Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit
Marcus Arning
8
Schriften zum Religionsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Stefan Korioth,
Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Heinrich de Wall,
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Christian Walter,
Ludwig-Maximilians-Universität München Band 8
BUT_Arning_4215-8.indd 2 07.06.17 10:55
Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit
Nomos
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2016 ISBN 978-3-8487-4215-8 (Print)
ISBN 978-3-8452-8518-4 (ePDF)
D 6
1. Auflage 2017
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
BUT_Arning_4215-8.indd 4 07.06.17 10:55
Ich bedanke mich bei Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck, Universität Müns- ter, meiner Verlobten Mira, meinen Eltern sowie meinem Bruder für die Betreuung und Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit.
April 2017 Marcus Arning
Abkürzungsverzeichnis 13 Einleitung
A. 21
Die Grundrechtsbindung der Kirchen im Allgemeinen
B. 23
Die Bindung der Kirchen an staatliche Grundrechte
I. 23
Keine Grundrechtsbindung über Art. 1 III GG aufgrund des Körperschaftsstatus
1.
23 Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts im verwaltungsrechtlichen Sinne
a)
26 Errichtung durch Hoheitsakt
aa) 26
Mitgliedschaftliche Struktur
bb) 27
Rechtsfähigkeit
cc) 27
Öffentlicher Zweck und hoheitliches Handeln
dd) 28
Definition
ee) 28
Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 137 V WRV
b)
29 Historie
aa) 29
Der kirchliche Körperschaftsbegriff unter dem Grundgesetz
bb)
32 Keine Gründung durch Hoheitsakt
(1) 32
Mitgliedschaftliche Struktur
(2) 33
Rechtsfähigkeit
(3) 34
Eigener Sinn und Zweck des Art. 137 V WRV
(4) 34
Die „Verbindungsthese“
(a) 37
Die „Grundrechtsthese“
(b) 41
Fazit
(c) 44
Die Schrankenklausel des Art. 137 III 1 WRV als
„Einfallstor der Grundrechte in das kirchliche Wirken“
2.
45 Dogmatische Einordnung
a) 45
Der Gewährleistungsinhalt des Selbstbestimmungsrechts
b) 48
Die Schranke des „für alle geltenden Gesetzes“
c) 51
Versuch einer allgemeinen Definition
aa) 51
Die Bereichslehre
bb) 57
Begründung der Bereichslehre durch Helmut Quaritsch
(1)
57 Fortführung der Bereichslehre durch Hermann
Weber (2)
61 Festhalten an der Bereichslehre durch Christian Hillgruber
(3)
64 Konsequenzen der Bereichslehre für die
Grundrechtsbindung von Kirchen (4)
65 Die Abwägungslehre
cc) 66
Ablehnung einer Bereichsscheidung
(1) 67
Methodik der Abwägung
(2) 68
Konsequenzen der Abwägungslehre für die Grundrechtsbindung von Kirchen
(3)
71 Bereichs- und Abwägungslehre in der
Rechtsprechung und die „Jedermann-Formel“
dd)
73 Fazit: Keine umfassende, allgemeine Bindung von
Religionsgemeinschaften an staatliche Grundrechte 3.
77 Die Frage nach innerkirchlichen Grundrechten
II. 81
Die Situation in der katholischen Kirche
1. 81
Das Verhältnis von katholischer Theologie und Grundrechten
a)
81 Positives katholisches Kirchenrecht – Die Pflichten und Rechte aller Gläubigen, CIC Cann. 208 – 223
b)
102 Fazit: Keine innerkirchlichen Grundrechte in der
katholischen Kirche c)
105 Die Situation in der evangelischen Kirche
2. 106
Das Verhältnis von evangelischer Theologie und Grundrechten
a)
107 Positives evangelisches Kirchenrecht – Die Verfassungen und Kirchen- und Grundordnungen der EKD, UEK, VELKD sowie der Gliedkirchen der EKD
b)
125 Fazit: Vereinzelte Grundrechte in der evangelischen
Kirche, aber kein umfassender Grundrechtsschutz c)
135 Ergebnis: Keine allgemeine innerkirchliche
Grundrechtsbindung 3.
139 Inhaltsverzeichnis
8
Die Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit im Speziellen
C.
