Zum Beitrag von
Prof. Dr. med. Heinz Heidrich
MEDIZIN
1 Widersprüchliche Ergebnisse
H. Heidrich schreibt: „Ob hä- morheologische Parameter in der Differentialdiagnose des primären und sekundären Raynaud-Phäno- mens weiterhelfen, wie seit einigen Jahren behauptet wird, ist mit Vor- behalt zu sehen." Er nennt dazu kei- ne Quellen.
Im Rahmen meiner Arbeit habe ich die Literatur über dieses Thema bis 1985 ausgewertet. Dabei finden sich widersprüchliche Ergebnisse zu rheologischen Veränderungen beim Raynaud-Phänomen.
Es wurden jedoch in diesen Un- tersuchungen jeweils verschiedene Meßwerte unter verschiedenen La- borbedingungen bestimmt (Tempe- ratur, mit/ohne Kälteexposition), und die Untersuchungsgruppen waren oft gemischt aus Patienten mit und ohne diagnostizierter Grunderkrankung.
Aus diesen Untersuchungen kann man nicht den Schluß ziehen, daß hä- morheologische Parameter bei der Differentialdiagnose nicht helfen. In meiner Dissertation habe ich unter- sucht, ob sich Patienten mit primä- rem Raynaud-Syndrom und solche mit sekundärem Raynaud-Phänomen bei Kollagenosen in den rheo- logischen Parametern voneinander unterscheiden. Dazu wurden gemes- sen: Die Blut- und Plasmaviskosität, die relative Erythrozytenverformbar- keit, die Aggregationsgeschwindig- keit der Erythrozyten (t1/2) und die Scherfestigkeit der Erythrozytenag- gregate. Untersucht wurden zwölf Patienten mit primärem Raynaud- Syndrom, acht mit sekundärem Ray- naud-Phänomen und zwölf Kontroll- personen. Die Patienten wurden im Rahmen der angiologischen Ambu- lanz der TU München gründlich in- ternistisch, neurologisch, orthopä- disch und angiologisch untersucht.
Es zeigte sich folgendes Ergebnis:
1. Die Patienten mit sekundä- rem Raynaud-Phänomen hatten eine hochsignifikant höhere Scherfestig- keit der Erythrozytenaggregate und
DISKUSSION
eine signifikant höhere relative Blut- viskosität als die Kontrollgruppe.
2. Die Patienten mit primärem Raynaud-Syndrom, bei denen also keine Grundkrankheit zu diagnosti- zieren war, teilten sich in zwei deut- lich getrennte Gruppen. Sieben hat- ten normale Werte wie auch alle Kontrollpersonen. Fünf Patienten hatten jedoch eine stark erhöhte Scherfestigkeit der Erythrozytenag- gregate, vergleichbar mit den Werten der Kollagenosepatienten.
Diese Patienten befinden sich möglicherweise im Prodromalstadi- um einer Kollagenose, die anderwei- tig noch nicht zu diagnostizieren war.
Bei ihnen wird die kälteinduzierte Vasokonstriktion in ihrer Wirkung verstärkt und verlängert durch scher- feste Erythrozytenaggregate. Diese bilden sich im stark verlangsamten Blutfluß und führen zu einer weite- ren Flußverlangsamung im Sinne ei- ner positiven Rückkopplung. Sie fi- xieren einen einmal eingetretenen Strömungsstillstand, da zu ihrer Auf- lösung hohe Schergrade, das heißt viel Kraft, nötig sind.
Mir ist keine weitere Studie be- kannt, in der die prognostische Wer- tigkeit der Scherfestigkeit der Ery- throzytenaggregate untersucht wurde.
Diese Frage kann nur eine Längsschnittstudie beantworten.
Literatur:
Roland Ebner: Rheologische Untersuchungen bei primärem und sekundärem Raynaud-Syn- drom. Dissertation aus der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Technischen Univer- sität München, Direktor: Prof. Dr. Hans Blö- mer. München, 1987.
