therapie, Unterwassergeburt, Romarad, Akupunktur, Homöopathie, Schwange- renschwimmen, Geburtsvorbereitung, Elternschule oder Babyschule. Dies ist ein deutliches Zeichen des wirtschaft- lichen Drucks, der auf den geburtshilf- lichen Abteilungen lastet.
Aufgrund der allgemeinen Entwick- lung im vollstationären Bereich ist auch in der Geburtshilfe mit einem Rück- gang des Bedarfs an Krankenhauskapa- zitäten zu rechnen. Ähnlich wie in an- deren Abteilungen hat hierzu in erster Linie ein Rückgang der Verweildauer beigetragen. Im Unterschied zu ande- ren Fachbereichen kommt es aber in der Geburtshilfe nicht zu einem An- stieg der Geburten, womit eine derarti- ge Entwicklung zumindest teilweise aufgefangen werden könnte. Als Kon- sequenz folgt daraus ein kontinuierli- cher Rückgang des Nutzungsgrades ge- burtshilflicher Abteilungen. So lag die- ser bundesweit 1999 bei 72,5 Prozent, was nur durch einen noch niedrigeren Wert bei den Kinderkliniken unterbo- ten wird (6). Andererseits sind durch schwankende Entbindungszahlen hier Vorhaltungen zu treffen. Es ist aber zu erwarten, dass der Gesamtbedarf an ge- burtshilflichen Betten in Zukunft noch weiter abnehmen wird. Nutzungswerte von weniger als 60 Prozent bei geburts- hilflich-gynäkologischen Kliniken sind keine Seltenheit und Hinweise, dass in diesen Bereichen Kapazitätsanpassun- gen nicht zu umgehen sind.
Der Krankenhausträger steht vor der Entscheidung, ob er größere be- triebswirtschaftliche Defizite in Kauf nimmt und damit unter Umständen ei- ne bürger- und heimatnahe Versorgung erhält oder die Abteilung aufgibt. Die- ser Zielkonflikt wird mehr und mehr unter Wirtschaftlichkeitsaspekten ent- schieden (5).
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2001; 98: A 1234–1237 [Heft 19]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Johannes Dietl Frauenklinik und Hebammenschule der Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 4 97080 Würzburg
E-Mail: frauenklinik@mail.uni-wuerzburg.de
T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 19½½11. Mai 2001 AA1237
D
ie Tradition der deutschen Sozial- medizin ist nicht zuletzt mit dem Namen Rudolf Virchows verbun- den: Sein Programm setzte gleicher- maßen auf die große Politik (Armuts- bekämpfung und Verbesserung der Bildungschancen) wie auf die Ärzte- schaft als Träger der Präventionsbot- schaften. Das lange Zeit tragende Hy- gieneparadigma wurde in Sanierungs- programmen der wachsenden Indu- strienationen außeror-dentlich wirksam, so wie auch die Medizin selbst vom Fortschritt der bak- teriologischen Ära pro- fitieren konnte. Gleich- zeitig sind die Untersu- chungen von Thomas Mc Keown oder später von McKinlay und anderen zur Bedeutung der Medi- zin für die Steigerung der Lebenserwartung eine heilsame Lektion, die vor der Überschätzung medi- zinischer Ansätze schüt- zen könnten. Und es
muss daran erinnert werden, dass Prä- ventionskonzepte keineswegs davor ge- schützt sind, nicht die Ursachen von Er- krankungen, sondern die Kranken zu
„bekämpfen“. Die NS-Rassenhygiene legt für alle Zeiten Zeugnis davon ab, dass Gesundheitsutopien und Men- schenverachtung in bedrückender Wei- se zusammenfallen können.
1945 waren Strukturen und Visionen einer gesundheitsbezogenen Präven- tion in Deutschland verbrannt. Mit der sozial-darwinistischen so genannten Verhütung erbkranken Nachwuchses,
mit der Vernichtung für unwert erklär- ten Lebens und der Indienstnahme der Institutionen der psychiatrischen Ver- sorgung und des öffentlichen Gesund- heitsdienstes hatte sich die Idee der Prävention in die Wahnidee der Ver- nichtung von Kranken und der Schaf- fung einer genetisch wertvollen Popula- tion verwandelt.
