Karlsruher Institut f¨ur Technologie Institut f¨ur Theorie der Kondensierten Materie
Moderne Theoretische Physik III (Theorie F – Statistische Mechanik) SS 17 Prof. Dr. Alexander Mirlin Musterl¨osung zu Blatt 1 PD Dr. Igor Gornyi, Janina Klier Besprechung: 28.04.2017
Mathematische Grundlagen
1. Stirlingsche Formel (Hausaufgabe): (5+5+5=15 Punkte) (a) Beweisen Sie die Stirlingsche N¨aherungsformel
N!≈√ 2πN
N e
N
, N 1. (1)
Benutzen Sie hierzu die Definition vonN! ¨uber die Gammafunktion N! = Γ(N+ 1) =
Z ∞ 0
dx xN e−x (2)
und berechnen Sie das Integral n¨aherungsweise mit der Sattelpunktsmethode. Zei- gen Sie hierzu, dass der Logarithmus des Integranden ein Maximum bei x = N besitzt und entwickeln Sie bis zur quadratischen Ordnung in der Variablen x−N. Dies liefert ein leicht auszurechnendes Gaußsches Integral.
L¨osung:
N! = Z ∞
0
dxxNe−x = Z ∞
0
dxexp[
f(x)
z }| { Nlnx−x]
Exponenten: f(x) = Nlnx−x
f0(x) = N/x−1 ⇒ Extremum f¨urx=N f00(x) = −N/x2 ⇒ Maximum bei x=N also
f(x) =f(N) + 1
2f00(N)(x−N)2+· · ·=NlnN −N− 1 2N(
ζ
z }| {
x−N)2+. . . Das Integral wird dominiert vom Beitrag beim Maximum des Exponenten.
Gaußsche N¨aherung f¨ur die Abweichung:
N!≈eNlnN−N Z ∞
−∞
dζe−2N1 ζ2 =√ 2πN
N e
N
(b) Berechnen Sie die N¨aherung des Binomialkoeffizienten n
k
= n!
k!(n−k)! (3)
f¨ur den Fall n 1 und k =xn mit 0< x <1.
L¨osung:
Wir verwenden die Stirlingsche Formel f¨ur die N¨aherung des Binomialkoeffizienten:
n!
k!(n−k)! ≈
√2πn(n/e)n
√2πk(k/e)kp
2π(n−k)[(n−k)/e](n−k)
= 1
√2π
n k(n−k)
1/2 n n−k
n n−k
k k
= 1
√2π
1 nx(1−x)
1/2 1 1−x
n 1−x
x xn
= 1
√2πn 1
px(1−x)exp[nS2(x)], (4)
S2(x) =−xln(x)−(1−x) ln(1−x). (5) (c) Bei wie vielen Studenten ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens zwei Studenten
am gleichen Tag Geburtstag haben, gerade gr¨oßer als 99/100?
L¨osung:
Die Anzahl aller m¨oglichen F¨alle ist f¨ur n Personen m = 365n, wobei alle F¨alle gleich wahrscheinlich sind. Von diesen m¨oglichen F¨allen beinhalten
u= 365·364· · ·(365−(n−1))
nur unterschiedliche Geburtstage. F¨ur die erste Person kann der Geburtstag frei gew¨ahlt werden, f¨ur die zweite gibt es dann 364 Tage, an denen die erste nicht Geburtstag hat, etc. Damit ergibt sich die Wahrscheinlichkeit von
u
m = 365·364· · ·(365−(n−1))
365n ,
dass allenPersonen an unterschiedlichen Tagen Geburtstag haben. Die Wahrschein- lichkeit f¨ur mindestens einen doppelten Geburtstag im Verlauf eines Jahres ist somit
P = 1− u
m = 1− 365·364· · ·(365−(n−1))
365n .
Der Ausdruck f¨urP kann weiter umgeformt werden:
P = 1− u
m = 1− 365!
(365−n)!·365n. Mit der Stirlingschen Formel,N!≈√
2πN(N/e)N (Aufgabe 1a), l¨asst sich dies gut n¨ahern zu
P ≈ 1−e−n
365 365−n
365+1/2−n
= 1−exp
−
365 +1 2 −n
ln
1− n 365
−n
≈ 1−exp
−
365 +1
2 −n − n 365 −1
2 n
365 2
−n
≈ 1−exp
−n(n−1) 2·365
. (6)
P = 99
100 =⇒ 1
100 = exp
−n(n−1) 2·365
n(n−1) = 730·ln 100 =⇒ n = 1 2
1 +√
1 + 2920 ln 100
'58.6 . (7) F¨ur n= 59 ergibt sich:
1− 365!
306!·36559 ≈0.993 >0.99.
