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:: WARUM DAS DENKEN STIRBT

Jülicher Forscher verfolgen neue Spuren im Fall Alzheimer :: Schwarzer Kohlenstoff: Der unterschätzte Klimafaktor

:: Fußgängersimulation: Probanden drängeln für die Wissenschaft

Das Magazin aus dem Forschungszentrum 03|2013

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:: IM BILDE

Eine Erdkugel, der gerade die Luft ausgeht? Mitnichten. Die blau eingefärbte Kugel misst etwa einen zwanzigstel Millimeter und besteht aus reinem Wolfram. Entstan- den ist sie in der Elektronenstrahltestanlage JUDITH. Jülicher Forscher setzen dar- in Werkstoffe hoher thermischer Belastung aus. Dabei kann sogar Wolfram – das Metall mit dem höchsten Schmelzpunkt aller Elemente – in Bruchteilen einer Milli- sekunde schmelzen und dann in bizarren Formen wieder erstarren. Die unter dem Rasterelektronenmikroskop erkennbaren „Kontinente“ zeigen, dass dabei offenbar kein einheitliches Kristallgerüst entsteht. Wolfram ist derzeit erste Wahl für einen Extremeinsatz: Es soll an besonders heiklen Stellen die Wand des künftigen Fusions- reaktors ITER auskleiden – und wird damit ein bis zu 100 Millionen Grad Celsius heißes Plasma ummanteln.

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INHALT

6 16 22

3 | 2013 Forschen in Jülich

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:: NACHRICHTEN 4

:: TITELTHEMA 6

6 Neue Verdächtige im Fall Alzheimer Heiße Spur bei der Fahndung nach den Ursachen

11 Was bringt eine Diagnose ohne Therapie?

Interview mit Prof. Dieter Sturma

:: FORSCHUNG IM ZENTRUM 12

12 Fernlaster: Motor aus – Brennstoffzelle ein Die saubere Energiequelle in der Fahrerkabine

14 Der unterschätzte Klimafaktor Rußpartikel gefährden Klima und Gesundheit

15 Auf dem Weg der Besserung Die arktische Ozonschicht erholt sich

16 MenschenmENGE

Probanden drängeln für die Wissenschaft

18 Reifen, Reibung und schlaue Rechnungen Computer berechnen die perfekte Mischung

20 Die Stimme als Türöffner

Wo das Gehirn unser Gegenüber beurteilt

:: SCHLUSSPUNKT 22

22 Forschen im Forst

Wissenschaftler begleiten Renaturierung in der Eifel 23 Impressum

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Ultraschnelle Pulse für Rechner der Zukunft

Daten zur Bodenfeuchte

verbessern Wettervorhersage

Brennstoffzelle mit Erfolg im Dauereinsatz

Institut für Bio- und Geowissenschaften | Vom Flugzeug aus haben Jülicher Forscher mit Partnern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Frühjahr die Bodenfeuchte im Rureinzugsgebiet gemessen. Diese beeinflusst den Austausch von Energie und Wasser zwischen Boden und At- mosphäre und ist ein Parameter, mit dem sich Wetter- und Flutvorhersagen verbessern lassen. Bei den Messungen testeten die Forscher die Kombinati- on zweier verschiedener Typen von Mikrowellensensoren. Sie werden derzeit als Kombipack für eine NASA-Satellitenmission im Jahr 2015 optimiert. ::

Peter Grünberg Institut/Institute for Advanced Simulation | Jüli- cher Forschern ist es mit interna- tionalen Kollegen gelungen, ex- trem kurze und schnelle Pulse aus Spinströmen kontrolliert zu erzeu- gen. Mit solchen Pulsen im Tera- hertz-Frequenzbereich könnten künftige Computer Daten schnel- ler und energieeffizienter verar- beiten als heutige Rechner. Für die ultraschnellen Pulse nutzten die Forscher die Eigenrotation der Elektronen (den „Spin“). Dieser kann zusätzlich zur Ladung der Elektronen zur Informationsverar- beitung dienen. Das genaue expe- rimentelle Vorgehen beschreibt das Forscherteam in „Nature Na-

notechnology“. ::

Messung der Bodenfeuchte beim Überflug über den Blau- steinsee bei Eschweiler

Horizontalkommissionierer mit Direktmethanol-Brennstoffzelle Institut für Energie- und Klimaforschung | Mit über 20.000 Stunden Dauereinsatz erreicht die Direktmethanol-Brennstoff- zelle (DMFC) eine neue Bestmarke und zeigt ihre Praxistaug- lichkeit. Die DMFC arbeitet mit flüssigem Methanol und nicht mit gasförmigem Wasserstoff wie die klassische Brennstoffzel- le. Methanol hat Vorteile, da es auf kleinem Volumen viel Ener- gie speichert und in kurzer Zeit getankt werden kann. Die Haltbarkeit der DMFC konnte durch systematische Entwick- lungsarbeiten von wenigen Stunden auf die nun erreichten 20.000 Stunden gesteigert werden. Jülicher Forscher testen sie

speziell als Batterieersatz in elektrischen Hubwa- gen für große Warenbestandslager. Weitere

Anwendung findet sie in Hilfsstrom- aggregaten für die unterbrechungs- freie Stromversorgung, etwa für

Mobilfunkstationen und Rechenzentren. ::

„Die demografische Chance“

ist Thema des Wissenschafts- jahrs 2013. Ein Aspekt davon:

Wir werden älter. Jedes Jahr steigt die Lebenserwartung eines Menschen in Deutsch- land um etwa drei Monate.

Dieses Geschenk bringt neue Herausforderun- gen für die Forschung. Eine, der wir uns in Jülich stellen, ist die Grundlagenforschung zu Alzheimer. Wissenschaftler berichten in diesem Heft über neue Erkenntnisse zur Ursache der Krankheit, aber auch über mögliche Frühdiag- nosen und Therapien, die sich daraus ergeben könnten. Lesen Sie außerdem den neuesten Stand zum Thema Ozonloch, warum Brenn- stoffzellen für Lkw-Fahrer attraktiv werden könnten und wie Drängeln im Namen der Wis- senschaft sogar erbeten ist.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, Ihr

Prof. Achim Bachem Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich

:: EDITORIAL

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3 | 2013 Forschen in Jülich

„La Ola“ treibt Einzeller an

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Institute of Complex Systems/Institute for Advanced Simulation | Wunden hei- len, indem sich Zellen immer wieder tei- len und schließlich die offene Stelle mit neuem Gewebe überdecken. Überra- schend ist: Neue Zellen drücken benach- barte nicht zur Seite, sondern ziehen ei- nander – ähnlich wie beim Tauziehen – in eine Richtung. Dabei machen alle Zellen mit, auch weit von der Wunde entfernte.