141 Die Kirchengerichtsbarkeit der katholischen Kirche
I. 141
Kirchengerichtsbarkeit als Teil der Leitungsgewalt
1. 142
Ordentliche Gerichtsbarkeit
2. 143
Die Rechtswegeröffnung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit
a)
143 Instanzenzug, Zuständigkeit und Gerichtsordnung
b) 144
Personelle Struktur
c) 149
Das Diözesangericht
aa) 149
Das Metropolitangericht
bb) 155
Die gesamtkirchlichen Gerichte
cc) 155
Einzelne Verfahrensarten
d) 155
Parteien, Rechtsbeistände und das Instrument der Klage
aa)
156 Das Streitverfahren
bb) 157
Das Strafverfahren
cc) 160
Der Ehenichtigkeitsprozess
dd) 162
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit
3. 163
Die katholische Kirchengerichtsbarkeit im kollektiven Arbeitsrecht
4.
165 Die Kirchengerichtsbarkeit der evangelischen Kirche
II. 173
Recht und Gerichtsbarkeit als Mittel zum Zweck
1. 174
Evangelische Kirchengerichtsbarkeit – ein Überblick
2. 176
Die Gerichtsbarkeit der EKD
3. 177
Allgemeine Vorschriften zu Zuständigkeit, Personal und Verfahren
a)
178 Zuständigkeiten
aa) 179
Personelles
bb) 181
Allgemeine Verfahrensvorschriften
cc) 186
Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof der EKD
b) 187
Das kirchengerichtliche Disziplinarverfahren der EKD
c) 189
Das kirchliche Verwaltungsgerichtsverfahren der EKD
d) 193
Das kirchengerichtliche Verfahren der EKD in mitarbeitervertretungsrechtlichen Sachen e)
196 Kirchengerichtliche Verfahren nach § 5 II Nr. 4 – 8,
§§ 29b – § 29f KiGG.EKD f)
201
Die Gerichtsbarkeit der Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüsse
4.
202 Die Gerichtsbarkeit der VELKD
a) 203
Die Gerichtsbarkeit der UEK
b) 205
Die Gerichtsbarkeit der einzelnen Gliedkirchen
c) 206
Verfassungsgerichtsbarkeit
aa) 207
Disziplinargerichtsbarkeit
bb) 209
Verwaltungsgerichtsbarkeit
cc) 210
Gerichtsbarkeit in mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten
dd)
212 Das Lehrbeanstandungsverfahren – kein Teil der
Kirchengerichtsbarkeit 5.
214 Faktische Bindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit an
Prozessgrundrechte im Rahmen der staatlichen Justiziabilität kirchliche Angelegenheiten betreffender Rechtsstreitigkeiten III.
214 Der Zugang zu den staatlichen Gerichten
1. 218
Die unproblematischen Fälle
a) 219
Rechtsschutzausschluss durch die ältere Rechtsprechung
b) 220
Das Bundesverfassungsgericht
aa) 221
Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
bb) 224
Zivilgerichtliche Rechtsprechung
cc) 230
Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung
dd) 233
Zusammenfassung
ee) 235
Rechtswegeröffnung auf Basis der allgemeinen Justizgewährleistungspflicht des Staates c)
237 Hinwendung der neueren Rechtsprechung zur
Rechtswegeröffnung d)
251 Der eingeschränkte staatlich-gerichtliche Prüfungsumfang in der Sachentscheidung
2.
267 Grundsatz: Die Berücksichtigung des kirchlichen
Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Abwägung a)
267 Die Beschränkung des staatlich-gerichtlichen
Prüfungsumfangs auf fundamentale Rechts- und Verfassungsprinzipien durch eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Kirchengerichtsbarkeit b)
271 Zusammenfassung
c) 282
Inhaltsverzeichnis
10
Die Prozessgrundrechte als rechtsstaatlich gebotene
Voraussetzung für die Entfaltung der nur durch fundamentale Rechts- und Verfassungsprinzipien begrenzten
Tatbestandswirkung kirchengerichtlicher Entscheidungen 3.