Dr. med. Roland Ebner Edenstetten 16
94505 Bernried
Schlußwort
1. Es ist in einer solchen Über- sichtsarbeit leider unmöglich, De- tailaussagen ausreichend mit Litera- turangaben zu belegen. Das gilt auch für das Verhalten hämorheologischer Parameter in der Differentialdiagno- se des primären und sekundären Raynaud-Syndroms. Zwischen 1985 und 1994 sind zirka 800 Publikatio- nen zum Raynaud-Syndrom erschie- nen, davon sechs zu hämorheologi- schen Untersuchungen (2, 3, 4, 5, 6, 7). Für die im Dezember-Heft des Deutschen Ärzteblattes vorgelegte Übersichtsdarstellung wurden 1 200 Publikationen berücksichtigt.
2. Die bis jetzt vorliegenden we- sentlichen Untersuchungen zur Hä- morheologie des Raynaud-Phäno- mens können deshalb nicht überzeu- gen, weil sie meßtechnisch oft nicht vergleichbar sind, offen lassen, nach welchen Kriterien die Zuordnung der Patienten zu einem primären, sekun- dären oder ätiologisch noch nicht einzuordnenden Raynaud-Syndrom erfolgte, die Zuordnungskriterien zu den verschiedenen Formen zum Teil überholt sind und in keiner Arbeit beispielsweise der Einfluß des Rau- chens und eines gleichzeitig beste- henden Diabetes mellitus sowie an- derer Erkrankungen aufgeführt wird, von denen bekannt ist, daß sie Visko- sitätsveränderungen induzieren. In vielen Arbeiten wurden nur solche Patienten in die Gruppe der „sekun- dären Raynaud-Syndrome" einge- ordnet, bei denen eine definierte Kollagenose bestand. Kollagenosen oder autoimmunologische Erkran- kungen führen über Anderungen der Serum-Eiweiße, des Fibrinogens, durch Kryoglobuline, Kälteagglutini- ne, Immunkomplexe und andere Faktoren zu hämorheologischen Ver- änderungen, die zunächst mit der Pathogenese des Raynaud-Syndroms nichts zu tun haben. Aus diesen in der Regel auch noch an minimalen Fallzahlen erhobenen Meßergebnis- sen wird dann global der Schluß ge- zogen, daß hämorheologische Para- meter zur Differenzierung primärer und sekundärer Raynaud-Syndrome verwendet werden können. Das ist aber nicht erlaubt, weil nur ein Teil der Erkrankungen, die zu einem se-
Das Raynaud-Syndrom
A-2254 (56) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994
kundären Raynaud-Syndrom führen, mit hämorheologischen Veränderun- gen einhergeht. Schließlich finden sich auch in der Gruppe sogenannter primärer Raynaud-Syndrome patho- logische hämorheologische V erände- rungen, wie das unter anderem durch die von Dr. Ebner unter Punkt 2 sei- ner Untersuchungsergebnisse deut- lich wird. Das ist das entscheidende differentialdiagnostische Leck.
3. Es ist daher in Übereinstim- mung mit Thulesius (6) der Vorbe- halt gegen den differentialdiagnosti- schen Wert hämorheologischer Para- meter beim Raynaud-Syndrom auf- rechtzuerhalten. Das erklärt mögli- cherweise auch, daß Creutzig (1) in einer publizierten Übersichtsarbeit hämorheologische Befunde in der Diagnostik des Raynaud-Phänomens unerwähnt läßt. Daß eine erhöhte Blutviskosität ein zusätzlicher Faktor in der Induktion vasospastischer At- tacken ist, steht außer Frage.
Literatur
1. Creutzig, A.: Diagnostik des Raynaud-Syn- droms. Dtsch. Med. Wschr. 118 (1993), 1449-1454
2. Jacobs, M. J. H. M., Slaaf, D. W., Lem- mens, H. A. J., Reneman, R. S.: Haemo- rheology and dynamic capillary microscopy.
VASA Suppt. 18 (1987), 28-31
3. Jacobs, M. J., Breslau, P. J., Slaaf, D. W., Reneman, R. S., Lemmens, J. A.: Nomen- clature of Raynaud's phenomenon: a capil- lary microscopic and hemorheologic study.
Surgery 101 (1987), 136-145
4. Runge, E., Thiele, P.: Die Vollblutviskosi- tät bei Patienten mit akralen arteriellen Durchblutungsstörungen und ihre Beein- flussung durch rheologisch wirksame Medi- kamente. I. Gesamte Inn. Med. 42 (1987), 137-141
5. Sakriss, U., Toussaint, Ch., Turowski, A., Schmit, H., Nieter, B.: Hämerheologie bei Patienten mit Raynaud-Phänomen - Dia- gnostik und Therapie mit Plasmapherese.