Simulationen bieten nun eine Erklärung für dieses koordinierte Vorgehen: Die Zellen ziehen in eine zufällige Richtung, kommen sie dort nicht voran, wählen sie eine neue. In dem neuen Gewebe baut sich dadurch eine Spannung auf, die möglicherweise die Heilung beschleu- nigt und die Wunde zusammenhält. Die Ergebnisse stellt ein internationales For- scherteam mit Jülicher Beteiligung in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Natio- nal Academy of Sciences“ (PNAS) vor. ::

Institute of Complex Systems/Institute for Advanced Simulation | Flim- merhärchen (Zilien) bewegen Einzeller wie Pantoffeltierchen durchs Was- ser oder transportieren Schleim und Schmutz aus den Atemwegen des Menschen. Dabei zeigen die bis zu 10 Mikrometer langen Miniwimpern Bewegungsmuster ähnlich wie eine „La-Ola-Welle“. Bisher war unklar, ob sie eine Funktion erfüllen und wie die Muster entstehen. Die Simulatio- nen mehrerer Tausend Zilien in Flüssigkeit hat nun gezeigt, dass die Be- wegung der umgebenden Flüssigkeit die entscheidende Rolle spielt. Sie sorgt für eine synchronisierte, selbstorganisierte Wellenbewegung. Vergli- chen mit einer „Ruderbewegung“ im Gleichtakt, treibt die wellenförmige Bewegung der Zilien Zellen auch doppelt so schnell und zehnmal so effi- zient an, wie Jülicher Forscher herausfanden. Ihre Ergebnisse sind im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht. Die Erkenntnisse könnten helfen, Krankheiten mit Beteili- gung der Flimmerhärchen besser zu verstehen oder künstliche Schwim-

mer zu konstruieren. ::

Pflaster nicht nötig! Beim Verschluss einer Wunde entstehen neue Zellen, die darunter liegendes Gewebe offenbar wie ein Heftpflaster zusammenhalten.

Mikroskopische „La Ola“: Flimmerhärchen in Flüssig- keit bewegen Zellen durch geordnete Wellenbe- wegung.

Tauziehen bei der

Wundheilung

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6

Neue Verdächtige

im Fall Alzheimer

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3 | 2013 Forschen in Jülich

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In der Alzheimerforschung verdichten sich die Hinweise, dass nicht Ablagerungen im Gehirn, sondern kleine lösliche Aggregate des Amyloid-beta-Peptids Nervenzellen und Synapsen zerstören – und damit die eigentlichen Auslöser für die Krankheit sind.

Jülicher Forscher arbeiten daran, diese Aggregate unschädlich zu machen. Und es ist ihnen gelungen, sie als Biomarker für den Nachweis von Alzheimer zu nutzen.

F

ür Betroffene und Angehörige scheint es, als ob die Alzheimerfor- schung seit Jahren auf der Stelle tritt. Vielversprechende Medikamente, die im Tierversuch gute Erfolge erziel- ten, versagen in klinischen Tests reihen- weise. „Es ist natürlich höchst ärgerlich, dass keiner der bisherigen Wirkstoffe hilft“, gibt Prof. Dieter Willbold zu. Er ist Direktor des Institute of Complex Sys- tems (ICS) und in Jülich für den Bereich Strukturbiochemie zuständig. „Aber in der Grundlagenforschung ist von Still- stand nichts zu spüren“, betont er, „dort gibt es so viel zu tun, dass eher die För- dermittel und die Zahl der Forscherhän- de und -köpfe die limitierenden Fakto- ren sind.“

Da kommt es gelegen, dass sein Team für die beiden wichtigsten Ar- beitspakete frische Fördermittel ein- werben konnte. Zwei Millionen Euro fließen für die kommenden zwei Jahre aus dem Helmholtz-Validierungsfonds in die Jülicher Alzheimerforschung.

„Damit versuchen wir unseren poten- ziellen Alzheimer-Wirkstoff durch die klinische Phase I zu bringen“, sagt Will- bold zuversichtlich.

Zehn Jahre intensiver Forschungsar- beit stecken in der Vorläufersubstanz D3 und weitere drei Jahre in dem noch- mals verbesserten Derivat davon. Hier- bei handelt es sich um ein Peptid, das aus einer relativ kurzen Kette von Ami- nosäuren aufgebaut ist. Es ist in der Lage, insbesondere die Amyloid-beta- Oligomere, die aus wenigen Dutzend Amyloid-beta-Molekülen bestehen, zu zerstören.

Genau diese Amyloid-beta-Oligomere haben eine besonders fatale Eigen- schaft: Sie sind im Gegensatz zu den sehr großen, aber viel bekannteren Fi- brillen wasserlöslich – und können sich so über Körperflüssigkeiten im gesam-

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a

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4

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b

1

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Zellmembran Amyloid-beta-Moleküle Protein-Rest

Nervenzelle

Synapsen

Kalzium-Ionen

Ca 2+

unlösliche Protofibrillen lösliche Amyloid-beta-Oligomere

γ-Sekretase β-Sekretase

APP

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Heiße Spur bei der Fahndung

nach den Ursachen

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3 | 2013 Forschen in Jülich

B

Plaques

Plaques

Amyloid-beta-Oligomere

4

a

3

4

4

b

B A 2

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Die Beta-Sekretase schneidet ein großes Stück außerhalb der Zellmembran ab.

Die Gamma-Sekretase kürzt weiter in der Membran zum Amyloid-beta.

Es entstehen Amyloid-beta-Moleküle. In ihrer monomeren Form scheinen sie unschädlich zu sein. Ihnen wird sogar eine schützende Funktion im Nerven- system zugesprochen. Mit fortschreitendem Lebensalter steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich mehrere Amyloid-beta-Moleküle zu größeren Molekülverbänden zusammenschließen.

Kleinere Aggregate, die aus zwei bis wenigen Dutzend Amyloid-beta-Molekülen bestehen, sind in Körperflüssigkeiten löslich. Diese sogenannten Amyloid- beta-Oligomere stehen im Verdacht, Nervenzellen und die Verbindungen zwischen ihnen zu schädigen und damit letztlich die Alzheimer'sche Demenz auszulösen. Zwei mögliche Mechanismen werden dabei diskutiert:

Die Oligomere lagern sich in die Membran von Nervenzellen ein und bilden Poren. Dadurch strömen Kalzium-Ionen unkontrolliert in die Zellen ein, sodass diese absterben.

Die Amyloid-beta-Oligomere binden an zelleigene Rezeptoren und lösen dadurch möglicherweise ein zellschädigendes Signal aus.

Gleichzeitig bilden sich die bekannten Amyloid-beta-Plaques, die aus un- löslichen Protofibrillen bestehen.

Neuere Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass sie deutlich weniger zellschädigend als die Oligomere sind, jedoch ein Reservoir für die toxischen Amyloid-beta-Oligomere bilden.

Einfache („monomere“) Amyloid-beta-Moleküle entstehen zeitlebens aus dem zelleigenen Amyloid-Vorläuferprotein (APP). Dazu wird das große Eiweiß in zwei Schritten von Enzymen, sogenannten Sekretasen, gekürzt:

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ten System verbreiten. Sie stehen im Verdacht, die eigentlichen „Bösewichte“

zu sein, indem sie Synapsen und ganze Neuronen schädigen.

KANÄLE DES VERGESSENS

Wie sie das tun, erforscht Juniorprofes- sorin Dr. Birgit Strodel vom Institute of Complex Systems mithilfe von Compu- termodellen. Sie fand heraus, dass Ag- gregate aus vier oder sechs Amyloid-be- ta-Molekülen in der Lage sind, stabile Kanäle in Zellmembranen zu formen.

„Durch diese Kanäle könnten Kalzium- Ionen unkontrolliert in die Zelle strömen und sie zum Absterben bringen“, erläu- tert die Forscherin. Unterstützt werden ihre Ergebnisse durch elektronenmikro- skopische Aufnahmen von Synapsen aus von Alzheimer geschädigten Hirnschnit- ten. Hier finden sich Poren, die im ge- sunden Gehirn so nicht vorkommen.

Birgit Strodel hat mit ihrem Team zu- dem die mögliche Wirkungsweise von D3 in Computermodellen untersucht. „Wir konnten zeigen, wo D3 an das Amyloid- beta bindet und wie es binden muss, um die toxischen Amyloid-Aggregate aufzulö- sen“, erklärt Strodel. Die Angriffspunkte sind eine Reihe von negativen Ladungen an einem Ende der Amyloid-beta-Mole- Mit mathematischen Modellen unter- stützt Prof. Birgit Strodel die Suche nach einem Wirkstoff.

