1990 war das erste Viscumpräparat zu- gelassen worden, welches entsprechend den Untersuchungen von Gabius (16), auf ML-1 normiert war (1). Da ML-1 als der wirksamkeitsbestimmende Inhalts- stoff angesehen wurde (5, 20, 21), muss hier pharmakologisch von einer Nor- mierung und nicht von einer Standardi- sierung gesprochen werden (17).

Der ML-1-normierte Mistelextrakt war aus folgenden Gründen für den Ein- satz bei den Kopf-Hals-Tumorpatienten mit bekannter Immunsuppression (19, 49, 50) ausgewählt worden: Sowohl In- A

A3040 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 46½½16. November 2001

´ Tabelle 2CC´

Hauptinhaltsstoffe von Mistelextrakten

Strukturtypen Verbindungen

niedermolekulare Verbindungen

Sterine, Triterpene b-Sitosterin, b-Amyrin (a-Viscol), Oleanolsäure Flavonoide Mono-, Di-, Trimethylether des Quercetins;

zum Teil als Glycoside

Aminosäuren c-Aminobuttersäure, Valin, Leucin, Arginin, Asparagin u. a.

Amine Cholin, Acetylcholin, b-Phenylamin, Tyramin, Histamin Zuckeralkohole Mannit, Inosit

Pflanzensäuren Kaffee-, Vanillin-, Sinapin-, Ferula-, Syrings-, Protocatechusäure, Gentisin-, Shikimi-, Anissäure Phenylpropanderivat Syringin

hochmolekulare Verbindungen Polypeptide

( Molekulargewicht ca. 5 000 Da)Viscotoxine A1, A2, A3, B, 1-Ps, U-PS Polysaccharide Pektine, Arabinogalaktan

Glykoproteine Lektine (ML-1, ML-2, ML-3, VisalbCBA) modifiziert nach (47)

(4)

vitro- als auch In-vivo-Untersuchungen sowie klinische Anwendungsbeobach- tungen wiesen auf die immunologi- sche/antitumoröse Aktivität von ML-1 beziehungsweise Eurixor hin. Hierbei wurde in den klinischen Studien vorwie- gend Eurixor, im Tierversuch vorwie- gend ML-1 untersucht. Um im Vielstoff- gemisch die Wirkung auf das Lektin zurückführen zu können, wurden Ver- suche bei Mäusen als auch bei freiwilli- gen Probanden mit Extrakten ohne Lektin durchgeführt, wobei sich in letz- teren die ML-1-spezifischen immunolo- gischen Wirkungen nicht zeigten (5, 21).

Es wurde nachgewiesen, dass ML-1 die

Aktivität des unspezifischen Immunsy- stems steigerte (21), bei Mammakarzi- nompatientinnen stieg die Zahl defi- nierter Lymphozytensubpopulationen unter der Therapie (6, 23), ML-1 führte zu einer Erhöhung der CD8+-Zellzyto- toxizität (2), die Sekretion von TNF-a wurde induziert (30). Untersuchungen mit Eurixor zeigten eine transiente Frei- setzung von Interleukin 1 (IL-1), eine länger andauernde IL-2-Sekretion, aber keine Induktion von IL-6 (4). Im Tier- versuch wurde eine Hemmung der Me- tastasierung nachgewiesen (7).

Die Wahl des Mistelextraktes für die vorliegende prospektiv geplante Studie

fiel auf Eurixor, da es das am besten definierte, normierte und untersuchte Präparat darstellte und positive Wir- kungen bei seiner Anwendung am wahrscheinlichsten erschienen.

Studiendesign

1992 wurde zusammen mit dem Institut für Medizinische Statistik und Epide- miologie der Technischen Universität München eine multizentrische Studie bei Kopf-Hals-Plattenepithelkarzino- men zur Bewertung einer adjuvanten Misteltherapie geplant (44). Sie setzte

sich aus insgesamt vier Behandlungsar- men zusammen, wobei Patienten, die ausschließlich operativ versorgt wur- den, als auch Patienten, die eine post- operative Radiatio erhielten, ab 1993 in die Gruppen mit und ohne Mistelthera- pie randomisiert wurden. Die behan- delnden Ärzte hatten keinen Zugang zu den Randomisierungslisten. Die erfor- derlichen gesetzlichen Rahmenbedin- gungen für die Durchführung einer kon- trollierten klinischen Studie (32) mit Genehmigung durch die Ethikkommis- sion, Patientenaufklärung, Einverständ- niserklärung und Abschluss einer Pati- entenversicherung waren erfüllt.