283 Ausklammerung von Justizgewährleistung und der
spezifisch strafverfahrensrechtlichen Prozessgrundrechte a)
285 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG)
b) 287
Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG)
c)
294 Das Recht auf ein faires Verfahren
d) 299
Abwägung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und verfahrensmäßiger Rechtsstaatlichkeit in Gestalt der Prozessgrundrechte
e)
308 Fazit
f) 314
Zusammenfassung der Arbeit und Gesamtergebnis
D. 317
Zusammenfassung
I. 317
Gesamtergebnis
II. 323
Literaturverzeichnis 325
a.A. andere Ansicht
aaO. am angegebenen Ort
ABl. Amtsblatt
Abs. Absatz
ACK Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in
Deutschland
AfkKR Archiv für katholisches Kirchenrecht
AG Ausführungsgesetz/Anwendungsgesetz
allg. allgemein
Anm. Anmerkung
AöR Archiv des öffentlichen Rechts
ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz
ArbR Arbeitsrecht Aktuell
ARGG Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz
Art. Artikel
Aufl. Auflage
BAG Bundesarbeitsgericht
BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter
Bd. Band
BDG Bundesdisziplinargesetz
BeamtStG Beamtenstatusgesetz
BEK Bremische evangelische Kirche
Berl.-BB-schl. Oberlaus. Berlin-Brandenburg-schlesiche Oberlausitz
BerlK GG Berliner Kommentar zum Grundgesetz
Beschl. Beschluss
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGH Bundesgerichtshof
BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsa- chen
BK GG Bonner Kommentar zum Grundgesetz
BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsge-
richts
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
Can., Cann. Canon, Canones
CIC Codex Iuris Canonici
d. des, der
d.h. das heißt
DErgG Disziplinarergänzungsgesetz
ders. derselbe
DG Disziplinargesetz
dies. dieselben
diesbzgl. diesbezüglich
DÖV Die öffentliche Verwaltung
DRNOG Disziplinarrechtsneuordnungsgesetz
DSG Datenschutzgesetz
DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt
E Entscheidungssammlung, siehe auch BAGE,
BVerfGE, BVerwGE
ebda. ebenda
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EinfG Einführungsgesetz
EKD Evangelische Kirche in Deutschland
EKdP evangelische Kirche der Pfalz
EKHN evangelische Kirche in Hessen und Nassau
EKiBa evangelische Landeskirche in Baden
EKiR evangelische Kirchen im Rheinland
EKM evangelische Kirche in Mitteldeutschland
Abkürzungsverzeichnis
14
ELA evangelische Landeskirche Anhalts
ELiW evangelische Landeskirche in Württemberg
ELKiB evangelisch-lutherische Kirche in Bayern
ELKiN evangelisch-lutherische Kirche in Norddeutschland
ELKS evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens
ELLKSchLip evangelisch-lutherische Landeskirche Schaumburg- Lippe
EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskon- vention)
ErgG Ergänzungsgesetz
etc. et cetera
evang., ev. Evangelisch
f., ff. folgende
Fn. Fußnote
FS Festschrift
GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht
gem. gemäß
GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GO Grundordnung
grds. grundsätzlich
GrO Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen
kirchlicher Arbeitsverhältnisse
GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
h.M. herrschende Meinung
HdbkathKirchR Handbuch des katholischen Kirchenrechts HdbStKirchR Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepu-
blik Deutschland
Hervorh. d. d. Verf. Hervorhebung durch den Verfasser Hervorh. im Orig. Hervorhebung im Original
HGR Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Eu-
ropa
Hrsg., hrsg. Herausgeber, herausgegeben
HS. Halbsatz
HStR Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
i.E. im Ergebnis
insbes. insbesondere
insges. insgesamt
iSd. im Sinne des/der
iVm. in Verbindung mit
JuS Juristische Schulung
JZ Juristenzeitung
KABl. Kirchliches Amtsblatt
KAGO Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung
KiGG Kirchengerichtsgesetz
KiGOrgG Gesetz über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangeli- schen Kirche in Deutschland
Kir. Kirche
KirchenG Kirchengesetz
Kirchenverf. Kirchenverfassung
kirchl. kirchlich
KiVwGG Kirchenverwaltungsgerichtsgesetz
KMG Kirchenmitgliedschaftsgesetz
KO Kirchenordnung
KODA Kommission(en) zur Ordnung des diözesanen Ar-
beitsvertragsrechts
KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
KuR Kirche und Recht
KVerf. Kirchenverfassung
KVGG Kirchliches Verwaltungsgerichtsgesetz
KVVG Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassungs-
und Verwaltungsgericht
Landeskir. Landeskirche
Lit. Literatur
lit. littera
luth. lutherisch
Abkürzungsverzeichnis
16
MDR Monatsschrift für Deutsches Recht
MVG Mitarbeitervertretungsgesetz