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küle. Hier binden die Moleküle im Krank- heitsfall andere Amyloid-beta-Moleküle und ordnen sich wie ein Faltblatt zu grö- ßeren Aggregaten an. D3 wiederum besitzt entsprechende positive Ladungen, die genau an dieser Stelle – der Bin dungsstelle und dem Knick im Falt- blatt – andocken, diese somit abschirmen und das Aggregat zerstören. Strodels Computermodelle sollen in Zukunft dabei helfen, D3 noch weiter zu optimieren.

Um zu verstehen, wieso die Tage in den Labors von Willbold und Strodel mehr als 24 Stunden haben sollten, muss man wissen, welche Wirkung D3 bisher im Tierversuch gezeigt hat. Getes- tet wurden sogenannte Alzheimer-Mäu- se, die das menschliche Amyloid-beta produzieren, typische Plaques im Gehirn bilden und später durch eine verminder- te Lernfähigkeit auffallen. So vergessen diese Mäuse beispielsweise, wo unter einer trüben Wasseroberfläche eine Plattform versteckt ist, auf der sie ste- hen und sich vom Schwimmen ausruhen können. Wurde diesen Mäusen D3 im Trinkwasser oder per Infusion verab- reicht, passieren drei Dinge: Die Amylo- id-Plaques und typischen Entzündungs- prozesse im Gehirn nehmen ab und gleichzeitig steigt das Lernvermögen.

Dieter Willbold bittet um Geduld:

„Die klinische Studie der Phase I, die jetzt beginnt, wird lediglich zeigen, ob die Substanz im Menschen sicher an- wendbar ist. Ob es dort genau wie im Tierversuch wirkt, das wird erst in Pha- se II und III geklärt.“

TEST SOLL KLARHEIT BRINGEN Entscheidend für diese klinischen Studi- en ist es unter anderem, die richtigen Patienten auszuwählen. Denn bisherige Testverfahren sind ungenau: Bei etwa 30 Prozent der Demenzkranken liegt eine andere Form der Demenz vor. „Zur bes- seren Diagnose und Verlaufskontrolle stehen zwar seit diesem Jahr mehrere Radiopharmaka zur Verfügung“, sagt Willbold (siehe auch „Was bringt eine Di- agnose ohne Therapie?“, Seite 11), „an- dererseits sind diese Untersuchungen recht teuer“, gibt er zu bedenken. „Zudem interessieren uns die Amyloid-Plaques im Gehirn weniger als die Amyloid-Oligomer- Last in den Körperflüssigkeiten.“ In einer kürzlich veröffentlichten Studie stellt sein Team daher einen neuen Test vor, der Amyloid-Oligomere in der Rückenmarks- flüssigkeit extrem empfindlich nach- weist. Bei Gesunden ließen sich so gut wie keine Oligomere aufspüren. Bei Alz- heimerpatienten und sogar schon bei Patienten mit ersten kognitiven Ein- schränkungen fanden sich dagegen sehr viele der toxischen Aggregate.

Die Schwere der Demenz war dabei eindeutig an der Oligomer-Belastung im Liquor ablesbar. Nur ein mit Alzheimer diagnostizierter und schwer demenz- kranker Patient gab den Forschern Rät- sel auf. Bei ihm fand sich kein erhöhter Oligomer-Wert. „Es gibt zwar noch ein paar andere Erklärungsmöglichkeiten, aber ich gehe davon aus, dass der Be- troffene falsch diagnostiziert war. Da die bisher verwendete Diagnostik nicht 100-prozentig richtig liegt, muss eine verbesserte, auf Biomarkern basierende Diagnosemethode zwangsläufig Unter- schiede zur bisher verwendeten Diag- nostik aufweisen“, meint Prof. Willbold.

„Leider konnten wir den Patienten aus verschiedenen Gründen nicht nachun- tersuchen, um dies zu klären“, bedauert er. Um den Test zu standardisieren und in Richtung klinische Anwendung weiter voranzubringen, stellt das Bundesfor- schungsministerium im Rahmen des so- genannten V.I.P.-Programms Fördermit- tel bereit. Willbold ist überzeugt: „Ein solcher Test wird viele klinische Studien beschleunigen und zuverlässiger ma- chen und damit schneller zu einem wirksamen Alzheimer-Medikament füh-

ren.“ ::

Brigitte Stahl-Busse Prof. Dieter Willbold entwickelt mit sei-

nem Team neue Therapie- und Diagnose- verfahren für Alzheimerpatienten.

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Frage: Was bringt eine Frühdiagnose der Alzheimerdemenz?

Prof. Sturma: Erhebliche Probleme, aber auch sehr viele Optionen. Langfristige Perspektiven, die sich zum Beispiel in Pa- tientenverfügungen ausdrücken, und Ge- genwartsinteressen, die sich in einem ganz bestimmten Erlebniszustand erge- ben, können in einen dramatischen Konflikt miteinander geraten. Das zeigt das Beispiel des kürzlich verstorbenen Schriftstellers und Rhetorikprofessors Walter Jens. Er hat sich vor seiner De- menzerkrankung gegen lebensverlän- gernde Maßnahmen ausgesprochen, falls er seine geistigen Fähigkeiten verlieren sollte. Dann aber hat er – mit seinen letz- ten Möglichkeiten der Bekundung, schon im fortgeschrittenen Alzheimerstadium – deutlich gemacht: Ich möchte nicht ster- ben. Im Fall von Walter Jens waren es die Worte: „Nicht totmachen, bitte nicht tot- machen.“ Kein Arzt oder Angehöriger würde sich in dieser Situation zumuten, das Leben hier enden zu lassen.

Frage: Gibt es ein Recht auf Wissen?

Prof. Sturma: Sicher, es gibt eine Reihe von Menschen, die sagen, ich möchte das wissen. Zum Beispiel, um Vorkehrun- gen zu treffen und das Leben zu ordnen.

Auf der anderen Seite gibt es auch das Recht auf Nichtwissen. Wenn jemand die Diagnose ein Dutzend oder sogar 15 Jah- re vorher bekommt, dann wird er diese 15 Jahre nicht mehr in der Weise leben können, wie unter den Bedingungen von Nichtwissen. Gleichzeitig entwickeln etli-

che der Patienten mit Amyloid-Plaques im Gehirn gar keine Demenz. Diese Men- schen leben dann viele Jahre unter ei- nem Damoklesschwert. Das beeinflusst die Möglichkeiten, ihr Leben selbst zu bestimmen, grundlegend. Es ändert sich natürlich alles, wenn es plausible Erwar- tungen auf eine Therapie gibt.

Frage: Sind Mediziner auf diese ethi- schen Konflikte gut vorbereitet?

Prof. Sturma: Nein, in der Regel nicht.

Ein mehrsemestriges ethisches Begleit- studium gehört meiner Meinung nach unbedingt zur medizinischen Ausbildung.

Denn Entscheidungen über Leben und Tod stellen sich heute in allen Lebens- phasen: vom Embryo bis zu lebensver- längernden Maßnahmen bei komatösen Patienten. Es gibt eine zu geringe profes- sionelle Auseinandersetzung mit diesen

vielschichtigen Situationen. Dazu gehört auch, Regelungen zu finden, wie Patien- ten im Fall von demenziellen Erkrankun- gen Risiken und Diagnosen mitgeteilt

werden sollten. ::

Das Gespräch führte Brigitte Stahl-Busse.

Was bringt eine Diagnose ohne Therapie?

