Schweizerische Ärztezeitung
SÄZ – BMS Bulletin des médecins suisses – Bollettino dei medici svizzeri – Gasetta dals medis svizzers
Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch
4 2 1 4. 1 0. 2 02 0 1331 Editorial von Urs Stoffel
COVID-19 hinterlässt Spuren in der praxisambulanten Versorgung
1346 FMH
Ausbildung Arzthaftung für Medizinische Gutachter in der Romandie
1382 «Zu guter Letzt»
von Hansjakob Müller
Macht die Familienanamnese bei Brustkrebs noch Sinn?
1332 FMH
Zertifizierungen zur
Stärkung der Qualität
in der Medizin
Psychotherapie Psychosomatik Psychiatrie Persönlich und diskret.
INHALTSVERZEICHNIS 1327
Redaktion
Dr. med. vet. Matthias Scholer (Chefredaktor);
Dipl.-Biol. Tanja Kühnle (Managing Editor);
Julia Rippstein (Redaktorin Print und Online);
Prof. Dr. med. Anne-Françoise Allaz, Mitglied FMH
Dr. med. Werner Bauer, Mitglied FMH; Prof. Dr. oec. Urs Brügger;
Prof. Dr. med. Samia Hurst; Dr. med. Jean Martin, Mitglied FMH;
Dr. med. Jürg Schlup, Präsident FMH;
Dr. med. Daniel Schröpfer, Mitglied FMH;
Charlotte Schweizer, Leitung Kommunikation der FMH;
Prof. Dr. med. Hans Stalder, Mitglied FMH;
Redaktion Ethik
Prof. Dr. theol. Christina Aus der Au;
Prof. Dr. phil., dipl. Biol. Rouven Porz Redaktion Medizingeschichte
Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann; Prof. Dr. rer. soc. Eberhard Wolff Redaktion Public Health, Epidemiologie, Biostatistik
Prof. Dr. med. Milo Puhan Redaktion Recht
Dr. iur. Ursina Pally, Leiterin Rechtsdienst FMH
FMH
EDITORIAL: Urs Stoffel
1331 Covid-19 hinterlässt Spuren in der praxisambulanten Versorgung
DDQ/SAQM: Stefanie Hostettler, Esther Kraft, Christoph Bosshard 1332 Zertifizierungen zur Stärkung der Qualität in der Medizin –
Grundlagenpapier der DDQ/SAQM
ZENTRALVORSTAND DER FMH
1343 Zertifizierungen zur Stärkung der Qualität in der Medizin – die Position des FMH-Zentralvorstands
INTERVIEW MIT NICOLE OCHSENBEIN: Jeanine Glarner
1346 Ausbildung Arzthaftung für medizinische Gutachter in der Romandie
1348 Personalien
Organisationen der Ärzteschaft
VLSS: Karl-Olof Lövblad, Thomas Eichenberger, Markus Gubler
1350 Anstellungsbedingungen der Kaderärzteschaft an Schweizer Spitälern
SGAR: Guy Haller, Christof Heim, Kaspar Meier, Nicola Clerici, Christian Kern, Suzanne Reuss, Christoph Kindler, Urs Eichenberger 1358 Demografiestudie Anästhesiologie Schweiz
Weitere Organisationen und Institutionen
SUVA: Gerlinde Heil, Philipp Habegger, Regina Kunz
1364 Als Assistenzärztin bei der Versicherungsmedizin der Suva
Ozempic_Pflichttext_Inserat_186x64mm_d.indd 1 04.08.20 17:06
INHALTSVERZEICHNIS 1328
Impressum
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Briefe / Mitteilungen
1369 Briefe an die SÄZ
FMH Services
1370 Stellen und Praxen (nicht online)
Tribüne
1378 Spectrum
Horizonte
AUSSTELLUNG: Ewa Hess
1381 Das, was dunkel ist, erscheint hell
Zu guter Letzt
Hansjakob Müller
1382 Macht die Familienanamnese bei Brustkrebs noch Sinn?
FELMY
COVID-19 hinterlässt Spuren in der praxisambulanten Versorgung
Urs Stoffel
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Ambulante Versorgung und Tarife
Die COVID-19-Pandemie hatte und hat erhebliche Aus- wirkungen auf die praxisambulante Versorgung in der Schweiz. Das vom Bundesrat angeordnete Verbot
«nicht dringend angezeigte medizinische Behandlun- gen» während der Dauer des sechswöchigen «Lock- downs» zu unterlassen, führte bei den Arztpraxen und ambulanten ärztlichen Zentren in diesem Zeitraum zu Verlusten von 117 Mio. CHF. Die Kurzarbeitsentschädi- gung für Angestellte ist in dieser Zahl bereits berück- sichtigt.
Fast alle Leistungserbringer wurden durch das Verbot zu massiven Vorhalteleistungen und damit zu ineffi- zienter Leistungserbringung gezwungen. Die Erwerbs- ausfallentschädigung (EO) für Praxisinhaber wurde de facto verwehrt bzw. nur für ausgesprochene Härtefälle gewährt.
Während sich die Spitäler auf eine drohende Welle von Patientinnen und Patienten mit schweren Krankheits- verläufen vorbereiten mussten und dies auch her- vorragend getan haben, wurde in dieser Zeit die Grundversorgung der Bevölkerung durch die praxis- ambulanten Institutionen unter deutlich erschwerten Umständen gewährleistet und sichergestellt.
Die verschärften Hygienemassnahmen und Abstands- regeln führen im KMU Arztpraxis auch nach Auf ebung des Lockdowns zu anhaltenden Ef- fizienzverlusten. Statistisch erreichten die Arztpraxen nach Ende des Lockdowns von Mai bis Juli lediglich 93% der früher üblichen Leis-
tungserbringung. Die Mindereinnahmen in diesem Zeitraum gegenüber dem Vorjahr betrugen weitere 147 Mio. CHF. Auch die vom BAG publizierten Zahlen des Monitorings der Krankenversicherungs-Kostenent- wicklung (MOKKE) bestätigen diese Umsatzverluste von rund 5%.
In diesem Jahr werden die erwähnten Umsatzein- bussen zu Einkommensverlusten von 20% in den Arzt- praxen und ambulante Zentren führen. Da die be- triebswirtschaftlich übliche Reservebildung bei der
Erbringung von OKP-Leistungen ausgeschlossen ist (Art 59c, Abs. b, KVV), werden die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit einer Senkung ihrer Kosten reagieren müssen.
Die COVID-19-Pandemie verursacht aber nicht nur Ein- kommensverluste in der praxisambulanten Versor- gung, sie führt auch zu erheblichen Mehrkosten.
Seit Beginn des «Lockdowns» sind Behandlungen von Patientinnen und Patienten nur unter Anwendung von besonderen Schutzmassnahmen gegen das Corona- virus zugelassen. Ebenso muss auch das Praxisperso- nal mit Schutzmassnahmen geschützt werden. Dazu hat die FMH am 22. April 2020 ein Schutzkonzept vor- gelegt, das festhält, wie Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie das Praxispersonal vor ei- ner Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt wer- den müssen. Die Mehrkosten, bedingt durch zusätzli- ches Verbrauchsmaterial, verlängerte Wechselzeiten, Mehrkosten für Triage, Beratungen und Instruktionen am Telefon durch den Arzt oder die MPA und ver- mehrte Arbeitsausfälle, werden hochgerechnet für die- ses Jahr weitere rund 445 Mio. CHF ausmachen.
