Inhalt
Musik und Lebenswelt
Auf kaum einem anderen Ge
biet hat sich die Globalisierung so schnell und unbemerkt vollzogen wie in der Musik.
Durch Migrationsbewegungen mischen sich Kulturen, Instru
mente und Rhythmen und lassen ganz neue Musikkrea
tionen entstehen, die weltweit Menschen bewegen. Diese vielfältigen Verschmelzungen werden häufig unter dem Begriff „Globale Musik“ zusam
mengefasst.
Musik ist nicht nur Ausdruck von Gefühlen wie Freude, Wut oder Trauer, sondern kann
auch politische oder religiöse Botschaften transportieren, kulturelle Identität stiften und soziale Transformationspro
zesse initiieren und begleiten.
Diesen vielfältigen Funktionen von Musik wollten die Teilneh
merinnen und Teilnehmer der Fachtagung „Lebenswelten erkunden: Musik in der glo
balisierten Welt“ im April 2012 nachspüren. Die Tagung für Lehrkräfte aller Fachrichtun
gen wurde von Brot für die Welt und dem Arbeitskreis Pädagogik anlässlich seines 20jährigen Bestehens organi
siert. Dieses Heft fasst die viel
seitigen Diskussionen, Anre
gungen und Erkenntnisse die
ser Tagung zusammen. Eine zentrale Frage der Tagung war, wie sich Musik für Globales Lernen kreativ einsetzen lässt.
Mit besonderem Fokus auf Musikkulturen Lateinamerikas wurden die Geschichte und Wirkungen politischer Lieder in Lateinamerika, die Zusammen
hänge von Musik und Religion sowie die transformative Kraft von Hip Hop Gruppen und Jugendorchestern in sozialen Problemvierteln lateinameri
Praxis
3 Auf den Spuren der Musik
4 Politische Texte
Infos
5 Musikstil Forró 6 Politische Lieder 7 Hip Hop gegen Gewalt 8 Jugendorchester 9 Musik und Glaube
Konkret
10 Kolumbien
Nachrichten
11 Veranstaltungen
Berghof Foundation / Friedenspädagogik Tübingen Corrensstraße 12, 72076 Tübingen Telefon: 07071 92051-0
Fax: 07071 92051-11
info-tuebingen@berghof-foundation.org www.friedenspaedagogik.de
www.berghof-foundation.org Die Zeitschrift GLOBAL LERNEN wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer der Sekundar- stufen. Sie erscheint drei mal pro Jahr und kann kostenlos bezogen werden.
GLOBAL LERNEN wird von
„Brot für die Welt“ in Zu sammenarbeit mit dem
„Arbeitskreis Pädagogik“
und der Berghof Foundation erstellt.
Sie können GLOBAL LERNEN abonnieren (s. Seite 12).
ISSN 0948-7425
Service für
Lehrerinnen und Lehrer
Ausgabe 2012-2
Kontakte für Globales Lernen
Brot für die Welt Stafflenberg straße 76 70184 Stuttgart Telefon: 0711 2159-568 Fax: 0711 2159-368
bildung@brot-fuer-die-welt.de
www.brot-fuer-die-welt.de
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
2 2 DAS THEMA
Konzeption von Global Lernen
Die Zeitschrift „Global Lernen“ bietet Ihnen folgende Rubriken:
1. Praxis
Direkt im Unterricht und in der Bildungsarbeit einsetzbare Arbeitsblätter (Seite 3 und 4)
2. Info: Zur Diskussion
Hintergrundinformationen zum jeweiligen Thema aus unter
schiedlichen Blickwinkeln (Seite 5 bis 9) 3. Brot für die Welt konkret
Stellungnahmen, Einschätzungen und Projekte von „Brot für die Welt“ zum Thema (Seite 10)
4. Nachrichten
Wissenswertes aus der Bildungsarbeit von „Brot für die Welt“, dem Arbeitskreis „Pädagogik“ und der Berghof Foundation.
(Seite 11)
Praxis – zum Einsatz der Arbeitsblätter
Die Arbeitsblätter auf den Seiten 3 und 4 sind jeweils für den Einsatz im Unterricht konzipiert. Das entsprechende Arbeitsblatt wird für alle Schülerinnen und Schüler kopiert.
Die Arbeitsblätter bieten Zugang und Möglichkeiten der Aus
einandersetzung zu folgenden Aspekten des Themas:
Arbeitsblatt 1:
Die Musikkarte verdeutlicht, dass es in Lateinamerika nicht nur den „Samba de Janeiro“ gibt. Die Schülerinnen und Schüler lernen im Zuge ihrer Recherchen die musikalische Vielfalt des Kontinents kennen. Am Beispiel der Musik können sie die Ver
mischung von Kulturen durch Globalisierungsprozesse und Migrationsbewegungen erfahren.
Die Präsentation der eigenen Rechercheergebnisse für ein externes Publikum setzt Kreativität frei.
Arbeitsblatt 2:
Für die Arbeit mit ausgewählten Musikstücken bieten sich ver
schiedene Zugänge an. Die Schülerinnen und Schüler nähern sich zunächst über das Anhören und Ansehen des Videos an das Lied an. Auch ohne den Inhalt in der fremden Sprache gleich zu verstehen, können die durch das Lied ausgelösten Emotionen und erste Interpretationen diskutiert werden.
Mithilfe der Hintergrundtexte auf den Seiten 6 und 7 gelingt die Vertiefung und Einordnung der Lieder in ihren sozialen und politischen Kontext.
Anschließend können die Schülerinnen und Schüler als Trans
ferleistung die Inhalte der Lieder in eine kreative, darstelle
rische Präsentation bringen. Alternativ können sie eigene so ziale und politische Fragen und Probleme in eigenen Lied
texten verarbeiten.
In einer Abschlussdiskussion können die Möglichkeiten und Grenzen der Musik als politisches Ausdrucksmittel und die Gefahren des Missbrauchs von Musik als Propaganda (vgl.
auch S. 9) thematisiert werden.
kanischer Großstädte erkundet.
Gesangs und Tanzübungen unter Anleitung erfahrener Musik und Tanzpädagoginnen und pädagogen von „alba
Kultur“ aus Köln sorgten für ganzheitliche Erfahrungen der musikalischen Vielfalt Latein
amerikas.
Das Thema in der Schule
Die Jugendphase ist für die meisten Menschen untrenn
bar mit Musik verbunden.