Die Alzheimerdiagnostik steht vor einem Umbruch: Neue Marker zeigen Amyloid- Plaques schon zehn bis zwanzig Jahre vor den ersten Anzeichen der Krankheit. Aber diese Diagnose stellt Ärzte und Patienten vor enorme Konflikte. Denn: Eine Therapie ist kurzfristig nicht in Sicht und die Rolle der Plaques noch nicht eindeutig geklärt.

Prof. Dieter Sturma vom Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Bereich Ethik in den Neurowissenschaften (INM-8), nimmt hierzu in einem Interview Stellung.

Die neuen Radiopharmaka, die Amyloid- beta-Plaques per Positronenemissions- tomografie (PET) im lebenden Gehirn aufspüren, heißen: Florbetapir, Florbe- taben und Flutemetamol. Für die For- schung steht zudem eine Substanz zur Verfügung, die PiB (Pittsburgh com- pound B) genannt wird. Damit können potenzielle Medikamente nun viel früher und an der richtigen Patientengruppe getestet werden.

Neue Diagnoseverfahren unterstützen die Forschung

Denn bisherige Tests, ob eine Alzhei- merkrankheit vorliegt, sind zu 30 Pro- zent falsch. An der Zulassungsstudie für Florbetaben war das Forschungszen- trum Jülich beteiligt. Gleichzeitig ermög- lichen die neuen Marker eine Verlaufs- kontrolle. Florbetaben wird in Zukunft auch dafür eingesetzt, um zu verfolgen, wie das Jülicher Peptid D3 die Amyloid- Plaques im Gehirn lebender Alzheimer- Mäuse reduziert.

Prof. Dieter Sturma, Leiter des Bereichs Ethik in den Neurowissenschaften

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ür Fernfahrer ist ihr Lkw häufig nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Schlafkabine und Wohnraum.

Gerade in den Ruhepausen wollen sie auf Klimatisierung, Kommunikations- technik und Kochplatte nicht verzichten.

Um den Strombedarf zu decken, gibt es eine einfache Möglichkeit: Man lässt den Motor im Leerlauf an. Nach einer Unter- suchung von 2007 summieren sich die

Leerlaufzeiten eines einzigen durch- schnittlichen US-Trucks jährlich auf gi- gantische 1.700 Stunden, also auf rund 70 Tage. Dabei verbraucht der Lkw im Mittel 11.000 Liter Diesel und produziert Lärm, Ruß und klimaschädliche Abgase.

Inzwischen machen das einige US- Staaten nicht mehr mit: Sie haben Anti- Leerlauf-Gesetze erlassen. Dies auch in dem Wissen, dass der Motor im Leerlauf Diesel nur äußerst unzulänglich in Strom umwandelt: Die Energieausbeute, von Fachleuten Wirkungsgrad genannt, liegt

lediglich bei rund 10 Prozent. In Europa ist das Problem der Bordstromversor- gung dank kürzerer Strecken, einem dichten Netz von Autohöfen und eher ge- mäßigtem Klima nicht so bedeutsam.

Trotzdem gibt es auch hierzulande Be- darf an umweltfreundlichen und energie- effizienten Hilfssystemen.

Ein solches Aggregat, basierend auf Brennstoffzellen, haben Jülicher Wissen- schaftler entwickelt. Es liefert eine elek- trische Leistung von 5 Kilowatt, die für die meisten Lastwagen ausreichend ist.

Im Testbetrieb hat es bewiesen, dass es Diesel umsetzen kann und komplett ei- genständig arbeitet.

SAUBERE LEISTUNG

Das Aggregat ist etwa 1,10 Meter breit, einen Meter hoch und 70 Zentimeter tief. Es besteht aus mehreren Kompo- nenten (siehe Grafik): Der sogenannte Reformer wandelt Diesel mit Wasser- dampf und Luft in ein Gas um, das reich an Wasserstoff ist. Daneben enthält es aber rund 10 Prozent Kohlenmonoxid,

Herkömmliche Motoren sind umweltbelastende Ver- schwender, wenn sie laufen, um Strom für Klimaanlage und andere elektrische Geräte im Lastwagen zu erzeu- gen. Ein motorunab hängiges Brennstoffzellenaggregat, das Jülicher Wissenschaftler entwickelt haben, nutzt Diesel besser aus.

Strom an Bord

Ein Reformer und ein Shiftreaktor er- zeugen aus Diesel wasserstoffreiches Gas für die Brennstoffzelle. Dort re- agiert der Wasserstoff mit Luftsauer- stoff zu Wasser und erzeugt dabei elektrischen Strom. Verbleibende Ab- gase werden in dem folgenden Kata- lytbrenner verbrannt. Dadurch ent- steht Abwärme, die wiederum Dampf für den Reformer erzeugt. Der darge- stellte Brennstoffzellentyp ist eine so- genannte Hochtemperatur-Polymer- elektrolyt-Brennstoffzelle (HT-PEFC) mit einer dünnen phosphorsäurege- tränkten Polymermembran als Elek- trolyt, der Anode und Kathode trennt.

Kerosin oder Diesel

Reformat

Luft

Abgas Wasser

Wasserstoff

Luft

Luft

Kathodenabluft Kühl- medium Dampf

Anodenabgas

HT-PEFC

Shiftreaktor Reformer

Katalyt- brenner

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das die Brennstoffzelle lahmlegen – „ver- giften“ – würde. Der nachgeschaltete Shiftreaktor (Fachsprache) hat daher die Aufgabe, diesen Kohlenmonoxidanteil auf unter ein Prozent zu verringern. Da- bei produziert er zusätzlichen Wasser- stoff, den Brennstoffzellen als Brenngas verwerten können.

„Die Hochtemperatur-Polymerelek- trolyt-Brennstoffzelle (HT-PEFC), die wir im Aggregat verwenden, toleriert diesen Kohlenmonoxid-Gehalt von rund einem Prozent ohne größere Leistungseinbu- ßen“, sagt Prof. Ralf Peters aus dem Jüli- cher Institut für Energie- und Klimafor- schung, Bereich Elektrochemische Ver- fahrenstechnik (IEK-3). Dadurch kommt das Aggregat ohne zusätzliche Kompo- nenten aus, mit denen ansonsten das Gas nach der Shiftreaktion noch weiter gereinigt werden müsste – Komponen- ten, die vor allem Platz und Gewicht kos- ten würden.

In jede Komponente des Aggregats sind viel Jülicher Entwicklungsarbeit und Know-how geflossen: Der Reformer bei-

spielsweise ist ein Jülicher Gerät der neunten Generation, in dem der Diesel besonders gut mit Luft und Wasser- dampf durchmischt wird. „Bei der Brennstoffzelleneinheit standen wir vor allem vor zwei Herausforderungen, um die für ein Lkw-Aggregat erforderliche Leistung zu erreichen: Erstens mussten wir Zellen mit einer großen Fläche – 320 Quadratzentimeter – bauen, und zwei- tens mussten wir 70 dieser Zellen zu ei- nem zuverlässig arbeitenden Stapel ver- binden“, sagt Prof. Werner Lehnert, ebenfalls vom IEK-3.

WETTLAUF DER SYSTEME

Die vorteilhafte geringe Empfindlichkeit der HT-PEFC gegenüber Kohlenmonoxid ist eine Folge der Betriebstemperatur von 160 bis 180 Grad Celsius, bei der dieser Brennstoffzellentyp arbeitet. Ihr verdankt er auch den Zusatz „Hochtem- peratur“, denn herkömmliche PEFC ha- ben eine Betriebstemperatur von ledig- lich 60 bis 80 Grad.

