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Archiv "Salons" (06.07.2001)

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en Anstoß gab der ge- sundheitspolitische Kon- gress „Angst vor dem Wandel“ im Juni 1998 in Berlin, erinnert sich Dr.

med. Susanne Thor, wenn sie überlegt, wie ihr die Idee zu einem Salon kam. Die Teil- nehmer beschäftigten sich mit dem Selbstverständnis des Arztseins, zeitgemäßer Heilkunst und ökonomi- scher Gestaltung der Ge- sundheitsversorgung. Trotz der positiven Resonanz, bei der gerade der menschliche Austausch hervorgehoben wurde, war es ein Kongress,

„der mir wieder einmal ge- zeigt hatte, dass Menschen sich nicht wirklich austau- schen können, wenn sie ein- einhalb Tage gemeinsam Vorträge und Seminare be- suchen und dann für immer auseinander gehen“.

Die Salonidee ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie wurde genährt durch die My- then über Salons, ebenso aber durch Thors Überzeugung, dass heute ein enormes Be- dürfnis nach einer solchen Form von Geselligkeit vor- handen ist und es einem ural- ten Bedürfnis von Menschen entspricht, sich auch als Gruppe füreinander Zeit zu nehmen. Das Projekt der All- gemeinärztin und Medizin- journalistin nahm Gestalt an, sodass sie im März 1999 zum ersten „thor’schen salon“ in Berlin einladen konnte. Das Thema des Abends lautete damals schlicht: „Heilen?“

Damit war zugleich die Grundthematik ihrer Salon- abende benannt, die sie so umschreibt: „Von der Bedeu- tung des Heilens und den gesellschaftlichen Einflüssen

auf Heilende und diejenigen, die geheilt werden wollen.“

Dass ihre Themen von Berufs wegen nicht im literarischen Bereich liegen sollten, son- dern im medizinischen, stand von vornherein fest.

Inzwischen hat der neunte thor’sche salon stattgefun- den, und zwar zum Thema

„Die Seele“. Dazwischen wurde vorgetragen, gestritten und gegrübelt darüber, was Menschen gesund hält, wel- chen Zusammenhang es zwi- schen Medizin und Humor gibt, und ob die Aussage stim- mig ist: „Alt werden: ja – aber alt sein!“. Bemerkenswert war zum Beispiel ein Salon- abend, an dem die Schama- nenschülerin Nayoma de Haën und der Wirtschaftsprofessor Walter Krämer über Spielar- ten der Wissenschaft disku- tierten.

Zunächst fanden sich die Salonteilnehmer in einem Berliner Hotel ein. Doch seit der vierten Veranstaltung trifft man sich auf Schloss Ziethen im Norden von Ber- lin, wohin übrigens auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zum Runden Tisch einlädt.

Kein Abend gestaltet sich so wie der andere, aber gewis- se Regeln und Strukturen gel- ten schon für die thor’schen Salons. „Zu Beginn halten ein oder zwei Referenten kurze Impulsreferate, um Appetit auf das jeweilige Salonthema zu machen. Sehr bald folgt dann die Diskussion in der Gesamtgruppe, die 15 bis 25 Personen umfasst. Beim Es- sen und bei einem guten Wein wird auch in kleineren Grup- pen geplaudert“, erläutert Susanne Thor.

Ein ungewohntes Arrangement

Wie man sich beim Salonge- spräch fühlt, ist unterschied- lich. „Wohltuend war die Ge- legenheit, ohne Rücksicht auf taktische Gesichtspunkte sprechen zu können, eine ech- te Alternative zur Mediokra- tie“, schrieb Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe in das Gästebuch. Der Präsident der Bundesärztekammer hatte Ende 1999 an einem Salon teilgenommen. Die meisten jedoch überrascht und fordert wohl das ungewohnte Arran- gement: Ein eher kleiner Kreis V A R I A

A

A1840 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 27½½½½6. Juli 2001

thor’scher salon

Vom Experiment, ohne Maske zu sprechen

„Wer einen Salon betritt, betritt weibliches Territo- rium“, hat Nicolaus Sombart über den Idealtypus des Salons geschrieben. Das passt auf eine zeitge- nössische Variante – in Berlin lädt Dr. med. Susanne Thor zum Austausch über das Thema „Heilen“ ein.

