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Referat zu Kritik und Deutung des Ablasses beim Ökumenischen Theologischen Tag im Linzer Priesterseminar.

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Jesus vertreibt die Kaufleute aus dem Tempel

Referat zu Kritik und Deutung des Ablasses beim Ökumenischen Theologischen Tag 21. April 2016, Priesterseminar Linz

Wer aber einen guten Menschen fragte:

'Warum minnest du Gott?' der würde die Antwort erhalten:

'Ich weiß es nicht, - weil er eben Gott ist.' 'Warum minnest du Wahrheit?'

'Der Wahrheit wegen.' -

'Warum minnest du Gerechtigkeit?' 'Der Gerechtigkeit wegen.' -

'Warum minnest du Güte?' 'Der Güte wegen.' -

'Und warum lebst du?' -

'Meiner Treu, ich weiß es nicht, - ich lebe gerne!’“1

In der Predigt "Iusti vivent in aeternum" bringt Meister Eckhart es so zum Ausdruck: "Warum lebst du? Um des Lebens willen, und du weißt dennoch nicht, warum du lebst. So begehrens- wert ist das Leben in sich selbst, dass man es um seiner selbst willen begehrt." (DPT 184,16- 18) Glück bedeutet so nicht einfach einen hedonistischen Standpunkt, auch nicht ein Maximum an Vergnügen, sondern ein „Optimum an Wohl-sein.“ Zugleich wehrt sich Eckhart gegen re- gressive Formen der menschlichen Existenz wie auch der Religiosität. Er tritt massiv gegen infantiles Naschen auf. Massiv ist seine Kritik auch an allen Formen der Vermarktung (vgl. die Predigt über die Tempelreinigung2) und Kommerzialisierung von Selbsterfahrung und Glaube.

Das gilt auch für die unreflektierte Rede von Mystik. Eckhart ist wohl einer der massivsten Kritik der Erfahrungshascher.

Wer arm vor Gott ist, will „Gotteserfahrung“ nicht magisch erzwingen oder machen. Er begibt sich nicht auf den Jahrmarkt der religiösen Fertigprodukte. Er liebt Gott nicht nur wegen ‚wegen der Milch und wegen des Käses’ (Meister Eckhart), also weil er ihn für seine vitalen Lebensin- teressen braucht. Der arme Mensch widersteht der heimlichen Versuchung der Verdinglichung und Vergötzung Gottes. Er lässt sich Gott auch im Verborgenen, im Geringsten, in der Enttäu- schung und im Entzug von Erfahrung zumuten.

Bei diesem Ruf zur Umkehr und Einkehr geht es Eckhart nicht nur um die groben Sünden. Er kennt auch die Versuchungen der frommen Seelen, oder wie er sagt, der guten Leute, die Gott durch gute Werke wie Fasten, Wachen, Beten und Bußübungen aller Art einen Gefallen tun

1 Meister Eckharts deutsche Predigten und Traktate, ausgewählt, übertragen und eingeleitet von Friedrich Schulze-Maizier, Leipzig 1927, 355.

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wollen und dafür mit Belohnung rechnen. Diese guten Leute vergleicht Eckhart mit den Kaufleuten im Tempel. Sie wollen mit Gott markten und einen Handel eingehen. Eckhart nennt sie sehr törichte Leute, die nichts verstehen; in einer anderen Predigt bezeichnet er sie einfach als Esel (S. 304).

Warum? Eckhart macht klar, dass wir Gott ja gar nichts geben können. Alles was wir sind und was wir haben, das sind und haben wir von ihm. Umgekehrt ist Gott uns nichts schuldig, es sei denn, er will es freiwillig aus Gnade. Darum sagt Eckhart: Wenn Gott in die Seele kommt, dann vertreibt er die Kaufleute, dann ist es aus mit dem frommen Kauf- und Kuhhandel. „Gott sucht das Seine nicht; in allen seinen Werken ist er ledig und frei und wirkt sie aus echter Liebe.“ Und wenn der Menschen mit Gott, der frei und ledig ist, vereint ist, dann ist auch er ledig und frei in allen seinen Werken und wirkt sie allein Gott zu Ehren und Gott wirkt es in ihm. Allein wenn wir den frommen Kaufmannsgeist aufgeben, ist Gott ganz in uns, und wir sind ledig und frei. Der freie Gott will den freien Menschen. Gott befreit den Menschen, auch von der Anhänglichkeit an sich selbst.

Wer wollte bei solchen Aussagen nicht an Martin Luther und seine Kritik an den guten Werken denken, durch die wir meinen, uns den Himmel verdienen zu können; an Luthers Botschaft, dass wir nicht aufgrund der Werke, sondern allein aus Gnade selig werden. Luther hat die Schriften von Meister Eckhart wohl nicht gelesen, aber er kannte Eckarts Ideen durch ein Buch eines Frankfurter Deutschordensherrn „Theologie deutsch“. Auch die Schriften eines anderen Mystikers in der Tradition Eckharts, Johannes Tauler, hat der junge Luther gelesen und herausgegeben. Die mystische Tradition auch den jungen Luther wie das spätere Luthertum, den Pietismus bis hin zum Vater der modernen lutherischen Theologie, Friedrich Schleiermacher, geprägt. Heute können wir es uns nicht leisten, gegeneinander oder auch nur nebeneinander zu stehen: Gemeinsam müssen wir vor einer Welt, die meint, ohne Gott auszukommen, von dem Gott Zeugnis geben, der sich auf keinen Kuhhandel einlässt, der unseren inneren Tempel reinigt und uns frei macht, frei auch von den Bindungen an uns selbst.