Adjuvante Viscumtherapie

Mit den Eurixor-Injektionen (70 ng ML- 1 in 1 ml ML-1-normiertem Extrakt für die Dauer von 60 Monaten mit vier- wöchigen Injektionspausen nach jeweils drei Monaten in den Wochen 12 bis 16, 28 bis 32 und 44 bis 48) wurde entspre- chend der Randomisierung nach histo- logischer Bestätigung und Festlegung der cTNM-Klassifikation begonnen. Pa- tienten der Kontrollgruppen erhielten keine additive Viscumtherapie, die Be- handlung war ansonsten identisch. Auf die Injektion eines Placebopräparates wurde nach Rücksprache mit der Ethik- kommission verzichtet. Gründe hierfür waren zum einen die bekannten Neben- wirkungen von Eurixor vor allem zu Therapiebeginn. Zum anderen erschien die Wahrscheinlichkeit, dass Rezidiv- rate und Überlebenszeit von den Injek- tionen wesentlich beeinflusst würden, vernachlässigbar klein zu sein. Die Tu- mornachsorge im Rahmen der Studien erfolgte bis Woche 252 innerhalb der onkologischen Sprechstunden der vier teilnehmenden Universitäts-HNO-Kli- niken, die Injektionen wurden von den mitbetreuenden Haus- oder HNO-Ärz- ten vorgenommen.

Studienergebnisse

Zwischen September 1993 und Januar 1997 wurden 588 Patienten an vier HNO-Universitätskliniken registriert;

477 Patienten erhielten eine Therapie innerhalb der Studie (Grafik 1; 202 Pati- enten, die ausschließlich operativ ver- sorgt wurden [105/97; ohne/mit Eu- rixor], 275 Patienten, die operativ und radiotherapeutisch behandelt wurden [137/138; ohne/mit Eurixor]. Das Durchschnittsalter betrug im Median 56 Jahre [29 bis 70], die Geschlechtsvertei- lung weiblich/männlich betrug 8 Pro- zent/92 Prozent. 185 [95/90; ohne/mit Eurixor] Larynx-, 136 [68/68] Oro- pharynx-, 78 [39/32] Mundhöhlen- und 78 [40/38] Hypopharynxkarzinome wur- den eingeschlossen [UICC 1992: I (n = 103), II (n = 95), III (n = 82), IV (n = 197)] (24). Auch bezogen auf die Größe der Primärtumoren, die regio- näre Halslymphknotenmetastasierung und den Resektionsstatus fand sich in Grafik 1

Anzahl der registrierten Patienten im Zeitraum von September 1993 bis Januar 1997

(5)

den beiden jeweiligen Gruppen (mit und ohne Misteltherapie) eine ausgewo- gene Verteilung als Zeichen einer nicht beeinflussten externen Randomisie- rung.

Tabelle 3enthält die Inzidenz der on- kologischen Ereignisse (lokale/lokore- gionäre Rezidive, Zweitkarzinome so- wie Fernmetastasen) nach einer me- dianen Nachbeobachtungszeit von vier Jahren. Die Grafik 2zeigt die nach Ka- plan-Meier geschätzte kumulative „Re- zidivfreiheitsrate“, die das Hauptziel- kriterium darstellte. Zum Zeitpunkt der Endauswertung bestand kein signifi- kanter Unterschied zwischen den 242 Patienten ohne komplementäre Thera- pie und den 235 mit Eurixor behan- delten Patienten (Log-rank-Test, a-Ad- justierung nach O`Brien, Fleming, In- tention-to-treat-Analyse) (43). Im Pa- tientenkollektiv der Autoren wurden in 33 Prozent tumorbedingte, in zwei Prozent nicht tumorbedingte Todesfäl- le registriert. Die Verteilung der onko- logischen Ereignisse dieser Untersu- chung deckt sich mit Daten aus der Literatur (9, 26, 37), wobei berücksich-

tigt werden muss, dass in der vorliegen- den Studie nur Erstereignisse registriert wurden und inoperable Tumoren nicht eingeschlossen wurden.

