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Shoa – Altersgerechter Unterricht für Kinder Vorschläge der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem

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Shoa – Altersgerechter Unterricht für Kinder

Vorschläge der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem

Von Anna Stocker

Die Gedenkstätte Yad Vashem wurde 1953 mit dem „Yad-Vashem-Gesetz“, das in der Knesset verabschiedet wurde, offiziell ins Leben gerufen. Beim Aufbau der Ge- denkstätte wurden Ideen und Bestrebungen aufgegriffen, die schon während der Shoa1 entstanden. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden viele Versuche unternommen, Dokumente, Zeichnungen, Tagebucheinträge, Fotografien u. a. zu verstecken, um nach dem Krieg die jüdische Perspektive des Geschehenen erzählen zu können. Dabei kam auch die Frage auf, wer die Geschichte der Jüdinnen und Juden und des Juden- tums erzählen wird, da die ermordeten Opfer dies nicht mehr tun können.2

Im Gesetz von Yad Vashem wird der Schwerpunkt genannt, den sich die Ge- denkstätte zum Ziel setzt: die Rekonstruktion der persönlichen Geschichten der er- mordeten Jüdinnen und Juden. Daraus entwickelte sich die Datenbank3 mit ca. 4,2 Millionen heute ermittelten Namen von Ermordeten. Weiter soll an die Gemeinden, Synagogen, Bewegungen, Organisationen der öffentlichen, kulturellen, religiösen und freiwilligen Einrichtungen erinnert werden, die zerstört wurden. Auch der Partisa- n(inn)en und der Teilnehmenden der Aufstände in den Ghettos soll gedacht werden.

Interessanterweise wird schon zu Beginn deutlich, dass man sich in Yad Vashem auch der Nichtjüdinnen und -juden erinnern will, die versucht haben, während der Shoa Jüdinnen und Juden zu retten. Diese werden seit 1963 als „Gerechte unter den Völkern“4 ausgezeichnet.

1 „Shoa“ kommt aus dem Hebräischen und heißt „Katastrophe“. Generell bedeutet Shoa die ideologisch vorbereitete und industriell durchgeführte Vernichtung von ca. sechs Millionen Jüdinnen und Juden während der Zeit des Nationalsozialismus.

2 Vgl. auch Samuel D. Kassow, 2010, Ringelblums Vermächtnis. Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos. Reinbek: Rowohlt. Aleida Assmann spricht in diesem Zu- sammenhang von einem versuchten Mnemozid, während Dirk Rupnow von einer Ari- sierung des Gedächtnisses spricht. (Aleida Assmann, 1996, Erinnerungsorte und Ge- dächtnislandschaften, in: Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 3, hrsg. von Hanno Loewy und Bernhard Moltmann, Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 13-29;

Dirk Rupnow, 2011, Annihilating – Preserving – Remembering. The „Aryanization“

of the Jewish History and Memory During the Holocaust, in: Cultural Memories. The geographical point of view 4, hrsg. von Peter Meusburger, Michael Heffernan und Ed- gar Wunder, S. 189-200, online verfügbar unter: http://is.muni.cz/el/1423/jaro2011/

SOC788/um/MEUSBURGER_Cultural_Memories.pdf [aufgerufen am 05.06.2013]).

3 http://db.yadvashem.org/names/search.html?language=de (aufgerufen am 05.06.2013).

4 Die Auszeichnung findet in Yad Vashem statt. Vgl. dazu www.yadvashem.org/yv/de/

righteous/index.asp (aufgerufen am 10.06.2013).

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Die Arbeit Yad Vashems lässt sich in vier Bereiche aufteilen: Gedenkarbeit, Dokumentation, Forschung und Erziehung. Der letzte Schwerpunkt, die pädagogische Arbeit, nimmt dabei eine immer größere Bedeutung ein. Die „Internationale Schule für Holocaust Studien“ wurde 1993 hauptsächlich für Lehrende, Soldat(inn)en und Lernende aus Israel gegründet, die für Seminare oder Studientage nach Yad Vashem kommen. Heute befindet sich in diesem Fortbildungs- und Schulungszentrum aber auch die „Europäische Abteilung“, der die Abteilung für die deutschsprachigen Län- der angegliedert ist. Deren Schwerpunkt liegt auf Fortbildungen für Pädagog(inn)en aus den deutschsprachigen Ländern. Zudem werden Studientage und Onlinekurse an- geboten, sowie Materialien zum Thema der Shoa für den schulischen und außerschu- lischen Unterricht entwickelt.

Die Shoa ist ein historisches Ereignis, das sowohl in der deutschen als auch in der israelischen Gesellschaft noch immer hohe Medienpräsenz hat. An Gedenktagen wird das Thema zudem verstärkt in den Schulen der deutschsprachigen Länder be- handelt.5 Durch die vermehrte Verlegung sogenannter „Stolpersteine“ vor den Häu- sern deportierter jüdischer Mitbürger in deutschen Städten stolpern Kinder im wahrs- ten Sinne des Wortes über das Thema. Gleichzeitig wird in den Familien nicht immer über die Shoa gesprochen: sei es, weil man nicht an der eigenen Familiengeschichte rühren und sich der eigenen Involviertheit erinnern will; sei es, weil man die Kinder schonen will oder denkt, dass dieses Thema endlich der Vergangenheit angehören sollte. Der Publizist Matthias Künzel formuliert dies folgendermaßen: „In jeder Kom- munikation werden bestimmte Themen ausgelassen. Im spezifischen deutschen Fall wird aber die Kommunikation zwischen den Generationen durch diese Auslassung, durch dieses Schweigen, geradezu konstituiert“.6

Durch die Präsenz in den Medien und in der Gesellschaft werden Kinder schon lange vor dem Geschichtsunterricht mit dem Thema Shoa konfrontiert. Da Kinder nicht in einem „entwicklungspsychologisch abgesteckten Idealrahmen“7 aufwachsen, erscheint es sinnvoll, das Thema mittels sorgfältiger, altersgerechter Methodik schon vor dem 15. oder 16. Lebensjahr zu behandeln. Damit wird kein Vorziehen des her- kömmlichen Geschichtsunterrichts auf die unteren Jahrgangsstufen gefordert, sondern die Entwicklung einer altersgerechten Methodik, durch die eine sorgfältige Erst- begegnung mit dem Thema Shoa auf jüngeren Altersstufen (etwa ab dem 3. oder 4.