Der Wahrheitszeuge und der Menschenfresser (Sören Kierkegaard)

Einer total verbürgerlichten dänischen Staatskirche des 19. Jh. gelten die sarkastischen Noti- zen S. Kierkegaards in seinem Tagebuch: „In der prächtigen Schlosskirche tritt ein staatlicher Hofprediger, der Auserwählte des gebildeten Publikums, vor einen auserwählten Kreis von Vornehmen und Gebildeten und predigt gerührt über die Worte des Apostels: Gott erwählte das Geringe und Verachtete. Und da ist keiner, der lacht.“3

Die Pfarrer sind für Sören Kierkegaard gleich Menschenfressern, und zwar auf abscheulichste Weise:

„Was ist das Christentum des neuen Testaments? Es ist die leidende Wahrheit.

In dieser mittelmäßigen, jämmerlichen, sündigen, argen, gottlosen Welt muss - das ist die Lehre des Christentums - die Wahrheit leiden; deshalb ist das Chris- tentum die leidende Wahrheit, weil es Wahrheit ist und auf dieser Welt ist.

3Sören Kierkegaard, Die Tagebücher. 3.Bd. X (1849) Düsseldorf 1968,227.

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Um deswillen litt darum sein Stifter nicht bloß den Tod am Kreuz, sondern sein ganzes Leben war von Anfang bis Ende Leiden; um deswillen litt der Apostel, um deswillen der Wahrheitszeuge. Und nur Eines forderte der Erlöser, welch Gleiches nach ihm wieder der Apostel der Wahrheitszeuge, als das Einzige for- derte: Nachfolge.

Was aber tut "der Pfarrer"? Dieser studierte Mann ist ja kein Narr. "Ihm nachzu- folgen, das wäre ein schöner Vorschlag für einen klugen Mann; da müsste zu- erst die Veränderung mit dem klugen Mann geschehen sein, dass er närrisch geworden wäre, ehe es ihm beifallen könnte, sich auf so etwas einzulassen.

Nein, aber ließe es sich nicht machen, dass man die Leiden dieser Herrlichen schilderte, ihre Lehre als Schulmeinung verkündigte, ließe sich das nicht derart machen, dass es ein so Erkleckliches abwürfe, dass ein Mann, der sein Leben genießen möchte, davon leben, sich darauf verheiraten und Kinder zeugen könnte, die davon ernährt würden? Das will heißen, ist es nicht möglich, die Herrlichen zu Geld zu machen, oder sie zu fressen, mit Weib und Kind davon zu leben, dass man sie frisst? … Und all das verdankt er: den Leiden der Herr- lichen, dem Erlöser, dem Apostel, dem Wahrheitszeugen, davon lebt dieser Pfarrer, so frisst er, mit ihnen füttert er in frohem Lebensgenuss sein Weib und seine Kinder."4

Theologische Deutung

Karl Rahner: Das Fundament des Ablasses ist zu sehen im erhörungsgewissen und deshalb wirksamen Fürbittgebet der Kirche für den reuigen Sünder, das innerhalb der Heilssolidarität der Kirche zugleich eine ekklesiale Dimension von Sünde, Vergebung, Buße und Metanoia deutlich macht. Das Ablasswerk ist Ausdruck des bereitwilligen Zusammenwirkens des Gläu- bigen mit der amtlich-autoritativen Fürbitte der ganzen Kirche und ihrer Amtsträger, deren Haupt und Ursprung ja Christus ist, um die Folgen von Sünde und Schuld zu überwinden. Gott verhängt nicht vindikativ ein Strafleiden, um seinem „Beleidigtsein“ Genugtuung zu verschaf- fen. Es geht vielmehr um eine immanente Folge der Schuld, die den Menschen in ein leidvolles Missverhältnis zu sich selbst, zu seiner personalen Mitwelt und sachhaften Umwelt bringt. Bei der im Ablass gemeinten heilenden und heiligenden Einwirkung der Kirche geht es um ein Ausleiden und Aufarbeiten der durch die je subjektiv gesetzten bösen Folgen mit dem Ziel, die dem Sünder definitiv schon zuteil gewordene Barmherzigkeit und die Versöhnung mit der Kir- che in der Pluralität und Komplexität der endlichen, existentialen, sozialen und naturalen Di- mensionen des menschlichen Daseins zur Auswirkung zu bringen.

Der Ablass kann und will die subjektive Buße nicht ersetzen, sondern geradezu ihr befähigen.

Er macht aber auch klar, dass Versöhnung mehr ist als nur eine passive Hinnahme der Schuld- vergebungserklärung durch Gott. Es geht um die Annahme und geschichtliche Realisierung der Selbstmitteilung Gottes und seines Versöhnungshandelns in der geschichtlich sich erstre- ckenden Lebensgestalt der Kirche5.

4Sören Kierkegaard, Der Augenblick (WW Abt. 34) 311-314.

5 Rahner, Kleiner theologischer Traktat über den Ablass, in: ders., SzTh VIII, Einsiedeln 1967, 472-487; ders., Zur heutigen kirchenamtlichen Ablasslehre, ebd., 488-518; Art. Ablass, in: LThK 31, 51-58.

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Was Rahner noch in transzendentalen und existentialen Kategorien formuliert, lässt sich leicht auf geschichtliche und gesellschaftliche Dimensionen übersetzen. Das tut Ottmar Fuchs6: Eine erweitere und neue Ablasstheologie und -Praxis ergibt sich im Horizont der „Zeichen der Zeit“.

