Von Walther Hinz, Göttingen
In meinem Beitrag Chronologie des Lebens Jesu zu dieser Zeitschrift
(Band 139, 1989, 302-309) habe ich Jesu Sterbetag auf den 30. April
des Jahres 28 angesetzt. Jahr und Monat stimmen, der Tag stimmt
nicht.
Für das Jahr 28 als Sterbejahr Jesu habe ich fünf Beweisgründe ange¬
führt, darunter die Zeugnisse von Clemens von Alexandria, Tertullian,
Origenes und Eusebios von Caesarea. Offensichtlich haben die frühen
Christen das Jahr der Kreuzigung Jesu in ungebrochener Überliefe¬
rung festgehalten.
Um den Monat der Kreuzigung zu ermitteln, ist vom damaligen jüdi¬
schen Kalender auszugehen. Er fußte in seinen Grundzügen auf dem
babylonischen Kalender. Jahresbeginn war der 1. Nisan als Neumond¬
tag um Frühjahrsbeginn. Ein solcher Neumond war im Jahr 28 astrono¬
misch der 15. März. In der Praxis jedoch war Jahresbeginn der Tag, da
der Neumond zum erstenmal am Abendhimmel sichtbar wurde; dieser
Tag des Neulichts wäre also der 16. März 28 gewesen. Das Passahfest
fand am 15. Nisan statt; dabei mußten die Erstlinge reifer Gerste geop¬
fert werden. Der Tag des Passah wäre also der 30. März 28 gewesen. Zu
dieser Zeit konnte es jedoch noch keine reife Gerste geben. Also muß das
Jahr 28 im jüdischen Kalender ein Schaltjahr mit einem verdoppelten
Monat Adar gewesen sein. Dies bestätigt der babylonische Kalender.
Somit war im Jahr 28 der 1. Nisan astronomisch der 13. April. An die¬
sem Tag war in Jerusalem Neumond um 16.31 Uhr. Das Neulicht
konnte also erst am Abend des 14. April 28 gesichtet und als Jahresbe¬
ginn proklamiert werden. Das Passahfest am 15. Nisan fiel im Jahr 28
somit auf den 28. April. Jesus wurde jedoch am Rüsttag, am Tag vor
dem Passahfest, gekreuzigt. Dies wäre demnach am 27. April 28 ge¬
schehen.
Dieser Tag mußte aber ein Freitag gewesen sein. Für die Umrech¬
nung eines antiken Tagesdatums auf den betreffenden Wochentag be-
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dient man sich der Werke von F. K. Ginzel und R. Schräm'. Diese
ergeben jedoch fiir den 27. April 28 einen Dienstag.
Bei der Erarbeitung des Sterbetages Jesu befand ich mich daher in
einem Zwiespalt. Ich verfiel auf den einzigen mir damals möglich
erscheinenden Ausweg: Ich mußte annehmen, daß im April des Jahres
28 in Palästina das Neulicht des 1. Nisan wegen Bewölkung erst drei
Tage vier Stunden nach dem astronomischen Neumond erblickt werden
konnte. So kam ich notgedrungen auf den 30. April 28, da er nach den
Umrechungstahellen ein Freitag war.
Ich gestehe, daß ich bei diesem Lösungsversuch Unbehagen empfand.
Doch fest standen fiir das Datum der Kreuzigung Jesu das Jalir 28 und
der Monat April. Fest stand femer, daß der Tag der Kreuzigung ein
Freitag war. Auf den Gedanken, daß die Umrechungstabellen fehlerhaft
sein könnten, verfiel ich nicht. Daß sie es sind, erkannte erst Robert Sträuli.'
Bisher ging man nämlich in der Wissenschaft davon aus, daß un¬
geachtet der zahlreichen Schaltungen im Kalenderwesen aller Zeiten
die Abfolge der Wochentage sich nie geändert habe, daß also auf einen
Montag stets ein Dienstag usw. gefolgt sei.
Dafiir ein Beispiel. Als Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 den juliani-
schen Kalender durch den nach ihm benannten, bei uns noch heute gül¬
tigen gregorianischen Kalender ersetzte, fielen die Tage vom 5. bis 14.
Oktober 1582 einfach aus. Es folgte also auf den 4. Oktober, einen Don¬
nerstag, gleich der 15. Oktober. Dieser wurde nahtlos als Freitag einge¬
stuft.
Eine solche ungebrochene Abfolge der Wochentage übertmg man
unbesehen auch auf den Kalender des Julius Caesar. Dies gilt jedoch
nur zurück bis zum Jahr 321 n. Chr. Denn in diesem Jahr 321 hat, bisher
unbemerkt, Kaiser Konstantin die Abfolge der Wochentage durchbro¬
chen.