5 Zum israelischen Schulsystem vgl. Uriel Kashis Artikel „Demokratiebildung“, online verfügbar unter: www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Publika tionen/Studien/Demokratiebildung_in_Israel_mit_Vorwort_AJC_ENDFASSUNG.pdf (aufgerufen am 05.06.2013).

6 Online verfügbar unter: www.matthiaskuentzel.de/contents/der-holocaust-und-die- deutsche-linke (aufgerufen am 05.06.2013).

7 Noa Mkayton, 2011, Holocaustunterricht mit Kindern – Überlegungen zu einer frühen Erstbegegnung mit dem Thema Holocaust im Grundschul- und Unterstufenunterricht, in: Medaon 9, S. 2, online verfügbar unter: http://medaon.de/pdf/B_Mkayton-9-2011.

pdf (aufgerufen am 02.06.2013).

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Schuljahr) erfolgen kann. In Yad Vashem sind in den letzten Jahren die Erfahrungen und Rückmeldungen von Pädagog(inn)en im Umgang mit Materialien, insbesondere mit autobiografischen Texten zum Thema der Shoa, die schon in der Grundschule ge- lesen werden, positiv gewesen. Im Folgenden werden Kriterien vorgestellt, die diese Texte aufweisen sollten, um sie für die pädagogische Praxis empfehlen zu können.

Personalisierung von Geschichte

Erzählperspektive: An der „Internationalen Schule für Holocaust Studien“ in Yad Vashem wurde über mehrere Jahre hinweg ein pädagogisches Konzept entwickelt, das einen angemessenen Zugang zu diesem belasteten Thema eröffnen soll: Entschei- dende Grundlage dieses Konzepts ist die Konzentration auf das Schicksal einzelner Menschen. Anstelle einer anonymen und ungreifbaren Zahl gesichtsloser Opfer rückt das Individuum ins Zentrum. Durch die Nennung von Namen und Lebensgeschichten sollen die Ermordeten des Naziregimes vor der Auslöschung aus dem Gedächtnis der Welt bewahrt werden. Die Beschäftigung mit Einzelpersonen in all ihren Facetten soll den Lernenden den historischen Zugang zum Thema erleichtern und die Entwick- lung von Interesse und Empathie unterstützen.8

Bei den Unterrichtsmaterialien zur Erstbegegnung mit dem Thema Shoa ist es vor allem für junge Schüler(innen) im Alter von acht bis zehn Jahren wichtig, einen biografischen Ansatz zu wählen. Durch diesen individualisierten Zugang und die Auswahl von authentischen Texten kommen die Überlebenden selbst zu Wort. Die Überlebenden können auswählen, was sie erzählen wollen und wie sie es erzählen wollen. Sie können Dokumente und Erinnerungen in diese Texten einbringen. Dies ist für viele Überlebende auch mit dem Wunsch verbunden, die Geschichte ihrer Fa- milienangehörigen, die in der Shoa ermordet wurden, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch ist es eine Möglichkeit für sie, ein Zeugnis über die Shoa abzulegen, im Namen all jener, die dies nicht mehr können, weil sie ermordet wurden. Den Le- senden wird bei authentischen Texten deutlich, wer spricht, aus welcher Perspektive und wann erzählt wurde. Damit gewinnen die Geschichten an Glaubwürdigkeit. Bio- grafische Erzählungen ermöglichen den Aufbau einer empathischen Lernhaltung und wenn dies bereits in der Grundschule beginnt, dann ebenso ein Lernen ohne Leis- tungsdruck.9

Der pädagogische Ansatz Yad Vashems fokussiert die Entwicklung von Empa- thie. Dabei sollte eine Identifikation mit den Opfern vermieden werden, um stattdes- sen einen „bewussten und möglichst auch die eigene Perspektive reflektierenden Zu-

8 Vgl. auch www.yadvashem.org/yv/de/education/pedagogic_concept.asp (aufgerufen am 05.06.2013).

9 Vgl. Deborah Hartmann, 2012, Lernen über den Holocaust – Altersspezifische Zugän- ge und Materialien der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, in: Widerstreit-Sach- unterricht 8, hrsg. von Isabel Enzenbach, Detlef Pech und Christina Klätte, online ver- fügbar unter: www.widerstreit-sachunterricht.de (aufgerufen am 02.06.2013).

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gang zu eröffnen. Dieser sollte ermöglichen, sich die Lebenswelt des Protagonisten möglichst lebendig vor Augen zu führen und gleichzeitig auch immer wieder die be- wusste Abgrenzung der eigenen Identität von der des Protagonisten zu vollziehen“.10

Vermittlung von positiven Werten: Bei autobiografischen Texten11 für Ler- nende der Grundschule sollen positive Werte vermittelt werden. Hierfür werden Ge- schichten gewählt, in denen es Solidarität, Hilfe und Hoffnung gab. Es sollen Selbst- behauptungs- und Überlebensstrategien aufgezeigt und möglicherweise Rettungs- geschichten erwähnt werden, bei denen die „Gerechten unter den Völkern“ eine Rolle spielen.

In dem Buch Lienekes Hefte12 sind Briefe veröffentlicht, die ein Vater, Jacob van der Hoeden, an sein verstecktes Kind, Lieneke, geschrieben hat, das bei einer nie- derländischen Familie im Versteck lebte. Jacob van der Hoeden war im niederländi- schen Widerstand aktiv und versteckte seine drei Kinder und seine Frau an verschie- denen Orten in den Niederlanden. Die Briefe wurden von Agnès Desarthe, einer fran- zösischen Übersetzerin und Autorin, in einem Kibbuz in Israel gefunden. Agnès De- sarthe beschloss, ein Buch daraus zu machen, und traf sich mit Nili Goren, Lieneke, die heute in Israel lebt. Im Anhang des Buches findet sich die Geschichte der Briefe und der Familie van der Hoeden, so wie Nili Goren sie Agnès Desarthe erzählt hat.

Die Briefe enthalten liebevolle und witzige Zeichnungen sowie Geschichten über das Leben des Vaters, verschlüsselte Informationen über die Situation der anderen Familienmitglieder und vor allem ein großes Interesse am Leben der Tochter.