VASA Suppt. 32 (1991), 347-349
6. Thulesius, 0.: Pathophysiologie of Cold Hypersensitivity. In: Raynaud's Syndrome, Edt.: E. D. Cooke, A. N. Nicolaides, J. M.
Porter; Med-Orion Publishing Company, London, Los Angeles, Nicosia, 1991, p.
21-29
7. Wichers, G., Smit, A. J., van der Meer, J., Wouda, A. A., Halie, M. R.: Rheological Properties of Blood in Raynaud's Pheno- menon. lnt. J. Microcirc. Clin. Exp. 9 (1990), 321
Prof. Dr. med. Heinz Heidrich Chefarzt der Inneren Abteilung des Franziskus-Krankenhauses
Budapester Straße 15-19 10787 Berlin
DISKUSSION
Verordnung von
Medikamenten zur Behandlung
von Dyslipoproteinämien bei älteren Patienten
Zum Beitrag von
Prof. Dr. med. Peter Schwandt in Heft 27/1993
1 . Behandlung der
"Iife-styie-Risiken
11Der Beitrag von P. Schwandt spricht ein wichtiges Problem der Primärprävention an, konzentriert sich jedoch zu sehr auf die Rolle li- pidsenkender Medikamente. Hier sollte meines Erachtens unterschie- den werden zwischen genetisch/fami- liären Risiken, bei denen der Einsatz von Lipidsenkern unstrittig ist, und Patienten mit "Iife-style-Risiken", bei denen davon auszugehen ist, daß eine alleinige Behandlung mit Lipid- senkern ohne Kontrolle, eben der
"Iife-style-Risiken" wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel etc.
auch unter dem Aspekt einer Ko- sten-Nutzen-Analyse nur von zwei- felhaftem Erfolg sein kann. Dafür sprechen mehrere Gründe.
..,.. Patienten, die keine Compli- ance hinsichtlich einer Intervention ihrer "Iife-style-Risiken" zeigen, wer- den auch nur eingeschränkte Com- pliance für die medikamentöse The- rapie zeigen.
... Angesichts der Nebenwir- kungen werden schon nach Lesen der Packungsbeilage nur noch entspre- chend stark motivierte Patienten bei Primärprävention (also Behandlung noch klinisch gesunder Personen) zu einer Dauereinnahme eines solchen auf Prophylaxe abzielenden Präpara-
tes bereit sein. Diese Patienten sind jedoch sicherlich auch zu den ent- sprechenden Korrekturen ihrer Le- bensgewohnheiten zu veranlassen und benötigen dann unter Umstän- den gar keine zusätzliche medika- mentöse Behandlung .
..,.. Die Einnahme eines Medika- mentes mit meist harmlosen, aber häu- figen unerwünschten Nebenwirkun- gen von einer Personengruppe, bei der andere wichtige Risikofaktoren (wie Rauchen) nicht ausgeräumt sind, stellt nicht nur das Ziel der Primärprä- vention der Atherosklerose in Frage, sondern wird bei fraglichem Nutzen gleichzeitig eine nicht unbeträchtliche Zusatzmorbidität bescheren.
Sicher ist es richtig, die Indikati- on einer Therapie mit Lipidsenkern in Primärprävention und noch mehr in Sekundärprävention nicht von ei- ner Altersgrenze abhängig zu ma- chen, sondern eine individuelle Indi- kationsstellung zu treffen. Wenn in diese Indikationsstellung die Mitar- beit des Patienten hinsichtlich Re- duktion seiner "Iife-style-Risiken"
eingeht, ist dies meines Erachtens le- gitim und sinnvoll. Damit werden vor allem auch größere Anteile dieser Medikamente als bisher erst nach Wirtspassage entsorgt werden.
Priv.-Doz. Dr. H. K. Koch Arzt für Pathologie
Rosastraße 9 · 79012 Freiburg i. B.
2. Erfolg nicht bewiesen
Immer mehr Bundesbürger wer- den immer älter. Mit dem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, an A-2256 (58) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994