Jugendliche lieben Musik und drücken damit ein bestimmtes Lebensgefühl aus. Musik ver
deutlicht aber auch politische Haltungen, sie dient der Ab
grenzung von den Eltern oder signalisiert Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Subkultur. Viele Jugendliche machen selbst Musik, um sich auszudrücken oder um An
Tanz und Theater, darstellende Kunst, Musik, mündliche Lite
raturformen, Sprachen und Handwerkstraditionen gehören zum weltweiten immateriellen Kulturerbe. Durch Globali
sierungseinflüsse gehen diese Kulturformen in den letzten Jahren beschleunigt verloren. Sie zu erhalten, ist Ziel des
„UNESCOÜbereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes“ von 2003.
Beispiele aus der repräsentativen Liste der UNESCO:
• argentinischer und uruguayischer Tango
• tibetische Oper in China
• HeiligBlutProzession im belgischen Brügge
• kolumbianischer „Carnaval de Negros y Blancos“.
http://www.unesco.de/immaterielles-kulturerbe.html http://www.unesco.org/culture/ich/
Immaterielles Kulturerbe
erkennung zu erhalten.
Das Grundinteresse der Ju
gendlichen an Musik lässt sich für das Globale Lernen nutzen.
Über die Musik lernen Schü
lerinnen und Schüler die Le
benswelten von Menschen in anderen Weltregionen kennen.
Geschichte, Politik und soziale Lebenswelten lateinamerikani
scher Länder werden durch die Beschäftigung mit ausgewähl
ten Musikstücken auch emo
tional greifbar. Die Kraft, die Musik für einen sozialen Wan
del entfalten kann, ist auch Ermutigung von Schülerinnen und Schüler, ihre eigenen po
litischen und sozialen Anliegen kreativ, musikalisch oder per
formativ auszudrücken. Das fächerübergreifende Arbeiten in Sozialkunde, Geschichte, Geografie, Religion und Ethik, Kunst, Sport und Musik bietet sich hier ganz besonders an.
Das „UNESCOÜbereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ von 2005 setzt sich u. a. folgende Ziele:
• Uneingeschränkte kulturelle Selbstbestimmung von Indivi
duen und sozialen Gruppen auf Basis der Menschenrechte,
• Anerkennung der „Doppelnatur“ von Kulturgütern und
dienstleistungen als Handelsware und als Träger von Iden
titäten, Wertvorstellungen und Bedeutungen,
• Recht eines Staates auf eigenständige Kulturpolitik, (…)
• Integration von Kultur in nachhaltige Entwicklung,
• Gleichberechtigung zu anderen internationalen Abkommen wie z. B. GATT (1994) und GATS (1995).
Deutsche UNESCO-Kommission: Weißbuch „Kulturelle Vielfalt gestalten“, Bonn, 2009, S. 2.
Kulturelle Vielfalt
3 3
GLOBAL LERNEN 2012-2 • © BROT FÜR DIE WELT
PRAXIS. ZUM HERAUSNEHMEN UND KOPIEREN
AUFGABEN
1) Suchen Sie sich einen der oben aufgeführten Musikstile aus. Recherchieren Sie weitere Informationen zu dessen Ur sprüngen, zur Geschichte des Landes, sowie Bilder und Musik beispiele.
2) Erstellen Sie eine Präsentation (z. B. eine Musikcollage, eine Kursbeschreibung für eine Tanzschule, eine Konzertankün
digung, eine Reiseroute auf den Spuren der Musik, einen Spendenaufruf einer Entwicklungsorganisation).
3) Präsentieren Sie Ihre Arbeit im Plenum.
4) Spüren Sie in Ihrer Stadt oder Region Menschen auf, die aus Lateinamerika kommen oder lange dort gearbeitet haben.
Viele Kirchen, EineWelt Gruppen und Entwickungsorganisa
tionen vermitteln Kontakte zu Referentinnen und Referen
ten, die Workshops in Schulen anbieten. Vielleicht möchten
Sie Ihr gewonnenes Wissen aber auch selbst weitergeben und z. B. eine „Reise ohne Koffer“ für ein Publikum veran
stalten.
Die Idee von „Reisen ohne Koffer“
Da viele Seniorinnen und Senioren in Alteneinrichtungen nicht mehr selbst reisen können, bringen Freiwillige vom „Forum interkulturelle Begegnung“ in NRW die Länder einfach zu ih
nen. Sie laden Musikgruppen ein, bereiten eine Präsentation über Land und Leute vor, zeigen Ausstellungen oder Bilder und bringen typisches Essen und Getränke mit, so dass die älteren Menschen das fremde Land mit allen Sinnen erfahren können.
Quelle: Lobeck de Fabris, Kordula 2007:
Forum Interkulturelle Begegnung, Düsseldorf, Evangelisches Zentrum für innovative Seniorenarbeit, S. 12.
CUMBIA Paartanz, der von
afrikanischen Sklaven als „Cumbé“ nach Kolumbien gebracht und mit indiani
schen und spanischen Elementen vermischt wurde.
Percussion, Flöte, Akkordeon, Rasseln, Gesang, Instrumente der Indigenen
SALSA
Exilkubanerinnen und -kubaner brachten in den 70er Jahren ihre Musikstile (z. B.: Son, Danzón, Rumba) in die USA und mischten sie dort mit Jazz.
Percussion (z. B.: Conga) Rasseln, Bass, Piano, Posaunen, Trompeten und Sänger
FORRÓ
Traditionelle Musik und Paartanz aus den ländlichen Regionen Nordbrasiliens mit osteuropäischen Einflüssen (Polka).
Akkordeon, Triangel, Zabumba (Basstrommel)
SAMBA
Schneller afrobrasilianischer Tanz, der durch den Karneval in Rio de Janeiro weltbekannt wurde.
Percussion, Agogo (Glocken), Schüttelrohr
REGGAETON
Moderne Mischung aus Reggae, Dancehall, Merengue und Latin Hip Hop. Im 21. Jahrhundert in ganz Lateinamerika bekannt.
Percussion, Bass, EGitarre, Piano, elektronische Effekte
FOLKLORE / HUAYNO
Traditionelle Musik der Indigenen Bevölkerungen in Bolivien und Peru.
Gitarre, Bambusflöten, Panflöten, Trommeln
TANGO
Urbaner Musik und Tanzstil, der in Argentinien und Uruguay durch die Mischung europäischer (z. B. italienischer, spanischer und polnischer) und afro
amerikanischer Elemente entstand.