Wie geschah das? In besagtem Jahr 321 fiihrte Konstantin im Römer¬
reich die Siebentagewoche ein. Deren Tage waren nach Sonne, Mond
und den damals allein bekannten Planeten Mars, Merkur, Jupiter,
Venus und Satum benannt. Zugleich verkündete Konstantin den Sonn¬
tag als Ruhetag.* Hans Lietzmann bemerkte dazu: „Das konnte noch
' F. K. Ginzel: Handbuch der mathematischen und technischen Chremologie.
Bände I bis III, Leipzig 1906, 1911 und 1914. Robert Schräm: Kalendariogra¬
phische und chronologische Tafeln. Leipzig 1908.
' In seinem Beitrag Herkunft und Bedeutung unseres Kalenders zu „Museion 2000". ABZ Verlag, Zürich 1991, Heft 4.
' Codex lustinianus III xii 2; Codex Theodosianus II viü 1.
als 'neutrale' [also nicht christenfreundliche] Maßnahme erscheinen, da
der 'Tag der Sonne' ja auch dem alten Reichsgott heilig war."**
Erst Robert Sträuli (a.a.O.) erkannte, daß Kaiser Konstantin bei
dieser 'Kalenderreform' offenbar einen Sonntag zum Donnerstag
gemacht hatte. Der Donnerstag war ja der Tag des römischen Reichs¬
gottes Jupiter; er ist es in romanischen Ländem noch heute, wie franzö¬
sisch jeudi und italienisch giovedi erweisen, die auf lovis dies zurückge¬
hen. Daß Konstantin 'seinen' Donnerstag bedenkenlos zum (Tag des
Herm) der Christen erhob, ist Zeugnis seiner heidnischen Gesinnung.
Zugleich verkürzten sich dadurch sämtliche Wochentagsdaten vor
321 n. Chr. um drei Tage. Sie müssen vom Historiker wieder eingeschal¬
tet werden.
Zum Beweis dessen sei nur ein Beleg herausgegriffen. Eusebios von
Caesarea erwähnt in seiner Schrift De martyribus Palestinae auch die
Hinrichtung des Apphianos; dieser wurde nach langen Foltern vor den
Augen Eusebs im Mittelmeer ertränkt. Als Datum nennt Euseb Freitag,
den 2. April 306 n.Chr.* Gustave Bardy als Herausgeber dieser
Euseb-Schrift wendet ein, das Datum stimme nicht, weil der 2. April
306 ein Dienstag gewesen sei. Doch Euseb hat genau beobachtet und
richtig notiert. Wir müssen lediglich zum Ergebnis der Umrechungs¬
tabellen drei Wochentage hinzuzählen.
Aufgmnd dieser neuen Einsichten habe ich zu berichtigen und zu
ergänzen, was ich in ZDMG 1989 bezüglich einzelner Tage im Leben
Jesu ausgeführt habe.
Geseliiclite der AUen Kirche. Band III, Berlin '1953, 132.
^ Sourees Chretiennes, Band 55, Paris 1967, S. 236 mit Anmerkung 12. Wei¬
tere Belege in diesem Werk: 1) Procopius von Jerusalem wurde nach Euseb in
Caesarea am 7. des Monats Daisies (Juni) des Jahres 303 am vierten Tag nach
dem Sabbat hingerichtet. Nach G. Bardy (a.a.O. S. 122) wäre dies an einem
Montag gewesen. In Wirklichkeit war es an einem Mittwoch-Abend, mit dem
bereits der Donnerstag begann. 2) Kaiser Maximinus feierte in Caesarea nach Euseb seinen Geburtstag am 20. Dios (November) 306, „qui tombait un merc¬
redi" (so G. Bardy S. 138); Euseb gibt aber einen Samstag an. 3) Euseb erwähnt (a.a.O. S. 142) einen 5. November 307; gemäß den Umrechungstabellen wäre dies ein Mittwoch gewesen. In einer anderen Fassung fügt Euseb jedoch hinzu, dieser Tag sei ein Sonntag gewesen. Dieser begann im damaligen Römer¬
reich aber bereits am Samstag um 18 Uhr. Bei sämtlichen angeführten Be¬
legen sind somit die von Tabellen gegebenen Wochentage um drei Tage verkürzt
gegenüber den von Euseb überlieferten Wochentagen. Ein Irrtum ist Euseb
allerdings unterlaufen, als er (a.a.O. S. 140) schrieb, der 2. Xanthikos (April) des Jahres 307 sei ein Ostersonntag gewesen. Nach den Tabellen wäre dieser Tag ein Montag gewesen, nach der berichtigten Umrechnung ein Donnerstag.