Sie geht aus von der Einsicht, dass die destruktiven Folgen aus der Sündenvernetzung Sün- denfolgen konstituieren (z.B. Verhältnis zwischen armen und reichen Ländern; ökologische Verantwortung; Tätigkeit von Christen in Rüstungsfabriken bzw. Ausbeutungskonzernen). Wer sündigt bzw. nicht gegen die Sünde angeht, bringt Folgen („Strafen“) dieses Verhaltens in die Welt, die er nicht kontrollieren, überschauen und zurückhalten kann. Diese „Folgen“ werden dabei nicht nur auf eine individualistisch und einseitig verstandene Verringerung der Buß- und Leidenszeit bezogen. Orientiert an der Zeitstruktur der Reich-Gottes-Theologie, meint Ablass auch die Leidverkürzung zugunsten des Reiches Gottes, das bereits im Diesseits zugunsten der Lebenden selbst, insbesondere der Opfer, auf der Ebene der direkten Begegnung der Menschen untereinander wie auch hinsichtlich des strukturellen Aspektes der Sündenfolgen mit allen Kräften guten Willens aufzubauen ist. Traditionelle Bußwerke (individuelle Umkehr, Gebet und Sakramentenempfang) bleiben sinnvoll, sind aber keine Ersatzleistungen für die notwendige konkrete Versöhnung mit den anderen und die Abarbeitung der sozialen und welt- lichen Folgen der Sünde. Z.B. Forderung nach Schuldenerlass durch die reichen Länder als Werk der Gerechtigkeit; Aufnahme von Vertriebenen nach der Sünde des Krieges. Die kirchli- che Ablass-Praxis bezieht sich auch auf die sozialen, ökologischen und politischen Dimensio- nen der christlichen Weltverantwortung.

Die überdimensionale Größenordnung des Bösen und der Gewalttätigkeit sowie die uner- messlichen Leiden der Opfer lassen eine gleichgewichtige „innerweltliche“ Wiedergutmachung als eigene Leistung der Menschen in keiner Weise zu. Es bleibt ein „Rest“ ungeheuren Aus- maßes, der über die Zeitlichkeit der einzelnen und der Menschheitsgeschichte in die Ewigkeit ausgreift und dort ausgelitten sein will. Das Purgatorium ist die notwendige Verlängerung der Ablasspraxis hinein in den Zwischenbereich von Zeit und Ewigkeit.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

6 Art. Ablass VI. Praktisch-theologisch, in: LThK 31, 57f; ders., Christlicher Umgang mit den Folgen der Sünde im Horizont von Geschichte und Gesellschaft, in: Kommunikation und Solidarität, hg. von H.U. von Brachel - N.

Mette, Fribourg/CH - Münster 1985, 179-197.

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Aus: K. Rahner, Bemerkungen über die Theologie des Ablasses, in: Schriften zur Theologie II, Einsiedeln 21956, 185-210.

(203 f)

Natürlich müßte diese Hauptüberlegung, die auch hier nur angedeutet ist, noch weiter vertieft werden. Es müßte zumal auf die Frage eingegangen werden, wie die zunächst überraschend erscheinende Tatsache zu erklären und verständlich zu machen ist, dass die Kirche in einem rechtlichen Akt zwar das Größere, die Schuld vor Gott, aber nicht das Kleinere, den Strafreat tilgen kann. (…)

Eine dogmengeschichtliche Untersuchung über die Lehre von den zeitlichen Sündenstrafen, die so geführt wird, daß sie auch die Dogmatik dieser Lehre fördert, wäre eine dafür fast not- wendige Voraussetzung.

Hoffentlich schreibt uns bald jemand eine solche Ge- (204) schichte. Nur eine solche ver- tiefte Lehre von den zeitlichen Sündenstrafen böte die Aussicht, daß auch von dieser Seite her die Beanstandungen und Vorurteile der protestantischen und östlichen Christen gegen die katholische Lehre von den Sündenstrafen,

von der Genugtuung und vom Ablaß abgebaut werden könnten.

(209f)

Der Ablaß ist das mit einem jurisdiktionellen Nachlaß einer kirchlichen (wenigstens hypotheti- schen) Bußauflage verbundene Sakramentale der Tilgung zeitlicher Sündenstrafen vor Gott und wirkt als solches Sakramentale ex opere operantis (orantis) Ecclesiae, nicht ex opere operato, wie heute die meistenTheologen lehren, wenn es auch aus historischen Gründen ver- (210) bunden ist mit einem jurisdiktionellen Akt der Kirche, der sich auf den Nachlaß ei- ner Kirchenbuße bezieht und diesbezüglich eine sichere Wirkung hat.

Aus: K. Rahner, Kleiner Theologischer Traktat über den Ablaß, in: Schriften zur Theologie VIII, Einsiedeln 1967, 472-487.

(485f)

Aber die heilige Kirche, die - wie schon Tertullian in einem solchen Zusarnmenhang sagte - allezeit erhört wird, kann dem Sünder in einem eigenen, ausdrücklichen Akt ein Gebet fürbit- tender Art zusichern, das sich auf die Nachlassung der Sündenstrafen bezieht. Vorausge- setzt, daß man nun dieses besondere Gebet in der rechten Weise versteht, wie wir das zu

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deuten versuchten, kann man sagen: Eben dies geschieht in dem, was wir den Ablaß nen- nen.

(…)

‚Weil die Wirkung dieses Gebetes aber auf der Seite dessen, für den gebetet wird, irnmer auch von dessen subjektiven Voraussetzungen abhängig ist (die selber wieder von der machtvollen, aber auch unergründlichen Verfügung der Gnade Gottes über sie umschlossen sind), so weiß man im einzelnen nie, wann und wie

dieses Gebet sein ZieI erreicht. Man sieht schon von daher, daß der Ablaß nicht die Aufgabe hat und haben kann, die persönliche Buße des Menschen zu schwächen und zu ersetzen.