Klavier, Kontrabass, Violinen, Bandoneon
LATIN HIP HOP / RAP / HOUSE / JAZZ / ROCK / POP
Moderne Musikstile mit oftmals spanisch
sprachigen Texten, die sich seit den 1960er Jahren stark durch latein
amerikanische Einwanderer in den USA verbreiteten.
Je nach Stilrichtung, z. B. EGitarren, Percussion, elektronische Instrumente
Quellen: www.americalatina.de/html/musik.html,
www.virusmusic.de/lateinamerikanische-musik.php, wikipedia > Lateinamerikanische Musik
Auf den Spuren der Musik
GLOBAL LERNEN 2012-2 • © BROT FÜR DIE WELT
4 4 PRAXIS 2. ZUM HERAUSNEHMEN UND KOPIEREN
Lesen Sie den Text des Liedes und schauen Sie sich das Video dazu an. Beschreiben Sie, welche Emotionen das Lied bei Ihnen auslöst. Versuchen Sie sich den Inhalt des Liedes zu erschlie
ßen, schlagen Sie unbekannte Begriffe im Wörterbuch nach.
Einordnung
Lesen Sie nun zusätzlich die Hintergrundinformationen (Peru: S. 6, Kolumbien: S. 7). Dort finden Sie auch jeweils die deutschen Übersetzungen der Lieder. Beschreiben Sie, inwie
fern sich dadurch Ihr erster Eindruck des Liedes verändert.
Hintergrundrecherche
Recherchieren Sie weitere Informationen zur politischen Geschichte in Peru bzw. zur Lebenssituation von Jugendlichen in Kolumbien. Überlegen Sie sich eine kreative Form der Dar
stellung ihrer Rechercheergebnisse.
Kreativer Zugang
Entwickeln Sie eine pantomimische, künstlerische oder tänze
rische Darstellung, die die Inhalte des Liedes verdeutlicht.
Textproduktion
Schreiben Sie einen eigenen Liedtext zu einem politischen, sozialen oder gesellschaftlichen Problem, das Sie bewegt.
Geben Sie an, welchen Musikstil Sie wählen würden.
Anregungen zur Arbeit mit Liedern
Politische Texte, früher und heute
Hip Hop in Kolumbien heute
Mejores Dias Llegaran
Ahora se sientes y se sanan esos momentos Recordarlos es como soñar despierto Ayer pasé cerca a un polizón
Me requisó y me preguntó:
Si Usted es artista por qué anda a pie?
Porque en la pinta no se le vé
Le contesté al agente: Estoy contento, Sé que vendrán mejores momentos (…)
Muchos homicidios, demasiados funerales perro come perro, se perdieron los modales (…)
Coro:
Mejores dias llegaran tanta guerra ya Necesitamos la paz (2 x) Interpreten: ESK-LONES (2010)
Video zum Lied unter www.youtube.com/watch?v=RxnZ2q9ifs4&
feature=related
Das politische Lied in Peru (70er/80er)
Flor de Retama
Vengan todos a ver hay vamos a ver
En la plazuela de Huanta, amarillito flor de retama Amarillito amarillando flor de retama
Donde la sangre del pueblo ahí se derrama Allí mismito florece amarillito flor de retama Amarillito amarrillando flor de retama.
Por Cinco Esquinas están, los sinchis entrando están Van a matar estudiantes, huantinos de corazón Amarillito, amarillando flor de retama
Van a matar campesinos, huantinos de corazón Amarillito amarillando flor de retama
La sangre del pueblo tiene rico perfume.
Huele a jazmines, violetas, geranios y margaritas A pólvora y dinamita
A pólvora y dinamita!! Carajo!!
Komponist: Ricardo Dolorier Urbano (1969), Interpretin: Martina Portocarrero (1980)
Video eines Konzerts: www.youtube.com/watch?v=J7jwNHlGErA Diashow mit spanischem Untertitel:
www.youtube.com/watch?v=aafB_jPfQvU&feature=related
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
5 5 5 5
INFO: ZUR DISKUSSION
Musikstile Lateinamerikas: der Forró
Martin, wie bist du mit dem Forró in Berührung gekommen?
Zum Forró, den man übrigens mit gehauchtem h und offe
nem o, also Fohó ausspricht, bin ich über den brasiliani
schen Musiker Valdir Santos gekommen. Er war vor knapp zwei Jahren auf Tournee in Deutschland, die von „albaKul
tur“ in Köln organisiert wurde.
Außerdem war ich letztes Jahr für zwei Monate im Nordosten Brasiliens, in der Stadt Caruaru, die weltweit als Hauptstadt des Forrós gilt. In Juni finden dort riesengroße Feste statt, die
„Festa Junina“. Dort wird ei
nen Monat lang Forró gespielt und zwei Millionen Touristen strömen in die Stadt. Forró ist ursprünglich eine sehr traditio
nelle Musik. Sie wird von einem Trio mit einem Akkordeon, das Sanfona heißt, einer Triangel und einer Zabumba, also einer brasilianischen Basstrommel gespielt. Valdir Santos ist ein Musiker, der verglichen mit dem traditionellen Forró eine
Die musikalische Vielfalt Lateinamerikas ist riesig. Durch Kolonialismus und Migration bilden afrikanische, indigene, und europäische Musikstile eine bunte Mischung, die sich laufend weiterentwickelt. Der Musiker und Musikpädagoge Martin Rixen aus Köln hat sich in Brasilien mit dem Musik- und Tanzstil Forró beschäftigt. Er war ein Referent der diesjährigen Tagung des AK Pädagogik.
modernere Variante spielt. In seinen Songs haben EGitarre, Drumsets und andere Perkus
sionsinstrumente Einzug ge
halten. Und was ganz wichtig ist: er spricht in seinen Texten auch soziale Themen an.
Was bedeutet denn das Wort Forró?
Es gibt zwei Geschichten, woher das Wort stammen könnte. Einem Mythos zufolge entstand es in der Zeit, als die Engländer eine Zugstrecke durch den Nordosten bauen wollten. Um die Arbeiter bei Laune zu halten, fanden Partys statt, die „for all“ – für alle – waren. Die Verballhornung davon ist dann Forró. Wahr
scheinlicher ist aber eher, dass es vom portugiesischem Wort
„Forrobodó“, was „fröhliches Beisammensein“ oder „tänzeri
sches Fest“ bedeutet.
Forró kann man also auch tanzen?
Ja, er war das Tanzvergnügen der Landarbeiter. Er ist ein sehr sinnlicher Tanz, ein Paar
tanz, mit engem Körperkon
takt. Unter Forró versteht man verschiedene Musikrichtun
gen. Es gibt Forró selbst, Xote, Xaxado, Baião und Arrastape.