Mit diesen Briefen versuchte der Vater, seiner Tochter das Gefühl zu geben, dass er für sie da ist. Er gibt ihr Tipps und Hilfestellungen und versucht sie aufzuheitern.

Ebenfalls wird in den Briefen immer wieder der Wunsch ausgedrückt, dass sich Vater und Tochter schnell wieder sehen werden und dass der Krieg ganz bald sein Ende fin- den wird. Folgender Brief stammt aus dem Jahr 1944 und wurde zu Lienekes Ge- burtstag am 24. Mai geschrieben. Dieser Brief unterscheidet sich nur insofern von den anderen acht Briefen, als es sich um einen Geburtstagsbrief handelt. Wie die an- deren Briefe auch enthält er schöne Zeichnungen und witzige Beschreibungen. The- men der anderen Briefen des Vaters, der Tierarzt war und sich auf Mikrobiologie spe-

10 Hartmann, Lernen über den Holocaust [Anm. 9], S. 4. Vgl. auch Paul Ekman, 2007, Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, Heidelberg:

Spektrum; Ido Abram, 1998, Holocaust, Erziehung und Unterricht, online verfügbar unter: www.fasena.de/download/grundschule/Abram%20(1998).pdf (aufgerufen am 12.06.2013).

11 Mit diesen Texten sind die Lebensgeschichten von Überlebenden der Shoa gemeint, die ihre Geschichten niedergeschrieben haben oder die interviewt wurden und deren Geschichten daraufhin niedergeschrieben wurden. In Yad Vashem sind die Bücher Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling von Hanna Gofrith, Die Tochter, die wir uns immer gewünscht haben von Marta Goren und Im Versteck von Ehud Loeb von Naomi Morgenstern nach Interviews niedergeschrieben worden.

12 Jacob van der Hoeden, 2011, Lienekes Hefte, Berlin: Jacoby & Stuart.

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zialisiert hatte, sind u. a. die Natur, der Jahreszeitenwechsel („Frühlingsmärchen“) und Tiere, die in seiner Umgebung gelebt haben.

„Geburtstagsbrief für Lieneke Liebe Lieneke,

Am Vierundzwanzigsten Mai ist es elf Jahre her, dass irgendwo in Utrecht ein winzi- ges Mädchen von Null Jahren, Null Tagen, Null Stunden in einer Wiege lag und sich über eine Welt wunderte, die sie [sic] vorher noch nicht gesehen hatte.

Und da war eine Mutter und ein Vater, und es kamen Kinder und andere Menschen, die staunten über das winzige Kind, das sie alle noch nicht kannten.

Und nun ist der Winzling ein munteres Mädchen von Elf [sic] Jahren geworden. Ein Mädchen mit schönen langen Zöpfen und einem schönen Zeugnis und Holzschuhen.

Heute hat sie Geburtstag!

Es ist jammerschade, dass ich nicht selbst kommen kann, um sie zu beglückwünschen.

Aber mein Sonntagsanzug hat einen Fleck und meinen Festtagshut haben die Motten angefressen.

Und so muss ich zu Hause feiern. Ich werde dein Patenzicklein Lieneke und mein Pa- tenzicklein Jaapje einladen. Wir werden Ziegenmilch von Doortje mit einem Stroh- halm trinken und Gebäck mit Ziegenmilch-Schlagsahne essen“.13

Zweite Seite des Geburtstagsbriefs an Lieneke

13 Hoeden, Lienekes Hefte [Anm. 12], o. S.

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Authentische Geschichten: Um Kindern die Erzählungen von Überlebenden näher zu bringen, bieten authentische Geschichten einen guten Zugang. Mit authentischen Geschichten sind hier Geschichten gemeint, die von Überlebenden selbst erzählt und verschriftlicht wurden; dies kann durch sie selbst oder durch andere, z. B. Jugend- buchautor(inn)en, geschehen. Dabei sollte man sich bewusst sein, dass sich durch die Narration manchmal in die Geschichten Informationen mischen, die die Überleben- den erst nach dem Krieg erfahren haben. Auch werden in jeder Erzählung Informatio- nen weggelassen und hinzufügt, je nachdem, um welches Publikum es sich handelt.14 Dazu kommt das Problem der Darstellbarkeit des Traumas der Shoa. Überlebende be- schreiben manchmal, dass sie das Gefühl haben, nicht wirklich die Worte für das zu haben, was ihnen widerfahren ist. Zudem spüren sie, dass die Zuhörer(innen) sie nicht wirklich verstehen können. So haben Überlebende oftmals das Gefühl, dass nur Zuhörende, die Ähnliches erlebt haben, wirklich ihre Lebensgeschichten verstehen.15

Authentische Geschichten eröffnen die Möglichkeit, mit jüngeren Leser(inne)n auf zwei Ebenen zu arbeiten: Zum einen erhalten sie einen Text, der ihnen eine klare Trennung zwischen Fiktion und Realität ermöglicht. Zum anderen haben diese Texte auch das Potenzial, den Konstruktionscharakter der Texte zu verdeutlichen. Es wird klar, wer spricht und dass es sich um eine Begebenheit handelt, die aus der spezifi- schen Perspektive eines realen, vorstellbaren Menschen erzählt wird.16 Gleichzeitig kann aber auch Narrativität aufgezeigt werden, „die Tatsache, dass in jedem Text, der Geschichte vermittelt, unabhängig vom Grad seiner historischen Genauigkeit bzw.

Richtigkeit, die Intentionen und die Perspektive des Verfassers mit einfließen“.17 Ehud Loeb, mit dem das Team der Abteilung für deutschsprachige Länder eng an der deutschen Übersetzung seiner Geschichte Im Versteck gearbeitet hat, meinte nach Durchsicht, Korrektur und Abnahme der deutschen Übersetzung: „Es kommt der Wahrheit schon sehr nahe, aber es ist doch nicht wahr.“ Damit spricht er genau die Frage nach Wahrheit und Fiktion in den Beschreibungen der Shoa an.

