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Archiv "Warum zeichnet ein Bildhauer?" (16.09.1983)

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vom 16. September 1983

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 37

Warum

zeichnet ein Bildhauer?

„Die Form wächst von innen heraus" — Auguste Rodin, Bildhauer (hier eins seiner bekanntesten Werke: Der Kuß) und, nebenbei, Zeichner Foto: Bruckmann/München

Auguste Rodin, 100 Zeichnun- gen und Aquarelle, Mit einem Essay „Rodins Zeichnungen aus seinen letzten zwanzig Jahren" von Claudie Judrin, Verlag Herder, Freiburg/Basel/

Wien, 1982, 26,2 x 35,5 cm, 224 Seiten, 100 Farbbilder, Leinen, bezogener" Schuber, 268 DM

Zeichnungen und Gemälde von Künstlern, deren Hauptausdrucksmittel ei- gentlich die Plastik ist, sind von besonderem Reiz.

Denn man meint oder ver- meint, bei diesen Bildern ein wenig hinter die Kulis- sen schauen zu können:

Wie findet ein Michelange- lo in einem gewöhnlichen vierkantigen Block Marmor einen David?

Michelangelo hat eine gan- ze Anzahl von Zeichnun- gen hinterlassen, aber sie sagen nichts über seine Bildhauerei; es sind Arbei- ten ganz für sich, ohne Zu- sammenhang mit seinem plastischen Werk. Das glei- che gilt von seinen Ölbil- dern und den berühmten Fresken. Den Zeichnungen sieht man die Hand eines Mannes, der Hammer und Meißel zu führen gewohnt war, überhaupt nicht an, sie sind von großer Zartheit und . vielfältigem linearen Detail. Was bei den Fres- ken eher schon an den Bildhauer erinnert, das ist ihre optische Dreidimen- sionalität: Die Propheten und Sybillen in der Sixtini- schen Kapelle hocken ge- radezu körperlich in ih- ren Bildfeldern, bisweilen glaubt man, schon Trom- pe-rceil-Technik zu sehen.

Warum also zeichnet ein Bildhauer? Diese Frage stellt sich auch bei der Sammlung von 100 Zeich- nungen —fast durchweg mit Wasserfarbe oder Gouache ergänzt —, die in einem Her- der-Band zusammenge- stellt sind, ausgewählt aus einer Kollektion im Musöe Rodin in Paris, die mehrere tausend Blätter umfaßt. Ro- dins bevorzugtes Plastik-

Material war die Bronze;

hier besteht die Technik nicht im Wegnehmen, son- dern im Aufbauen. Und hier würde man dann auch eher noch die Werksskizze, die Vorlage erwarten, die den gewünschten „Blick in die Werkstatt" erlaubt. Aber auch hier: Nichts derglei- chen. Auguste Rodin muß wie ein Besessener ge- zeichnet haben; es ist über- liefert, daß er oft zahlreiche Papierblätter in seinem Atelier um sich herum lie- gen hatte, auf denen er ar- beitete. Der größte Teil der Zeichnungen stellt Frauen dar, oft nach Modellen.

Der Kommentar der Mu- seumskuratorin Claudie Joudrin gibt zwar vielerlei sachdienliche Hinweise für die einzelnen Zeichnun- gen, auch manche Bezüge zu den Lebensereignissen, zu Rodins literarischen Be- ziehungen (er hat auch Bü- cher illustriert); vieles muß man sich allerdings aus mäßig übersetzter Schwär- merei heraussuchen. Aber wenn die Blätter nicht si- gniert wären, man käme nicht ohne weiteres darauf, sie dem Schöpfer des

„Kusses", der „Bürger von Calais" oder des „Balsac"

zuzuschreiben. Sie sind ganz leicht hingetupft, leichte Umrißlinien, oft auch korrigiert, in anderer) wieder eine Figur fast in ei- ner einzigen Linie darstel- lend. Farben sind grob dar- übergelegt, die Konturen übertretend oder auch nicht ausfüllend. Auf den Plastiker weist manchmal die Tatsache hin, daß trotz solch sparsamer Mittel Tie- fe in der Zeichnung ist, die Dreidimensionalität ist scheinbar mühelos sicht-

bar gemacht — dies ähnlich wie bei Michelangelos Sy- billen und Propheten.

Vielleicht ist es gerade der Kontrast zwischen der massiven Bronze und die- ser leichten Zeichenweise, die eine Antwort gibt: Der schöpferische Vorgang beim Herstellen einer Bron- zeplastik — zunächst die ei- gentliche Gestaltung, dann der umständliche Guß, schließlich die Nachbear- beitung — ist langwierig.

Ein Künstler mit überspru- delnder Phantasie, mit ständiger Neugierde nach Neuem, das er sehen und festhalten will, der muß für die langwierige und in ge- wissen Herstellungsab- schnitten auch langweilige Arbeit an der Bronzeplastik sich einen Ausgleich schaf- fen. Die Zeichnung als schnellste künstlerische Tätigkeit bietet sich dafür an. Und es kann so durch- aus ein eigenes, vom bild- haüerischen CEvre durch- aus abgesondertes Werk entstehen.

Dann aber wird es fraglich, ob der Betrachter oder gar der spätere Kunstwissen- schaftler an ein solches Werk die gleichen Maßstä- be und die gleichen Kate- gorien anwenden kann wie an den anderen Bereich.

Dies ist in dem Buch wohl zu stark geschehen; man sollte an die mit Bleistift hingeworfenen Titel und andere Bemerkungen nicht allzu Tiefsinniges anknüp- fen. Denn auch schon da- mals verlangten die Galeri- sten für ein in einer Aus- stellung zu zeigendes Bild einen Titel, und sicher hat sich auch Rodin damals schon über diese Forde- rung genauso lustig ge- macht wie der abstrakte Maler, der heute „Kompo- sition 17" auf den Rahmen schreibt.

Walter Burkart, Köln Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 37 vom 16. September 1983 119

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