Arrastape wird sehr schnell getanzt, wobei man buchstäb
lich von einem Fuß auf den anderen springt.
Kommt der Forró jetzt auch nach Deutschland?
Ich habe zumindest in Groß
städten den Eindruck, dass es eine Riesenwelle wird. In Köln wurden im letzten Jahr unzäh
lige Tanzkurse angeboten.
Es gibt auch mehr Forró
Partys, auf denen LiveBands spielen. Einige davon stammen bereits aus Deutschland, wie das Kölner Forró Trio Capan
gas. Zusammen mit Valdir San
tos haben wir ein Konzert an einer Schule veranstaltet.
Es waren 120 Schüler im Alter von 15 bis 17 Jahren dort. Mit
tendrin habe ich mit meiner Frau angefangen zu tanzen.
Wir haben die Schülerinnen und Schüler dazu geholt, so
dass schließlich über die Hälfte von ihnen auf der Tanzfläche waren. Es war super schön und ich habe auch das Feed
back von den Lehrern bekom
men, dass die Schüler durch diese praktische Erprobung das Thema viel besser aufge
nommen haben.
Das Interview mit Martin Rixen führte Anne Romund, Redak- tion Global Lernen.
Weitere Informationen zu Valdir Santos sowie Hörproben finden Sie unter: www.nrw-kultur.de/
projekte/projekte/das-3-ohr/
treffpunkt-musikkulturen/
klangkosmos/klangkos-
mos-2010/valdir-santos.html#0
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
6 6 INFO: ZUR DISKUSSION
Politische Lieder in Lateinamerika
Die politischen Bewegungen der 60er, 70er und 80er Jahre in Lateinamerika sind eng verknüpft mit politischen Liedern. Das peruanische Volkslied „Flor de Retama“ steht sinnbildlich für den Protest gegen Militärdiktaturen, Krieg und Unterdrückung.
La Nueva Canción
Das Lateinamerika der 60er, 70er und 80er Jahre war ge
prägt durch eine ganze Reihe sozialer und politischer Um
wälzungen. Die Revolutionen in Kuba und Nicaragua sowie die blutigen Militärdiktatu
ren in Chile und Argentinien veränderten die politischen Landschaften fundamental. Die Auflehnung der Bauern und
Studierenden und die Kämpfe der Guerilleros gegen Diktatur, Großgrundbesitzer, gegen die USA und den westlichen Impe
rialismus beschäftigten welt
weit die Menschen. Eines hat
ten alle diese Umwälzungen in Lateinamerika gemeinsam. Sie wurden begleitet und getragen von Liedern. Aus diesen Liedern ist eine eigene Kultur entstan
den: „La Nueva Canción“.
stand als Protest gegen ein Massaker an Studenten, wel
ches im Juni 1969 in Huanta im Departement Ayacucho stattgefunden hatte. Die da
malige Militärregierung hatte ein Gesetz zur Einführung von Studiengebühren an öffentli
chen Schulen verabschiedet.
Als eine Gruppe von Studenten eine Schule besetzte, schickte die Regierung die Spezialein
heit „Sinchis“ der Polizei aus Lima. Mindestens 20 Studen
ten wurden dabei getötet, unter ihnen einige Exschüler von Dolorier.
Kommt alle und seht her, kommt und seht
auf dem Platz von Huanta blüht gelber Ginster.
Wo das Blut des Volkes fließt, genau da blüht der gelbe Ginster.
Aus fünf Ecken kommen die Sinchis auf den Platz.
Sie werden die Studenten ermorden, Huantiner im Herzen
Gelber, gelber Ginster.
Sie werden die Bauern ermorden, Huantiner im Herzen
Gelber, gelber Ginster.
Das Blut des Volkes hat einen süßen Duft,
es riecht nach Jasmin, nach Veilchen,
Geranien und Margariten, nach Pulver und Dynamit Karacho!
Komponist: Ricardo Dolorier Urbano (1969), Interpretin Martina Portocarrero (1980) Text aus dem Spanischen von Anne Romund.
1968–1980
Militärregierung, Verfassung wird außer Kraft gesetzt.
1980–1988
Neue Verfassung wird er
arbeitet und zivile Regierung gewählt, Guerillagruppe
„Leuchtender Pfad“ beginnt bewaffneten Kampf, schwere Gewalt auf beiden Seiten.
1990–2000
Fujimori wird Staatspräsident, setzt Verfassung außer Kraft, und lässt zahlreiche Guerilla
führer verhaften. Viele geben ihre Waffen ab.
2000
Korruptionsvorwürfe gegen Fujimori, dieser sucht Asyl in Japan, Alejandro Toledo folgt als erster indigener Präsident.
2003
Wahrheits und Versöh
nungskommission zählt fast 70.000 Tote im Bürgerkrieg zwischen 1980 und 2000.
2009
Fujimori wird wegen des Ein
satzes von Todesschwadro
nen zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
Flor de Retama
Eckdaten von Peru im 20. Jahrhundert
In diesen „neuen Liedern“
wurde traditionelle Volks musik mit Sozialkritik verknüpft.
Sie waren Ausdruck der po
litischen Bewegungen und transportierten die Ideen der Revolutionäre durch ganz Lateinamerika.
Vgl. DRS 2: Auf den Spuren politischer Lieder quer durch Lateinamerika, Atlas, Radiosen- dung 20.08.2011, www.drs2.ch.
Wirkungs-
geschichte eines Liedes
Das Lied „Flor de Retama“ des peruanischen Komponisten Ricardo Dolorier Urbano ent
Zu Anfang der 1980er Jahre nahm die Folkloresängerin Martina Portocarrero das Lied erneut auf. Inzwischen war Peru zur Demokratie zurück
gekehrt, befand sich aber im bürgerkriegsähnlichen Zustand zwischen Regierung und der Guerillaorganisation Leucht
ender Pfad. In der Stadt Aya
cucho kam es zu zahlreichen Massakern, da die „Sinchis“
die lokale Bevölkerung ver
dächtigten, die Guerrilla zu unterstützen. „Flor de retama“
entwickelte sich in Ayacucho und später in Lima rapide zur Hymne gegen die Massaker der „Sinchis“. In den nächsten
zehn Jahren wurde es mehr als 30 Mal aufgenommen.