2. Integrabilit¨atsbedingung: (10 Bonuspunkte)
Eine Form
δω =f(x, y)dx+g(x, y)dy
heißt integrabel wenn eine Funktionh(x, y) existiert, deren vollst¨andiges Differentialdh identisch mitδω ist. Das ist genau dann der Fall, wenn die Integrabilit¨atsbedingung
∂f
∂y x
= ∂g
∂x y
erf¨ullt ist. Im Falle von nur zwei unabh¨angigen Variablen kann man immer einen inte- grierenden Faktor α(x, y)6= 0 finden, sodass die Form αδω integrabel ist.
Testen Sie, ob f¨ur die folgenden F¨alle
(a) f(x, y) = 3x2−2xy−y2 und g(x, y) =−x2−2xy+y2, (b) f(x, y) = 3x+y und g(x, y) = −x−3y,
δω integrabel ist, und bestimmen Sie h(x, y). Finden Sie dazu im Falle einer nichtinte- grablen Form einen geeigneten integrierenden Faktor α(x, y) = Ax+By.
L¨osung:
(a)
f = 3x2−2xy−y2 g = −x2 −2xy+y2
∂yf = −2x−2y ∂xg = −2x−2y Also gilt: ∂yf =∂xg, ⇒ω ist integrabel.
Herleitung vonh(x, y):
1. Suche F(x, y) mit ∂xF =f
2. Bestimme ϕ(y), so dass ∂yϕ=g−∂yF 3. h(x, y) = F(x, y) +ϕ(y)
Hier: F(x, y) = x3−x2y−y2x ⇒ ∂yF =−x2−2xy
∂yϕ=y2 ⇒ ϕ(y) = 1 3y3
⇒ h(x, y) =x3−x2y−y2x+1 3y3
(b)
f = 3x+y ⇒ ∂yf = 1 und g =−x−3y ⇒ ∂xg =−1 Also
∂yf 6=∂xg, ⇒ ω ist nicht integrabel.
Suche integrierenden Faktor:
∂y(αf) = f ∂yα+α=! ∂x(αg) = g∂xα−α −→ 3x∂yα+y∂yα+x∂xα+3y∂xα+2α= 0 α=Ax+By, ∂yα =B, ∂xα=A ⇒ (3x+y)B+ (x+ 3y)A+ 2Ax+ 2By= 0
3B+ 3A= 0, A=−B ⇒ α =x−y (bis auf Vorfaktor).
Suche h mit dh= (x−y)ω:
∂xF(x, y) = (x−y)f = (x−y)(3x+y) ⇒ F(x, y) =x3−x2y−xy2
∂yϕ(y) = (x−y)(−x−3y) +x2+ 2xy = 3y2 ⇒ ϕ(y) =y3
⇒ h(x, y) = x3−x2y−xy2+y3
3. Legendre-Transformation: (5 + 5 = 10 Bonuspunkte) Gegeben sei eine Kurve U(S) in einem Bereich, in welchem sich das Vorzeichen ih- rer Kr¨ummung nicht ¨andert. Geben Sie eine eindeutige Darstellung der Kurve, in- dem Sie anstelle der Koordinaten S und U die Steigung T = dU/dS sowie den U- AchsenabschnittF der Tangente an jeden Kurvenpunkt als unabh¨angige Variable ver- wenden. Die Funktion F(T) wird als Legendre-Transformierte von U(S) bezeichnet.
Aufl¨osen der (obigen) BeziehungT =T(S) nach S definiert eine Funktion S =S(T).
(a) Zeigen Sie, dass die vollst¨andigen Differentiale von U(S) und F(T) durch dU(S) = T(S)dS und dF(T) =−S(T)dT
gegeben sind.
L¨osung:
U =U(S), Steigung T = ∂U
∂S ⇒S =S(T) dU(S) = ∂U
∂SdS =T(S)dS F =F(T) =U(S(T))−S(T)T,
dF(T) =
T
z}|{∂U
∂S
∂S
∂T − ∂S
∂TT −S(T)
dT ⇒ dF(T) =−S(T)dT
(b) Gegeben sei nun eine Fl¨acheU(S, V) mit positiver Steigung bez¨uglich S, negativer Steigung bez¨uglichV und unver¨anderlichem Vorzeichen der Kr¨ummung. F¨uhren Sie jeweils eine Legendre-Transformation f¨ur konstant gehaltenes V bzw. f¨ur konstant gehaltenesSdurch. Die Steigungen seien durchT =∂U/∂S|V sowie−P =∂U/∂V|S gegeben. Aufl¨osen von T(S, V) nach S und P(S, V) nach V definiert Funktionen S(T, V) und V(S, P). Bestimmen Sie analog zu oben die vollst¨andigen Differentiale der Legendretransformierten F(T, V) und H(S, P).