Aufgrund unserer Auswertungen waren – auch auf dem Höhepunkt des Lockdowns – mehr als 60% der Be- handlungen in den Arztpraxen und ambulanten ärzt- lichen Zentren dringlich und wurden entsprechend durchgeführt. Weniger als 40%, mussten – weil nicht dringlich – verschoben werden.
Wegen der Verluste infolge COVID-19-induzierter Mehrkosten (Vorhalteleistungen und Effizienzver- luste), drängt sich eine temporäre Tarifanpassung (z.B. über den Taxpunktwert) auf.
Zur Finanzierung dieser Tarifanpassung stehen einer- seits der Bund, der nicht dringend angezeigte medi- zinische Behandlungen temporär verboten hat, und andererseits die Krankenversicherer, die für unverän- derte Prämien weniger Kosten finanzieren müssen, ge- meinsam in der Pflicht.
Die praxisambulante Versorgung ist system
relevant
COVID19 verursacht nicht nur Einkommens
verluste in der praxisambulanten Versorgung – sie führt auch zu erheblichen Mehrkosten.
FMH Editorial 1331
Grundlagenpapier der DDQ/SAQM
Zertifizierungen zur Stärkung der Qualität in der Medizin
Stefanie Hostettlera, Esther Kraftb, Christoph Bosshardc
a Dr. sc., ETH Zürich, Abteilung DDQ; b lic. rer. oec., Leiterin Abteilung DDQ; c Dr. med., Vizepräsident der FMH, Departementsverantwortlicher DDQ/SAQM
Zertifizierungsverfahren können die systematische und kontinuierliche Verbesserung der Versorgungs
qualität und der Patientensicherheit fördern. Die Be
deutung von Zertifizierungen nimmt aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesundheitsversor
gung zu. Sie schaffen Transparenz bezüglich einzu
haltender Standards, helfen Redundanzen zu vermin
dern, Prozesse zu verbessern und damit Ressourcen zu sparen. Die normative Grundlage eines Zertifi
zierungsverfahrens (Qualitätsindikatoren/kriterien) soll valid, evidenzbasiert und patientenzentriert sein.
Weitere Forschung zu den Auswirkungen von Zertifi
zierungen auf den direkten Patientennutzen und die KostenNutzenRelation von Zertifizierungsverfah
ren ist notwendig.
1. Hintergrund
Zertifizierungsverfahren in der Gesundheitsversor
gung sind generell bekannt als formaler Prozess, bei dem eine externe Institution ermittelt, ob eine Gesund
heitseinrichtung die zutreffenden, vorbestimmten und etablierten Standards erfüllt [1, 2]. Die ersten offiziellen Zertifizierungsverfahren entstanden um 1950 in den USA, und ab 1970 hat die Verbreitung auch in Europa markant zugenommen. In über 70 Ländern [3] werden Zertifizierungen angewendet. Allein in den USA gibt es mehr als 80 Zertifizierungsprogramme [4].
Eines der Hauptziele von Zertifizierungen ist die syste
matische und kontinuierliche Verbesserung der Ver
sorgungsqualität und der Patientensicherheit [5–8].
Der Mehrwert einer Zertifizierung in der stationären und ambulanten Versorgung ist vor allem in der Pro
zess und Strukturqualität1 durch standardisierte, effek tive und effiziente Abläufe und Strukturen nach
gewiesen [9–12].
Unsicher ist, ob Zertifizierungen einen Einfluss auf die Pa
tientenoutcomes (Ergebnisqualität) haben. Studien aus den vergangenen Jahren kamen zu unterschiedlichen Er
gebnissen [3, 10, 13–17]. Durch gezielte Forschung verdich
ten sich jedoch die Hinweise, dass Zertifizierungen die Er
gebnisqualität positiv beeinflussen können [18, 19].
Unter welchen Voraussetzungen dienen Zertifizierun
gen als wirksames Instrument zur Förderung der Qua
lität in der Medizin? Welchen Beitrag leisten Zertifizie
rungen bei der Forderung nach mehr Transparenz?
Dieses Grundlagenpapier bietet eine Übersicht zu der Thematik Zertifizierungen und inwiefern diese zur Verbesserung der Qualität in der Medizin beitragen
Die Abteilung Daten, Demographie und Qualität (DDQ) der FMH erstellt, basierend auf wissenschaftlicher Literatur, Grundlagenpapiere zu verschiedenen Qualitäts
themen, die in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlicht werden. Die FMH nimmt auf der Basis der erarbeiteten Grundlagen mit dem Dokument «Die Posi
tion des FMHZentralvorstands» öffentlich Stellung zum Thema. Nachfolgend wer
den das Grund lagenpapier sowie die Position des FMHZentralvorstands zum Thema «Zertifizierungen» präsentiert.
WAS IST BEREITS BEKANNT ZU DIESER THEMATIK?
Zertifizierungen werden international verwendet, um die Versorgungsqualität zu beurteilen und die Patientensicherheit zu gewährleisten.
Positive Einflüsse von Zertifizierungen auf die Prozess- und Strukturqualität (z.B. Patienten- versorgung, Qualitätssicherung) konnten mehrfach nachgewiesen werden.
Die Datenlage zum Nutzen von Zertifizierungen auf die Ergebnisqualität wie Mortalität, Spi- talaufenthalt, Wiedereintritte etc. zeigte in den vergangenen Jahren ein uneinheitliches Bild.
Die Forschung zur Relevanz von Zertifizierungen auf die Ergebnisqualität wurde in den ver- gangenen 10 Jahren intensiviert.
WAS TRÄGT DIESER BERICHT ZUR THEMATIK BEI?
Diese Übersicht fasst die aktuellen Erkenntnisse zur Relevanz, zu den Stärken und Schwä- chen von Zertifizierungen zusammen.
Die notwendigen Voraussetzungen werden aufgezeigt, damit sich Zertifizierungen als wirk- sames Instrument zur Förderung der Qualität in der Medizin bewähren.
Der Bericht bietet medizinischen Fachgesellschaften Orientierung zum Thema Zertifizierungen.
1 Prozessqualität bezieht sich auf die Aktivitäten, welche bei der Gesundheitsversorgung durchgeführt werden.
Strukturqualität:
Material und Personalressourcen und Organisationsstruktur;
Ergebnisqualität: Effekt der Versorgung auf den Gesundheitszustand der Patienten.
FMH DDQ /SAQM 1332
könnten, wo Handlungsbedarf besteht und wohin der Weg in Zukunft führen könnte.