Der Ablaß zielt in seinem Wesen nur dahin, daß wirklich durch Gottes Hilfe rasch und leicht das geschehe, was auch die Buße will: die gänzliche Reinigung und totale Durchreifung des Menschen aus der Mitte seiner Begnadigung heraus. Er kann auch nur (486) dort seine Wir- kung haben, wo echte Bußgesinnung vorhanden ist. Denn ohne diese kann auch von wahrer Reue nicht die Rede sein. Ist diese aber nicht vorhanden, ist auch eine Vergebung der Schuld selbst nicht möglich und so auch nicht eine Vergebung oder Nachlassung der zeitli- chen Sündenstrafen.

Aus: K. Rahner, Zur heutigen kirchenamtlichen Ablaßlehre, in: Schriften zur Theologie VIII, Einsiedeln 1967, 488-518.

(514 f)

… Es ist dies ein Problem, das auch in der Sak¡anententheologie immer wieder begegnet, wenn man

„sakramentale“ und. „existentielle“ Frömmigkeit in ein echtes Verhältnis zueinander bringen will, das heißt, wenn man das „ opus operatum“ nicht als bequemeren Ersatz des „opus ope- rantis“ mißversteht, sondern das „opus operatum“ als das sakramental wirksame Zeichen der Gnade Gottes für den existentiellen Vollzug des „opus operantis“ begreift. Man kann im rech- ten Verständnìs der „neuen“ Theorie gewiß sagen: Jene Disposition, die im Endeffekt des Ablasses ein bestimmtes „ Maß“ von zeitlicher Sündenstrafe tilgt …, tilgt diese auch ohne A- bIaß, vorausgesetzt, daß sie wirklich gegeben bzw. erreicht wird. Würde man das nicht sa- gen dürfen, dann würden Ablaß rmd Sakrament eben doch zum Ersatz der Tat des Glau- bens und der Liebe in Freiheit, und im Grunde wäre eine (515) unpersonale, ja magische Vorstellung von Sakrament und Ablaß gegeben; man könnte nicht mehr mit Paul VI. sagen:

„Non est igitur indulgentia facilior via, qua nesessariam peccatorum paenitentiam devitare possumus.“ Aber so werden Ablaß und Sakrament nicht überflüssig: Sie sind – in eigener Weise – das im kirchlichen Tun erscheinende Gnadenangebot Gottes („angebotene Gnade“)

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zur Ermöglichung und Vertiefung der existentiellen Glaubenstat, die das Heil (als „angenom- mene Gnade“) entgegennimmt und so bewirkt.

Aus: Andreas Weiß, Der Ablass – ein Testfall der Ökumene? in: K. Breitsching/ W.Rees (Hgg.), Recht – Bürge der Freiheit (= FS Johannes Mühlsteiger SJ), Berlin 2006. 845-876.

(862f)

Im Einklang mit der reformatorischen Theologie kann zunächst festgehalten werden, dass jede Sünde ihre Strafe in sich selbst hat, insofern sie eine gottwidrige Wirklichkeit hervorruft, die als solche lebenshemmend nachwirkt. Diese Spätfolgen sind aber um der von Gott ge- schenkten Rechtfertigung willen aufzuarbeiten. Dass die kirchliche Bußpraxis zwischen Ver- gebung der Schuld und andauernden Folgen einer sündhaften Tat unterscheidet, ist positiv zu werten, weil so neben der Vergebung auch die Verantwortung und die Veränderungsbe- reitschaft hervorgehoben werden. Dies ist ökumenisch unbestritten.

Als Fortschritt ist ebenfalls zu werten, dass Papst Johannes Paul II den therapeutischen As- pekt des Ablassgeschehens in den Vordergrund rückte. Die (863) Ablässe sind nach ihm ,,eine Art Medizin". Die lutherische Theologie unterstreicht, dass dem Rechtfertigungsge- schehen ein lebenslanger Heilungsprozess folgen muss mit dem Ziel, die Taufgnade trotz der Folgewirkungen der Sünde zur Entfaltung zu bringen. Der Ablass versucht, den heilen- den Einfluss der Kirche als solidarischer Stellvertretungsgemeinschaft zur Ausheilung des innersten Kerns des rekonziliierten Sünders fruchtbar zu machen. Ablass in diesem Ver- ständnis hat mit communio zu tun, mit gemeinsamen Unterwegssein. Menschen greifen ei- nander unter die Arme und werden so zur Stütze füreinander. Der Ablass ist eine heilende Stütze der Kirche für die innere Umkehr des büßenden Gläubigen, der die leidvollen Folgen der Sünde in der Gemeinschaft der Gläubigen aufarbeiten hilft und dadurch die im Bußsakrament geschenkte Versöhnung mit Gott und seiner Kirche zur Entfaltung bringt. Als fürbittende Bußhilfe der Gemeinschaft, nicht als Ersatz für die Versöhnung mit Gott und der Kirche, stellt der Ablass keinen Widerspruch zur Rechtfertigungs- lehre der Gemeinsamen Erklärung dar, er unterschätzt nicht die Kraft der Erlösung durch Jesus Christus.

Ökumenisch umstritten sind weiterhin jene Fragen, die sich beim Ablass um den Bereich des Kirchenschatzes bzw. die kirchliche Vollmacht drehen, die zeitlichen Sündenstrafen nachzu- lassen. Hier wird von evangelischer Seite immer wieder auf die Rechtfertigung ,,allein aus Gnade", ,,allein aus Glauben", ,,allein durch Jesus Christus" verwiesen. Umstritten bleibt auch die Zuwendung von Ablässen an Verstorbene.