Andererseits ist die Bezeichnung

„Hochtemperatur“ insofern irreführend, weil es andere Brennstoffzellentypen gibt, die bei weit höheren Temperaturen arbeiten. Einer davon ist die Festoxid-

brennstoffzelle (SOFC, Solid Oxide Fuel Cell) mit Betriebstemperaturen von 700 Grad. Auch diese Technologie ist als Lkw-Hilfsstromaggregat im Rennen: So sind Jülicher Wissenschaftler an einem Projekt beteiligt, in dem Unternehmen und Forschungseinrichtungen gemein- sam entsprechende Systeme bis zur Marktreife entwickeln. Ob HT-PEFC oder SOFC am Ende die Nase vorn haben wer- den, ist ungewiss. „Für die HT-PEFC spricht jedenfalls, dass sie nur zehn Minuten lang aufgewärmt werden muss, während die SOFC deutlich länger braucht“, so Lehnert. Die Forscher stre- ben an, möglichst mit Industriepartnern ein HT-PEFC-Demonstrationssystem auf- zubauen, das kleiner und kompakter ist als das jetzige Aggregat.

In beiden Varianten sollen die Brenn- stoffzellenaggregate künftig Wirkungs- grade von 35 bis 40 Prozent erreichen.

Sie sind damit effizienter und kli- mafreundlicher als Dieselaggregate und laufen zudem nahezu geräuschlos. ::

Dr. Frank Frick

Rückzugsort Fahrerkabine: In Ruhepausen unter- wegs ist sie für Fernfahrer Küche, Büro und auch Schlafzimmer.

Prof. Werner Lehnert und Prof. Ralf Peters planen schon die nächste, kom- paktere Bordstromversorgung mit Brenn- stoffzellen.

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uß wird fast überall auf der Welt in die Luft gepustet. Er entsteht, wenn fossile Brennstoffe nicht voll- ständig verbrannt werden, etwa Holz und Kohle. In Industrieländern produzie- ren insbesondere Dieselmotoren Ruß- emissionen. Auch Heizöfen sowie einfa- che Herdstellen in ländlichen Gebieten Asiens und Afrikas tragen zu den Emissi- onen bei. Als Brennmaterial wird dort nicht nur Holz eingesetzt, sondern auch Pflanzenreste oder Kuhdung. „Tatsäch- lich sind es neben Wald- und Savannen- feuern die traditionellen primitiven Öfen, die den Hauptteil der Emissionen ausma- chen“, erklärt Dr. Martin Schultz vom In- stitut für Energie- und Klimaforschung (IEK-8). Er hat sich im Rahmen dieser Studie insbesondere mit den Emissionen aus der Verbrennung von Biomasse be- schäftigt.

Vier Jahre lang haben sich die Wissen- schaftler mit der komplexen Rolle des schwarzen Kohlenstoffs im Klimasystem auseinandergesetzt, Klimamodelle wei-

Der unterschätzte Klimafaktor

Schwarzer Kohlenstoff beeinflusst die globale Erwärmung deutlich stärker als

bislang angenommen – im Vergleich zu bisherigen Schätzungen wärmen Rußpartikel die Luft ungefähr doppelt so stark. Daraus ergeben sich aber auch neue Chancen, den Klimawandel zu bremsen. Zu diesen Ergebnissen ist eine internationale Forschergruppe gekommen, zu der auch Jülicher Wissenschaftler gehören. Ihre Erkenntnisse sind in den Klimabericht der Vereinten Nationen eingeflossen, den IPCC-Report 2013.

terentwickelt und diese mit verschiede- nen Messergebnissen verglichen. Die Schwierigkeit: Rußpartikel wirken sich ganz unterschiedlich auf das Klima aus.

Wenn sie vom Wind in der Atmosphäre verteilt werden, absorbieren und streuen sie zum Beispiel die Sonnenstrahlung und beeinflussen die Bildung von Wol- ken. Fällt der schwarze Kohlenstoff spä- ter etwa auf Eis und Schnee, dann be- schleunigt das den Schmelzprozess.

Außerdem kann Ruß auch die Klimaaus- wirkungen von Schadstoffen verändern, die gemeinsam mit ihm entstehen, wie Schwefeldioxid.

ERWÄRMUNG KURZFRISTIG BREMSEN Einige dieser Prozesse sorgen für eine Abkühlung, andere wiederum für eine Er- wärmung des Klimas. Unter dem Strich kommen die Wissenschaftler aber zu dem Schluss, dass Ruß mehr zu der vom Menschen verursachten Erwärmung bei- trägt als Methan oder Lachgas. Lediglich Kohlendioxid rangiert noch vor dem

schwarzen Kohlenstoff. „Man muss aber genau abwägen, welche möglichen Maß- nahmen dem Klimaschutz helfen und welche nicht“, betont der Jülicher For- scher. Die Wissenschaftler empfehlen daher, nicht alle Rußquellen in Angriff zu nehmen, sondern zunächst einmal den Rußausstoß von Dieselmotoren sowie von häuslichen Holz- und Kohlefeuern zu reduzieren. Das könnte die globale Er- wärmung aus ihrer Sicht zumindest kurz- fristig bremsen – im günstigsten Fall um bis zu einem halben Grad Celsius.

Zum Vergleich: Ziel der internationa- len Klimapolitik ist es, die globale Erwär- mung auf weniger als zwei Grad gegen- über dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Auch die Gesundheit der Menschen würde von weniger Rußemissionen profitieren. So gilt Dieselruß als Erreger von Lungen-

krebs. ::

Christian Hohlfeld

Im Fokus der Forscher:

Emissionen von Diesel- fahrzeugen sowie primi- tiven Kochstellen und Heizöfen

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ier Jahre lang untersuchten Wis- senschaftler aus 14 Ländern im EU-Projekt RECONCILE den che- mischen Prozess der Ozonzerstörung.

Sie konnten nachweisen, dass tatsäch- lich Chlorverbindungen dafür verant- wortlich sind. Damit wurde eine 2007 erschienene Studie widerlegt, die die Rolle der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) bei der Zerstörung indirekt infra- ge gestellt hatte. „Das Montrealer Proto- koll hat sich bewährt“, betont der Jüli- cher Umweltchemiker Dr. Marc von Hobe. In dem Protokoll von 1987 haben sich über 190 Staaten verpflichtet, die Emissionen von chlorhaltigen Chemikali- en wie FCKW zu reduzieren. Inzwischen hat Chlor in der Stratosphäre sichtbar abgenommen. Das belegen Analysen von Luftproben, die im Rahmen von RE- CONCILE genommen wurden. Allerdings dauert der Abbauprozess länger, als die Wissenschaftler erwartet haben.

Und nun kommt mit dem Klimawan- del die nächste Herausforderung auf die Ozonschicht zu. Klimaveränderungen könnten die Temperatur, die Zirkulations- muster und die Chemie der Stratosphäre verändern. Das beeinflusst auch die Ozonschicht, deren Dicke sich wiederum auf die Temperatur auswirkt. Aus Sicht

Die Ozonschicht über der Arktis erholt sich. Bis Ende des Jahrhunderts könnte sie komplett wiederhergestellt sein, prognostiziert eine internationale Forschergruppe mit Jülicher Beteiligung. Allerdings droht eine neue Gefahr: der Klimawandel.

von Marc von Hobe ein Grund mehr, den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren und so den Klimawandel zu stoppen.