Durch authentische Geschichten können Stereotype vermieden werden. In der fiktiven Geschichte Damals war es Friedrich von Hans Peter Richter werden hinge- gen an mehreren Stellen Stereotype bedient, wie etwa in den Aussagen des Lehrers:

14 Hayden White, 1986, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart: Klett, S. 9.

15 Mehr Informationen zu diesem Thema im Artikel von Nathan Kellerman zu den Spät- folgen von Holocausttrauma: http://amcha.org/Upload/GermanFolgen.htm (aufgerufen am 24.06.2013)

16 Kinder können durch solche Geschichten auch den Konstruktionscharakter von Ge- schichte erkennen.

17 Ehud Loeb, 2012, Im Versteck. Die Geschichte einer Rettung. Wie ein Junge aus Deutschland in Frankreich den Holocaust überlebte, Jerusalem: Yad Vashem ISHS, S. 50. Vgl. auch Malte Dahrendorf/Zohar Shavit (Hgg.), 1988, Die Darstellung des dritten Reiches im Kinder- und Jugendbuch, Frankfurt a. M.: Dipa; James E. Young, 1990, Writing and Rewriting the Holocaust. Narrative and the Consequences of Inter- pretation, Bloomington: Indiana University Press.

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„Weil sie [die Juden – A. S.] nicht glaubten, daß Jesus der wahre Messias sei, weil sie ihn für einen Betrüger hielten, wie es deren schon andere gegeben hatte, deshalb haben sie ihn gekreuzigt. Und das haben ihnen viele bis heute nicht verziehen; […]

Man wirft den Juden vor, sie seien verschlagen und hinterlistig!

Wie sollten sie das nicht sein?

Jemand, der immer fürchten muß gequält und gejagt zu werden, muß schon sehr stark in seiner Seele sein, wenn er dabei ein aufrechter Mensch bleiben will.

Man behauptet, die Juden seien geldgierig und betrügerisch! Müssen sie das nicht sein?

Immer wieder hat man sie beraubt und enteignet, immer wieder mußten sie auf der Flucht alles zurücklassen, was sie besaßen. Sie haben erfahren, daß Geld das einzige Mittel ist, mit dem sie sich notfalls Leben und Unversehrtheit erkaufen können.

Eines aber müssen selbst die ärgsten Judenfeinde zugeben: Die Juden sind tüchtig!

Nur Tüchtige können zweitausend Jahre Verfolgung durchstehen.

Indem sie mehr und Besseres leisten als die Menschen, unter denen sie lebten, er- rangen sich die Juden immer wieder Ansehen und Geltung. Viele große Gelehrte und Künstler waren und sind Juden. Wenn ihr heute oder morgen erlebt, wie man die Juden mißachtet, dann bedenkt eines: Juden sind Menschen, Menschen wie wir“.18

Die Figur des Lehrers, der im Buch eine positive Rolle einnimmt, nennt viele anti- semitische Stereotype, wie „verschlagen“, „hinterlistig“, „geldgierig“ und „betrüge- risch“, aber auch, dass sie „mehr und Besseres leisten“. Er widerlegt die Stereotype nicht, im Gegenteil: Er bestätigt sie und versucht sie zu erklären. Ebenso stellt der Lehrer die Kreuzigung Jesus’ durch die Juden als Fakt dar und entschuldigt diejeni- gen, die dies den Juden immer noch nachtragen. Am Ende stirbt der jüdische Junge Friedrich nicht in einem Konzentrations- oder Vernichtungslager, sondern durch die Bomben von Alliierten.19

Ein weiteres Beispiel für eine problematische Fiktionalisierung zur Shoa ist Der Junge im gestreiften Pyjama von John Boyne. Hier werden die Ebenen von Geschich- te und Fiktion miteinander verwoben, was junge Leser(innen) in Unklarheit über den Wahrheitsgehalt der Geschichte und damit in Zweifel an deren Glaubwürdigkeit ver- setzt.20 Am Ende des Buches gibt der Autor ein unhaltbares Versprechen: „Natürlich geschah dies alles vor langer Zeit, und etwas Ähnliches könnte nie wieder passieren.

Nicht in diesen Tagen. Nicht in diesem Zeitalter“.21 Solche Aussagen lassen die Frage aufkommen, warum man sich als Pädagogin oder Pädagoge überhaupt die Mühe ma-

18 Hans Peter Richter, 1980, Damals war es Friedrich, Mainz: dtv, S. 56f.

19 Vgl. Juliane Wetzel, 2010, Damals war es Friedrich – Vom zähen Leben misslungener guter Absicht, in: Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur, hrsg. von Wolfgang Benz, Berlin: Metropol, S. 201-209; Michael Wermke, 1999, Jugendliteratur über den Holocaust, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

20 Man erfährt beispielsweise erst mit der Zeit, dass „Aus-Wisch“ Auschwitz und „Furor“

Führer bedeutet. John Boyne, 2007, Der Junge im gestreiften Pyjama, Frankfurt a. M.:

Fischer, S. 35 und S. 54.

21 Boyne, Der Junge im gestreiften Pyjama [Anm. 20], S. 266.

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chen sollte, mit dem Thema Shoa zu arbeiten, wenn so etwas sowieso niemals wieder passieren wird.22

Bei authentischen Texten wird hingegen sehr schnell deutlich, warum es wichtig ist, sich mit der Shoa zu beschäftigen, da auch die Überlebenden dies deutlich zum Ausdruck bringen. Marta Goren schreibt beispielsweise am Ende ihres Buches, sie habe sich dafür eingesetzt, dass in ihrer Heimatstadt ein Denkmal errichtet wurde, um daran zu erinnern, dass es „einmal eine blühende jüdische Gemeinde in Tschortkov gab, die zerstört worden ist, und dass viele Juden der Stadt im Wald ermordet worden sind. Unter den Juden der Stadt gab es eine kleine Familie – die Familie Winter. Mei- ne Mutter Netty, mein Vater Israel und ich, die kleine Tochter, Marta“.23

Eine weitere Besonderheit im Falle der Geschichten der Überlebenden Hanna Gofrith24 und Marta Goren25 ist, dass die beiden ihre Adressen am Ende des Buches angeben und den Lesenden damit die Möglichkeit eröffnen, ihnen zu schreiben. Da- durch kann das Lesen der Bücher durch ein gemeinsames Verfassen eines Briefes und ein gemeinsames Lesen der Antwort abgeschlossen werden. Dies ist eine Chance für die Lernenden, die Geschichte der Überlebenden als Teil ihrer eigenen Gegenwart und damit die Unabgeschlossenheit von Geschichte kennen zu lernen.26

22 Ein ähnliches Beispiel ist das israelische Buch Lama leNaftali korim Naftali (Warum Naftali Naftali heißt) von Alona Frankel. Hier gibt die Autorin am Ende das Verspre- chen, dass „niemals wieder böse Menschen die Welt beherrschen werden“. Vgl. auch Mkayton, Holocaustunterricht mit Kindern [Anm. 7], S. 6f.