mwN. mit weiteren Nachweisen
NJW Neue Juristische Wochenschrift
Nr. Nummer
NS Nationalsozialismus
NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtspre- chungs-Report
NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
obj. objektiv
öfftl. öffentlich
öfftl.-rechtl. öffentlich-rechtlich
OVG Oberverwaltungsgericht
PastBon Pastor Bonus. Apostolische Konstitution über die Römische Kurie
PfRG Pfarrerratgesetz
ref. reformiert
ReHO Rechtshofordnung
RGZ Entscheidungen des Reichgerichts in Zivilsachen
Rn. Randnummer
röm.-kath. römisch-katholisch
Rspr. Rechtsprechung
RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
S. Seite
s. siehe
s.o. siehe oben
s.u. siehe unten
SJKR Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht
sog. sogenannt
Sp. Spalte
st. Rspr. ständige Rechtsprechung
staatl. staatlich
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
subj. subjektiv
u.a. und andere, unter anderem
u.U. unter Umständen
UEK Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen
Kirche in Deutschland
unstr. unstreitig
Urt. Urteil
usw. und so weiter
v. von, vom
Var. Variante
VELKD Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche
Deutschlands
Verf. Verfassung
VerwArch. Verwaltungsarchiv
VG Verwaltungsgericht
VGH Verwaltungsgerichtshof
vgl. vergleiche
VO Verordnung
Vorb. Vorbemerkung
VuVG Verfassungs- und Verwaltungsgericht
VuVGEG Kirchengesetz über die Errichtung eines Verfas- sungs- und Verwaltungsgerichts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen
Staatsrechtslehrer
VVGG Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsgesetz
VVZG Verwaltungsverfahrens- und zustellungsgesetz
VwGG Verwaltungsgerichtsgesetz
VwGO Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz
WRV Die Verfassung des Deutschen Reiches vom
11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung)
Z siehe BGHZ
z.B. zum Beispiel
Abkürzungsverzeichnis
18
ZAG Zustimmungs- und Ausführungsgesetz
ZBR Zeitschrift für Beamtenrecht
ZEE Zeitschrift für Evangelische Ethik
ZevKR Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht
ZG Zustimmungsgesetz
ZPO Zivilprozessordnung
ZTR Zeitschrift für Tarifrecht
ZZP Zeitschrift für Zivilprozess
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Einer Antwort soll unter verschiedenen Gesichtspunkten nachgegangen werden. Zunächst ist zu prüfen, ob die Kirchen insgesamt, und damit deren Gerichtsbarkeiten als Teil des Gesam- ten, einer Grundrechtsbindung unterliegen (B.). In einem zweiten Schritt ist die kirchliche Gerichtsbarkeit im Speziellen vor dem Hintergrund der Grundrechtsfrage zu betrachten (C.). Im Rahmen dessen werden ausführ- lich die Strukturen vorhandener Kirchengerichtsbarkeiten darzustellen sein.
Gegenstand der Betrachtungen sind die katholische und die evangeli- sche Kirche in Deutschland. Gleichwohl beanspruchen die dogmatischen Ausführungen zum staatlichen Kirchenverfassungsrecht grundsätzlich All- gemeingültigkeit. Angesichts des Betrachtungsschwerpunktes auf den christlichen Großkirchen erfolgt jedoch nicht immer eine trennscharfe ter- minologische Trennung; so sind etwa die Begriffe „Religionsgemein- schaft“ und „Kirche“ im Folgenden regelmäßig synonym zu verstehen, es sei denn, aus dem Kontext ergibt sich etwas anderes.
Zunächst ist einer etwaigen Grundrechtsbindung der Kirchen im Allge- meinen nachzugehen. In Betracht kommt zunächst eine Bindung an die staatlichen Grundrechte des Grundgesetzes (I.). Des Weiteren ist auch der Frage nach innerkirchlichen Grundrechten nachzugehen (II.).
Die Bindung der Kirchen an staatliche Grundrechte
Hinsichtlich einer Bindung an staatliche Grundrechte kommen als dogma- tische Anknüpfungspunkte Art. 1 III GG (1.) und Art. 140 GG in Verbin- dung mit Art. 137 III 1 der Weimarer Reichsverfassung1 (2.) in Betracht.
Keine Grundrechtsbindung über Art. 1 III GG aufgrund des Körperschaftsstatus
Nach Artikel 1 III GG sind in der Bundesrepublik Legislative, Exekutive und Judikative unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Aus dem sich aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 V 1 WRV ergebenden Status der katholischen und der evangelischen Kirche (sowie ihren Untergliede- rungen) als Körperschaften des öffentlichen Rechts2 könnte man schlie- ßen, dass sie als Teil der vollziehenden Staatsgewalt einzuordnen und so- mit in ihrem Handeln generell an die Grundrechte gebunden sind3. Dies I.
1.
1 Im Folgenden abgekürzt mit WRV.
2 A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht – Eine systematische Darstel- lung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa – Ein Studienbuch, 4. Aufl., München 2006, S. 140; A. v. Campenhausen/P. Unruh, in: H. v.
Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 3:
6. Aufl., München 2010, Art. 137 WRV Rn. 203; H. Hofmann, in: B. Schmidt- Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl., Köln 2014, Art. 140 Rn. 17; Bundestagsdrucksache 14/7026, S. 6, http://
dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/070/1407026.pdf (zuletzt abgerufen am
wird, soweit ersichtlich, einhellig abgelehnt4. Trotz des Körperschaftssta- tus seien die Kirchen nicht als staatlich-hoheitliche Organe zu verstehen, vielmehr handle es sich um einen mit anderen öffentlichen Körperschaften nicht zu vergleichenden Status „sui generis“5 und kirchliches Handeln sei somit grundsätzlich nicht als staatliche Gewalt im Sinne von Art. 1 III GG
3 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1. Halbband:
Allgemeine Lehren der Grundrechte, München 1988, S. 1211 f.; G. Barwig, Die Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich, Frankfurt a. M. 2004, S. 74; W.
Höfling, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl., München 2014, Art. 1 Rn. 114.
4 BVerfGE 18, 385 (386 f.); 19, 129 (133 f.); 30, 415 (427 f.); 66, 1 (19 f.); 102, 370 (387 f.); H. Weber, Die Grundrechtsbindung der Kirchen, in: ZevKR 17 (1972), S. 386 (395); W. Rüfner, Die Geltung von Grundrechten im kirchlichen Bereich (1972), in: P. Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, Darm- stadt 1980, S. 174 (176 f.); K. Hesse, Grundrechtsbindung der Kirchen?, in: H.
Schneider/V. Götz (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat – Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, Berlin 1974, S. 447 (450 f.); K. Meyer-Teschendorf, Der Körperschaftsstatus der Kirchen – Zur Systemadäquanz des Art. 137 V WRV im pluralistischen Gemeinwesen des Grundgesetzes, in: AöR 103 (1978), S. 289 (294 f.); P. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchen- rechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I: 2. Aufl., Berlin 1994, S. 651 (655, 657, 664); S. Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentli- chen Rechts, in: DÖV 1995, S. 311 (313); H. Weber, Bindung der Kirchen an staat- liche und innerkirchliche Grundrechte und das Verhältnis der Grundrechtsgewähr- leistungen zueinander, in: ZevKR 42 (1997), S. 282 (288); C. Hillgruber, Staat und Religion, in: DVBl. 1999, S. 1155 (1172); ders., Der Körperschaftsstatus von Reli- gionsgemeinschaften – Objektives Grundverhältnis oder subjektives Grundrecht, in:
NVwZ 2001, S. 1347 (1354); M. Herdegen, in: T. Maunz/G. Dürig u.a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, München, Art. 1 III (2005), Rn. 103; v. Campenhau- sen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 128; S. Mückl, Grundlagen des Staatskir- chenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun- desrepublik Deutschland, Band VII: Freiheitsrechte, 3. Aufl., Heidelberg 2009,
§ 159 Rn. 93; C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 1: 6. Aufl., München 2010, Art. 1 Rn. 25; U. Mager, in: I.
v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 2: 6. Aufl., Mün- chen 2012, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 52; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zu Grundgesetz, Band I: 3. Aufl., Tübingen 2013, Art. 1 III Rn. 74; C. Hillgruber, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Mün- chen 2013, Art. 1 Rn. 69; Höfling (Fn. 3), Art. 1 Rn. 114; H. D. Jarass, in: ders./B.
Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 14. Aufl., München 2016, Art. 1 Rn. 37.
5 Diese Begrifflichkeit hat sich eingebürgert, exemplarisch s. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 130 mwN.; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), B. Die Grundrechtsbindung der Kirchen im Allgemeinen
24
anzusehen6; folglich bestehe auch keine Grundrechtsbindung7. Im Ergeb- nis besteht hier, soweit ersichtlich, Einigkeit. Hinsichtlich der Frage, wie diese Korporationsqualität „besonderer Art“ 8 im Einzelnen zu verstehen ist, welchen Sinn und welche Rechtfertigung sie hat, gibt es jedoch ver- schiedene Ansätze9. Diese können – trotz des gleichen und wohl nur schwer ernsthaft zu widerlegenden Ergebnisses – nicht als letztlich unbe- deutende Detailfragen beiseitegeschoben werden. Denn, wenn vom Grundsatz her gilt, dass Körperschaften öffentlichen Rechts als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung hoheitlich handeln und damit grundrechtsge- bunden sind10, so ist es notwendig, in einem Fall, in dem dies nicht gilt – also bei den korporierten Religionsgemeinschaften –, die Ausnahme posi- tiv zu beweisen und nicht umgekehrt11. Zunächst soll daher der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts12 in seinem üblicherweise benutzten, verwaltungsrechtlichen Sinne beleuchtet werden (a), um dann die Unter- schiede bezüglich der korporierten Religionsgemeinschaften darzustellen (b).
Kommentar zum Grundgesetz, Band III: 2. Aufl., Tübingen 2008, Art. 137 WRV Rn. 80 mwN.; v. Campenhausen/Unruh (Fn. 2), Art. 137 WRV Rn. 198.