Heute gilt „Flor de retama“
als ein Symbol der damaligen Zeit. 2006 wurden Besucher eines Konzertes von Martina Portocarrero zu ihren politi
schen Bewertungen des Liedes befragt. Die Mehrheit sah das Singen oder Hören von „Flor de retama“ jedoch nicht mehr als einen politischen Akt, son
dern als Mittel der Erinnerung an. Das Protestlied war zu einem Werkzeug der Nostalgie geworden.
Mendivil, Julio 2007: Auch Lieder entwickeln soziale und ver- persönlichte Biografien, in:
sythema 21:1, 83-89 (Auszüge,
gekürzt und leicht verändert).
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
7 7
INFO: ZUR DISKUSSION
Mit Hip Hop gegen Gewalt
Es werden bessere Tage kommen
Jetzt beruhigt es sich, diese Momente werden vergehen Sich an sie zu erinnern ist wie wach träumen Gestern ging ich an einem Polizisten vorbei
er hielt mich fest und fragte mich:
Wenn Sie Künstler sind, warum geh‘n Sie dann zu Fuß?
Denn an ihrem Äußeren erkennt man es nicht.
Ich antwortete dem Beam
ten: Ich bin froh, dass ich weiß, dass bessere Tage kommen werden (...) So viel Totschlag, zu viele Beerdigungen Hund frisst Hund, die Umgangsformen verkommen (...) Refrain:
Es werden bessere Tage kommen, zu viel Krieg schon
Wir brauchen Frieden (2 x) Interpreten ESK-LONES (2010) Übersetzung aus dem Spani- schen von Anne Romund.
Songtext
Für den Unterricht Die vollständige Geschichte über Mateo und die Hip Hopper aus Medellín ist als Multimediapräsentation auf der CDROM „Peace Counts 2.0: Die Erfolge der Frie
densmacher“ erhältlich. Die CDRom enthält insgesamt 10 Porträts von erfolgrei
chen Friedensmachern aus aller Welt.
Sie wurde 2011 gemeinsam von der Berghof Found
ation / Friedenspädagogik Tübingen und der Agentur Zeitenspiegel Reportagen entwickelt und eignet sich hervorragend für den Ein
satz im Unterricht.
Bestellungen an:
Berghof Foundation / Friedens pädagogik Tübingen (Kontakt siehe Seite 1)
Mateo auf CD-ROM
„Warum bist Du gegangen, ohne uns auf Wiedersehen zu sagen? Warum, Gott, ging mein hermano, er war kein malo.“ Jeder zweite Song der
„Esklones“ (gesprochen: Eska
lones) handelt von Mord, Ver
lust und Trauer in der Comuna 13. Den Song „Ruhe in Frie
den“ hat Chelo geschrieben, Bandleader der „Esklones“
und Bruder des 14jährigen Mateo. Chelo wurde im August 2010 erschossen.
Comuna 13
In der Comuna 13 leben rund 140.000 Menschen. Sie ist nicht irgendein Armenviertel in Lateinamerika, sondern zum Symbol für den Teufelskreis
aus Armut, Drogen und Gewalt geworden. Die Regierung hat die Comuna 13 zur militarisier
ten Zone gemacht: An vielen Ecken wachen Soldaten oder Polizisten mit Schnellfeuerge
wehren und schusssicheren Westen.
Unsichtbare Grenzen verlaufen zwischen den von Gangs und Drogenmafia kontrollierten
eremodell Auftragskiller sein, das sich bisher als einziges im Armenviertel anbot: Dies ist das Ziel der Band „Esklones“, die sich mit über 80 Rappern, Tänzern und GraffitiKünstlern in der „Elite de Hip Hop“ zu
sammengeschlossen haben.
Die Älteren lehren die Jun
gen. Neben MC, Graffiti, DJ ist Breakdance das vierte Unter
richtsfach der Hip Hop Schule.
Der Erfolg der „Elite“ hat sich herumgesprochen, immer mehr Hip Hopper aus der Comuna 13 wollen Mitglieder werden. Die Stadterwaltung von Medellín zahlt jedem Hip Mit Rap-Gesang, Tanz und Graffiti widersetzen sich der
14-jährige Mateo, die Band Esk-lones und die „Elite de Hip Hop“ dem Drogenkrieg in der berüchtigten Comuna 13, einem Armenviertel in Medellín, Kolumbiens zweitgrößter Stadt. Ein mutiger Versuch mit offenem Ausgang.
Stadtverwaltung. „Unser Ziel ist es die Comuna 13 durch unse
ren Hip Hop zu verändern!“
Textgrundlage: Mateo will leben, in: Anne Romund / Uli Jäger / Tilman Wörtz: Peace Counts 2.0: Der Erfolg der Frie- densmacher (DVD), Tübingen, 2011.
Die „Elite de Hip Hop“ ist Teil des Jugendnetzwerks RED JUVENIL in Medellín, das von Brot für die Welt unterstützt wird (siehe S. 10).
Stadtbezirken. Regelmäßig gibt es Schießereien, Kämpfe um jedes Haus. Kinder, Frauen und Alte können sich frei be
wegen. Für junge Männer sind Grenzverletzungen dagegen lebensgefährlich: Sie könnten für Spitzel oder gar Killer der feindlichen Drogenbande ge
halten werden. Jeder junge Mann in der Comuna 13 ist ein potentielles Bandenmitglied der einen Seite und damit Feind der anderen.
Hip Hop Schule
Eine Schule gründen und Kin
dern und Jugendlichen ein alternatives Vorbild zum Karri
Hop Lehrer für drei Monate ein Stipendium in Höhe eines Mindestlohns von umgerech
net 200 Euro monatlich, lädt die Hip Hopper zu Festivals ein oder in den Schulunterricht.
Viel Geld und Respekt für je
manden, der bisher als Tauge
nichts galt.
„Es muss darum gehen, Re
spekt durch Hip Hop zu er
werben, nicht durch Waffen;
Feste zu feiern, ohne Kokain zu schnupfen; aber auch Geld zu verdienen, nur eben ohne dafür jemanden umzulegen.“
sagt Jason, Mitglied der Elite
und Kontaktperson für die
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
8 8 INFO: ZUR DISKUSSION
Transformationspotenzial der Musik
So zia le S
trukt uren – E i nkommen – Teilhab e – F ried en sk ul tu r Gesellschaft
Gruppe
Tea marb eit – Solidarität – Em pat hie
Ein Orchester verändert Ecuadors Jugend
Welche Rolle spielt die Musik in Ecuador?
Die Musik ist ein Lichtblick für Ecuador, für Lateinamerika, und für die gesamte Welt.