2. Was ist eine Zertifizierung?
Die Begriffe Zertifizierung und Akkreditierung werden international uneinheitlich verwendet.2 In diesem Be
richt wird unter Zertifizierung Folgendes verstanden:
ein Verfahren, in dem ein (unparteiischer) Dritter schriftlich bestätigt, dass ein Produkt, Prozess oder eine Dienstleistung mit festgelegten Anforderungen konform ist (aus DIN EN 45020:199807). Ein Zertifikat, Label oder Gütesiegel ist der nach aussen gezeigte Nachweis einer erfolgten Zertifizierung bzw. dass die Standards und Vorgaben eingehalten werden. Es gibt eine grosse Bandbreite von Zertifizierungen (krank
heitsspezifisch oder unspezifisch, prozess oder patien
tenorientiert etc.). Zertifizierungen können als ein Instru ment zur kontinuierlichen und systematischen Qualitätssicherung und Qualitätsförderung betrachtet werden (Abb. 1).
Um normative Grundlagen für das Beurteilungsverfah
ren zu erstellen, muss vorher definiert und kontextua
lisiert werden, was gute Qualität ist. Die Definition der Qualitätsindikatoren/kriterien sollte aufgrund wis
senschaftlicher Standards erfolgen und auf einem brei
ten fachlichen Konsens mit Einbezug der medizini
schen Fachgesellschaften beruhen. Mögliche Bereiche und Unterbereiche sind in Abbildung 2 aufgeführt. Die
Unterbereiche enthalten schliesslich die konkreten Fra
gen/Anforderungen (nicht in Abb. 2) zu den Qualitäts
indikatoren/kriterien, welche die Grundlage für die Beurteilung bilden. Beispielswei se ist die systematische Blutdruckkontrolle bei HypertoniePatienten ein Qua
litätsindikator, und die Anforderung ist, dass bei 90%
der Hypertoniker in den vergangenen 12 Monaten min
destens einmal der Blutdruck gemessen wurde. Über
prüft wird dies anhand des Patientenregisters (Beispiel von EQUAM: Zertifizierung der Behandlungsqualität bei arterieller Hypertonie).
3. Wieso braucht es Zertifizierungen?
Mit der Entwicklung neuer Technologien, zunehmen
der Interdisziplinarität und professionalität sowie den steigenden Herausforderungen der Polymorbidität nimmt die Komplexität der Gesundheitsversorgung zu [20–23]. Mit dem Erfüllen von Anforderungen im Rahmen einer Zertifizierung werden Standards einge
halten [20]. Medizinische Leistungen können zu jeder Zeit und an jedem Ort mit der gleichen Qualität und re
produzierbar erbracht werden. Die Standards zielen darauf hin, Unterschiede in der Versorgung zu reduzie
ren, die Patientensicherheit sicherzustellen und eine hohe Versorgungsqualität zu erreichen.
Die Forderung nach Kosteneinsparungen im Gesund
heitswesen hat in den letzten Jahren zugenommen.
Zertifizierungen dienen als Instrumente, um kosten
effektive Gesundheitsleistungen zu erbringen [24]. Sie schaffen Transparenz in einzu haltenden Standards, helfen Redundanzen zu vermindern, Prozesse zu ver
bessern und damit Ressourcen zu sparen [20, 25, 26].
2 Im englischsprachigen Raum wird vor allem der Begriff «Accreditation»
verwendet, im deutschsprachigen Raum
«Zertifizierungen». Abbildung 1: Ablauf eines möglichen Zertifizierungsverfahrens.
Die Begriffe Zertifizierung und Akkreditierung werden international uneinheitlich verwendet.
FMH DDQ /SAQM 1333
4. Was ist der Nutzen von Zertifizierungen?
Zertifizierungen sind nützlich, um Standardprozesse und Rollenverteilungen klar und transparent zu defi
nieren. Die Aussensicht durch die externen Reviewer helfen Verbesserungspotenzial aufzudecken und so
mit auch Veränderungen von Strukturen und Prozesse einzuleiten (z.B. kürzere Wartzeiten durch effizientere Praxisorganisation) und eine Qualitätskultur im Sinne einer stetigen Verbesserungskultur zu implementie
ren [23, 27, 28].
Zertifizierungen können einen positiven Einfluss auf die Patientensicherheit haben [17, 29–31], z.B. durch die Implementierung und das Monitoring von Präven
tionsmassnahmen [7, 32, 33]. Untersuchungen zum Ein
fluss von Zertifizierungen auf Patientenoutcomes er
gaben inkonsistente Ergebnisse [14, 15]. In Anbetracht des grossen personellen und finanziellen Aufwands ei
ner Zertifizierung verstärkte sich die Forderung nach gezielter Forschung zur Evidenz von Zertifizierungen auf den Patientennutzen [4]. Basierend auf Registerda
ten mehren sich mittlerweile die Hinweise, dass Zerti
fizierungen auch die Patientenoutcomes positiv beein
flussen [34–36]. Beispielsweise in der bariatrischen Chirurgie weisen zertifizierte Spitäler eine tiefere Mor
talitäts und Komplikationsrate, kürzere Spitalaufent
halte und weniger Wiedereintritte auf [19, 30, 37].
Auch bei Hirnschlag, Herzversagen und infarkt, Pneu
monie, Hüftfraktur etc. führten Zertifizierungen zu tieferen Mortalitätsraten [10, 38–42].
Weitere Vorteile werden in Zusammenhang mit Zertifi
zierungen gebracht (Factsheet Benefits of Joint Commis
sion Accreditation; https://www.jointcommission.org/).
Beispielsweise kann eine Zertifizierung eine Organisa
tionskultur und Organisationsführung prägen und die Möglichkeit bieten, Werte zu pflegen und gewünschte Verhaltensnormen zu fördern. Der Austausch zwischen verschiedenen Berufsdisziplinen und Abteilungen, das gemeinsame Lernen und das Bewusstsein für die Wich
tigkeit der Erfassung von Daten/Informationen werden gefördert [1, 3]. Die Erkenntnisse und Rückmeldungen aus dem Zertifizierungsverfahren werden eingesetzt, um das eigene Verbesserungspotenzial zu identifizieren und sich mit anderen Institutionen zu vergleichen.
Nicht zuletzt dienen Zertifizierungen dazu, um nach aus sen zu zeigen, dass sich die Institution verpflichtet, etablierte Qualitätsanforderungen einzuhalten und ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern [26, 38, 43–46].
5. Wo liegen die Schwächen und Grenzen von Zertifizierungen?
Die Qualität von Zertifizierungen ist variabel. Es gibt Anbieter von Zertifizierungen/Labels, die nicht trans
Abbildung 2: Ein Beispiel von Bereichen und Unterbereichen einer Zertifizierung (in Anlehnung an das European-Practice- Assessment-Modell für Grundversorgerpraxen).
Zertifizierungen sind nützlich, um Standard- prozesse und Rollenverteilungen klar und transparent zu definieren.
FMH DDQ /SAQM 1334
parent aufzeigen, auf welcher wissenschaftlichen Basis die Qualitätskriterien beruhen, und die Qualitätsrele
vanz nicht nachvollziehbar darlegen [43].
Die unterschiedlichen Ergebnisse zum Nutzen von Zer
tifizierungen auf Patientenoutcomes hängen auch mit der Schwierigkeit zusammen, die Kausalität von Zerti
fizierungen auf den Patientennutzen nachzuweisen [2, 13–15, 25, 43, 47, 48]. Zahlreiche Einflussfaktoren und Massnahmen, welche im Prozess miteinander agieren, erschweren die Messung des Nutzens von Zertifizie
rungsverfahren [2].