Neben einer fehlenden Beeinflus- sung der krankheitsfreien Überlebens- rate fanden sich weder Veränderungen definierter zellulärer Immunparameter noch der Lebensqualität, gemessen mit dem EORTC-QLQ-C30-Instrument (42). Dieses wurde jedem Patienten ent- sprechend dem Rhythmus der Injekti- onszyklen und Pausen über drei Jahre insgesamt 18-mal vorgelegt (Publikatio- nen in Vorbereitung). Bisher wurde in keiner klinischen Studie mit Viscumex- trakten dieses EORTC-Instrument an- gewandt.

Lokale und systemische Nebenwirkungen

Bei 43 Prozent der Patienten wurden am Ende der ersten Therapiewoche vorwie- gend lokale, seltener systemische Neben- wirkungen beobachtet, die kontinuier- lich mit Dauer der Injektionen abnah-

men (43). Die durch Eurixor bedingte Abbruchrate lag bei 18,3 Prozent. Insge- samt war die Therapie gut verträglich und eignete sich für die ambulante The- rapie oder Selbstmedikation. Generali- sierte Nebenwirkungen in Form eines anaphylaktischen Schocks, wie sie kürz- lich bei einem Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom beschrieben wurden (15), konnten nicht beobachtet werden.

Bei subkutaner Anwendung der be- schriebenen ML-1-Dosierung im Nano- grammbereich konnte durch Untersu- chung von 19 Laborparametern eine sy- stemische Toxizität ausgeschlossen wer- den (42).

Auswahl der Dosierung und des Behandlungszeitraums

In der Auswahl der Dosierung, die eine Immunstimulierung bewirken soll (0,5 und 1 ng ML-1/kg KG), wurde den in der Literatur beschriebenen Angaben gefolgt (3, 21). Das in der Studie einge- setzte Präparat Eurixor enthält in 1 ml Injektionslösung 70 ng ML-1, sodass ei- A

A3044 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 46½½16. November 2001

´ Tabelle 3C´

Inzidenz von Rezidiven, Zweitkarzinomen, Fernmetastasen und Todesfällen bei einem medianen Follow-up von vier Jahren

Operation Operation OP + Radiatio OP + Radiatio

Gesamtzahl Kontrollgruppe Mistelgruppe Kontrollgruppe Mistelgruppe

(n = 477) (n = 105) (n = 97) (n = 137) (n = 138)

n (%) n (%) n (%) n (%) n (%)

Gesamtzahl der Ereignisse 200 (42)35 (33)24 (25)66 (48)75 (54)

Rezidive*1 118 (25)23 (22)14 (14)32 (23)49 (36)

Lokales Rezidiv 97 16 13 25 43

einseitig 23 7 2 7 7

beidseitig 26 4 0 9 13

Fernmetastasen*1 57 (12)3 (3) 2 (2)30 (22)22 (16)

Lunge 36 3 1 17 15

Knochen 16 0 0 9 7

Leber 12 0 1 8 3

Gehirn 6 0 0 2 4

Andere Organe*2 6 0 0 4 2

Zweitkarzinom*1 46 (10)10 (10)9 (9)15 (11)12 (9)

Lunge 18 4 4 6 4

Kopf-Hals-Region*3 17 4 4 5 4

Ösophagus 13 3 1 5 4

Pankreas 2 1 0 0 1

Tod 167 (35)21 (20)16 (16)59 (43)71 (51)

Tod durch Karzinom 157 (33)20 (19)14 (14)54 (39)69 (50)

*1Patienten mit simultan aufgetretenen Rezidiven sind in dieser Tabelle eingeschlossen; *2Haut, Niere, Chorioidea, Mediastinum, Peritoneum; *3Mundhöhle, Oropharynx, Hypopharynx, Larynx.

(6)

ne Dosierung von 1 ng ML-1/kg KG ein- gesetzt wurde. Mittlerweile ist seit 1996 Lektinol als zweiter ML-1-normierter Pappelmistelextrakt zugelassen, der sich von Eurixor lediglich in einer nied- rigeren ML-1-Konzentration unter- scheidet (Tabelle 1).