Vor 37 Jahren hatte Maestro Abreú (der Gründer des ve
nezolanischen Musikprojekts
„El Sistema“) die geniale Idee Musik zur „sozialen Rettung“
zu nutzen.
Ich glaube, dass die Musik einzigartige Fähigkeiten her
vorbringt, wie Disziplin, Kon
zentration, Teamarbeit, das Verfolgen gemeinsamer Ziele.
Musik hat somit nicht nur ästhetischen Charakter, son
dern sie wird zum Präventi
onsprogramm und zur beruf
lichen Förderung.
Darüber hinaus hat Musik diese wunderbare spirituelle Seite, die Freude und Emotionen bei den Menschen weckt. All diese
für das, was sie machen. Ich denke, dass dieser spirituelle Reichtum die materielle Armut besiegt.
Die jungen Menschen, die wir hier ausbilden, kommen oft aus anderen Provinzen.
Ich erinnere mich daran, dass wir Kühlschränke und Betten gekauft haben; der gesamte zweite Stock der Stiftung war für jene gedacht, die hier in Quito keine Bleibe hatten.
Einige von diesen Jugend
lichen, die zunächst keine Chance auf eine „bessere“
Zukunft hatten, sind heute Mentoren und Vorbilder für Elemente stärken die ecuado
rianische Gesellschaft.
Was ist das Beson- dere an der FOSJE?
Wir erleben wirtschaftliche Höhen und Tiefen, aber das gemeinsame Merkmal ist die große Liebe der Personen Durch Musik Kindern und Jugendlichen aus ärmeren Fami- lien eine Chance zu geben – das ist das Ziel von „Sinfonia por la vida“ in Ecuador. Das Förderprogramm wurde von der ecuadorianischen Stiftung FOSJE ins Leben gerufen.
Magdalena Jäger aus Rottenburg hat ein Jahr lang als weltwärts-Freiwillige beim FOSJE-Jugendorchester in Quito gearbeitet. Sie sprach mit dem Direktor der FOSJE, Patricio Aizaga, über die Bedeutung der Musik für die soziale Ent- wicklung der Jugend und des Landes.
die nächsten Generationen, nicht nur in Hinblick auf die Musik, sondern Vorbilder als Menschen.
Ein anderer großer Erfolg stellt die Qualität der Musik dar.
Die erste Generation, das erste Jugendsinfonieorchester in Ecuador, ist heute das Philhar
monieorchester Ecuadors.
Was hilft der FOSJE in ihrer Arbeit?
Vor allem das, was du und andere hier als Freiwillige tun:
Interesse zeigen, hier bei uns sein, unsere Probleme zu tei
len, sich mit uns zu freuen.
Ich glaube, dass ist das Größte, was man geben kann.
Wichtig ist außerdem, dass die Menschen sich öffnen und verstehen, was die Verbindung zwischen sozialer Entwicklung, sozialer Inklusion und Musik ist. Die Musik ist ein ganzheit
liches Universum, welches dem Menschen alle Möglich
keiten der sozialen Entwick
lung anbietet.
Ein Video zur Arbeit der FOSJE gibt es auf englisch bei:
www.youtube.com/
watch?v=l92eFFEaXfU
Zum venezolanischen Musikpro- jekt „El Sistema“ gibt es einen gleichnamigen Film mit beglei- tendem Unterrichtsmaterial:
www.el-sistema-film.com
Anerkennung Se lb
stve Individuum rtrauen – Di sz ip lin
8421medien.de
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
9 9
INFO: ZUR DISKUSSION
Zum Verhältnis von Musik und Glauben
Gerade die rechtsextreme Szene gilt es hier besonders kritisch zu beobachten.
c) Singen als Kraftquelle zum Durchhalten
Gerade in Zeiten von Diktatur und Gewaltherrschaft ist Sin
gen aber auch häufig etwas Subversives und entwickelt eine Widerstandskraft, die mit Waffen gar nicht zu bewerk
stelligen ist. Musik und Singen wirken damit identitätsstif
tend, schaffen ein Zusam
mengehörigkeitsgefühl und ermöglichen das Durchhalten in dunkler Zeit. Musik, Singen und Glaube sind Quellen der Kraft.
Ein Buch voller Lieder
In der Bibel gibt es mit den Psalmen ein ganzes Buch voller Lieder. Darin werden all die Gefühle ausgedrückt, die uns in den unterschiedlichs
ten Augenblicken bewegen, vom Leid, der Angst und der Klage bis hin zum Dank und zum Jubel. Selbst in Augen
blicken tiefster Verzweiflung und Angst ist Gott nicht nur der Ansprechpartner für das, was Menschen umtreibt und Menschsein infrage stellt, son
dern das Singen der Psalmen entwickelt eine Wirkkraft, die die Beter verändert, so dass sich die Klage und Verzweif
lung in Hoffnung verwandelt, selbst dann, wenn am Hori
zont noch nicht einmal ein Streifen dieses Zukunftslichtes erkennbar ist.
Theologische Bausteine
a) Singen angesichts eines Gottes, der Befreiung schenkt
Die Menschen der Bibel haben die Erfahrung gemacht, dass Gott Befreiung schenkt! Am augenfälligsten wird das im Exoduserlebnis erkennbar, wo Gott den Israeliten die Freiheit ermöglicht, gegen all die mili
tärische und politische Macht des damaligen Großreiches Ägypten.
Und was geschieht als erstes nach diesem Ereignis: Die Menschen singen und mu
sizieren! Im MirjamLied (2.
Mose 15, 20f.) heißt es: „Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im
Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem Herrn sin
gen, denn er hat eine herrliche Tat getan; Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt.“
b) Singen als Akt des Be- kenntnisses, oder: Es ist nicht egal, was man singt Die Musikgeschichte kennt für jede Stimmung, jede Lebenslage einen Musikstil,
ins Moor!“ (Text: Johann Esser/
Wolfgang Langhoff, 1933) d) Musik und Singen beschreiben eine neue Wirklichkeit aus der Pers- pektive Gottes
Wer sich mit Musik und Singen befasst, der erkennt, dass Sin
gen und Musik immer wieder zum Ausdruck bringen, was Menschen wichtig ist und wo
für wir denn eigentlich stehen.
Und gerade die Kirchenmusik ist immer mehr als bloße Un
terhaltung, bringt sie doch den ins Spiel, von dem Chris
ten glauben, dass er der Herr der Geschichte ist. Wer würde das etwa beim Lied „Eine feste Musik und Religion bringen Menschen zusammen wie
dieses Bild einer Marienprozession in Brasilien zeigt.