Zur Unsicherheit des Patientennutzens kommt hinzu, dass die KostenNutzenRelation von Zertifizierungsver
fahren nicht ausreichend evaluiert ist [6, 43]. Grace Moe et al. 2019 [27] haben die Einführungskosten eines Zerti
fizierungsprogramms von einer Gesundheitseinrich
tung beziffert und zeigen, dass 95% der Kosten Personal
aufwand ist (davon sind 76% Dokumentvorbereitung).
Die totalen Kosten für die erstmalige Zertifizierung be
trugen 158 000 bis 214 000 Dollar und hingen hauptsäch
lich von der Praxisgrösse oder der Spitalgrösse ab. Stai
nes et al. 2000 [26] beziffern die Entwicklung und Implementierung eines Qualitätssystems in eine m mittelgrossen Schweizer Regionalspital, das dem ISO9001Standard entsprach, auf CHF 120 000.
Zertifizierungsverfahren bedeuten eine Zusatzbe
lastung für das Personal [34]. Der administrative Auf
wand nimmt während dieser Zeit zu, reduziert die Zeit für die Patienten und kann vom Fokus auf die klini
schen Aufgaben/Ziele ablenken [9, 13, 27].
Eine Studie aus Dänemark zeigt, dass Spitäler zwar ihre Versorgungsqualität (104 Standards zur Organisation, zu Patientenpfaden, zur spezifischen Erkrankung) mit einer Zertifizierung verbessern können, diese Verbes
serungskurve aber mit der Zeit abflachte, sobald ein bestimmtes Niveau erreicht ist [38]. Auch ist nicht ein
deutig nachgewiesen, dass eine Zertifizierung mit der Patientenzufriedenheit korreliert [11, 49].
6. Ausgewählte Beispiele aus der Schweiz
Die Zertifizierungskommission Intensivstationen der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin be
urteilt in einem hochstrukturierten Prozess, ob die Ressourcen (Personal, Ausrüstung, Gebäude und Ein
richtung), Strukturen sowie die Organisation einer Intensivstation den modernen Anforderungen an die Intensivmedizin entsprechen. Die Zertifizierung ist eine Voraussetzung für die Anerkennung von Intensiv
stationen und besteht bereits seit 1976. Die Erhebung des minimalen Datensatzes der SGI (MDSi) ist obliga
torisch für die 90 anerkannten Intensivstationen.
Hirnschlagpatienten, die in Stroke Units nach struktu
rierten Behandlungsrichtlinien behandelt werden, ha
ben eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu überleben und ihre Selbständigkeit wiederzuerlangen (SFCNS Con
cept). 2012 hat die Swiss Federation of Clinical Neuro
Societies (SFCNS) im Rahmen der hochspezia lisierten Behandlung von Hirnschlägen ein Zertifizierungsver
fahren für Stroke Units / Centers3 entwickelt. Diese Zer
tifizierung trägt zur Qualitätssicherung bei und gilt als
Voraussetzung für die Aufnahme auf die HSMSpital
liste bzw. zur Durchführung von komplexen Behand
lungen bei Hirnschlag.
Die Krebsliga zeichnet Brustzentren (Qualitätslabel für Brustzentren) aus, die bei der Behandlung und der Be
treuung von Frauen mit Brustkrebs einen Katalog von klar definierten Kriterien erfüllen. Das Qualitätslabel schafft mehr Transparenz und reduziert regionale Un
terschiede bei der Versorgung von Frauen mit Brust
krebs in der Schweiz.
Die Stiftung SanaCERT zertifiziert unter anderem Qua
litätsmanagementsysteme von Spitälern und Kliniken.
Tabelle 1: ISAQua-Grundprinzipien für die Entwicklung, die Messung, die Struktur und den Inhalt von Standards.
Entwicklung der Standards Die Standards sind anhand eines definierten Prozesses geplant, entwickelt und evaluiert.
Messung der Standards Die Gesundheitseinrichtungen und Reviewer verwenden eine transparente Mess- und Bewertungsmethode, um die Zielerreichung zu beurteilen.
Organisatorische Rolle, Planung
und Leistungsfähigkeit Die Standards beurteilen die Kapazität und die Effizienz einer Gesundheitsorganisation.
Sicherheit und Risiko Die Standards beinhalten Prozesse, um das Risiko zu handhaben, und zum Schutz der Sicher- heit von Patienten/Leistungsnehmern, Mitarbeitenden und Besuchern.
Personenzentrierter Ansatz Die Standards sind personenzentriert, spiegeln die Kontinuität der Versorgung und ermuti- gen die Zusammenarbeit zwischen Patienten/Leistungsnehmern und dem Fachpersonal.
Qualitätsleistung Die Standards verlangen von den Gesundheitseinrichtungen, dass die Qualität der Leistun- gen evaluiert, monitorisiert und verbessert wird.
ISQua Guidelines and Principles for the Development of Health and Social Care Standards 2018, 5th Edition.
Die Zertifizierung ist eine Voraussetzung für die Anerkennung von Intensivstationen und besteht bereits seit 1976.
3 Eine Stroke Unit ist eine örtlich abgegrenzte und funktionell einheitliche Behandlungseinheit eines Spitals, die für Hirnschlagpatienten konzipiert ist. Sie verfügt über monitorisierte und nichtmonitorisierte Behandlungsplätze. Die Leistungen werden alle an einem Standort erbracht.
Ein Stroke Center umfasst eine Stroke Unit und erweitert das Konzept der Stroke Unit um spezielle strukturelle, neuroradio
logische und neurochirur
gische Leistungen.
FMH DDQ /SAQM 1337
Auditoren und Auditorinnen beurteilen, inwieweit die Qualitätsstandards erfüllt sind und wo das Soll nicht erreicht ist. Das Auditteam formuliert bei Nichtkonfor
mität mit den Standards präzise Auflagen und Empfeh
lungen. Im Weiteren führt SanaCERT Suis se, als unab
hängige Stelle, Audits im Auftrag von Organisationen (wie Krebsliga Schweiz, SFCNS, palliative ch, Swiss Can
cer Network) oder von kantonalen Behörden durch.
Die Stiftung EQUAM zertifiziert Arztpraxen und Zentren auf Basis der Indikatoren des European Practice As
sessment. Die EQUAM Stiftung begleitet Gesund
heitsprofis, misst und zertifiziert ihre Qualität. Das Zertifizierungsset besteht aus Indikatoren und Stan
dards der Struktur und Prozessqualität und wird er
gänzt mit Indikatoren aus der Performance und Out
comeQualität.
Informationen zu weiteren Zertifizierungen, die in der Schweiz existieren, sind in einer einheitlichen Struk
tur auf der der Website der FMH unter OnlinePlatt
form für Qualitätsinitiativen in der der Medizin doku
mentiert (die Liste ist nicht abschliessend).