EIN NEUES VERSTÄNDNIS

Dank RECONCILE wissen Forscher nun mehr über den Abbau von Ozon und die Entstehung von Ozonlöchern. Beispiels- weise haben die Resultate des Projekts das Verständnis von Polaren Stratosphä- rischen Wolken (PSCs) komplett verän- dert. Diese Wolken bilden sich unter be- stimmten Bedingungen bei Temperaturen unter minus 80 Grad Celsius in der Stra- tosphäre. An ihren Oberflächen werden die Chlorreaktionen in Gang gesetzt, die das Ozon zersetzen. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich PSCs sehr viel schneller und bei höheren Tem- peraturen bilden als bislang angenom- men. Durch die neuen Erkenntnisse konnten die Wissenschaftler bestehende Klimamodelle verbessern. Damit lässt sich die künftige Entwicklung der Ozon- schicht zuverlässiger vorhersagen – und gleichzeitig auch die möglichen Folgen der Klimaveränderungen für die Stratos- phäre.

Christian Hohlfeld

Die Europäische Union hat RECONCILE ab 2009 mit 3,5 Millionen Euro aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm geför- dert. Die Forscher führten zahlreiche La- borexperimente, Messungen vor Ort und Computersimulationen durch. Wichtige Erkenntnisse beruhen auf Daten und Pro- ben, die die Wissenschaftler mit dem For- schungsflugzeug M55 Geophysica über der Arktis sammelten. 2013 wurde das vom Forschungszentrum Jülich koordi- nierte Projekt erfolgreich abgeschlossen.

RECONCILE

Spezialisten unter sich: Marc von Hobe und die M55 Geophysica. Die russische Maschine ist eines von drei Flugzeugen weltweit, das in Höhen

von bis zu 21 Kilometern vordringen kann.

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„Drängeln erlaubt“ war das Motto eines der größten Experimente seiner Art.

In der Messe Düsseldorf lotsten Jülicher Forscher an vier Tagen insgesamt 2.000 Fußgänger durch verschiedene Szenarien. Das Ziel: Die Eigendynamik großer Menschenmassen besser zu verstehen und so die Sicherheit von Großveranstaltungen zu erhöhen.

Die Experimente waren Teil des BaSiGo-Projektes, kurz für „Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen“. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt sammeln Jülicher For- scher unter anderem Daten für ein Modell, das durch Computersimulationen Fußgängerströme vorausberechnet. Es soll Teil eines modularen Sicherheits- konzepts sein, das auf jede Großveranstaltung individuell angewendet wer- den kann und in Zusammenarbeit mit neun Projektpartnern aus Wissen- schaft, Feuerwehr, Polizei und Industrie aufgebaut wird.

MenschenmENGE

VON EINEM HEBEWAGEN AUS schauen Prof. Armin Seyfried und Stefan Holl zu, wie Hunderte von Fußgän- gern durch einen Versuchsaufbau gehen. Die beiden Jülicher Wissenschaftler leiten die mehrtägigen BaSiGo- Experimente in der Messe Düsseldorf. Diese gehören zu den größten Versuchen mit Menschenmassen über- haupt. Das Ziel ist es, so Holl, „grundsätzliche Werte zur Fußgängerdynamik“ zu messen.

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BEIM KREUZUNGSEXPERIMENT strömen die Probanden von vier Seiten auf eine Kreuzung und ver- suchen, sie geradewegs zu passie- ren. Bei etwa 100 Teilnehmern im Kernbereich der Kreuzung endete dies im Stillstand, woraufhin der Versuch per Trillerpfeife abgebro- chen werden musste.

AUF NEUN MONITOREN beobachten die Wissenschaftler die Experimente aus allen Perspektiven. Ihre Arbeit ist damit aber noch längst nicht zu Ende: „Wir haben 42 Terabyte Daten ge- sammelt. Daraus werden einige Dissertationen entstehen“, so der Jülicher Forscher Stefan Holl. Eines der Ziele der Wissen- schaftler ist es, ein Modell zu kreieren, mit dem man simulie- ren kann, wie sich Menschenmassen auf einer Großveranstal- tung bewegen. Gefährliche Situationen lassen sich so vorhersehen – und damit auch verhindern.

DIE WEISSEN FISCHERMÜTZEN spielen eine wichtige Rolle: Mithilfe des QR-Codes auf ihnen lässt sich jeder Laufweg jeder Person auf den Zentimeter genau nachvollziehen. 24 Kameras an der Decke zeichnen die Versuche auf.

EINER VON 30 VERSUCHSAUFBAUTEN:

Der Barrier. Auf diesem Bild strömen die Probanden in einen abgesperrten Bereich hinein – um ihn anschließend wieder zu verlassen. Die Forscher messen so, ab wel- cher Dichte innerhalb der Menschenmenge sich einzelne Fußgänger noch individuell bewegen können. Dabei haben sie die Dichte stufenweise erhöht. Bei sechs Per- sonen je Quadratmeter ist es dann kaum noch möglich, die Menschenmenge zu ver- lassen. Und dies, obwohl die Experimente unter Idealbedingungen stattfanden. Die Forscher empfehlen Veranstaltern deshalb, solch hohe Dichten zu vermeiden.

AUFSCHLUSSREICH war auch der Befund des Projektpartners von der Universität Siegen.

Gebhard Rusch, Professor für Medienwissenschaften, hat ver- sucht, die Fußgängerströme

„durch minimal-invasive Eingrif- fe zu optimieren“. Ein Display zeigte ein Kreisverkehrsschild vor dem Zugang zur Kreuzung.

Zunächst haben die Teilnehmer das Schild zwar ignoriert, doch nach einem Hinweis „waren wir in einer ganz anderen Welt“, so Rusch. Die Fußgänger passier- ten die Kreuzung, der Fluss blieb auch bei höheren Dichten erhalten.

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Christoph Mann

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N

achdem beim Formel-1-Rennen in Silverstone am 30. Juni gleich von vier Wagen spektakulär Reifen zer- platzten, zitierten Nachrichtenagenturen Paul Hembery, den Motorsport direktor des Reifenherstellers: „Wir haben etwas gesehen, das wir nicht verstehen.“ Tat- sächlich ist das Entwickeln von Reifen auf bestimmte Ansprüche hin nicht nur in der Formel 1 immer noch von auf wendigen Versuchsreihen geprägt – und weniger von der Einsicht in die komplizierten Zu- sammenhänge zwischen Gummimischun- gen und den Eigenschaften des Reifens.

Auf dem besten Wege, dies zu ändern, sind die Jülicher Wissenschaftler Dr. Bo Persson und Dr. Boris Lorenz. Namhafte Reifenhersteller weltweit beachten ihre Arbeit.

Reifen, Reibung und schlaue Rechnungen

Autofahrer wünschen sich Reifen, die Sprit sparen, bei jedem Wetter sicher sind und möglichst langsam verschleißen. Und Produzenten wünschen sich, solche Reifen zielgerichtet am Computer entwickeln zu können, ohne dafür Abertausende von Gummimischungen und Testreifen herstellen zu müssen. Jülicher Forscher arbeiten daran, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

muss man die Rauigkeit der jeweiligen Flächen auf vielen Längenskalen – vom tausendstel Millimeter bis zum Zentime- ter – berücksichtigen. Konkret hat Pers- son in Analogie zur Mikroskopie einen

„Vergrößerungsfaktor“ in seine Theorie eingeführt, um die Rauigkeit in immer kleineren Dimensionen zu betrachten.

