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Entscheidungen - Erlass einer einstweiligen Anordnung - Vorläufige Untersagung der Abschiebung eines Eritreers nach Griechenland

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Academic year: 2022

Aktie "Entscheidungen - Erlass einer einstweiligen Anordnung - Vorläufige Untersagung der Abschiebung eines Eritreers nach Griechenland"

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- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Kerstin Müller,

Aachener Straße 60-62, 50674 Köln -

1 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BVR 2780/09 -

Im Namen des Volkes In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde 1.des Herrn A…,

gegen a) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19. November 2009 - 6 L 1757/09.A -,

b) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 30. Oktober 2009 - 6 L 1544/09.A -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Osterloh

und die Richter Mellinghoff, Gerhardt

am 8. Dezember 2009 einstimmig beschlossen:

Der Ausländerbehörde der Stadt M. wird die Vollziehung der Abschiebung des An- tragstellers nach Griechenland vorläufig untersagt.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG in einem Verfahren betreffend die Überstellung eines eritreischen Asylantragstellers nach Griechenland in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl Nr. L 50 S. 1) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsange-

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5 hörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall ei- nen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu blei- ben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzu- lässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbe- schwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwer- de aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die be- gehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Er- folg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).

2. Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Verfas- sungsbeschwerde des Antragstellers offensichtlich unzulässig oder offensichtlich un- begründet ist.

Die Verfassungsbeschwerde kann Anlass zur Untersuchung geben, ob und gege- benenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art.

16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Kon- zepts der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfGE 94, 49 <99 f.>) bei der Anwen- dung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zu- ständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist. Es könnte dabei auch zu klären sein, ob und welche Vorgaben das Grundgesetz zur Gewäh- rung vorläufigen Schutzes für den Zeitraum trifft, den die Organe der Europäischen Union benötigen, Erkenntnisse über für Asylsuchende bedrohliche tatsächliche oder rechtliche Defizite des Asylsystems eines Mitgliedstaats auszuwerten und erforderli- che Maßnahmen durchzusetzen. Bei der Würdigung von Art. 16a Abs. 2 und Abs. 5 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG könnten in diesem Zusammenhang auch die Anforde- rungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften zur Erhaltung und Weiterent- wicklung der Europäischen Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (vgl. Art. 2 4. Spiegelstrich EUV; vgl. zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon BGBl II 2008 S. 1038: Art. 67 AEUV und Art. 77-80 AEUV) ei- ne Rolle spielen, da der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 16a GG die Grundlage für eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewäh- rung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem sol- chen System beteiligten Staaten geschaffen hat (vgl. BVerfGE 94, 49 <85>).

Angesichts dieser offenen Fragen ist nicht zu erkennen, dass die Verfassungsbe- schwerde offensichtlich unbegründet wäre. Auch unter Berücksichtigung der zwi- schenzeitlich gerichtsbekannten, umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Or- ganisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland können die

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7 Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein offensichtlich

verneint werden. Allerdings sind sie angesichts des Umstands, dass die Mitgliedstaa- ten der Europäischen Gemeinschaft durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden sind (vgl. BVerfGE 94, 49 <88 f.>), die Vergewisserung hinsichtlich der Schutzgewährung damit durch den verfassungs- ändernden Gesetzgeber selbst erfolgt ist (vgl. BVerfGE 94, 49 <101>) und die Ent- scheidung nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden kann, auch nicht offensichtlich zu bejahen.

3. Bliebe dem Antragsteller der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung ver- sagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits mit der Ab- schiebung oder in ihrer Folge eintretende Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr ver- hindert oder rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, S. 1281). Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Antragstel- ler der Erfolg in der Hauptsache aber versagt bliebe, wiegen dagegen hier weniger schwer. Insbesondere widerspricht die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Überstellungsverfahren nicht gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen der Bun- desrepublik Deutschland. Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zum Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes bei Überstellungen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/

2003 besteht nicht. Vielmehr sieht das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit der Ge- währung vorläufigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen Überstellungen an den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 und Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 selbst vor.

4. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

Osterloh Mellinghoff Gerhardt

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezem- ber 2009 - 2 BvR 2780/09 - Rn. (1 - 7), http://www.bverfg.de/e/

rk20091208_2bvr278009.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:2009:rk20091208.2bvr278009

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