Eine Analyse der SAQMInventarerhebung hat erge
ben, dass die Qualitätsaktivitäten der Ärzteorgani
sationen zunehmen und Zertifizierungen/Qualitäts
managementsysteme von 55% der Fachgesellschaften und kantonalen Ärzteorganisation empfohlen werden.
22% der Ärzteorganisationen haben selbst ein Zerti
fikat oder Qualitätslabel entwickelt [50].
7. Wohin führt der Weg?
Zertifizierungen können Verbesserungspotenzial auf
zeigen, sind jedoch mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden. Damit möglichst qualitativ hochstehende Zertifizierungen genutzt werden, sind verschiedene Aspekte zu beachten.
7.1 Anforderung an Zertifizierung/Entwicklung Das Ziel und die Bedeutung einer Zertifizierung müs
sen klar beschrieben sein. Eine Zertifizierung soll den Empfehlungen «Zertifizierung im medizinischen Kon
text» der Schweizerischen Akademie der Medizini
schen Wissenschaften und den Grundprinzipien von The International Society for Quality in Health Care (ISQua) (Tab. 1) entsprechen. Die Standards sind evi
denzbasiert, stützen sich auf aktuelle Guidelines und decken Variabilität in der Versorgungsqualität auf. Be
sonderes Augenmerk liegt auf der Patientensicherheit, dem starken Einbezug der Patienten, der nachhaltigen Zusammenarbeit aller Beteiligten und auf der Konti
nuität der Versorgung (z.B. das Verfahren ist interdiszi
plinär und interprofessionell) [25, 51].
Es gibt ein transparentes und definiertes System, wie
die Ergebnisse zur Einhaltung der Standards gemessen werden. Die erhobenen Daten werden analysiert und dazu verwendet, die Standards zu verbessern (Feed
backsystem).
7.2 Implementierung
Untersuchungen zeigen, dass Vorgesetzte und Mitar
beitende einer Gesundheitseinrichtung gegenüber Zer
tifizierungsverfahren grundsätzlich positiv eingestellt
sind [23]. Um den Zusatzaufwand von Zertifizierungs
verfahren möglichst gering zu halten, sollen diese mit den Behandlungsprozessen abgestimmt sein [6, 22].
Hinchcliff et al. 2013 [14] identifizierten unter anderem folgende Faktoren für die erfolgreiche Implementierung eines Zertifizierungsverfahrens: Das Zertifizierungs
programm ist gemeinschaftlich, valide und basiert auf relevanten Standards; Gesundheitsfachpersonen sind gegenüber der Zertifizierung positiv eingestellt, das Zer
tifizierungsprogramm ist mit anderen regulatorischen Vorgaben abgestimmt und wird durch entsprechende Anreize unterstützt.
Verschiedene Abstufungen von Zertifizierungsmodu
len können den Einstieg für eine Gesundheitseinrich
tung vereinfachen [22]. Das Beispiel des «Hernien Cen
ter Programm» sieht drei Stufen vor: 1. Teilnahme am Register, die eigenen Resultate werden gegen Daten von anderen verglichen (Benchmark). 2. Das Kompe
tenzzentrum sichert die Erfüllung von strukturellen und klinischen Vorgaben sowie eine bestimmte Min
destfallzahl. 3. Das Referenzzentrum erfüllt die Vorga
ben des Kompetenzzentrums und weist zusätzlich Ak
tivitäten in der Forschung und Aus und Weiterbildung von Chirurgen aus [22].
Ein Beispiel, das ausdrücklich auf den Patientennutzen ausgerichtet ist, ist das Modell des American Board of Inter nal Medicine (ABIM), wo Krankenakten auditiert wer
den. Diese werden zusammen mit einem Patienten
fragebogen und einem Fragebogen zum Praxissystem ein
gereicht. Der Arzt / die Ärztin erhält einen ausführlichen Bericht mit möglichen Verbesserungsmassnahmen [52].
7.3 Outcome- und Versorgungsforschung
Die Forschung zu den Auswirkungen von Zertifizierun
gen auf die Gesundheitsversorgung und dazu, was tat
sächlich bei den Patienten ankommt, ist unerlässlich [53, 54]. Es braucht auch mehr Erkenntnisse zu den öko
nomischen Aspekten und zum Nutzen von Zertifizie
rungen im Vergleich zu anderen Qualitätssicherungs
massnahmen [13, 54, 55]. Für die Datenerhebung sind
Das Ziel und die Bedeutung einer Zertifizierung müssen klar beschrieben sein.
FMH DDQ /SAQM 1338
validierte Qualitätsindikatoren entscheidend. Medizi
nische Register [22] eignen sich besonders für die Erfas
sung der Daten. Anhand dieser kann beispielsweise gezei gt werden, dass evidenzbasierte Guidelines imple
mentiert sind, oder es ist anhand der Registerdaten möglich herauszufinden, welche Komponenten der Zertifizierung zur besseren Patientensicherheit führen [13]. Besonders entscheidend ist, dass sowohl positive als auch negative Ergebnisse publiziert werden.
7.4 Relevanz und Sicht der Stakeholder
Die Bedeutung der Behandlungsqualität und Patienten
sicherheit im Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Forde
rung nach mehr Transparenz für die Öffentlichkeit. Zertifi
zierungen zeichnen sich durch eine hohe Verbindlichkeit aus [20] und decken umfangreiche Aspekte der Versor
gung ab. Sie können beispielsweise Gesundheitseinrich
tungen dabei unterstützen, spezifische Behandlungspfade zu implementieren, die Compliance mit definierten Gui
delines zu erreichen oder valide Daten zu erheben. Die Date n und die Aussensicht können genutzt werden, um Verbesserungen einzuleiten (Zertifizierungen als Instru
ment für ein «Lernendes Gesundheitssystem»).
In der Schweiz bestehen beträchtliche Unterschiede zwi
schen Bestimmungen, Regulierungen, Indikatoren, An
reizen, Finanzierungssystemen und Qualitätssicherungs
mechanismen [55]. Die Transparenz zur Qualität der Gesundheitsversorgung und zu den gesundheitsbezoge
nen Kosten wird auch aus Patientensicht immer wichti
ger, um die wachsenden Zahlen von Patientinnen und Patienten mit chronischen Mehrfacherkrankungen zu
bewältigen. Gefragt sind Programme und Rahmenbedin
gungen (z.B. bezüglich Gewährung des Datenschutzes), welche die relevanten und bestehenden Datenbanken und Behandlungspfade zwischen Spitälern und Grund
versorgung, zwischen somatischer und psychiatrischer Versorgung und zwischen Spitalversorgung, stationärer Langzeitpflege und häuslicher Pflege vernetzen [55].
8. Fazit
Zertifizierungen sind Instrumente, die einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und zur Stärkung der Qualität und Qualitätsentwicklung in der Medizin leisten. Wich
tig ist, dass die Qualitätsindikatoren nachweislich einen Nutzen für die Patienten bringen. Der Nutzen und das KostenNutzenVerhältnis von Zertifizierungen müssen
Die Bedeutung der Behandlungsqualität und Patientensicherheit im Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren gestiegen.
laufend überprüft und wenn nötig angepasst werden, getreu dem gesetzlich geforderten WZWPrinzip (wirk
sam, zweckmässig, wirtschaftlich). Die Zertifizierung muss den Bedürfnissen der Gesundheitseinrichtungen entsprechen, und der administrative Aufwand darf nicht zu Lasten der Patientenversorgung anfallen.