Das richtige Osterdatum müßte 5. April 307 lauten, nicht 2. April.
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Geht man fiir Jesu Geburtstag von einem Zusammenhang mit der
Großen Konjunktion von Jupiter und Satum am 1. Dezember des Jah¬
res 7 vor Beginn unserer Zeitrechnung aus, errechnet sich dafiir nach
dem neuen Verfahren als Wochentag ein Freitag, kein Dienstag. In die¬
sem Fall wäre Jesus an einem gleichen Wochentag zur Welt gekommen
und von ihr abgeschieden.
Das Passahfest, bei welchem der zwölljährige Jesus im Tempel zu
Jemsalem in die jüdische Kultgemeinde aufgenommen wurde, fiel auf
den 23. April des Jahres 7 nach Beginn unsrer Zeitrechnung; dieser Tag
war ein Montag.
Der Tag, an welchem Jesus zur Teilnahme am Laubhüttenfest des
Jahres 27 in Jemsalem eingetroffen war, errechnet sich auf Donners¬
tag, den 8. Oktober.
Den Tag der Kreuzigung Jesu hatte ich auf den 30. April 28 verlegt,
weil dieser Tag nach den Umrechungstabellen ein Freitag gewesen sein
soll. In Wirklichkeit war jener 30. April ein Montag. Der wahre Tag der
Kreuzigung Jesu war vielmehr, wie wir jetzt durch Robert Sträuli
wissen: Freitag, der 27. April 28.
Eine bedeutsame Bestätigung erhellt aus folgendem: Nach den Evan¬
gelien (Mat. 27, 46, Mark. 15, 34 und Luk. 23, 44) verschied Jesus „um
die neunte Stunde", also gegen 15 Uhr. Am 27. April 28 trat in Jemsa¬
lem der Vollmond astronomisch um 15.04 Uhr ein. Möglicherweise war
dies, auf die Minute genau, die Sterbezeit Jesu.
al-As'ari's und al-Mäturidi's
Von Ulrich Rudolph, Göttingen
I.
AS'ari und Mäturidi sind als jene islamischen Theologen bekaimt
geworden, die den sunnitischen Kaläm, wenn nicht begründet, so doch
in wesentlichen Zügen geprägt haben. Deswegen werden sie geme mit
einer übereinstimmenden Formel charakterisiert, in der die Gmndele-
mente der sunnitischen Theologie musterhaft hervorgehoben sind.
Beide, so heißt es nämlich, hätten einerseits mit den Traditionalisten
gemeinsam, daß sie neben dem Koran auch die prophetische Überliefe¬
mng ohne Einschränkung anerkannten, und beiden soll es andererseits
gelungen sein, das daraus abgeleitete Credo — wie die Mu'tazila — mit
den Mitteln der rationalen Argumentation zu verteidigen.'
Mit dieser Beschreibung indessen, so bündig und gleichsam definito¬
risch sie auch sein mag, wird jedoch zunächst nur ihr historischer
Standort näher bezeichnet und von der Haltung anderer theologischer
Richtungen abgegrenzt. Ihr besonderer methodischer Ansatz hingegen,
der eine solche Stellung ja erst ermöglicht hat, ist damit noch nicht
erklärt. Denn wie hat man sich eigentlich das Verhältnis von Überliefe¬
mng und rationaler Spekulation genau vorzustellen, wenn der Verstand
in der Lage sein soll, die geoffenbarten Wahrheiten zu begründen und
zu verteidigen? Ist damit vielleicht gemeint, die Überliefemng selbst sei
so rational, daß sie durch Verstandesargumente durchleuchtet, ja
ersetzt werden könne? Oder zeigt uns die Spekulation nur ihre eigenen
' Diese Charakterisierung ist seit langem selbstverständlich und wurde schon in den einschlägigen Artikeln der EI' vorausgesetzt (K. V. Zetterstäen:
al-Ash'ari; D. B. MacDonald: Mäturidi). Klassisch formuliert wird sie bei Gar- det-Anawati: Introduction, S. 54 u. 60.
Zum grundsätzhchen Problem des Konfliktes zwischen Überlieferung und
rationaler Spekulation und seiner allgemeinen Situierung in der Geschichte der islamischen Theologie vgl. ebenfalls Gardet-Anawati: Introdu.ction, S. 349ff.
u. 374 IT. und van Ess: Erkenntnislehre, S. 12 ff.