Roland Deinzer, Religionslehrer und langjähriges Mitglied des AK Pädagogik sprach während der Jahrestagung des AKs in seiner Andacht die vielfältigen Verbindungen von Musik und Glauben an. Die Andacht soll hier in Aus zügen wiedergegeben werden.
der das zum Ausdruck bringt, was einen im Herzen umtreibt, was die Seele bewegt, sei es der Blues oder die Opernarie.
Allerdings stimmt es nicht, wenn der Volksmund sagt:
„Wo man singt, lass dich ru
hig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Wer an die Marschmusik denkt oder an Propagandalieder, die von Menschen in Diktaturen ge
sungen werden mussten, der weiß, dass es auch Musik und Gesang gibt, die schlechten Zielen dienen und von denen man sich abgrenzen muss.
Als ein für mich sehr eindrück
liches Beispiel möchte ich an das Lied der Moorsolda
ten erinnern, das im August 1933 im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland ent
standen ist. Die Nazis hatten allen Grund dieses Lied zu verbieten, heißt es doch in der letzten Strophe:
„Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann‘s nicht Win
ter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten
Burg ist unser Gott“ nicht ir
gendwie spüren. Wer so etwas singen kann, der will das Welt
ganze nicht sich selber überlas
sen. Der will es in den Horizont des Reiches Gottes stellen, das bereits seine Strahlen auf die Gegenwart richtet und uns Mut macht zum Durchhalten und Raum gibt für Visionen einer neuen Welt.
Roland Deinzer: Andacht an-
lässlich der Jahrestagung des
AK Pädagogik, 22. 04. 2012
(Auszüge, gekürzt und leicht
bearbeitet)
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
10 10 BROT FÜR DIE WELT KONKRET
Kolumbien: Gegen das Vergessen
Hilfe für die Opfer
Menschenrechtsanwältin in Kolumbien zu sein ist lebens
bedrohlich. Viele werden von Geheimdienst und Armee eingeschüchtert oder gar ermordet. Trotzdem setzen sich Soraya Gutiérrez und ihre Kollegen des Anwaltskollektivs
„José Alvear Restrepo“ dafür ein, dass Menschenrechtsver
letzungen aufgeklärt und be
straft werden. Mit Eilbriefakti
onen setzt sich das Menschen
rechtsnetzwerk von Brot für die Welt für die Unversehrtheit seiner Partner ein.
Einsatz für Land- rechte
Die Nasa, die Ureinwohner der Provinz Cauca, verteidigen be
reits seit der Kolonialisierung ihre Autonomie und Kultur.
Sie fordern ihr Land zurück, um ihre Familien ernähren zu können. Sie mobilisieren die Menschen mit ihren friedli
chen Protesten, die allerdings immer wieder mit Gewalt beendet werden. Brot für die Welt tritt für die Rechte der Nasa ein, u. a. durch Briefe und Interventionen in Kolumbien und Deutschland.
Perspektiven für Kinder
Allein in Kolumbiens Haupt
stadt Bogotá müssen über 80.000 Kinder als Straßenver
käufer arbeiten. Viele andere verdingen sich als Hausange
stellte oder Bauarbeiter oder werden als Prostituierte aus
gebeutet.
Auch Reinel García musste als Kind als Strassenverkäufer arbeiten. Heute leitet er die Einrichtung Creciendo Unidos („Gemeinsam wachsen“) um arbeitenden Kindern eine al
ternative Zukunftsperspektive anzubieten. Sie können dort Schulabschlüsse und Ausbil
dungen machen. Bei seinem Besuch in Deutschland be
richtete Reinel Garcia von der Situation der Kinderarbeiter in Bogotá. Die Schülerinnen und Schüler der Realschule in Neusäß sammelten mit einer Schuhputzaktion Geld zur Unterstützung der Kinder in Kolumbien.
Jugendliche in Kolumbien
DIe Millionenstadt Medellín ist das Ziel vieler Flüchtlinge.
„Täglich kommen neue Leute, die gewaltsam aus anderen Landesteilen vertrieben wer
den“, erzählt der 22jährige Leonardo. Im Alltag spielen die Kinder „Räuber und Gendarm“.
Wenn sie älter werden, wird dieses Spiel Realität: Sie wer
den zu korrupten Polizisten, Autodieben, Milizen – Opfern und Tätern.
Leonardo ist im RED JUVENIL organisiert, dem Jugendnetz
werk von Medellín. Im RED JUVENIL entwickeln die jungen Männer und Frauen eigene Vorstellungen einer anderen, demokratischen und gleich
berechtigten Gesellschaft.
Über 500 Mitglieder verschie
dener Jugendgruppen sind im RED JUVENIL zusammenge
schlossen. Zu ihren Aktivitäten Denkt man an Kolumbien, so fallen einem Drogen, Gewalt
und der blutige Bürgerkrieg ein, der seit über 50 Jahren herrscht. Millionen Menschen wurden von ihrem Land ver- trieben. Doch Kolumbien hat auch eine lebendige Zivilge- sellschaft, die für Frieden und Gerechtigkeit eintritt. Brot für die Welt unterstützt Organisationen, die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen und für die Aufklä- rung von Menschenrechtsverletzungen engagieren.
gehören Musik und Theater
Workshops, Gruppentreffen, Austausch mit anderen Initia
tiven, gemeinsame Selbstbe
stimmungsprozesse, Konzerte und gewaltfreie Aktionen. Die Interessenschwerpunkte set
zen die Jugendlichen selbst.
Kontakt: Brot für die Welt, Ökumenisches Lernen und Handeln – Kolumbien und Peru, Jochen Schüller
jochen.schueller@t-online.de kolumbien@brot-fuer-die-welt.
de
Telefon: 040 20238365 Mobil: 0179 1095737 www.brot-fuer-die-welt.de/
kolumbien
Mit dem Programm „Öku
menisches Lernen und Han
deln – Kolumbien und Peru“
will „Brot für die Welt“ den direkten Kontakt zwischen den Partnern aus Kolumbien und Menschen in Deutsch
land herstellen. In der Begeg
nung wollen wir voneinander lernen. Auf ihrem Weg zu Frieden und Gerechtigkeit können wir unsere Partner unterstützen durch:
• Anteilnahme und Aus
tausch, um die Gewissheit zu geben, nicht alleine zu sein.
• Öffentlichkeit, denn die fürchten die Verantwortlichen für Menschenrechtsverlet
zungen. Deshalb bedeutet öffentliche Aufmerksamkeit Schutz für diejenigen, deren Engagement von den Macht
habern nicht gern gesehen wird.