---- (873ff)

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Der Prozess der Aussöhnung mit Gott und den Menschen ist mitunter sehr leidvoll, aber heilsbedeutsam für das diesseitige wie jenseitige Leben des Christen. Die irdische Kirche als Glaubensgemeinschaft nimmt auf dieses Geschehen Einfluss, indem sie die Schwere der selbstverschuldeten Sündenfolgen großzügig durch den Ablass mildert. Gläubige Sünder helfen anderen Sündern mit ihrer Fürbitte bei der Suche nach Aussöhnung und mindern so die leidvolle Dimension der Sündenfolgen. (…)Dies zeigt nicht nur, dass die Kirche ihre (874) Gläubigen angesichts der Sündenverfallenheit des Menschen nicht allein lässt, sondern dass sie auch bereit ist, aufgestellte Bedingungen im Hinblick auf das Heil der Seelen, das nach c.

1752 CIC das oberste Gesetz der Kirche sein soll, hintan zu stellen. (…)

In diesem Zusammenhang ist aber auch wichtig zu betonen, dass der Ablass in heils- theologischer Hinsicht nichts Grundsätzliches zum Christsein beizutragen vermag. Er ist nicht heilsnotwendig. Deshalb ist er als Mittel zur Läuterung und Heiligung auch nicht vorgeschrieben, sondern kann als kirchliches Hilfsangebot für den inneren Umkehrprozess der Büßenden frei angenommen werden oder nicht. Die Gläubigen entscheiden (…), ob sie vom Ablass als „äußerst heilsamen“ Angebot der Kirche Gebrauch machen wollen. Weil dies so ist, kann der Ablass als spezifisch katholische Frömmigkeitsform im ökumeni- schen Dialog nicht zum wirklich kirchentrennenden Faktum hochstilisiert werden. Die Renaissancepraxis gerade durch den letzten Papst (JP II Anm. Zopf) kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in diesem Dissenspunkt mit Protestanten wie Orthodoxen Fragen aufzuarbeiten gilt, wobei nicht vergessen werden darf, dass diese Frömmigkeitsform zu allen Zeiten auch innerhalb der Katholischen Kirche umstritten war.

Der Ablass kann keinesfalls als ,,fromme Folklore" aus der Mottenkiste des Mittelalters abge- tan werden, er ist ein Merkmal des Selbstverständnisses (875) der Katholischen Kirche mit hoher ökumenischer Brisanz. Trotz der Entschärfungen im Ablasskonzept und vor allem der -praxis, die sich katholischerseits in den letzten 40 Jahren vollzogen haben, ist er nach wie vor verknüpft mit Fragen insbesondere aus dem Bereich der Soteriologie, in denen sich die Katholische Kirche bis heute im Dissens befindet mit den Kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind, aber auch mit den Kirchen der Orthodoxie. Für protestantische und orthodoxe Christen ist neben der mangelnden bibli- schen Begründbarkeit und dem aus den damaligen Zeitumständen erklärbaren Entstehungs- und Ausformungsprozess des Ablasses vor allem dessen theologische Grundthese frag- würdig, ob nämlich der durch Jesus Christus erlöste Mensch für die nicht zeitlebens durch gute Werke ausgeheilten Sündenfolgen nach seinem Tod Genugtuung leisten muss und die Kirche diese Leidenszeit in Form von Ablässen verkürzen bzw. ganz substituieren kann. Wird Christi Kreuzestod nicht geschmälert, wenn er nur die ewige Schuld tilgt, nicht aber die zeitliche Strafe? - so wird die katholische Position angefragt.

(…)

Sicher, die katholische Ablasslehre und -praxis hat manche Gesichtspunkte der reformatori- schen Kritik aufgenommen. Anstelle der mitunter immer noch spürbaren Mechanisierung von Gnade und einer damit Hand in Hand gehenden Verrechnungsmentalität von Buße sollte

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man sich weiter um eine tiefere anthropologische Verankerung des Ablasses mühen. Äu- ßerst hilfreich wäre es dabei, den Zusammenhang von Aufarbeitung der Schuld des Men- schen bzw. deren Folgen und der Hilfestellung der Kirche noch stärker zu verdeutlichen.

Aus: Dorothea Sattler, Ablass-Streit in neuer Zeit. Beobachtungen zu einer alten konfessio- nellen Kontroverse, in: Catholica 1/2000, 14-38.

(36ff)

(36) Auch die erste Auflage des ,,Handbuchs der Ablässe", das nach der Neuordnung des Ablaßwesens durch Paul VI. 1968 publiziert und 1989 in die deutsche Sprache übersetzt wurde,70 enthielt Einzelbestimmungen, für die viele evangelische wie römisch-katholische Christen kein Verständnis mehr aufbringen: Ein in Gemeinschaft öffentlich gebeteter Rosen- kranz etwa, der ohne längere Unterbrechungen zumindest zu einem Drittel gebetet wird, er- wirkt nach Beichte und Eucharistieteilnahme einen vollkommenen Ablaß, die Erneuerung des Taufversprechens nur einen Teilablaß, es sei denn sie findet in der Ostervigil oder am Jahrestag der Taufe statt. Es ist nicht verwunderlich, daß sich die evangelischen Schwestern und Brüder über solche Einzelheiten erregen. Sie wirken an vielen Stellen wie eine Demonst- ration der Eigenarten römisch-katholischer Frömmigkeitstradition und berücksichtigen nicht, welche Neuorientierungen etwa beim Verständnis der Tauferneuerung oder der Heiligenver- ehrung in den ökumenischen Gesprächen erreicht worden sind. Viele Einzelbestimmungen für die Ablaßpraxis - insbesondere die stark formalisierten und mit Nachdruck gegebenen präzisen Auskünfte über den Erwerb eines vollkommenen Ablasses oder eines Teilablasses - sind theologisch kaum zu rechtfertigen, weil kein einsichtig zu machender Bezug zum ge- wiß vorausgesetzten inneren Umkehrgeschehen gegeben ist. Unter Berücksichtigung des anthropologisch gewendeten, personalen Ansatzes im Verständnis der Sùndenstrafen ist die Vorstellung eines ,,vollkommenen Ablasses" kaum noch verständlich zu machen.