Es dauerte etwa vierzig Jahre, ehe medizinische Fakultäten und Gesund- heitspolitik die NS-Präventions- verbrechen thematisierten. Prä- vention hatte als ausgewiesenes Programm in keinem Bereich des Gesundheitswesens einen zuverlässigen Ort. Die auch wei- terhin bedeutsamen Elemente des gesundheitsbezogenen Ver- braucherschutzes mittels Seu- chen-, Lebensmittel- und Ar- beitshygiene gaben keine ausrei- chende Basis ab für Präventions- strategien in der Nachkriegsge- sellschaft. Es gelang den Kas- senärzten fast mühelos, das Va- kuum für moderne Präventions- strategien zu füllen und dabei das Denk- und Handlungsmuster der kurativen Medizin der Prävention über- zustülpen. Politik und Gesellschaft zeig- ten in den ersten Nachkriegsjahrzehn- ten kaum Interesse an einer Präventi- onspolitik für das Gesundheitswesen.
Prävention wurde immer mehr zu einer Subsparte der klinischen, individualme- dizinisch ausgelegten Medizin, welche die so genannten Volkskrankheiten als Schlachtfeld der pharmakologischen Bekämpfung entdeckt hatte.
Definieren von Surrogatparametern und breite individualmedizinische Dia-
Public Health
Individualisierung der Prävention
Nach 1945 wurde Prävention immer mehr zu einer Subsparte der klinischen, individualmedizinisch ausgerichteten Medizin.
Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe von Kommu- nen und Staat bleibt auch heute noch eine Wunschvorstellung.
Norbert Schmacke ist Leiter des Stabsbereichs Medizin beim AOK-Bun- desverband in Bonn.Foto:
privat
gnostik erschienen plötzlich als probate Ansätze zur Prävention der neuen „Kil- ler“. Die Fettstoffwechselstörungen wur- den zum Leitthema, das massenmedial wirksam kommuniziert werden konnte.
„Primärprävention“ durch obligatori- sche Einnahme von Statinen für die Ge- samtbevölkerung stellt den aktuellen Schlusspunkt dieser Philosophie dar.
„Zivilisationskrankheiten“ wurde seit den 60er-Jahren ein Schlüsselbegriff, Ri- sikofaktoren„bekämpfung“ feste Denk- figur. In den parallel stattfindenden be- völkerungsbezogenen Kampagnen do- minierten Appelle an gesundheitsbe- wusstes Verhalten und Unverständnis für die „Unvernünftigen“. Die Mittel- und Oberschichten entwickelten eine teils kultische Gesundheitsphilosophie (Healthismus).
Individualmedizinische Prägung
Das Gesetz über das Kassenarztrecht markiert bereits 1955 die Wende zur in- dividualmedizinischen Prägung von Prävention. Früherkennung wurde zu- nehmend mit Prävention verwechselt und ungezieltes Screening zur Er- schließung von Patientenströmen ein- geführt. Mit der Zuweisung der Krank- heitsverhütung an den Kassenarzt – mit seiner Arbeitsweise eines allein prak- tizierenden Kleingewerbetreibenden – verschwand die gruppenbezogene Prä- vention von der Tagesordnung. Die leitenden Medizinalbeamten in den Mi- nisterien und die Amtsärzte waren nicht in der Lage, den Unterschied zwi- schen individualmedizinischer Vorsor- ge und populationsbezogener Präventi- on in der gesundheitspolitischen Debat- te mit Erfolg darzustellen. Der öffent- liche Gesundheitsdienst konzentrierte sich bei den „modernen“ Präventions- strategien – jenseits der klassischen Themen wie Impfen und Karies – auf ein zum Scheitern verurteiltes Konkur- rieren mit der kassenärztlichen Praxis.
Alle Versuche, die Kommune und den öffentlichen Gesundheitsdienst stärker in das Zentrum des Gesundheitsversor- gungssystems zu stellen, scheiterten;
dies ist bei wichtigen Zeitzeugen wie Wilhelm Hagen und Ludwig von Man- ger-König im Detail nachzulesen. Im Verständnis des so genannten Wohl-
fahrtsstaates galt gruppen- und bevöl- kerungsbezogene Prävention als Ana- chronismus, den sich die moderne Ge- sellschaft angesichts der Fortschritte der Medizin und des Sieges über die Ar- mut nicht mehr zumuten müsse.