23 Naomi Morgenstern, 2008, Die Tochter, die wir uns immer gewünscht haben. Die Ge- schichte von Marta, Jerusalem: Yad Vashem ISHS, S. 100.

24 Naomi Morgenstern, 2000, Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling. Die Ge- schichte von Hanna Gofrith, Jerusalem: Yad Vashem ISHS. Hanna Gofrith hat in Po- len im Versteck überlebt und lebt heute in Tel Aviv.

25 Morgenstern, Die Tochter [Anm. 23].

26 Die Frage, die in Gedenkstätten immer mehr ins Zentrum rückt, ist: Was passiert, wenn keine Zeitzeug(inn)en mehr leben. Dafür werden in Yad Vashem, wie auch in anderen Gedenkstätten, Zeitzeugeninterviews geführt, sodass die Erlebnisse erhalten bleiben. Es wurden in Yad Vashem zudem Filme gedreht, in denen Zeitzeug(inn)en an die Orte begleitet wurden, an denen sie geboren wurden, zu denen sie deportiert wur- den und an denen sie nach der Befreiung ihr neues Leben aufgebaut haben. Im deutschsprachigen Newsletter von Yad Vashem wurde die Frage der Herausforderun- gen im 21. Jahrhundert im Umgang mit der Shoa in der pädagogischen Arbeit themati- siert: www.yadvashem.org/yv/de/education/newsletter/04/ index.asp. Im Artikel des Filmwissenschaftler Tobias Ebbrecht werden die Zeitzeugenfilme von Yad Vashem analysiert: www.yadvashem.org/yv/de/education/newsletter/04/article_tobias.asp (beide aufgerufen am 24.06.2013)

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Detailreiche Erinnerungen

Literatur über die Shoa, die man mit Kindern lesen kann, sollte auf Beschreibungen von Überlebenden basieren, die mit vielen Details versehen sind. Überlebende, die während der Shoa Kinder waren, können sich vielleicht nicht mehr an genaue Daten und Sachverhalte erinnern, dafür aber an Gerüche, Gefühle, Stimmungen sowie an die Eltern und Großeltern und an bestimmte (familiäre) Traditionen. Folgend die Be- schreibung von Marta Goren über ihr Leben in der Vorkriegszeit in Polen:

„Ich liebte es, Großvater und Großmutter zu besuchen. Großmutter war eine großartige Köchin und der Duft ihrer frischen, eigens für den Schabbat gebackenen Challot-Bro- te27 zog von ihrem Küchenfenster bis zu unserer Wohnung. Großmutter buk auch He- feküchlein, gefüllt mit Rosinen und Zimt, deren wunderbaren Geschmack ich bis heute auf der Zunge habe“.28

Marta Goren war 1939 vier Jahre alt und kann sich noch sehr gut an den Geschmack und den Geruch der Challot-Brötchen erinnern. Solche Details helfen, die historische Geschichte mit der Gegenwart der Schüler(innen) in Bezug zu setzen, und zwar aus- drücklich in einem Modus, der ihnen sowohl Anknüpfung als auch Abgrenzung er- möglicht. Auch in dem Buch Verlorene Welt. Jüdische Kindheit von 1925 bis 193929 von Hannele Zürndorfer – das die Geschichte von Karola Regent, die in Düsseldorf als Hanna Zürndorfer geboren und 1938 mit einem Kindertransport nach England ge- bracht wurde, erzählt – spielen Erinnerungen an Gerüche und Geschmack eine Rolle:

„Gewöhnlich machte Papi für uns das Frühstück: Haferbrei mit Rosinen und Nüssen und Kakao“.30 Hannele Zürndorfer überlebte die Shoa in England, wo sie auch heute noch wohnhaft ist.

Erweiterung des Erzählten um das Leben vor und nach der Shoa

Ein weiteres pädagogisches Prinzip in Yad Vashem ist es, die Verfolgungsgeschich- ten der Überlebenden mit ihrem Leben vor und nach der Shoa zu verknüpfen. Durch diese Erweiterung werden die Überlebenden als handelnde Subjekte dargestellt und nicht nur auf ihren Opferstatus reduziert. Es wird außerdem deutlich, dass über die ca.

sechs Millionen Menschen hinaus auch eine ganze Kultur, eine Religion und eigent- lich eine ganze Welt vernichtet werden sollte.

Bis zum Einsetzen der Verfolgung stellten sich die Jüdinnen und Juden meistens ihre Zukunft in den Ländern vor, in denen sie aufgewachsen waren. Daher sollte ver-

27 Sabbatbrote wurden zu Zöpfen geflochten und zu Sabbat paarweise serviert.

28 Morgenstern, Die Tochter [Anm. 23], S. 9.

29 Hannele Zürndorfer, 2005, Verlorene Welt. Jüdische Kindheit von 1925 bis 1939, Düsseldorf: Kallmeyer. Das Buch wurde herausgegeben von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Düsseldorf e. V. und der Mahn- und Gedenk- stätte Düsseldorf e. V.

30 Ebd., S. 7.

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sucht werden, diese Menschen als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmbar zu machen, mit ihrer eigenen Geschichte und Tradition innerhalb der Gesellschaften, in denen sie gelebt haben. In dem Buch Im Versteck beschreibt der Überlebende Ehud Loeb, dessen Name früher Herbert Odenheimer war, sein Leben in Deutschland:

„Ich wurde 1934 in der kleinen, malerischen Stadt Bühl in Baden geboren, berühmt wegen ihrer herrlichen Zwetschgen“.31

„Wir wohnten mit meinen Großeltern, den Eltern meiner Mutter, und mit Tante Erna, Mutters Schwester, in einem Haus. An sie alle kann ich mich noch sehr gut erin- nern“.32

„Wäre das Leben in Deutschland ungehindert weitergegangen, dann würden meine Söhne und ich heute wohl dort arbeiten und mit der Druckerei und dem Geschäft für Schreibwaren und Zigaretten, das meinem Großvater gehört hatte, den Lebensunterhalt für unsere Familien bestreiten. Wäre die Synagoge nicht niedergebrannt worden, dann würden sich heute wohl meine Enkel am Freitagabend nach dem Gebet dort anstellen, um vom Kiddusch-Wein zu nippen … Aber die Synagoge brannte am Tag der soge- nannten ,Kristallnacht‘ ab, als ich viereinhalb Jahre alt war“.33

Hier zeigt sich, dass sich Ehud Loeb trotz seines damaligen jungen Alters an sehr vie- le Dinge erinnern kann. Zudem sieht man die Verwurzelung der Familie in Bühl. Oh- ne das Leben vor der Shoa zu beschreiben, wird der traumatische Bruch, den die Fa- milie erleben musste, für die Lesenden nicht nachvollziehbar.