(…)

(37) Welche Wirksamkeit hat dann aber der Ablaß? Eine Antwort auf diese Frage setzt ein klares Verständnis der Sündenstrafen voraus, auf deren Nachlaß der Ablaß in der römisch- katholischen Tradition bezogen ist. Meines Erachtens ist es von entscheidender Bedeutung für die Sicht des Ablasses, ob dabei eine Minderung der Kirchenbuße gemeint ist oder eine erleichternde, heilende, therapeutisch wirksame Einflußnahme auf den existentiellen Prozeß des Ausleidens der Sündenfolgen. Geht es - wie geschichtlich ursprünglich - um die Frage, welches kirchlich auferlegte Bußwerk im Blick auf die Schwere der Sündentat angemessen ist, dann kann eine Minderung der Strenge dieser Auflage die Gewißheit der Büßenden stär- ken, von Gott auch als Sünder und Sünderinnen angenommen zu sein. Unter der Vorausset- zung der in der Rekonziliation bereits zugesprochenen und in der Eucharistie gefeierten, al- lein von Gott ermöglichten Wiederaufnahme der Sünder und Sünderinnen in die Gemein- schaft mit ihm kann eine Erleichterung der Bußauflage eine Unterstützung des Prozesses

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des Büßenden sein, Vertrauen in den sich ihm allein aus Gnade erbarmenden Gott zu ge- winnen. Die Gewißheit wächst, wirklich als Sünder und Sünderin angenommen zu sein von Gott. Der amtliche Zuspruch dieser Erleichterung der aufgetragenen Buße stärkt die Bereit- schaft der Angesprochenen, der Verheißung zu trauen. Dabei spricht der Amtsträger nicht aus eigener Vollmacht. Er ist nur Bürge: Zeuge für Gottes Versöhnungsbereitschaft. Ich möchte nicht verbergen, daß bei einer solchen Konzeption, bei der die Stärkung der Gewiß- heit der Versöhnung mit Gott durch die amtlich verbürgte Erleichterung der Bußstrenge ent- scheidend ist, in der Praxis viele Probleme bestehen: Es gibt das öffentliche Rekonziliations- wesen mit den schweren (38) Bußauflagen ja kaum noch. Wir kennen in der christlichen Tra- dition schon lange keine strengen Formen der Buße mehr. lch halte dies für nicht unbedenk- lich, weil auf diese Weise die Gefahr besteht, den tiefen Ernst des bei der Taufe gegebenen Versprechens aus dem Sinn zu verlieren, sich vom Geist Jesu Christi ergreifen zu lassen und mit niemandem in Gestalt des sündigen Gemeinschaftsbruchs leben zu wollen.

Bei einer Erneuerung der öffentlichen Feier der Rekonziliation wäre neu nachzudenken über die angemessene Gestaltung der Bußauflage, deren Sinn es ist, der existentiellen Umkehr- bereitschaft öffentlichen Ausdruck zu geben, um das beschädigte õffentliche Ansehen der gesamten christlichen Gemeinschaft heilen zu helfen und ihr damit Glaubwürdigkeit zurück- zugewinnen. Ganz anders muß meines Erachtens die Argumentation sein, wenn mit den Sündenstrafen die der Sündentat selbst entspringenden, mit ihr innerlich verbundenen, sich über die Generationen hinweg wirksam erweisenden Folgelasten des menschlichen Tuns gemeint sind. Taufe und Eucharistie feiern diesbezüglich die allein von Gott zu eröff- nende Möglichkeit der Versöhnung, die in Christus Jesus als die von Gott auch ergrif- fene in Zeit und Geschichte offenbar wurde und in Gottes Geist uns aus reiner Gnade zuteil wird. Gott ist der Grund der Versöhnung. In unserer Lebenszeit hier und heute schon, ist es heilsam, in einen Prozeß der Aussöhnung mit dem eigenen Dasein zu ge- raten, das immer in Gemeinschaft mit den Mitlebenden geschieht, zu denen auch die Toten zählen, die für das eigene Leben bedeutsam waren und sind. Dieser Prozeß der Aussöhnung miteinander darf weder im Leben noch im Sterben nachgelassen werden, denn er ist heilsbedeutsam für den eschatologischen Leib des Menschen, für seine in Beziehungen zu anderen Geschöpfen gewordene Lebenswirklicbkeit. Eine amtliche Dispens davon ist nicht sinnvoll, wohl aber eine von der Glaubensgemeinschaft getra- gene, bewußte Einflußnahme auf dieses Geschehen im Sinne der Erleichterung der Schwere und der Bitterkeit des selbstverschuldeten Leidens. Erfahrene geistbegabte Menschen können anderen Menschen, die auf der Suche nach Aussöhnung mit ihrem Leben sind, mit gutem Rat zur Seite stehen. Fürbitte halten können Getaufte füreinander.

All dies sind Gestalten der mitleidenden Anteilnahme der Kirche Jesu Ch¡isti am Schicksal einzelner Menschen. Ablaß im Sinne der Minderung der leidvollen Dimension der Sündenfol- gen wäre dann in der kirchlichen Communio zu erhoffen.

Mein Eindruck ist, auch in der Ablaßfrage steht wie bei anderen Fragen zwischen den Kon- fessionen zur Diskussion, ob und in welcher Weise Menschen für Menschen ein Zeichen der Ermutigung sein können, von Gott aus den Verstrickungen des Bösen befreit worden zu sein. Getaufte Menschen in unserer Nähe, die im Vertrauen auf die Wahrheit des Wortes Gottes erlöst leben, frei von der Sorge, sich selbst retten zu müssen und offen für die Liebe zu allen, haben Bedeutung im immer wieder neuen Geschehen der ganz persönlichen Suche nach Gottvertrauen. Über die ekklesiale Dimension des existentiellen Glaubens müßten wir anläßlich

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des Ablaßstreits in neuer Zeit noch mehr und noch genauer sprechen. Es lohnte sich.