L¨osung:
Die Funktionen U(S, V), F(T, V) und H(S, P) entsprechen der inneren Energie, der freien Energie und der Enthalpie.
U(S, V), T = ∂U(S, V)
∂S V
⇒ S(T, V)
−P = ∂U(S, V)
∂V S
⇒ V(S, P) dU(S, V) = T(S, V)dS−P(S, V)dV Innere Energie analog zu a):
F(T, V) =U(S(T, V), V)−S(T, V)T Freie Energie, dF(T, V) =−S(T, V)dT −P(S,(T, V), V)dV
H(S, P) = U(S, V(S, P)) +V(S, P)P Enthalpie, dH(S, P) =T(S, V(S, P))dS+V(S, P)dP
4. Funktionaldeterminantenkalk¨ul: (10 + 8 + 12 = 30 Bonuspunkte) Gegeben seien die Funktionenu(x, y) und v(x, y) der unabh¨angigen Variablenx undy.
Als Funktionaldeterminante (Jacobi-Determinante) bezeichnet man das Gebilde
∂(u, v)
∂(x, y) = det
∂u
∂x y
∂u
∂y x
∂v
∂x y
∂v
∂y x
.
(a) Zeigen Sie, dass folgende Relationen gelten:
∂(u, y)
∂(x, y) = ∂u
∂x y
, ∂(x, v)
∂(x, y) = ∂v
∂y x
, (8)
∂(u, v)
∂(x, y) = −∂(v, u)
∂(x, y) =−∂(u, v)
∂(y, x) , (9)
∂(u, v)
∂(x, y) = ∂(u, v)
∂(s, t)
∂(s, t)
∂(x, y) = ∂(u, v)
∂(s, t)
∂(x, y)
∂(s, t) −1
. (10)
L¨osung:
∂(u, v)
∂(x, y) = ∂u
∂x y
∂v
∂y x
− ∂u
∂y x
∂v
∂x y
Def. der Determinante
v(x, y) =y ⇒ ∂v
∂y x
= 1, ∂v
∂x y
= 0 ⇒ ∂(u, v)
∂(x, y) = ∂u
∂x y
u(x, y) = x ⇒ analog ∂(u, v)
∂(x, y) = ∂u
∂y x
Die Beziehung
∂(u, v)
∂(x, y) =−∂(v, u)
∂(x, y) =−∂(u, v)
∂(y, x)
folgt trivial aus Determinanteneigenschaft (Vertauschen von u ↔ v oder x ↔ y vertauscht Vorzeichen)
Nun stellen wir die Funktionen u(s, t) and v(s, t) mit Variablen s = s(x, y), t = t(x, y) vor. Dann haben wir
∂u
∂x y
≡ ∂u(s(x, y), t(x, y))
∂x
y
= ∂u
∂s t
∂s
∂x y
+∂u
∂t s
∂t
∂x y
(11) und analog f¨ur∂u/∂y,∂v/∂x and ∂v/∂y.
Auf diese Weise erh¨alt man die Kettenregel f¨ur Jacobi-Matrizen:
∂u
∂x y
∂u
∂y x
∂v
∂x y
∂v
∂y x
=
∂u
∂s t
∂u
∂t s
∂v
∂s t
∂v
∂t s
∂s
∂x y
∂s
∂y x
∂t
∂x y
∂t
∂y x
. (12)
Es folgt daraus:
∂(u, v)
∂(x, y) = ∂(u(s(x, y), t(x, y))), v(s(x, y), t(x, y))
∂(x, y)
= ∂u
∂s t
∂s
∂x y
+ ∂u
∂t s
∂t
∂x y
!
∂v
∂s t
∂s
∂y x
+ ∂v
∂t s
∂t
∂y x
− ∂u
∂s t
∂s
∂y x
+ ∂u
∂t s
∂t
∂y x
∂v
∂s t
∂s
∂x y
+ ∂v
∂t s
∂t
∂x y
!
=
∂u
∂s t
∂v
∂t s
− ∂u
∂t s
∂v
∂s t
∂s
∂x y
∂t
∂y x
− ∂s
∂y x
∂t
∂x y
!
= ∂(u, v)
∂(s, t)
∂(s, t)
∂(x, y). (13)
Durch Umbenennen von x, y →s, t und s, t→x, y folgt
∂(u, v)
∂(s, t) = ∂(u, v)
∂(x, y)
∂(x, y)
∂(s, t)
aufl¨osen
=⇒ ∂(u, v)
∂(x, y) = ∂(u, v)
∂(s, t)
∂(x, y)
∂(s, t) −1
(b) Es sei nun ein funktionaler Zusammenhang zwischen x und y durch φ(x, y) = const
gegeben, der eine Abh¨angigkeit y=y(x) herstellt. Zeigen Sie, dass dann gilt:
∂x
∂y φ
= ∂y
∂x φ
−1
, ∂y
∂x φ
=−∂φ
∂x y
∂φ
∂y x
−1
. (14)
L¨osung:
Die erste Relation spiegelt einfach den Satz der lokalen Umkehrbarkeit aus Analysis wieder. Z.B. so: Sei φ(x, y) = const., also x(y). Dann ist das Differential
dx(y) = ∂x
∂ydy.