Es gibt viele andere Beispiele in Erzählungen von Überlebenden, die deutlich machen, wie sehr sie in den Ländern, in denen sie gelebt haben, auch verwurzelt wa- ren. Ilse Maas, die in Linz geboren wurde, im Exil in Shanghai die Shoa überlebt hat und nach dem Krieg nach Israel ausgewandert ist, schreibt über ihre Heimatstadt:

„Ich liebte es, wenn wir als Familie Ausflüge machten. In Linz konnte man sehr viel unternehmen. Im Winter fuhren wir am Pöstlingberg Schlitten. Manchmal ging ich Eislaufen. Mein Lieblingsplatz zum Spielen war im Volksgarten. Auch zum Radiosen- der auf dem Freinberg spazierten wir gerne. Etwas ganz Besonderes waren die Schiff- fahrten auf der Donau. […] In Linz konnten wir gut leben und wir fühlten uns dort wohl“.34

Die Geschichte von Ilse Maas wurde von Volksschulpädagoginnen als Kinderbuch für Leser(innen) im Grundschulalter aufgearbeitet. Sie fokussierten dabei das Leben von Ilse Maas in Linz, Shanghai und Israel. Im ersten Teil wird evident, wie sehr die Familie Linz als ihre Heimat ansah.

31 Loeb, Im Versteck [Anm. 17], S. 5.

32 Ebd., S. 6ff.

33 Ebd., S. 15f.

34 Martina Führer/Gertraud Hoheneder/Ruth Nowotny (Hgg.), 2012, Weg von hier…

Linz-Shanghai-Israel. Stationen im Leben der Linzer Jüdin Ilse Maas, Linz: Wagner, S. 11-14.

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Der Protagonist im Alter der Lernenden

Es fördert den Aufbau einer empathischen Lernhaltung, wenn die Überlebenden un- gefähr im selben Alter waren, wie das Publikum es ist, mit dem über das Buch ge- sprochen wird. Der Überlebende Uri Orlev, der zuerst im Warschauer Ghetto lebte, dann im Versteck und 1943 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert wurde, schreibt in seinem autobiografischen Buch Das Sandspiel35 über die Vorzüge einer kindlichen Erzählperspektive:

„Ich werde oft von Schulen eingeladen, um mit Kindern zu sprechen, nachdem sie ein Buch von mir gelesen haben, oder auch mehrere. Dann erzähle ich ihnen etwas über mich selbst, wie ich es jetzt hier getan habe, und beantworte ihre Fragen. […] Ich weiß nicht, ob mir das Schreiben über die Vergangenheit hilft, sie zu bewältigen. Ich weiß nur, dass es mir nicht möglich ist, als Erwachsener zu sprechen oder die Dinge zu den- ken, die mir passiert sind. Ich muss mich an sie erinnern, als wäre ich noch immer ein Kind. Es sind seltsame Details, manche komisch, andere bewegend, die Kindheitserin- nerungen an sich haben und die von Kindern auch leicht verstanden werden. Als Er- wachsener kann ich mir nicht vorstellen, dass meine eigenen Kinder das mitgemacht haben könnten, was ich erlebte. Ich muss den Gedanken daran sofort wegschieben. Es ist wie das Gehen auf einem gefrorenen Teich. Würde ich einen Schritt machen – das heißt, würde ich über das, was passiert ist, als der fünfundsechzigjährige Mensch nach- denken, der ich heute bin –, würde das Eis einbrechen und ich wäre unfähig, ans Ufer zurückzukommen“.36

Für Uri Orlev ist das Einnehmen der Kindperspektive eine Möglichkeit, sich von der Vergangenheit zu distanzieren und die Ängste, die er damals hatte, nicht auf sein heu- tiges Leben übergreifen zu lassen. Er schreibt aber auch, dass er von Kindern gut ver- standen wird, weil er sozusagen als Kind zu einem Kind spricht.

Viele Schrift- und Bildzeugnisse von Kindern aus der Zeit der Shoa sind erhal- ten. Diese eignen sich allerdings weniger für die Arbeit mit Schüler(inne)n in der Grundschule, denn hier wird ein Schrecken wiedergegeben, der eigentlich unbe- schreibbar ist. In ihren Zeugnissen ringen Kinder und Jugendliche um das Niederle- gen von Erlebtem, für das es eigentlich keine Worte gibt. So vertraut sich die Ungarin Eva Heyman zwei Wochen vor ihrer Deportation nach Auschwitz ihrem Tagebuch an:

„18.5.1944 […] Dear Diary, Agi (ihre Mutter, A. S.) also told other things, like what the gendarmes do to the women, because women are also taken there, things that it would be better if I didn’t write them down in you. Things that I am incapable of put-

35 Uri Orlev, 1997, Das Sandspiel, Weinheim: Beltz. Uri Orlev ist nach der Befreiung nach Israel ausgewandert und gehört dort zu den bedeutendsten Kinderbuchautoren.

Das Sandspiel erschien zuerst auf Hebräisch und wurde 1994 erstmals in deutscher Übersetzung von Mirjam Pressler herausgebracht.