Aus: Christoph Böttigheimer, Jubiläumsablaß – ein ökumenisches Ärgernis? in: StdZ 125 (2000), 167-180.

Der Nachlaß zeitlicher Sündenstrafen ist schon allein deshalb, weil er außer-sakramental er- folgt nicht juridisch, sondern ausschließlich religiös-geistlich aufzufassen, auf dem Hinter- grund des amtlich-autoritativen Fürbittgebets jener Kirche, deren Haupt Christus selbst ist und die er selbst zur Applikation seines Heils ermächtigt hat (Joh 20,23; Mt 16, 19). Weil sich die Kirche dank ihrer Autorirät und der ihr verliehenen Heilsmächtigkeit der wirksamen Erhö- rung ihres Fürbittgebets gewiß sein darf, ist sie zur amtlichen Mithilfe bei der subjektiven Buße ]befähigt, ohne über das Gottesverhältnis des Menschen verfügen bzw die Gottunmit- telbarkeit jedes Büßenden antasten zu wollen. Der Ablaß befreit ja gerade nicht von einer wahren Bußgesinnung, wie er ja auch keiner rechnerischen Haltung gegenüber Gott Vor- schub leistet, vielmehr trägt er zur Ausheilung der in der ] Zeit nachwirkenden Sündenfolgen bei, zu einer noch größeren Bußfertigkeit und zur Entfaltung des neuen Lebens. Als Bußhilfe der Gemeinschaft der Gläubigen ]muß die Ablaßinstitution also nicht notwendigerweise der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre widersprechen.

Ökumenisch umstritten sind jene Fragen, die sich auf die Heilsfunktion der JKirche, vor allem auf die Rede vom Kirchenschatz bzw. auf die kirchliche Vollmacht, zeitliche Sündenstrafen nachzulassen, richten, da sie mit der Lehre der Rechtfertigung des Gomlosen ,,allein aus Gnade", ,,allein aus Glauben", ,,allein ,durch Jesus Christus" zusammenhängen. Hier wäre katholischerseits eine eindeutigere intercessorische Interpretation der Ablaßinstitution hilf- reich, im Sinn eines stellvertretenden Einstehens der Kirche vor Gott (Kol 1, 24) auf der Ba- sis jener vor Gott gültigen Verdienste, die in der Bekämpfung der Sündenfolgen von Jesus Christus und aller mit ihm solidarisch handelnden Opfer errungen wurden. Wird der Ablaß nicht als jurisdiktioneller Akt, sondern als ein ,,in sich" wirksames, weil in autoritativer Vollmacht vollzogenes Gebet verstanden, sind ökumenische Annäherungen um so e- her möglich als auch manche lutherischen Theologen (178) dem Gebet der Kirche für ihre Glieder eine vollmächtige Wirkung einzuräumen beginnen.

In Anknüpfung an die altkirchliche Tradition der Fürbitte-Absolution ist der Ablaß nicht als richterlicher Akt über die Sündenstrafen zu verstehen, sondern als eine auto- ritative Zusage, die sich auf die Einsicht stützt, daß die Kirche der Erhörung ihres in Gemeinschaft mit ihrem Haupt gesprochenen Gebetes gewiß sein darf. Davon abgese- hen wäre auf die Unterscheidung zwischen Teilablässen und vollkommenem Ablaß zu ver- zichten, zumal letzterer selbst für die katholische Theologie ein besonderes Problem dar- stellt, setzt er doch eine vollkommene Disposition, die Überwindung „jeder Anhänglichkeit an irgendeine, auch läßliche Sünde" voraus (ID N. 7). Nicht zuletzt müßte künftig die Verknüp- fung von Ablaß und Bußsakrament bzw. Bußverfahren intensiviert sowie auf einen möglichst konkreten Bezug der Ablaßforderungen zum jeweiligen gesellschaftlichen Kontext bzw. zur augenblicklichen strukturellen Sündenverhaftung geachtet werden.

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Aus: Reinhard Brandt, Lasst ab vom Ablass. Ein evangelisches Plädoyer, Göttingen 2008.

(Ich habe dieses Buch derzeit von der KU entlehnt – falls Sie es benötigen)

(275 ff)

Auch seitens der römisch-katholischen Kirche bildet der Ablass kein zentrales Moment im dogmatischen System, sondern nimmt in der Hierarchie der Wahrheiten einen nachgeordne- ten Rang ein.

(276) Der genauere Blick zeigt jedoch, dass auch die theologischen Fragen, Lehre und Pra- xis, Begründung und Umfeld des Ablasses eben in das Zentrum der Kontroverse führen:

- Wie wird die Sünde verstanden? Sind nur die einzelnen Taten im Blick, die freien Willens begangen, (vollständig?) gebeichtet und bereut werden können? Oder wird auch radikaler die Verhaftung des Menschen an eine Sündenmacht gesehen; an eine Macht, die nicht nur eine Neigung darstellt von der ein Mensch (lt. römisch-katholischer Vorstellung) auch frei sein könnte - und frei sein muss, wollte er vollständigen Ablass erlangen.

- Wie ist das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung zu verstehen? Wie hat man sich vorzustellen dass der Gerechtfertigte als simul iustus et peccator mit den immanenten Fol- gen seiner Sünde umgeht? –

- Wie ist die Genugtuung für die zeitlichen Sündenstrafen zu verstehen? Als eigener -Beitrag des Menschen zwischen der gratia gratum faciens und dem donum perseverantiae? Und wo- nach würde sich ein Nachlass der Genugtuungsleistung bemessen? Nach dem Verdienst, den sich ein Mensch schon durch seine guten Werke erworben hat' wie es die geltende Ab- lasslehre für die Teilablässe verfügt?