Bildnachweis Abbildung 1 und 2: FMH
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FMH DDQ /SAQM 1342
Die Position des FMH-Zentralvorstands
Zertifizierungen zur Stärkung der Qualität in der Medizin
Zentralvorstand der FMH
Die Ausgangslage
Zertifizierungen sind nützlich, um Standardprozesse und Rollenverteilungen klar und transparent zu defi- nieren. Die Aussensicht hilft, Verbesserungspotenzial aufzudecken und somit auch Verbesserungen von Strukturen und Prozessen einzuleiten (z.B. kürzere Wartzeiten durch effizientere Praxisorganisation, Pandemievorbereitung), und sie unterstützt eine Qua- litätskultur. Die Bedeutung des Nachweises der Be- handlungsqualität im Gesundheitswesen ist in den
vergangenen Jahren gestiegen, nicht zuletzt auch auf- grund der Forderung nach mehr Transparenz durch die Öffentlichkeit und Politik. Zertifizierungen sind ein Instrument, welches einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und zur Stärkung der Qualität in der Medizin leisten kann. Zentral dabei ist, dass die Quali- tätsindikatoren nachweislich einen Nutzen für die Patienten bringen. Der Nutzen von Zertifizierungen muss laufend überprüft und wenn nötig angepasst werden.
Die Argumente
Für die Unterstützung von Zertifizierungen stehen aus Sicht des Zentralvorstands der FMH folgende Aspekte im Vordergrund.
Die Qualitätsrelevanz ist ausgewiesen
Das Ziel und die Bedeutung einer Zertifizierung müssen klar beschrieben und deklariert sein. Eine Zertifizierung soll den Empfehlungen «Zertifizie- rung im medizinischen Kontext» der Schweizeri- schen Akademie der Medizinischen Wissenschaften entsprechen. Die Zertifizierungsstelle ist nachweis- lich für ihre Aufgabe qualifiziert und unabhängig.
Die Standards sind evidenzbasiert, beziehen sich auf die aktuellen in der Schweiz anerkannten Guidelines und decken unbegründete Abweichungen in der Ver- sorgung auf.
Feedbacksystem
Es gibt ein transparentes und definiertes System, wie die Einhaltung der Standards gemessen werden (Feed- backsystem). Die erhobenen Daten werden analysiert, validiert und gegebenenfalls im Sinne eines PDCA (Plan, Do, Check, Act)-Zyklus dazu verwendet, die Er- gebnisse zu verbessern. Ebenfalls sollen die Auswir-
Zertifizierungsverfahren bestätigen, dass eine Gesundheitseinrichtung vorbestimmte Standards erfüllt. Standards zielen darauf hin, ungerechtfertigte Unterschiede in der Versorgung zu reduzieren, die Patientensicherheit zu gewährleisten und schliesslich eine hohe Versorgungsqualität zu unterstützen. Die Bedeutung von Zertifizierungen nimmt aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesundheitsversorgung zu. Der FMH-Zentralvorstand begrüsst Zertifizierungsverfahren, die auf einer validen und evidenzbasierten Grundlage aufbauen, die ärztliche Organisationen miteinbeziehen und patientenzentriert sind. Weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit von Zertifizie- rungen müssen zeigen, welchen Nutzen die Patienten davon haben und wie dieser in Relation zu den Kosten steht, gemäss dem gesetzlich geforderten WZW-Prinzip.
Zertifizierungen können einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und zur Stärkung der Qualität in der Medizin leisten.
FMH Zentralvorstand 1343
kungen von Zertifizierungen auf die Gesundheits- versorgung im übergeordneten Sinne und schliesslich bezüglich des Mehrwerts an der Patientenschaft aufge- zeigt werden. Der Früherkennung vulnerabler Regio-
nen und Gruppen kommt eine zunehmend grosse Bedeutung zu. Der ergebnisoffene und reflektierte Um- gang mit den Resultaten unter Einbezug der Beteilig- ten ist entscheidend.
Implementierung
Um den Aufwand von Zertifizierungsverfahren mög- lichst effizient gestalten zu können, sollten diese auf bereits erhobenen und verfügbaren Daten des Behand- lungsprozesses basieren. Zentrale Erfolgsfaktoren für eine Zertifizierung sind die positive Einstellung der Gesundheitsfachpersonen sowie die – über Hierar- chien hinweg – partizipative Ausgestaltung des Zerti- fizierungsprogramms, welches auf für die Beteiligten relevanten Standards basiert. Zertifizierungsverfah- ren sollten mit regulatorischen Vorgaben abgestimmt und durch entsprechende Anreize und Finanzierung unterstützt werden.
Patientenzentriert, interprofessionell und interdisziplinär
Besonderes Augenmerk liegt auf der Patientensicher- heit und damit dem zentralen Einbezug der Patien- ten, der nachhaltigen Zusammenarbeit aller Beteilig- ten und auf der Kontinuität der Versorgung (z.B. ist das Verfahren interdisziplinär und interprofessio- nell, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sind definiert und umgesetzt). Gefragt sind Programme,
welche die Behandlungspfade und diese abbildenden relevanten Datenbanken zwischen Spitälern und Grundversorgung, zwischen somatischer und psychi- atrischer Versorgung und zwischen Spitalversorgung, stationärer Langzeitpflege und häuslicher Pflege ver- netzen.
Qualitätssicherung
Zertifizierungen unterstützen eine hohe Verbindlichkeit und können umfangreiche Aspekte der Versorgung abdecken. Sie können beispielsweise Gesundheitsein- richtungen dabei unterstützen, spezifische Behandlungs- pfade zu implementieren, die Compliance mit definierten Guidelines zu erreichen oder valide Daten zu erheben.
Unsere Empfehlungen
– Der Zentralvorstand der FMH begrüsst Zertifizie- rungsverfahren, die auf einer validen und evidenz- basierten Grundlage basieren und deren Qualitäts- relevanz ausgewiesen ist.
– Die Wahl des Zertifizierungsverfahrens muss auf die Zielsetzung und die Herausforderungen der jeweiligen Patientinnen und Patienten, Gesund- heitsfachpersonen und Gesundheitseinrichtungen abgestimmt sein. Ein Top-down-Ansatz ist nicht zielgerichtet. Die Eignung von Zertifizierungen kann je nach Fachrichtung unterschiedlich ausfal- len. Die Expertise der ärztlichen Organisationen ist miteinzubeziehen.
– Zertifizierungsverfahren sollen so in den Praxis- alltag integriert werden, dass sie den Arbeitsfluss idealerweise unterstützen, zumindest jedoch nicht behindern.
– Es gibt ein transparentes und definiertes System, wie die Ergebnisse betreffend Einhaltung der Stan- dards gemessen, validiert und interpretiert werden (Feedbacksystem). Die Resultate werden analysiert und dazu verwendet, nebst deren Einhaltung auch die Standards selbst zu verbessern.