36 Ebd., S.75f.

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ting into words, even though you know, dear diary, that I haven’t kept any secrets from you till now“.37

Die Tagebucheinträge von Eva Heyman enden drei Tage vor ihrer Deportation. Auch andere Tagebuchaufzeichnungen enden abrupt und es ist nicht immer möglich her- auszufinden, was mit den Kindern im Weiteren passiert ist.38

Vor allem in Tagebüchern aus der Shoa-Zeit wird deutlich, wie Kinder in der traumatischen Gegenwart versucht haben dem Chaos, den Brüchen in ihren Lebens- geschichten, der Orientierungslosigkeit und der Unsicherheit durch das Schreiben eines Tagesbuches wieder eine Struktur zu geben. Man gewinnt durch die Tagebuch- einträge Einsicht in den Zustand zwischen Hoffnung und Verzweiflung.39

In Yad Vashem werden für junge Lernende autobiografische Texte ausgewählt, die erst nach der Shoa im Rückblick auf das Trauma entstanden sind. Hierin hat der Überlebende eine Art auktorialen Überblick und kann die Themen und die Art und Weise des Erzählens auswählen und der Rezipient weiß, dass er überlebt hat.

Einbettung der Biografie in historischen und gesellschaftlichen Kontext

Da die Opfer nie isoliert, sondern von der sie ausgrenzenden Mehrheitsgesellschaft umgeben waren, sollte der jeweilige historische und gesellschaftliche Kontext in die Geschichten aufgenommen werden. Dadurch wird das Bewusstsein gefördert, dass das Schicksal der einzelnen Protagonisten mit den Handlungen, Unterlassungen und Entscheidungen Anderer zusammenhängt. Aus diesem Grund werden auch Neben- figuren beleuchtet. Bei Büchern für jüngere Schüler(innen) dominiert der Erzähl- strang, der die Erzählung der Protagonist(inn)en fokussiert; Yad Vashem setzt dabei einen besonderen Akzent auf die Retter(innen).

Uri Orlev beschreibt in seinem autobiografischen Roman sehr eindrücklich die Zeit der Shoa, er beschreibt u. a. das Leben im Ghetto, im Versteck und die Versuche seiner Tante, ihn und seinen Bruder zu retten. Er beschreibt, wie es seiner Tante ge- lungen war, sie aus dem Warschauer Ghetto herauszubringen und ihnen ein Versteck außerhalb des Ghettos in einer Gaube eines Wohnhauses zu finden. Das folgende Zi- tat gibt die Ereignisse wieder, nachdem die Brüder verraten wurden und ein polni- scher Polizist in das Versteck der Jungen kommt:

„Ein polnischer Polizist in Zivil kam […]. Er stellte uns Fragen, auf die es keine Ant- worten gab. Zum Beispiel: ,In welche Schule geht ihr?‘ Wenn ich für meinen Bruder antwortete, gab er mir eine Ohrfeige. Er glaubte, er könnte die Wahrheit aus meinem Bruder herausbekommen, weil der kleiner war. Aber mein Bruder schwieg. […]

Doch dann sagte er [der Polizist, A. S.] auf einmal: ,Macht euch keine Sorgen, Kinder, alles wird gut werden.‘

37 Noa Barbara Nussbaum, 2004, Für uns kein Ausweg. Jüdische Kinder und Jugendliche in ihren Schrift- und Bildzeugnissen aus der Zeit der Shoah, Heidelberg: Winter, S. 32.

38 Ebd, S. 31.

39 Young, Writing and Rewriting the Holocaust [Anm. 17], S. 16.

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Er berichtete seinen Vorgesetzen tatsächlich, wir wären polnische Kinder. Niemand konnte sich später erklären, wie das geschehen konnte.

Als der Mann aufstand und weggehen wollte, fand mein Bruder plötzlich die Sprache wieder und fragte: ,Nehmen Sie uns nicht mir?‘

,Nein.‘

,Warum nehmen Sie uns nicht mit? Sind Sie kein schlechter Deutscher?‘

Der Mann umarmte meinen Bruder und sagte: ,Ich bin kein Deutscher. Und ich bin zwar ein schlechter Mensch, aber ich sperre euch nicht ein.‘

Auf dem Weg zur Tür betrachtete er unsere Soldaten und sagte: ,Ihr spielt Krieg, nicht wahr?‘

Dann lächelte er uns zu und verschwand. Sein Name war Sergeant Zuk und Tante Me- la schickte ihm Blumen“.40

Hier wird einmal mehr deutlich, dass die Versteckten vollständig auf die Hilfe ande- rer angewiesen waren. Die Brüder wären ohne die Verschwiegenheit des Polizisten deportiert worden. Es zeigt aber auch, dass es sich bei diesem Mann nicht um eine positive Heldenfigur handelt. Die Nebenfiguren, die eine Rolle in den Geschichten spielen, werden als normale Menschen beschrieben. Dabei ist es wichtig, dass weder die Täter(innen) einseitig als monströse Unmenschen dargestellt werden, noch die Retter(innen) als heldenhafte, moralisch anderen immer überlegene Personen. Auf die Dichotomie von „nur gut“ und „nur böse“ sollte verzichtet werden. Stattdessen lässt sich die komplexe Realität besser durch die Darstellung von möglichst vielen unter- schiedlichen Personen mit unterschiedlichen Verhaltensmustern vermitteln. Je älter die Lesenden, desto mehr können die Nebenfiguren ins Zentrum rücken, dann können auch andere Personen im Vordergrund stehen und nicht nur die Protagonisten, deren Wege die jüngeren Lesenden mitverfolgen.41

Keine explizite Darstellung des Genozids

Um Kinder im frühen Alter nicht mit dem Thema Shoa zu überfordern und bei ihnen eine Abwehrhaltung hervorzurufen,42 werden die Geschichten so ausgewählt, dass der eigentlich Genozid – die Vernichtungslager, Massenerschießungen, Gaskammern und Krematorien – nicht explizit dargestellt wird.

Daher sind die Materialien von Yad Vashem für junge Leser(innen) im histori- schen Umfeld von Ghetto bzw. Versteck angesiedelt und es werden keine Geschich- ten aus den Lagern erzählt, wo der Genozid zum Ende kam.

Da immer an authentisch historischen Beispielen gelernt wird, erschließen sich den Lernenden, auch wenn die Geschichten nur im Umfeld von Ghetto und Versteck angesiedelt sind, die zentralen Grundbegriffe der Shoa, beispielsweise die Stigmati-

40 Orlev, Das Sandspiel [Anm. 35], S. 48ff.

41 Mkayton, Holocaustunterricht mit Kindern [Anm. 7], S. 4.

42 Dies entspricht auch dem Beutelsbacher Konsens und dem darin vermerkten Überwäl- tigungsverbot. Siehe dazu www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens (aufge- rufen am 05.06.2013).