- Wie und wann wäre neben dem Gericht Gottes ein eigenes Läuterungsgeschehen zu den- ken? Kann man dabei über die personale Beteiligung hinaus einen eigenen Beitrag des Men- schen zu seinem Heil (nämlich als Genugtuung für die zeitlichen Sündenstrafen) annehmen?

Und lassen sich über die bloße Fürbitte hinaus irgendwelche Möglichkeiten der Einwirkung auf ein solches Läuterungsgeschehen' der Einwirkung auf Gott denken?

- Wie allein kann Heilsgewissheit gewonnen werden? - Allein im Blick auf das Christusge- schehen in der Vergewisserung durch das verbum externum, lautet die reformatorische Ant- (277) wort. Der reflexive Blick auf die je eigene Gewissheit ist demgegenüber gerade kontra- produktiv und deshalb verboten.

- Übt die Kirche, wenn sie Ablässe gewährt, eine spezifische Gewalt bei der Vermittlung und Zuwendung des Heils (eine Verfügungsgewalt über den „Schatz der Kirche“) aus? Und in welchem Modus, auf welche Weise tut sie das?

- Wie kann bei der Fortentwicklung kirchlicher Lehre und Praxis die Offenbarung Gottes kri- tisch gegen die menschliche Überlieferung ins Spiel gebracht werden? Oder muss das Wir- ken des Heiligen Geistes im kirchlichen Handeln implementiert gedacht werden, so dass man selbst den Ablass auf der göttlichen Offenbarung gegründet sehen kann?

(13)

Ablasslehre und -praxis bilden gleichsam ein Brenn- oder Vergrößerungsglas, durch das die manifesten Unterschiede in den verschiedenen Bezügen der Rechtfertigungslehre umso schärfer hervortreten: in den Fragen zu Rechtfertigung und Heiligung, zu Genugtuung und Verdienst, zu Gottes Alleinwirksamkeit und einem heilskonstitutiven Beitrag des Menschen, zur Heilsgewissheit und zur Heilszueignung durch die Kirche. Der Ablass ist „kein ornamen- taler Schnörkel am äußersten Rand der römischkatholischen Frömmigkeitsformen“ , sondern

„ein zentrales Ferment für das Gesamtphänomen, das uns in der römisch-kathoIischen Kir- che“ und Theologie gegenübersteht.

--- (279 f)

Sie führen zu einem Plädoyer, zu einem Appell, der sich zunächst an die römisch-katholi- sche Kirche richtet:

Lasst ab vom Ablass! Das ist erstens ein Plädoyer im Blick auf Wesen und Begriff des Ablas- ses: Wenn man (mit der neuen Ablasslehre) die zeitlichen Sündenstrafen als immanente Sündenfolgen versteht und auf den leidvollen, individuellen wie sozialen Prozess der Ausei- nandersetzung mit diesen Sündenfolgen' also auf die (mit der entsprechenden Unterschei- dung Luthers) „evangelische Buße“ abhebt, dann kann es zwar Hilfe und Begleitung und Für- bitte, aber keinen sinnvollen Ablass, keine Nachlassung in diesem Prozess geben.

Dieser Vorhalt wird heute expressis verbis von den Vertretern der neuen Ablasslehre gegen- über dem Ablass geltend gemacht: „Eine solche Nachlassung würde den Menschen nur der Möglichkeit berauben, sich wahrhaft im Leid durch alle Dimensionen seines Daseins hin- durch zu vollenden.“ (Zitat Rahner, kl. theol. Traktat, 479) Historisch meldete sich derselbe Vorhalt in dem ständigen (und zensierten) Monitum Luthers, nachgelassen werden könne al- lenfalls die nach der kirchlichen Tarifbuße auferlegter Strafe, nicht die evangelische Buße.

Lasst ab vom Ablass! Das ist zweitens ein Appell auch an die Vertreter der neuen Ablass- lehre und ein Plädoyer für eine Revision: die Einbeziehung des Menschen in das Rechtfertigungsgeschehen - auch bei der Auseinandersetzung mit den immanenten Sündenfolgen (bei der Genugtuung) - so zu denken, dass sie nicht zur Annahme eines eigenen, konstitutiven Beitrag des Menschen zu seinem Heil wird, dass also der Mensch nicht immer wieder bei sich selbst, bei seiner Disposition behaftet wird. Heils- gewissheit ist - so die evangelisch befreiende Einsicht - nur so zu gewinnen, dass man den Blick ganz von sich und der eigenen Verfasstheit weg ganz auf Christus richtet.

Lasst ab vom Ablass! Das ist drittens ein Plädoyer an die römisch-katholische Kirche insge- samt: Abzulassen von dem Anspruch, die Kirche habe von Christus die Vollmacht verliehen bekommen, Ablass zu gewähren; abzulassen auch von einem Verständnis der Offenbarung und deren Fortschreiten, das selbst die Entstehung des Ablasses noch einschließt.

(282)

(14)

Die genaue Analyse hat gezeigt, dass die Darstellung der römisch-katholischen Position etwa in der sog. Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre und ihren durchgängig kompatibel ist mit der Ablasslehre. Dies ist nicht zu kritisieren sondern als Ausdruck der sys- tematischen Geschlossenheit und der bewussten Pflege der römisch-katholischen Lehre ernst zu nehmen und zu achten. Abzulassen ist aber von der Vorstellung, es könne einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre geben, einen Konsens mit einer Kir- che, deren Rechtfertigungslehre ihrerseits stringent Lehre und Praxis des Ablasses ein- schließt.

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