Wirksame Prävention fand wie in al- len prosperierenden Gesellschaften auch in der Bundesrepublik Deutsch- land statt, so ganz sicher durch die Zivi- lisierung der industriellen Arbeitswelt und die Hebung des Lebensstandards und des Bildungsniveaus breiter Bevöl- kerungsschichten. Die Diskussion um die Gewichtung von Prävention zwi- schen den verschiedenen gesellschaftli- chen Bereichen – Erziehung, Bildung, soziale Unterstützungssysteme, Ge- sundheitsversorgung – gelingt aber bis heute kaum.
Seit den 60er-Jahren gewinnt das Fortschrittsparadigma der Medizin er- heblich an Boden. Medizin kommt nicht mehr, wie es vorherige Generatio- nen gewohnt waren, mit leeren Händen daher, wenn es um Leben und Tod geht, sondern es werden immer erkennbarer bedeutende Heilungsversprechen reali- siert. Und parallel findet die schleichen- de Dethematisierung der primären Prävention statt, die nicht einmal mehr in einem Kernbereich wie dem Impfen die notwendige Systematik von Public- Health-Kampagnen wiedererlangt.
In den späten 80er-Jahren kommt es wieder zu einer Diskussion um Konzep- te wirksamer und gesundheitsbezogener präventiver Ansätze in Gemeinden und Betrieben – in bewusstem Kontrast zur Risikofaktorenmedizin. Mit „Health Promotion“ wird ein Nachfolgeparadig- ma für den Präventionsansatz der Hy- giene-Ära etabliert. Gesundheitsförde- rung als Querschnittsaufgabe von Kom- munen und Staat bleibt aber bislang eine Wunschvorstellung, da es nicht gelingt, die Beteiligten auf diese gemeinsame Idee hin einzuschwören.
Der erste Anlauf einer die Kranken- kassen verpflichtenden Verortung von Prävention im Sozialgesetzbuch V hielt einer populistischen und berufspoliti- schen Offensive der ausgehenden See- hofer-Ära nicht stand. Der zweite An- lauf der jungen rot-grünen Koalition ringt um die Focussierung auf sozial be- nachteiligte Bevölkerungsgruppen und moderne betriebliche Gesundheitsför-
derung. Evaluation von Präventions- programmen wird zur Losung, nach- dem der erste Anlauf mit der populisti- schen Losung vom „Bauchtanz auf Kas- senschein“ desavouiert werden konnte.
Immerhin wird heute wieder ernsthaf- ter diskutiert, ob neue Strategien der Prävention und des Managements der Versorgung erforderlich sind. Mit der auf Empowerment und Lernerfahrun- gen setzenden Aids-Präventionsstrate- gie wurde erfolgreich die Bedeutung von primärer Prävention demonstriert, was seither erheblichen Einfluss auf die Bundes- und Landesgesundheitspolitik genommen hat.
Immer subtilere Frühdiagnostik
Im Gegenzug wird die dem indivi- duumzentrierten Heilungsversprechen verpflichtete Medizin in der molekular- biologischen Ära zu neuen Höhenflügen anheben und die alten Public-Health- Erkenntnisse zur Bedeutung der sozia- len Determinanten von Krankheit und Gesundheit an den Rand drängen. Die Medizin wird ihre unglaubliche Expansi- on in den Alltag der Menschen hinein fortsetzen, ihr Präventionsversprechen aber vor allem zu einer immer subtileren Frühdiagnostik nutzen, ohne nach dem präventiven Stellenwert zu fragen. Die sozialen Voraussetzungen von Präventi- on werden durch diesen neuen Indivi- dualisierungsschub erneut in den Schat- ten gestellt. Aus dieser Perspektive ist Evidence based Medicine ein echter Hoffnungsträger. Wenn es nämlich ge- lingt, die Frage nach der wissenschaftli- chen Begründung von Konzepten in Po- litik und Gesellschaft stärker als bisher zu verankern, könnte dies am Ende das einzige Gegenmittel gegen unrealisti- sche Heilungsversprechungen und ge- fährliche Gesundheitsutopien bleiben.
Prof. Dr. med. Norbert Schmacke Facharzt für Innere Medizin und Sozialmedizin Leiter des Stabsbereichs Medizin
des AOK-Bundesverbandes Kortrijker Straße 1 53177 Bonn T H E M E N D E R Z E I T
A
A1238 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 19½½11. Mai 2001
Der Autor referierte zu diesem Thema auf der Tagung „Ge- sund in Gesellschaft“ – Historische Grundlagen und zukünftige Entwicklung von Versorgungsstrukturen und Präventionskonzepten, Hannover 1./2. März 2001; auf dieser Grundlage formulierte er den vorstehenden Beitrag.