PROGRAMM BERECHNET REIBUNG Anschließend ließ Persson seine Überle- gungen zur Kontaktmechanik in eine ebenfalls neue Theorie der Gummirei- bung einfließen. Diese überführte er in ein Computermodell. Das Programm läuft auf einem normalen PC, weil es sich um ein analytisches und nicht um ein numerisches Modell handelt, also ei- nes mit Gleichungssystemen, die exakt lösbar sind und keine Näherungen benö- tigen. Die Wissenschaftler geben dem Computer neben der gut messbaren Rauigkeit der Straße einige wenige Da- ten zur Elastizität und zum Temperatur- verhalten der betrachteten Gummimi- schung ein. Daraus berechnet das Programm die Haftreibung des Reifens auf der Straße, unter anderem in Abhän- gigkeit vom sogenannten Schlupf: Beim Bremsen beispielsweise dreht sich der Reifen etwas langsamer, als es der Ge- schwindigkeit des Fahrzeuges ent- spricht. Der Reifen gleitet somit über die Fahrbahn, wobei der Anteil dieses Glei- tens als Schlupf bezeichnet wird.

Eine solche Theorie wie die von Persson steht und fällt damit, ob die be- rechneten Werte mit den Werten über- einstimmen, die in der Praxis gemessen Befeuert wird das Interesse der Rei-

fenhersteller durch eine EU-Verordnung, die seit November 2012 in Kraft ist: Da- nach müssen sie ihre Reifen mit einem Etikett versehen, das jeden Verbraucher auf einen Blick erkennen lässt, wie gut der Reifen bei Nässe auf der Straße haf- tet, wie er sich auf den Kraftstoffver- brauch auswirkt und wie laut er rollt.

„Selbstverständlich verstärken die Her- steller dadurch noch einmal ihre An- strengungen, ihre Produkte auf diese Kriterien hin zu optimieren“, sagt Ma- schinenbauingenieur Lorenz. Und der Schlüssel zu dieser Optimierung ist es, die Haftreibung von Gummi erklären und aus Basisdaten errechnen zu können.

Mit diesem Ziel trat Persson vor rund 15 Jahren erstmals an. Damals entwi- ckelte der Physiker eine völlig neuartige Theorie dazu, wie groß die reale Berüh- rungsfläche ist, wenn zwei Körper mitei- nander in Kontakt kommen. Im spezi- ellen Fall geht es dabei um den

Kontakt zwischen Reifen und Straße. Die Frage ist aber unter

anderem auch für die Funkti- onsfähigkeit von technischen

Dichtungen bedeutsam.

Perssons Credo: Bei der Be- rechnung der wahren Kon- taktfläche zweier Körper

Entwickelte eine Apparatur, mit der sich die Reibung von Reifengummi ermitteln lässt:

Dr. Boris Lorenz.

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werden. Daher haben die Jülicher For- scher eine Apparatur entwickelt, um die Reibung von Gummireifen auf Stra- ßenasphalt bei verschiedenen Ge- schwindigkeiten zu ermitteln. Ihre jüngsten Resultate, die sie zusammen mit Wissenschaftlern des Reifenherstel- lers Bridgestone erzielten, haben sie kürzlich veröffentlicht.

THEORIE BESTÄTIGT

Das Ergebnis passt zur Theorie von Persson. Abhängig von der Geschwin- digkeit bestimmen unterschiedliche Faktoren die Reibung und damit die Rei- fenhaftung: „Unterhalb einer Schlupfge- schwindigkeit von rund einem Zentime- ter pro Sekunde wird die Reifenhaftung vorrangig durch die wahre Kontaktflä- che bestimmt. Bei schnelleren Ge- schwindigkeiten ist stattdessen vor al- lem die Viskoelastizität des Gummis wichtig“, fasst Lorenz eine wesentliche Erkenntnis zusammen. Im Alltag auf der Straße sind beide Faktoren bedeutsam:

Bei einer ABS-Bremsung beispielsweise bleibt der Reifen bei geringstem Schlupf zunächst kurz auf der Straße haften, be- vor er mit Schlupfgeschwindigkeiten bis zu einem Meter pro Sekunde zu rut- schen anfängt.

Viskoelastische Materialien sind elas- tisch wie Feststoffe und zeigen zugleich das zähfließende Verhalten von Flüssig- keiten. Warum diese Eigenschaft des Gummis überhaupt die Reifenhaftung beeinflusst, erklären die Forscher so:

Der Reifen ist an den kleinen Unebenhei- ten des Asphalts Stößen ausgesetzt.

Diese führen dazu, dass der Reifen nach- gibt und sich eindellt, wodurch sich die Moleküle in ihm gegeneinander bewe- gen. Dabei verbrauchen sie kurzzeitig Energie. Letztlich verlangsamt dieser Energieverlust die Bewegung des Rei- fens auf der Straße: Er haftet besser.

Künftig möchten die Jülicher Wissen- schaftler vor allem ihre theoretischen Vorhersagen zur Haftung auf nassen Straßen oder bei hohen Schlupfgeschwin- digkeiten anhand verschiedener Gummi- mischungen überprüfen. Eines Tages wird dann möglicherweise in der Welt der Rei- fen der Zufallsfaktor keine entscheidende Bedeutung mehr haben – auch nicht bei den Reifen in der Formel 1. ::

Dr. Frank Frick

Auch im Motorsport ist die Entwick- lung von Reifen mit aufwendigen Versuchen verbunden. Zukünftig könnten Computermodelle die per- fekte Gummi mischung berechnen.

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B

arack Obama, Meryl Streep oder Nachrichtensprecher Claus Kleber besitzen sie – Stimmen, die von vielen Menschen als sympathisch wahr- genommen werden. Ein unschätzbarer Vorteil, wie Prof. Simon Eickhoff weiß:

„Eine Stimme, die vertrauensvoll und at- traktiv klingt, ist ein Türöffner im Beruf und Privatleben“, so der Mediziner, der in Jülich am Institut für Neurowissenschaf- ten und Medizin forscht und parallel eine Professur für Kognitive Neurowissen- schaften an der Heinrich-Heine-Universi- tät Düsseldorf hat.

Wissenschaftlich untersucht wurde bisher aber vorwiegend der Einfluss von Gesichtern. Im Rahmen eines For- schungsprojekts ließ der Neurowissen- schaftler mit seinem Team daher 44 gesunde Erwachsene verschiedene weibliche und männliche Stimmen be- urteilen. Die Probanden bekamen im funktionellen Magnetresonanztomogra- fen (fMRT) einfache Alltagssätze wie

„Entschuldigung, können Sie mir sagen, wie spät es ist“ zu hören und mussten diese hinsichtlich Vertrauenswürdig- keit, Fröhlichkeit, Attraktivität und Alter beurteilen.

Parallel dazu wurden von ihren Ge- hirnaktivitäten im Zwei-Sekunden-Takt Aufnahmen gemacht. Interessanterwei- se war bei den Probanden immer diesel- be Hirnregion, und zwar der sogenannte dorsomediale Präfrontalkortex, aktiv. „In diesem Bereich beurteilen wir Gesichts- ausdrücke“, sagt Simon Eickhoff. „Mit der Erkenntnis, dass auch Stimmen hier

Die Stimme als Türöffner

Es gibt Menschen, denen leiht man spontan den Rasenmäher oder das Auto.

Anderen dagegen nicht. Vertrauen entsteht durch blitzschnell verarbeitete Eindrücke in unserem Gehirn. Ein Lächeln oder ein Blick genügen. Aber auch ein Satz, wie Jülicher Neurowissenschaftler bei einem Forschungsprojekt zum Beurteilen von Stimmen unlängst bestätigt fanden. Offenbar gibt es im Gehirn eine Art zentrale Schlüsselregion für soziale Bewertungen, die bei der

Beurteilung von Gesichtern, aber auch Stimmen, aktiv wird.

Vertrauenswürdig oder mit Vorsicht zu genießen?

Attraktiv oder unsympathisch?