Andererseits ist aber
dy(x) = ∂y
∂xdx.
Einsetzen liefert dann
dx= ∂x
∂y
∂y
∂xdx, also
1 = ∂x
∂y
∂y
∂x. Und daraus folgt schließlich
∂x
∂y = ∂y
∂x −1
.
Da wir ja von Anfang an φ = const. angenommen haben, d¨urfen wir auch noch bei beiden partiellen Ableitungen dieφ’s dazuschreiben und erhalten das gesuchte Resultat:
∂y
∂x φ
= ∂(y, φ)
∂(x, φ) = ∂(y, φ)
∂(y, x)
∂(y, x)
∂(x, φ) =− ∂φ
∂x y
∂(x, φ)
∂(x, y) −1
=− ∂φ
∂x y
∂φ
∂y x
−1
Hier wirdφ =φ(x, y) =const. als unabh¨angige Variable aufgefasst, d. h.y=y(x, φ).
(c) Betrachten Sie nun die drei Variablen x,y und z, die durch die Bedingung F(x, y, z) = 0
miteinander in Zusammenhang stehen. Durch Aufl¨osen der Gleichung F = 0 nach x,yund z erhalten wir die drei Funktionenx(y, z),y(x, z) undz(x, y). Nehmen Sie weiter an, dass es einen funktionalen Zusammenhangw=w(x, y) gibt. Zeigen Sie, dass die Ableitungen der Funktionen folgende Relationen erf¨ullen:
∂y
∂x z
∂z
∂y x
∂x
∂z
y = −1, (15)
∂x
∂w z
= ∂x
∂y z
∂y
∂w z
, (16)
∂x
∂y z
= ∂x
∂y w
+ ∂x
∂w y
∂w
∂y z
. (17)
L¨osung:
Wir betrachten x und z als unabh¨angige Variable, so dass y =y(x, z). Das erfolgt durch Aufl¨osen von F(x, y, z) = 0 nach y. Das Differenzial f¨ur y ist dann
dy = ∂y
∂x
zdx+ ∂y
∂z xdz
∂y
∂x z
∂z
∂y x
∂x
∂z y
= ∂(y, z)
∂(x, z)
∂(z, x)
∂(y, x)
∂(x, y)
∂(z, y) =−∂(y, z)
∂(x, z)
∂(x, z)
∂(y, x)
∂(x, y)
∂(z, y)
=−∂(y, z)
∂(y, x)
∂(x, y)
∂(z, y) = ∂(y, z)
∂(y, x)
∂(y, x)
∂(z, y) = ∂(y, z)
∂(z, y) =−1. (18) Weiterhin istw=w(x, y), also
dw= ∂w
∂x
ydx+ ∂w
∂y xdy.
Wir substituieren y(x, z) f¨ury in w(x, y), und erhalten als Differenzial f¨ur w(x, z):
dw= ∂w
∂y x
∂y
∂z x
dz+ ∂w
∂x y
+ ∂w
∂y x
∂y
∂x z
dx.
Daraus folgt
∂w
∂x
z = ∂w
∂x
y+ ∂w
∂y x
∂y
∂x
z. (19) Analog erhalten wir aus dem Differenzial f¨urw(x(y, z), y):
∂w
∂y
z = ∂w
∂y
x+∂w
∂x y
∂x
∂y
z. (20) Wir eliminieren ∂w/∂y|x (d.h. Gl. (20) in Gl. (19) einsetzen), und erhalten
∂w
∂x
z = ∂w
∂y z
∂y
∂x z.
Wir l¨osen nun w = w(x, y) nach x auf, betrachten also x als Funktion von y und w, d.h. x=x(y, w). Wir erhalten
dx= ∂x
∂y w
dy+ ∂x
∂w y
dw
Dir Gleichung F(x, y, z) = 0 l¨osen wir nach x auf, betrachten also x als Funktion von y und z, und erhalten darausw=w(x(y, z), y). Das Differential f¨urw(y, z) ist
dw= ∂w
∂y
zdy+ ∂w
∂z ydz.
Wir substituieren dies in die Gleichung f¨ur dx und erhalten schließlich
∂x
∂y z
= ∂x
∂y w
+ ∂x
∂w y
∂w
∂y z
.