6 Jedenfalls nicht aufgrund des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
7 BVerfGE 102, 370 (387 f.); Kirchhof, Kirchen (Fn. 4), S. 655, 664; Dreier (Fn. 4), Art. 1 III Rn. 74; weitere Nachweise vgl. Fn. 4.
8 D. Ehlers, in: Sachs, GG (Fn. 3), Art. 140 GG/137 WRV Rn. 21.
9 Siehe insbes. unten, B.I.1.b)bb)(4).
10 BVerfGE 7, 99 (104); 68, 193 (208 f.); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 3), S. 1334;
Starck (Fn. 4), Art. 1 Rn. 227; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwal- tungsrecht, Band II: 7. Aufl., München 2010, S. 452 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., München 2011, S. 582, 608, 611; Dreier (Fn. 4), Art. 1 III Rn. 61 mwN.; F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl., Hei- delberg 2014, S. 18 f.; Bzgl. der Sparkassen als Anstalten des öfftl. Rechts vgl.
BGH DVBl. 2003, S. 942 f.
11 Ähnlich auch v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 129, dort ist von der „grundsätzliche[n] Frage nach Bedeutung, Sinn und Legitimation dieser Verfassungsbestimmung“ die Rede.
Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts im verwaltungsrechtlichen Sinne
Eine positive, allgemein gültige Definition der öffentlich-rechtlichen Kör- perschaft findet sich im Gesetz nicht, der Begriff wird vielmehr vorausge- setzt13. Zudem erfolgt seine Verwendung nicht immer einheitlich14. Grundsätzlich gilt, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung – also der „Wahrnehmung von Verwaltungs- aufgaben durch rechtlich verselbstständigte Verwaltungsträger“15 (anstelle von Behörden) – sind16. Sie sollen „‚ihre Angelegenheiten‘ selbst verwal- ten und damit zugleich die Staatsverwaltung entlasten“17. Im Rahmen des- sen haben sich bestimmte Merkmale herausgebildet, die eine öffentlich- rechtliche Körperschaft ausmachen18.
Errichtung durch Hoheitsakt
Körperschaften öffentlichen Rechts entstehen nicht aufgrund eines privat- autonomen Willensaktes, sondern stets durch Hoheitsakt, also durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes19.
a)
aa)
13 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 452, zur historischen Entwicklung des Begriffs S. 451 f.; Peine, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 18.
14 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 452 mit Beispielen; Maurer, Allg. Ver- waltungsrecht (Fn. 10), S. 611.
15 Peine, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 18.
16 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 3), S. 1333 Fn. 69; Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn.
10), S. 311 f.; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 582, 608.
17 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung – Verfassungsrechtlicher Status – verfas- sungsrechtlicher Schutz, Tübingen 1997, S. 16, 18; Maurer, Allg. Verwaltungs- recht (Fn. 10), S. 608.
18 Insbes. in Abgrenzung zu öfftl.-rechtl. Anstalten und Stiftungen als weitere Orga- nisationsformen mittelbarer Staatsverwaltung, vgl. Maurer, Allg. Verwaltungs- recht (Fn. 10), S. 582 ff.; Peine, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 18 ff.
19 F. Knöpfle, Die Körperschaften des öffentlichen Rechts im formellen Sinn, in: W.
Blümel/D. Merten/H. Quaritsch (Hrsg.), Verwaltung im Rechtsstaat – Festschrift für Carl Hermann Ule zum 80. Geburtstag, Köln 1987, S. 93 (94, 101); Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 452; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 611 f.; Peine, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 18.
B. Die Grundrechtsbindung der Kirchen im Allgemeinen
26
Mitgliedschaftliche Struktur
Weiterhin sind sie mitgliedschaftlich verfasst, wenn auch im Bestehen vom Wechsel der Mitglieder unabhängig20. Das bedeutet, die Mitglieder haben als abstraktes Charakteristikum über ihr reines Vorhandensein hi- naus eine wesentliche Bedeutung21. Hartmut Maurer formuliert treffend:
„Sie [die Mitglieder] sollen ja gerade durch den körperschaftlichen Zu- sammenschluss zur gemeinschaftlichen Verwaltung der sie betreffenden Angelegenheiten veranlasst werden.“22 Ein bestimmtes, gemeinsames Kri- terium der Mitglieder ist also in der Regel Anknüpfungspunkt für die Zu- gehörigkeit einerseits und den Themen- beziehungsweise Aufgabenkreis, mit dem sich die Körperschaft beschäftigt, andererseits. So ist beispiels- weise bei der Rechtsanwaltskammer der Beruf maßgeblich, bei den Kom- munen der Wohnsitz und bei den Universitäten die Immatrikulation23. Weiterhin ist erforderlich, dass die Mitglieder „maßgeblichen Einfluss“24 auf die Vorgänge in der Körperschaft haben. Dadurch ist die Struktur we- niger hierarchisch, also demokratischer, als beispielsweise in einer Behör- de25. In Abgrenzung hierzu sind die bloßen Benutzer einer Anstalt des öf- fentlichen Rechts zu sehen, die im Vergleich weniger Einfluss haben26.