– Besonderes Augenmerk liegt auf der Patienten- sicherheit, dem zentralen Einbezug der Patienten, der nachhaltigen Zusammenarbeit aller Beteilig- ten und auf der Kontinuität der Versorgung (z.B. ist das Verfahren interdisziplinär und interprofessio- nell, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sind bruchfrei definiert und umgesetzt).
– Weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit von Zer- tifizierungen sollen zeigen, welchen Nutzen die Pat- ienten davon haben und wie dieser in Relation zu den Kosten steht, getreu dem gesetzlich geforderten WZW-Prinzip, welches auch hier anzuwenden ist.
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Besonderes Augenmerk liegt auf der Patienten- sicherheit.
Der ergebnisoffene und reflektierte Umgang mit den Resultaten unter Einbezug der Beteilig- ten ist entscheidend.
FMH Zentralvorstand 1344
Ausbildung Arzthaftung für Medizi- nische Gutachter in der Romandie
Das Interview führte: Jeanine Glarner
Kommunikationsspezialistin Abteilung Kommunikation der FMH
Die FMH führt gemeinsam mit der Swiss Insurance Medicine SIM ein Arzthaf- tungsmodul für medizinische Gutachter durch. Im August 2020 fand das Seminar in der Deutschschweiz statt. Im November folgt nun das Seminar für Teilneh- mende aus der Romandie. Wir haben bei der Teilnehmerin Prof. Dr. med. Nicole Ochsenbein-Kölble nachgefragt, ob sich diese Ausbildung für sie gelohnt hat.
Sie haben an der Veranstaltung «Neues Arzthaftungs- modul der FMH und SIM für medizinische Gutachter»
teilgenommen. Mit welcher Erwartung haben Sie sich dafür angemeldet?
Nicole Ochsenbein-Kölble: Obwohl ich bereits seit über 10 Jahren als Gutachterin tätig bin, habe ich mir vom Arzthaftungsmodul erhofft, anhand von praktischen Beispielen verschiedene Aspekte der Haftung disku- tieren zu können und ein Bewusstsein für wichtige Aspek te der Arzthaftung zu entwickeln bzw. weiterzu- entwickeln.
Was nehmen Sie aus dieser Veranstaltung für Ihre Gutachtertätigkeit mit?
Meine Erwartungen haben sich vollauf erfüllt. Einmal mehr wurde bestätigt, dass in meiner täglichen Arbeit eine gute Kommunikation mit den Patientinnen und Angehörigen sehr wichtig ist, um es gar nicht zu einem Arzthaftungsfall werden zu lassen. Und es wurde ein- gehend dargelegt, wie wichtig die Dokumentation im Einzelfall ist, um alle relevanten Informationen bei einer allfälligen Haftungsfrage verfügbar zu haben.
Würden Sie diese Veranstaltung weiterempfehlen?
Auf jeden Fall. Ich empfehle die Veranstaltung v.a. mei- nen Berufskolleginnen und -kollegen in der Gynäko- logie. Die Veranstaltung ist gut geeignet für Gutachte- rinnen und Gutachter, die bereits langjährig tätig sind.
Aber auch Ärztinnen und Ärzte, die noch keine Erfah- rung in der Gutachtertätigkeit haben und sich diese Aufgabe vorstellen können, profitieren, da die Arzthaf- tungsfrage anhand von konkreten, praktischen Bei- spielen aufgezeigt wird.
Gutachterausbildung Arzthaftung der FMH/SIM für medizinische Gutachter
Für Teilnehmende aus der Romandie findet dieses Ausbildungsmodul am 5. November 2020 im Spital Riviera-Chablais in Rennaz statt.
Ärztinnen und Ärzte verschiedener medizinischer Fachgebiete und Juristinnen und Juristen mit Erfahrung auf dem Gebiet der Arzt- haftung werden – aus theoretischer Sicht und anhand praktischer Beispiele – spezifische Fragen dieses Bereichs behandeln, wie z.B.
die Sorgfaltspflicht von Ärztinnen und Ärzten und ihre Verpflichtung zur Information der Patientinnen und Patienten. Ebenso werden die wesentlichen Elemente der Gutachtertätigkeit, das Verfassen von Gutachten für die FMH und der Ablauf eines gemeinschaftlichen Gutachtens thematisiert. Ein Vortrag wird sich mit der Kommunikation beschäftigen, die bei einem medizinischen Zwischenfall von grosser Bedeutung ist. Geplant ist zudem eine interdisziplinäre Diskussionsrunde, bei der die Teilnehmenden ihre Erfahrungen als Gut- achterinnen und Gutachter austauschen können.
Weitere Informationen und das Anmeldeformular finden Sie auf der FMH-Website: www.fmh.ch → Dienstleistungen → Gutachteraus- bildung Arzthaftung der FMH/SIM für medizinische Gutachter. Die Anmeldung ist bis zum 26. Oktober möglich. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.
Kurzporträt
Prof. Dr. med. Nicole Ochsenbein- Kölble ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie hat einen Fähig- keitsausweis in Schwangerschafts- ultraschall und den Schwerpunkt feto- maternale Medizin sowie operative Gynäkologie/Geburtshilfe. Die 48-Jäh- rige ist als Leitende Ärztin an der Kli- nik für Geburtshilfe am Universitäts- Spital Zürich und seit über 10 Jahren als Gutachterin tätig.
Aussergerichtlichte Gutachterstelle der FMH Valérie Rothhardt Nussbaumstrasse 29 CH-3000 Bern 16 valerie.rothhardt[at]fmh.ch
FMH Inter view 1346
Todesfälle / Décès / Decessi Nicola Alexander-David (1942), † 02.03.20, Spécialiste en chirurgie, 6500 Bellinzona
Christian Aus der Au (1965), † 30.04.20, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, 8400 Winterthur
Ludwig Bernays (1924), † 05.09.20, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, 8052 Zürich
Peter Walther (1942), † 05.09.20, Facharzt für Chirurgie, 3626 Hünibach
Gret Arregger (1942), † 14.09.20,
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, 9602 Bazenheid
Jean-Marie Tschopp (1948), † 20.09.20, Spécialiste en médecine physique et réadaptation, Spécialiste en pneumologie et Spécialiste en médecine interne générale, 3963 Crans-Montana
Ärztegesellschaft des Kantons Luzern Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion Stadt hat sich gemeldet:
Karim El-Hag, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Facharzt für Pneumologie, ab 01.11.2020 Lungenpraxis Hirslanden Klinik St. Anna, Lützelmattstrasse 1, 6006 Luzern Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion Gäu hat sich gemeldet:
Susanne Krieg, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, FMH, ab 01.12.2020:
Kinderarztpraxis Fidibus, Riedmattstrasse 3a, 6030 Ebikon
Paolo Tonella, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, FMH, ab 01.12.2020:
Kinderarztpraxis Fidibus, Riedmattstrasse 3a, 6030 Ebikon
Einsprachen sind innert 20 Tagen nach der Publikation schriftlich und begründet zu richten an: Ärztegesellschaft des Kantons Luzern, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern
Ärztegesellschaft Thurgau
Zum Eintritt in die Ärztegesellschaft Thurgau haben sich gemeldet:
Baktash Aqtashi, Herrenwiesstrasse 11, 8356 Ettenhausen, Facharzt für Oto-Rhino- Laryngologie, FMH
Heike Scholz, Sierenmoosstrasse 58, D-78464 Konstanz, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, FMH
Wiebke Wesemüller, Blarerstrasse 48, D-78462 Konstanz, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, FMH
Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug Zur Aufnahme in die Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug als ordentliches Mitglied hat sich angemeldet:
Rolf Gerber, Facharzt für Psychiatrie und Psy- chotherapie, FMH, Baarerstrasse 75, 6300 Zug (ab 01.01.2021)
Einsprachen gegen diese Kandidatur müssen innerhalb 14 Tagen seit dieser Veröffent- lichung schriftlich und begründet beim Sekretariat der Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug eingereicht werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist entscheidet der Vorstand über Gesuch und allfällige Einsprachen.
