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ARS MEDICI 32016

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Die zurückliegenden, wenig winterlichen und doch zwi- schenmenschlich seltsam kalten Wochen waren auch für viele in den Siebzigerjahren rock- und popmusikalisch so- zialisierte Zeitgenossen nicht einfach: Gerade war, kurz nach Weihnachten, die ewig heisere Stimme von Motörhead- Frontmann «Lemmy» Kilmister für immer verstummt, als mit David Bowie, dem Meister des Spiels mit den Identitä- ten, einer der ganz Grossen seiner Zunft sogar noch den eigenen Tod in sein künstlerisches Lebenswerk integrierte.

Zwar nicht nur rein optisch Figuren, wie sie unterschied - licher kaum sein könnten, gab es zwischen den beiden Briten doch manche Parallele: Nicht nur dass sie, jeder auf seine Art, mit ihrer Kunst stilprägend und bereits zu Leb- zeiten legendär sowie, als «musicians‘ musicians», Initial- zündung waren für viele(s) nach ihnen – beide wiesen da- rüber hinaus auch jeweils eine medizinische Besonderheit auf, die zu ihrem äusserlichen Markenzeichen (aber oft auch fehlgedeutet) wurde: Den nicht backenbärtigen Be- reich Klimisters linker Wange zierten zwei imposante Fibrome, fälschlicherweise gern als Warzen bezeichnet, und Bowie hatte keine verschiedenfarbigen Iriden, sondern von einer Prügelei im Alter von 15 Jahren eine trauma - tische Mydriasis im linken Auge zurückbehalten.

Nun waren sie gestorben – nicht unbedingt vorzeitig, wie schon viele ihrer Kollegen, sondern im fortgeschritteneren Alter, in das diese Generation nun einfach kommt, und krebskrank, aber vielleicht gerade deshalb alle und unser aller Vergänglichkeit umso deutlicher ins Bewusstsein rufend. Und die gemischten Gefühle beim alltäglichen Log-in in die Nachrichtensphäre trogen nicht, denn in kur- zen Abständen folgten die Meldungen vom Ableben des Eagles-Gitarristen Glenn Frey und des Jefferson-Airplane- Gründungsmitglieds Paul Kantner. Natürlich ist das der Lauf der Zeit, und manchen mag in diesem Zusammen- hang wohl am ehesten interessieren, wie Kilmister oder Bowie überhaupt so alt werden konnte. Hatten beide, wie viele andere Stars aus einer Epoche des Übergangs vom kollektiv-politischen Aufbegehren zur individuellen und im

wahren Wortsinn substanziell befeuerten Sinn suche, mit ihrem Lebensstil nicht schliesslich selbst nach Kräften und ohne Rücksicht auf Verluste gegengesteuert?

Hier lässt sich wohl tatsächlich auch von Glück reden. Aber das Klischee vom hedonistisch veranlagten Rockstar greift, psychologisch betrachtet, zu kurz. Wenn auch die Verlockungen des Ruhms («Fame»), insbesondere des in jungen Jahren erlebten, den Hang zum Exzessiven beför- dern, das vorhandene dafür nötige Kleingeld sein Übriges tut und Sex, Drugs & Rock'n'Roll früher oder später ihren Tribut fordern – zur Gänze erklären kann all dies ein Leben, das einer an beiden Enden angezündeten Kerze gleicht, nicht. Studien weisen vielmehr darauf hin, dass dieses Risikoverhalten vieler Stars nicht frei gewählt ist, sondern häufig auf Kindheitstraumata oder sogar psychi schen Er- krankungen wie einer Borderline- oder bipolaren Störung basiert (1). Diese Andersartigkeit, so die These des Göttin- ger Psychologen und Psychiaters Borwin Bandelow, ist ge- rade mitursächlich für ihre Berühmtheit und nicht deren Folge (2).

Während «Lemmy» bis zuletzt seinen Stiefel durchgezogen haben soll, war David Bowie, auch aufgrund eines 2004 auf der Bühne erlittenen Fast-Herzinfarkts, im letzten Jahr- zehnt nur noch sporadisch in Erscheinung getreten, hatte Partys und Drogen längst gegen ein solides Familienleben eingetauscht und doch am 8. Januar, seinem 69. Geburts- tag, noch ein stellenweise irritierendes Spätwerk veröf- fentlicht, über dessen Botschaft er Fans und Kritiker je- doch nur zwei weitere Tage rätseln liess. Mit welchem Mut, Lebenswillen und Schaffensdrang dieser Künstler bis zu- letzt den Umständen getrotzt haben muss, lässt sich nur erahnen, kann aber womöglich auch für weniger promi- nente Menschen in ähnlicher Situation Kräfte freisetzen:

In einem bemerkenswerten Dankesbrief an den Verstor - benen, veröffentlicht im Blog des Fachjournals «BMJ Supportive & Palliative Care» (3), beschreibt Mark Taubert, Palliativmediziner aus Cardiff, UK, am Beispiel einer todkranken Patientin, wie der Gedankenaustausch über diese letzte Arbeit Bowies und dessen mutmasslich bis ins Detail sorgfältig geplantes häusliches Sterben, das in sei- ner Konsequenz und Würde sowie mit den dazu notwen - digerweise erforderlichen Vor aussetzungen seiner, Tau- berts, eigenen Maxime und der seines Berufsstands ent- spricht, den Weg zu einem offenen Gespräch zwischen dieser Frau und ihm, ihrem Arzt, über das Unausweich - liche des Lebensendes bereitet hat.

«There's a starman waiting in the sky, he's told us not to blow it, cause he knows it's all worthwhile.» (D. Bowie,

«Starman», 1972) Ralf Behrens

1. Menke N: Die Schattenseite des Ruhms. Spektrum der Wissenschaft, 13.07.2015.

2. Bandelow B: Celebrities: Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein. Rowohlt, Reinbek, 2006.

3. Taubert M: A thank you letter to David Bowie from a palliative care doctor. BMJ Supportive &

Palliative Care Blog, 15.01.2016.

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