Rechtsfähigkeit
Die Rechtsfähigkeit wird in der Regel als Merkmal genannt, obwohl es auch nicht rechtsfähige und teilrechtsfähige öffentlich-rechtliche Körper- bb)
cc)
20 Knöpfle, Körperschaften (Fn. 19), S. 94; Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 452; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 612 f.; Peine, Allg. Verwal- tungsrecht (Fn. 10), S. 18.
21 Dahingehend auch Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 17), S. 234.
22 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 612.
23 Zur Unterscheidung verschiedener Ausprägungen von Körperschaften öffentlichen Rechts vgl. Knöpfle, Körperschaften (Fn. 19), S. 95 ff.; Peine, Allg. Verwaltungs- recht (Fn. 10), S. 18 f.
24 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 612.
25 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 452; zum Erfordernis der demokrati- schen Binnenstruktur in Selbstverwaltungsträgern vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: P. Selmer/I. v. Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, Berlin 1987, S. 249 (261 ff.).
26 Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 17), S. 234; Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10),
schaften geben kann, die jedoch vergleichsweise – jedenfalls quantitativ – eine geringere Rolle spielen27. „Der Begriff der Rechtsfähigkeit [...] be- zieht sich traditionell auf die Fähigkeit zur Teilnahme am Privatrechtsver- kehr“28.
Öffentlicher Zweck und hoheitliches Handeln
Die Körperschaften des öffentlichen Rechts verfolgen immer öffentliche Zwecke, handeln in der Regel hoheitlich und stehen daher unter staatlicher Aufsicht29. Sofern sie dabei „faktisch[...]“30 oder „reflexhaft[...]“31 auch privaten Interessen dienen, ist dies unschädlich32. Dabei ist der durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes festgelegte konkrete Zweck bezie- hungsweise sind die ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse für die jeweiligen Körperschaften abschließend; es besteht, mit Ausnahme der Gemeinden, keine generalklauselartige „Allzuständigkeit“33.
Definition
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass „[r]echtsfähige Körperschaf- ten des öffentlichen Rechts [...] mitgliedschaftlich verfasste [...] und unab- hängig vom Wechsel der Mitglieder bestehende [und zum Zwecke der Re- gelung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der mittelbaren Staatsverwal- tung errichtete] Organisationen [sind], die ihre Individualität als Rechts- subjekt nicht der Privatautonomie ihrer Mitglieder, sondern einem Ho- dd)
ee)
27 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 454; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 612.
28 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 454, näheres zur Rechtsfähigkeit S. 454 f.
29 Knöpfle, Körperschaften (Fn. 19), S. 94, 106 ff.; Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 10), S. 453; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 611, 613 f. mit Bei- spielen für Aufgaben von Körperschaften öfftl. Rechts; Peine, Allg. Verwaltungs- recht (Fn. 10), S. 18.
30 Wolff u.a., Verwaltungsrecht II (Fn. 6), S. 453.
31 Ebda.
32 Ebda. mit Beispielen.
33 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 613, zu den nicht nur in diesem Punkt vorhandenen Besonderheiten der Gemeinden vgl. S. 583 ff.
B. Die Grundrechtsbindung der Kirchen im Allgemeinen
28
heitsakt [...] verdanken“34, immer öffentliche Zwecke verfolgen und in der Regel hoheitlich handeln, wobei sie unter staatlicher Aufsicht stehen35.
Sie sind somit als Teil des Staates an die Grundrechte gebunden36.
Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 137 V WRV
Soweit zum verwaltungsrechtlichen Verständnis. Wie schon gesagt, unter- scheidet sich dieses wesentlich von dem Körperschaftsbegriff im Sinne des Art 137 V WRV. Im Folgenden soll letzterer mit seinen Unterschieden und Besonderheiten im Vergleich zur üblichen Definition dargestellt, be- gründet und gerechtfertigt werden.