• Protest, wenn sie wegen ihrer Friedens und Men
schenrechtsarbeit bedroht oder verfolgt werden.
• Politische Unterstützung, um den Interventionen von
„Brot für die Welt“ und an
deren Hilfswerken bei der deutschen Bundesregierung mehr Gewicht zu verleihen.
• Finanzielle Unterstützung durch eine Spende für die Aktion „Brot für die Welt“.
Ökumenisches Lernen
und Handeln
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2
11 11
NACHRICHTEN
Nachrichten
SPENDENKONTO:
Brot für die Welt Evang. Darlehnsgenossen
schaft Kiel, KontoNr.: 500 500 BLZ: 210 602 37 BILDNACHWEIS:
Magdalena Jäger: S. 8; Christoph Krackhardt: S. 4 (links), 6; Antonia Preggo: S. 5; dpa picture alliance:
S. 9; Anne Romund: S. 11; Jochen Schüller: S. 10; Antonia Zennaro / Zeitenspiegel: S. 1, 4 (rechts), 12.
„Es war sehr interessant zu sehen, wie man Tänze nut
zen kann, um musikalische Traditionen nachzuvollzie
hen. Wir haben in unserer AG kurzerhand die Musikge
schichte Kubas von den afri
kanischen Sklaventänzen und religiösen Traditionen wie der Santería bis zum modernen Salsa nachgetanzt.“
„Die GesangsAG hat gezeigt, dass eine Laiengruppe inner
halb von zwei Stunden brasi
Stimmen der Tagungsteilnehmenden
CD-ROM: Frieden hören !
In dieser CDROM werden in bislang einmaliger Art und Weise wichtige Aspekte von
„Krieg und Frieden“ durch Beispiele aus klassischer Mu
sik „hörbar“ gemacht. Die 38 Hörbeispiele mit einer Ge
samtspieldauer von rund drei Stunden wurden aus Werken verschiedener Komponisten der Vergangenheit und der Gegenwart ausgewählt. Zu jedem Hörbeispiel wird ein erläuternder Kommentar des Bremer Friedensforschers Prof. Dr. Dieter Senghaas an
geboten, der die Hörbeispiele auch ausgewählt und syste
matisiert hat.
lianische Kinderlieder singen lernen kann. Wir sollten uns auch mehr trauen, das im Unterricht auszuprobieren.“
„Man muss immer auch den Kontext beachten, in dem ein Lied gesungen wird. Wenn ich die Moorsoldaten höre, denke ich nicht an Freiheit, sondern daran, dass ich die
ses Lied als Schüler in der DDR immer singen musste.
Das Lied wurde für Propa
gandazwecke missbraucht.“
IMPRESSUM:
GLOBAL LERNEN, Service für Lehrerinnen und Lehrer 18. Jahrgang, Nr. 2, 2012 Herausgeber: Aktion „Brot für die Welt“ in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Pä dagogik und der Berghof Foundation / Friedenspädagogik Tübingen
© Aktion „Brot für die Welt“
Erscheint 3mal jährlich Redaktion: Anne Romund / Uli Jäger
Layout: Christoph Lang, www.8421medien.de
Druck: Pfitzer Druck, Renningen ISSN 09487425
NACHHALTIG CO2-NEUTRALISIERT DURCH WIEDERAUFFORSTUNG IN DEUTSCHLAND MIT KLIMAPRINT®
Jubiläum
des AK Pädagogik
„Lebenswelten erkunden – Musik in der globalisierten Welt am Beispiel Lateinamerika“
lautete das Thema der 20. Jah
restagung des Arbeitskreises Pädagogik von „Brot für die Welt“, die vom 20.–22. April in Landau/Pfalz stattfand.
30 Teilnehmerinnen und Teil
nehmer aus ganz Deutschland waren der Einladung von Ur
sula Hildebrand, Referentin für Schulpädagogik bei „Brot für die Welt“ und Dr. Anton Geiser, Dozent am EFWI gefolgt.
Zu Beginn der Veranstaltung würdigte Ursula Hildebrand
die Arbeit des Arbeitskreises Pädagogik und dankte allen Beteiligten für ihr jahrelanges ehrenamtliches Engagement.
Dank der intensiven Mitarbeit von interessierten Lehrkräf
ten bildet Globales Lernen mittlerweile die Grundlage der Schulpädagogik bei „Brot für die Welt“. Entsprechend viele Lehrerfortbildungen hat das evangelische Hilfswerk in den vergangenen Jahren dazu durchgeführt und mehr als 30 Unterrichtsmaterialien ver
öffentlicht.
Besonders bemerkenswert:
Die Zeitschrift GLOBAL LER- NEN, die „Brot für die Welt“ in Kooperation mit dem Tübinger Institut für Friedenspädagogik (seit 2012 Berghof Foundation) herausgibt, feierte in diesem Jahr ebenfalls ein Jubiläum:
Mit Heft 1/2012, das sich schwerpunktmäßig mit Rio+20 befasst, ist bereits die 50. Aus
gabe erschienen.
Im Mittelpunkt der Tagung stand die lateinamerikanische Musik und deren Bedeutung für die politische, religiöse und soziale Entwicklung in Lateinamerika. Die Kernfrage der Veranstaltung lautete: Wie kann durch Musik Globales Lernen in Schulen umgesetzt werden? Ein hochkarätiges Referententeam vom alba
Kulturbüro aus Köln versuchte dies zu beantworten und führte die Gäste zunächst theoretisch, dann auch mit vielen Praxisbeispielen an das Thema heran. Mit Musik mehr
über fremde Menschen und Kulturen erfahren – dass dies didaktisch anspruchsvoll und zugleich unterhaltsam sein kann, hat die Jubiläumstagung des AK Pädagogik deutlich gemacht.
Die CDROM enthält darüber hinaus ausdruckbare Biogra
phien zu allen Komponisten und Hintergrundmaterialien.
Berghof Foundation Friedens- pädagogik Tübingen / Brot für die Welt (Hrsg.): Frieden hö- ren! – Annäherungen an den Frieden über klassische Musik, Tübingen 2009 (2. Auflage).
Preis: 15,00 Euro
Bezug: Berghof Foundation / Friedens pädagogik Tübingen, Corrensstr.12, 72076 Tübingen, Tel.: 07071 92051-0
Fax: 07071 92051-11 E-Mail: info-tuebingen@
berghof-foundation.org
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-2