Ob bei Patienten mit Kopf-Hals-Kar- zinomen eine andere ML-1-Dosierung unter Umständen immunstimulierend/- modulierend wirkt, wurde bisher nicht untersucht. Es konnte zudem nachge- wiesen werden, dass in Ampullen der verwendeten Eurixor-Chargen nach Ablauf eines Jahres keine ML-1-Kon- zentrationsänderungen bei vorgeschrie- bener Aufbewahrung stattfinden (42).

Konsequenzen aus den Studienergebnissen

Für den Einsatz von Mistelextrakten wird unter dem Gesichtspunkt einer ganzheitlichen Behandlung bei Tumor- patienten geworben. Es wird suggeriert, dass der wachsende Einsatz dieser Präparate in der Behandlung maligner

Tumoren auf der Basis erfahrungsheil- kundlicher Erkenntnisse beruhe.

Im Förderzeitraum 1983 bis 1996 eta- blierte das Bundesministerium für Bil- dung, Wissenschaft, Forschung und Technologie den Förderschwerpunkt

„Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung“ (UMK) (27), um wissenschaftlich valide Untersuchun- gen zur Wirksamkeit dieser Verfahren zu ermöglichen. Von den insgesamt 23 geförderten Projekten betrafen sieben Forschungsvorhaben Viscumextrakte oder deren Inhaltsstoffe. Leider wur- den nur zwei Anträge zur Durch- führung von kontrollierten klinischen Studien eingereicht, da letztlich nur die- se bezüglich der Wirksamkeit einer Therapie aussagefähig sind. Mit der vorliegenden Endauswertung liegt die erste große kontrollierte klinische Stu- die zur adjuvanten Viscumtherapie vor.

Das zweite Projekt, eine adjuvante Pha- se-3-Studie beim Melanom, mit Lauf- zeit vom 01. August 1989 bis zum 31.

Dezember 1994 (BMBF-Förderkenn- zeichen 01 KB 8901/1) ist derzeit noch nicht publiziert.

Bei Kopf-Hals-Karzinomen zeigte der untersuchte Extrakt in der gewähl- ten Dosierung im Nanogrammbereich weder einen Einfluss auf das rezi- divfreie Überleben, noch auf die Fünf- Jahres-Überlebensrate, noch auf aus- gewählte zelluläre Immunparameter oder die Lebensqualität. Diese For- schungsergebnisse sollten nicht auf an- dere Tumorentitäten oder auf andere Mistelextrakte mit unterschiedlicher Zusammensetzung übertragen werden (11, 42). Angesichts der bekannten Im- munsuppression der geprüften Tumor- entität wäre zu untersuchen, ob höhere Dosierungen das Immunsystem stimu- lieren könnten. Allerdings darf von ei- ner nachgewiesenen immunmodulie- renden Wirkung bei einer Tumor- entität nicht zwingend auf einen sich auf die onkologische Erkrankung posi- tiv auswirkenden Nutzen geschlossen werden (33). Somit ist zu fordern, dass bei der großen Zahl von Grundlagen- untersuchungen mit positiven Ergeb- nissen weitere kontrollierte Studien in- itiiert und gefördert werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die vorlie- genden Ergebnisse diese auf streng wissenschaftlichen Regeln begründete vorurteilsfreie Forschung zum Wohle der Patienten entfachen, ohne dass ne- gative Ergebnisse unter dem Druck wirtschaftlicher Interessen verheim- licht werden.

Die vorliegende Studie wurde durch das Bundesministe- rium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Techno- logie (BMBF, Förderkennzeichen 01 KB 9304), die Wil- helm Sander-Stiftung (Förderkennzeichen 93054.1, 93054.2) sowie die Firma biosyn Arzneimittel GmbH ge- fördert. Die Durchführung der Studie erfolgte in den Kli- niken und Polikliniken für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der TU München, Klinikum rechts der Isar (Direktor:

Prof. Dr. W. Arnold) sowie der Universität Regensburg (Direktor: Prof. Dr. J. Strutz) und Göttingen (Direktor:

Prof. Dr. W. Steiner) sowie an der MH Hannover (Direk- tor: Prof. Dr. T. Lenarz).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 3036–3046 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. habil.

Miriam Katharina Steuer-Vogt

Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der TU München, Klinikum rechts der Isar Ismaningerstraße 22, 81675 München Grafik 2

Kaplan-Meier-Kurve der Ereignisse – Gesamtprojekt (nach Kaplan-Meier geschätzte kumulative „Re- zidivfreiheitsrate“)

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