FMH Personalien 1348
Personalien
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VLSS-Mitgliederbefragung 2019
Anstellungsbedingungen der Kader- ärzteschaft an Schweizer Spitälern
Karl-Olof Lövblada, Thomas Eichenbergerb, Markus Gublerc
a Prof. Dr. med., Präsident VLSS; b Dr. iur., Geschäftsleiter VLSS; c Sekretariatsleiter VLSS
Der Verein der Leitenden Spitalärzte der Schweiz (VLSS) ist in der FMH die Basis
organisation für die in der Schweiz tätigen Chefärztinnen und Chefärzte sowie die Leitenden Spitalärztinnen und Spitalärzte. Seit Jahren evaluiert er dank Mitglieder
befragungen, wie sich die Anstellungsbedingungen an den Spitälern entwickeln.
Der VLSS interessiert sich für die Arbeitsverhältnisse der Chefärztinnen und ärzte sowie der Leitenden Spi
talärztinnen und ärzte und führt deshalb regelmässig Befragungen durch. Die erste Erhebung datiert vom Herbst 2003. Damals hat die Private Hochschule Wirt
schaft PHW Bern im Auftrag der SDK (heute GDK) so
wie des VLSS eine umfangreiche Befragung bei der Schweizer Kaderärzteschaft sowie bei einigen öffent lichen Spitälern durchgeführt [1]. Die Erhe
bung erreichte eine hohe Rücklaufquote. Sie zeich
nete so ein relativ verlässliches Bild der damaligen Situation an den Spitälern.
Im Jahr 2011 führte der VLSS eine kurze OnlineUmfrage beim gleichen Adressatenkreis durch, insbesondere um die Entwicklung der Einkommensverhältnisse weiter
zuverfolgen. Vor vier Jahren befragte der VLSS seine Ver
einsmitglieder erneut. Im Fragebogen wurden bewusst bestimmte Fragen aus früheren Erhebungen wieder
holt. So lassen sich die Ergebnisse besser vergleichen. Im Jahr 2019 hat der VLSS seine Be fragung zum dritten Mal wiederholt. Es nahmen insgesamt 318 Personen teil, was einer Rücklaufquote von 32,4 Prozent entspricht [2].
Durchschnittlich arbeiten die Befragten 59,8 Stunden pro Woche. Während 86 Prozent der Chefärztinnen und Chefärzte Vollzeit arbeiten, praktizieren etwas we
niger als 2 von 3 Leitenden Spitalärztinnen und ärzten
Grafik 1: Entwicklung der Gesamteinkommen von Chefärztinnen und Chefärzten sowie von Leitenden Ärztinnen und Ärzten.
Im Jahr 2019 hat der VLSS seine Befragung zum dritten Mal wiederholt.
ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT VLSS 1350
Vollzeit (62%). Beim Beschäftigungsgrad lassen sich ge
schlechterspezifische Unterschiede feststellen. Chef
und Kaderärztinnen sind häufiger Teilzeit angestellt als ihre männlichen Kollegen (47 vs. 21%).
Der VLSS erhebt mit seinen Befragungen nicht den An
spruch, wissenschaftlich fundierte Angaben zur Ent
wicklung der Einkommenshöhe sowie der Anstellungs
bedingungen der Kaderärzteschaft in der Schweiz zu machen. Die Umfrage dient primär internen Zwecken.
Mit der vorliegenden Publikation wollen wir aber auf eini ge unseres Erachtens signifikante Trends hinweisen.
Es geht uns auch darum, das in den Medien vielfach kol
portierte Bild einer stark unabhängig agierenden Chef
und Kaderärzteschaft zu korrigieren [3]. In den meisten Fällen können sie nicht mehr eigenständig Budgets ver
walten. Ihre eigenen Gesamtbezüge sowie die Löhne der Mitarbeitenden sind heute streng reguliert und werden meistens vom Kanton und/oder von den Verwaltungs
räten der Spitäler hoheitlich festgelegt. Oft stehen gar keine Mittel, wie z.B. Poolgelder, mehr zur Verfügung, um autonom ärztliche Ziele erreichen zu können.
Weil die genannten Umfragen auf ähnlichen Frageras
tern basieren und ähnlich erhoben wurden, konnten wir den folgenden Fragestellungen vertieft nachgehen und dabei auch Entwicklungen über die Zeitachse be
leuchten.
1. Wie haben sich die Gesamteinkommen Chefärztin
nen und Chefärzte sowie der Leitenden Ärztinnen und Ärzte entwickelt?
2. Wie bedeutend sind variable Einkommensbestand
teile?
3. Haben sich die Arbeitsbedingungen verändert?
4. Wie verbreitet sind ManagementQualifikationen unter den Kaderärzten?
5. Wie sieht es mit der Berufszufriedenheit aus?
Entwicklung der Gesamteinkommen
Wir haben die Einkommen der Kaderärztinnen und
ärzte unabhängig von ihrer medizinischen Fachrich
tung erhoben. Zwischen 2002 und 2019 haben sich die Einkommen relativ stabil entwickelt. Während die Chefärztinnen und Chefärzte in den letzten drei Jah
ren wieder leicht mehr verdienten, sanken die Ein
kommen der Leitenden Kaderärztinnen und ärzte leicht auf das Niveau von 2002 (siehe Grafik 1). Daraus einen für die Schweiz geltenden Trend abzuleiten ist aus unserer Sicht nicht zulässig. Die Datenlage lässt keine repräsentativen Ergeb nisse zu.
Werden die Einkommen der Kaderärztinnen und
ärzte nach Regionen unterteilt, zeigen sich unter
schiedliche Entwicklungsmuster (siehe Grafik 2). Wäh
rend die Gesamteinkommen in der Region 2 (Kantone FR, GE, JU, NE, TI, VD und VS) im Zeitraum von 2002 bis 2019 anstiegen, blieben sie im gleichen Zeitraum in den Regionen 1 (BE, BL, BS, AG, SO) und 4 (LU, NW, OW,
Grafik 2: Gesamteinkommen der Kaderärztinnen und -ärzte nach Regionen.
Mit der vorliegenden Publikation möchte der VLSS auf einige signifikante Trends hinweisen.
ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT VLSS 1352