Historie
In Art. 137 V GG heißt es: „Die Religionsgemeinschaften bleiben Körper- schaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgemeinschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewäh- ren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Ge- währ der Dauer bieten.“ Daraus muss man schließen, dass schon vor dem Grundgesetz und auch schon vor der Weimarer Reichsverfassung Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bezeichnet wurden. Diese Titu- lierung war also keineswegs ein Novum, eingeführt durch eine der er- wähnten Verfassungen. Vielmehr tauchte der Körperschaftsbegriff (cor- pus) schon weit vorher, im Zuge des Kirchenschismas auf37. Eine fakti- sche Voraussetzung und Anerkennung des öffentlichen Körperschaftssta- b)
aa)
34 Peine, Allg. Verwaltungsrecht (Fn. 10), S. 18.
35 S. Nachweise in Fn. 29. Für eine umfassende Betrachtung der Selbstverwaltung außerhalb der kommunalen Selbstverwaltung vgl. Kluth, Selbstverwaltung (Fn.
17).
36 Starck (Fn. 4), Art. 1 Rn. 227; Dreier (Fn. 4), Art. 1 III Rn. 61 mwN. S. auch oben, die Nachweise in Fn. 10.
37 Kirchhof, Kirchen (Fn. 4), S. 659; S. Muckel, Religionsgemeinschaften als Körper- schaften des öffentlichen Rechts – Zur aktuellen Diskussion um die Verleihung der
tus durch den Staat erfolgte ab dem 18. Jahrhundert38. Gesetzlich wurde dies erstmals im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 fixiert, in dem bestimmten „Kirchengesellschaften“ die Rechte „privilegirter Corpo- rationen“ zuerkannt werden39. Allerdings standen diese – trotz Privilegie- rung – unter umfassender Staatsaufsicht40. Eine Neuordnung der Verhält- nisse erfolgte nach Abschaffung des landesherrlichen Kirchenregiments im Jahre 1919 durch die Weimarer Reichsverfassung41. Dort wurde ein Mittelweg beschritten zwischen strikter Trennung von Staat und Religion in Form völliger „Privatisierung“ aller Kirchen einerseits und staatlich for- cierter christlich-großkirchlicher Hegemonie andererseits42, den man, je nach bevorzugter Konnotation, als „freundliche“43, „balancierte“44 oder auch „hinkende“45 Trennung bezeichnen kann. So wurde zwar der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts übernommen46, gleichzeitig je-
38 S. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 4), Art. 140 GG/137 WRV (2003), Rn. 63; v.
Campenhausen/Unruh (Fn. 2), Art. 137 WRV Rn. 200; P. Unruh, Religionsverfas- sungsrecht, 3. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 178.
39 Zitate aus H. Hattenhauer (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 2. Aufl., Neuwied 1994, Teil II Titel 11 § 17; s. auch Kirchhof, Kirchen (Fn. 4), S. 659; Muckel, Religionsgemeinschaften (Fn. 37), S. 572, mit Hinweis darauf, dass das Preußische Allgemeine Landrecht nicht zwischen öffent- lichen und privaten Körperschaften unterschied; Korioth (Fn. 38), Art. 140 GG/137 WRV (2003), Rn. 63; H. M. Heinig, Der Körperschaftsstatus nach Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV – ein Gleichheitsversprechen, in: A. Reuter/H. G. Kip- penberg (Hrsg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010, S. 93 (93 f.).
40 Kirchhof, Kirchen (Fn. 4), S. 659; Korioth (Fn. 38), Art. 140 GG/137 WRV (2003), Rn. 63.
41 Korioth (Fn. 38), Art. 140 GG/137 WRV (2003), Rn. 63; v. Campenhausen/Unruh (Fn. 2), Art. 137 WRV Rn. 200.
42 So auch. v. Campenhausen/Unruh (Fn. 2), Art. 137 WRV Rn. 200; vgl. auch J.
Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland – Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen, 2. Aufl., Köln 2008, S. 40.
43 V. Campenhausen/Unruh (Fn. 2), Art. 137 WRV Rn. 11.
44 E.-W. Böckenförde, Staat – Gesellschaft – Kirche (1982), in: ders., Schriften zu Staat – Gesellschaft – Kirche, Band 3: Religionsfreiheit – Die Kirche in der mo- dernen Welt, Freiburg i. B. 1990, S. 113 (162); s. auch Morlok (Fn. 5), Art. 137 WRV Rn. 14.
45 D. Pirson, Die zeitlose Qualität der Weimarer Kirchenartikel, in: M.-E. Geis/D.
Lorenz (Hrsg.), Staat, Kirche, Verwaltung – Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 409 (414); s. auch Morlok (Fn. 5), Art. 137 WRV Rn. 14, Fn. 35.
46 Und auch andere Privilegien.
B. Die Grundrechtsbindung der Kirchen im Allgemeinen
30