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sierung der Jüdinnen und Juden mit dem gelben Stern, die Ghettoisierung und die De- portationen. In dem Buch Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling beschreibt Hanna Gofrith die Einführung der Kennzeichnungspflicht:

„Eines Tages sah ich, wie meine Mama Sterne aus gelbem Stoff an ihrem und Papas Mantel befestigte.

,Mama, was nähst du da an?‘, fragte ich.

,Einen gelben Stern, den wir jetzt auf unseren Sachen tragen müssen, wenn wir aus dem Haus gehen‘, antwortete sie.

,Alle müssen das?‘, fragte ich weiter.

,Nur Juden‘, sagte Mama.

,Warum?‘

,Die deutschen Soldaten haben es den Juden befohlen.‘

,Aber warum?‘

,Damit sie sehen können, dass wir Juden sind‘, gab sie ungeduldig zurück.

,Warum müssen sie das sehen?‘, wollte ich wissen.

,Ich weiß es nicht! Sie haben befohlen, dass wir diesen Stern tragen, also werden wir ihn tragen‘, sagte darauf Mama gereizt und fuhr dabei mit ihrer Arbeit fort“.43

Es wird deutlich, dass die Mutter ihrer Tochter nicht erklären kann, warum der Stern getragen werden muss. Die Unsicherheit der Mutter zeigt sich in ihrer Gereiztheit, nachdem ihre Tochter sich nicht mit ihren kurzen Antworten zufrieden gegeben hat.

Weiter wird evident, dass es nicht um „die künstliche Herstellung einer ‚Light- version‘ der Shoa geht, sondern um das bewusste Aussparen von Lerninhalten mit traumatisierendem Potential, ohne jedoch auf eine klare und eindringliche Beschrei- bung der Verluste, die Menschen zugefügt wurden, zu verzichten“.44 In der Geschich- te der Überlebenden Hanna Gofrith zeigen sich diese Verluste sehr deutlich:

„Als Mama zurückkam, sprach sie nicht. Ich fragte nicht. Wir waren allein, Mama und ich. Wir hatten Papa verloren, wir hatten Oma verloren. Alle Tanten und Onkel und auch meine Cousine Henja waren nicht mehr am Leben. Von den vielen jüdischen Be- wohnern Biala Rawskas hatten 35 Erwachsene, ein weiteres Kind und ich überlebt“.45 Ein Beispiel für ein Kinderbuch, das in einem Lager spielt, ist Ilse Burfeinds Das Kind im Koffer.46 Hier wurde mit Rücksicht auf die jungen Lesenden versucht, die historische Realität des Lagers ohne potenziell traumatisierende Inhalte darzustellen.

Dies führt jedoch zu einer Verharmlosung: Das Leben und Überleben im Lager er- scheint machbar, die Häftlinge scheinen untereinander durch eine große Solidarität

43 Morgenstern, Gern wäre ich geflogen [Anm. 24], S. 5.

44 Mkayton, Holocaustunterricht mit Kindern [Anm. 7], S. 6.

45 Morgenstern, Gern wäre ich geflogen [Anm. 24], S. 30.

46 Ilse Burfeind, 1987, Das Kind im Koffer, Hamburg: Kinderhaus. Zur Entstehung des Buches vgl. Jürgen Moysich, 1998, Über einige Versuche in der Kindertagesstätte über die NS-Vergangenheit zu sprechen, in: Der Holocaust. Ein Thema für Kindergarten und Grundschule?, hrsg. von Jürgen Moysich und Matthias Heyl, Hamburg: Krämer, S. 166-179.

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verbunden. Weiter wird die Krankenbaracke einzig und allein zu einem Ort des Wi- derstandes und des Schutzes vor den Nationalsozialisten.

Durch autobiografische Kinderliteratur zur Shoa kann eine klare Abgrenzung zwischen Fiktion und Realität vorgenommen werden. Es können zudem erste Ein- sichten in den Konstruktionscharakter der Geschichten gewonnen werden. Zudem wird den Lernenden durch den Kontakt mit den Überlebenden deutlich, dass die Aus- einandersetzung mit der Geschichte kein abgeschlossener Prozess ist, sondern viel- mehr ein Teil ihrer Wirklichkeit.

Durch eine sorgfältige Auswahl von Quellen nach den hier vorgestellten Kriteri- en kann für Lernende ein guter Zugang zum Thema gewonnen werden, auf den später im Geschichtsunterricht zurückgegriffen werden kann. Die frühe Auseinandersetzung mit der Shoa schafft einen Raum, in dem die Eindrücke, mit denen die Schüler(innen) durch die Medien und Gesellschaft außerhalb der Schule konfrontiert werden, einge- ordnet und bearbeitet, aber auch abgelegt werden können. Wichtig ist, die Lernenden immer wieder deutlich in ihrer eigenen Gegenwart zu positionieren und sie zur Ab- grenzung statt zur Identifikation einzuladen, um zu verhindern, dass sie sich durch den problembelasteten Stoff überfordert fühlen.

Zusammenfassend handelt es sich um eine altersgerechte Erstbegegnung mit der Shoa und weder um ein Vorgreifen auf noch um einen Ersatz für den historischen Unterricht über die Shoa. Vor allem in der Oberstufe muss der Fokus auch auf die Tä- ter(innen) gesetzt werden, denn dieses Thema weist Lernende wie auch Lehrende auf eines der schwierigsten Themen der eigenen Geschichte hin. Die Frage, inwiefern auch die eigene Familie Verantwortung für die Geschehnisse hat, rührt verständli- cherweise weiterhin an emotionalen Befindlichkeiten.

Ziel einer Beschäftigung mit den Täter(inne)n und Zuschauenden sollte es sein, die Schüler(innen) zum Hinschauen, Einmischen und Helfen zu ermutigen. Den Ler- nenden soll deutlich werden, dass jeder Mensch an vielen Punkten seiner Lebensge- schichte die Wahl hat, sich so oder anders zu entscheiden.47

47 www.yadvashem.org/yv/de/education/pedagogic_concept.asp (aufgerufen am 05.06.2013).

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