Ein Blick oder auch ein gespro- chenes Wort genügt uns …

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die Depression oder den Autismus wei- ter zu erforschen. Beim Autismus, der von der Weltgesundheitsorganisation zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörun- gen gerechnet wird und bisher unheilbar ist, haben Betroffene Probleme, sich mit anderen auszutauschen. „Autisten ha- ben beispielsweise Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Sie erwidern häufig kein Lächeln oder können Gefühle wie Wut oder Trauer bei anderen schwer einschätzen“, erklärt Eickhoff. Wissenschaftlich bekannt ist, dass das dafür erforderliche Hineinver- setzen in ein Gegenüber ebenfalls im dorsomedialen Präfrontalkortex abläuft.

Um die neurobiologischen Ursachen dieser und anderer psychiatrischer Er- krankungen besser zu verstehen, hat der Mediziner bereits Folgeprojekte geplant, mit denen die Hirnstruktur und die Ver- netzung verschiedener Hirnareale bei eingeschätzt werden, bestätigte sich

unsere These, dass dies eine Schlüssel- region für soziale Bewertungen im menschlichen Gehirn sein muss.“

LEBENSNOTWENDIGE STEUERUNG Was im 21. Jahrhundert für private und berufliche Kontakte und Beziehungen wichtig erscheint, ist auch aus evoluti- onsgeschichtlicher Perspektive bedeut- sam: „Die sozial-kognitiven Urteile etwa über die Vertrauenswürdigkeit einer Per- son sind als Warnhinweise neben Grund- emotionen wie Angst oder Ekel aus- schlaggebend dafür, dass der Mensch überlebt“, erläutert Eickhoff. Ob Höhlen- mensch oder Firmenchef: Die Wahl der Partner war und ist für die eigene Exis- tenz entscheidend – zur Jäger- und Sammlerzeit wie im 21. Jahrhundert.

Den langfristig relevanten Einschät- zungen im dorsomedialen Präfrontalkor- tex stehen die Beurteilungen von sponta- nen Gefühlsregungen in anderen Hirnre- gionen gegenüber: „Ob ein Mensch gerade traurig oder fröhlich ist, beurtei- len wir unter anderem in der Amygdala“, erläutert Simon Eickhoff. Zur Verarbei- tung dieser Grundemotionen gibt es nach Aussagen des Wissenschaftlers bereits zahlreiche Studien. Die For- schung über die sozial-kognitiven Ent- scheidungsprozesse – etwa ob wir einem Menschen vertrauen oder nicht – hinge- gen stecke noch in den Anfängen.

Das Wissen über die unterschiedli- chen Entscheidungsareale hilft unter an- derem, psychiatrische Erkrankungen wie

Patientinnen und Patienten analysiert werden sollen. „Wir möchten untersu- chen, ob die Hirnstruktur als solche ge- stört ist, die Interaktion des dorsomedia- len Präfrontalkortex mit anderen Hirnarealen abweichend verläuft oder auch beides der Fall ist“, so der Neuro- wissenschaftler. Die Erkenntnisse kön- nen dazu beitragen, Behandlungsmög- lichkeiten gezielt zu verbessern. ::

Ilse Trautwein

Prof. Simon Eickhoff hat untersucht, welche Hirnareale aktiv sind, wenn Men- schen Stimmen beurteilen.

… um zu einer Ein- schätzung unseres Gegenübers zu gelan- gen – als stünden ihm seine Wesenszüge ins Gesicht geschrieben.

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Forschen im Forst

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n einem Wald sollte nur so viel Holz geschlagen werden, wie auch nachwächst. Was wie eine ak- tuelle Empfehlung von Umweltschutzorganisati- onen klingt, wurde tatsächlich schon vor 300 Jah- ren angemahnt. Hans Carl von Carlowitz, ein Oberberghauptmann aus Freiberg in Sachsen, hielt diesen Grundsatz in seiner 1713 erschiene- nen Schrift „Sylvicultura oeconomica, oder hauß- wirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ fest. Von Carlowitz gilt damit als Begründer des Nachhaltigkeitsprinzips.

So mancher Wald fiel bis Ende des 19. Jahrhun- derts dem Holzbedarf des Menschen zum Opfer.

Die Idee, mit gezielter Waldbewirtschaftung und Aufforstung gegenzusteuern, setzte sich aber im Lauf der Zeit durch – auch in der Region des heu- tigen Nationalparks Eifel. Allerdings pflanzten die Forstverwaltungen nicht wieder die einheimischen Laubbäume, sondern Fichten, da diese schneller wachsen. Heute weiß man jedoch, dass die Laub- bäume heimischen Pflanzen und Tieren günstige- re Lebensbedingungen bieten. Der Nationalpark hat daher vor kurzem begonnen, seinen Fichten- bestand wieder in einen Laubmischwald umzu- wandeln.

Im Gebiet rund um den Wüstebach begleiten Jülicher Forscher und ihre Kollegen die Renaturie- rung wissenschaftlich. Dabei untersuchen sie erstmals langfristig und kontinuierlich, welche Auswirkungen ein solcher Prozess etwa auf den Wasser-, Kohlenstoff- und Stickstoffhaushalt hat.

Dazu haben sie vor Beginn der Forstarbeiten an rund 175 Stellen Bodenproben genommen, die sie mit künftigen Messungen vergleichen werden. Die Ergebnisse sind auch für den Natur- und Klima- schutz in anderen Ländern von Interesse, in de- nen Nadelwälder abgeholzt werden. Die Untersu- chungen sind Teil des Großprojekts TERENO (Terrestrial Environmental Observatories), in dem Jülicher Wissenschaftler vom Institut für Bio- und Geosphäre (Bereich Agrosphäre) mit Kollegen aus Deutschland die regionalen Folgen des Klimawandels erforschen. ::

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IMPRESSUM

Forschen in Jülich Magazin des For- schungszentrums Jülich, ISSN 1433- 7371 Herausgeber: Forschungs- zentrum Jülich GmbH | 52425 Jülich Konzeption und Redaktion: Annette Stettien, Dr. Barbara Schunk, Dr.

Anne Rother (V.i.S.d.P.) Autoren: Dr.

Frank Frick, Christian Hohlfeld, David Kreienbruch, Christoph Mann, Tobias Schlößer, Dr. Barbara Schunk, Brigitte Stahl-Busse, Ilse Trautwein, Angela Wenzik Grafik und Layout: Seiten- Plan GmbH, Corporate Publishing, Dortmund Bildnachweis: CHEN WS/

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02461 61-4661 | Fax: 02461 61-4666

| E-Mail: info@fz-juelich.de Druck:

Schloemer Gruppe GmbH Auflage:

6.000.

Großeinsatz im Wald: Jülicher Wissenschaftler nehmen Bodenproben, bevor die Fichten am Wüstebach im Nationalpark Eifel einheimischen Laubbäumen weichen müssen.

1. Kraftvoll: Alexander Graf (l.) und François Jonard drücken eine Rammsonde in den Boden. | 2. Eingetütet: Alle Proben werden ver- packt und beschriftet. | 3. Handarbeit: Lutz Weihermüller befüllt sogenannte Kopecky-Ringe, um bodenphysikalische Parameter zu bestimmen. | 4. Erfasst: Werner Küpper bringt Proben zur Regis- trierung. | 5. Frisch gezogen: Nina Gottselig mit einem Probenrohr, einem sogenannten Liner. | 6. Tief gebuddelt: Aus bis zu einem Me- ter Tiefe werden Proben genommen, hier durch Anne Berns (l.) und Lutz Weihermüller. | 7. Suppenküche: Gemeinsam stärken sich die Forscher. Sie haben an rund 175 Stellen Proben aus bis zu einem Meter Tiefe entnommen.

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