Zum Thema „Salons“ ist eine Vielzahl von Büchern erschienen.

Wer sich dafür interessiert, schmökert am besten in einer Buchhandlung, die eine gewisse Auswahl bietet. Manche Frauen- buchhandlungen sind hier gut sortiert. Lesenswert ist die Bio- graphie „Der Text meines Her- zens – Das Leben der Rahel Varn- hagen“ von Carola Stern, erschie- nen 1996 im Rowohlt Ta- schenbuchverlag. Eher historisch- soziologisch ausgerichtete Kost bietet „Die jüdischen Salons im alten Berlin“ von Deborah Hertz, erschienen 1998 als Sonderaus- gabe der Philo Verlagsgesell-

schaft. Ein sehr umfangreiches Buch mit Hinweisen, die zu Spaziergän- gen auf alten Spuren anregen sollen, ist „Die Berliner Salons“ von Pe- tra Wilhelmy-Dollinger, erschienen 2000 bei Walter de Gruyter (weite-

re Tipps in den „salongeschichten“). Rie

„Gedanken austauschen, die die Kraft haben, Medizin und Wissenschaft und die Menschen selbst zu verändern, hin zu dem, was Kunst des Heilens wirklich meint.“ – Zi- tat auf dem Titel von Susanne Thors „salongeschichten“, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2001, 164 Seiten, 39 DM Feuilleton

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trifft sich, der sich (noch) nicht kennt, wohl aber über The- men spricht, die schnell vom Allgemeinen zu den persönli- chen Einstellungen führen.

„Eigentlich bin ich es ge- wohnt, vor hunderten von Leuten zu sprechen – ohne Probleme –, aber hier tue ich mich schwer“, gab ein Gast unumwunden zu (siehe hierzu auch das Interview).

Wer neugierig auf die Sa- lons von Susanne Thor ist, kann sie anmailen (sdrthor@ aol.com) oder Einzelheiten seit kurzem in ihren „salonge- schichten“ nachlesen. Darin werden die ersten sieben Abende in Auszügen doku- mentiert. Ein leichtes Unter- fangen ist das nicht. Denn was am Abend im Salon anregend wirkt, kann in der gerafften Zusammenfassung schnell hölzern erscheinen. Der einzi- ge Haken sind deshalb die Pas- sagen, in denen die Diskussio- nen in der großen Gruppe do- kumentiert werden.

Susanne Thor hat ihr Buch jedoch klug durch weitere Texte und Fotos angerei- chert. So findet man Informa- tionen zu den historischen Vorbildern, beispielsweise den Berliner Salons von Henriet- te Herz und Rahel Varnha- gen, Auszüge aus Büchern, Gästebriefen und Vorträgen sowie Gedankenanregungen zu einzelnen Themen der thor’schen Salons.

Ein Text befasst sich zum Beispiel mit dem Sinn von Geselligkeit und mit ihren Voraussetzungen: „Niemand kann jemanden anderen zwin- gen, ihn zu verstehen. Eine Verabredung, einander wirk- lich zuzuhören, ist demnach Bedingung. Zudem muss je- der die gleichen Rechte ha- ben, weil sonst Dummheiten mit Gewalt als Argumente verkauft werden könnten und Macht den Diskurs bestimmt.

Ausreden lassen, höfliche Rücksicht und Sachlichkeit sind selbstverständlich.“ Wer einmal einen thor’schen salon besucht hat, weiß: Solche Ar- ten von Verabredungen sind nicht einfach einzuhalten – aber eben das macht sie reiz- voll. Sabine Rieser

V A R I A

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 27½½½½6. Juli 2001 AA1841

DÄ: Vor kurzem erhielt die Redaktion eine Einladung zu ei- nem Berliner Salon, ebenso wie rund 200 andere Gäste. Kann man so an die Tradition anknüp- fen?

Bergemann:Beim Salon geht es ja um den Austausch von je- dem mit jedem. Sonst zerfällt al- les, und das läuft der Salonidee eigentlich zuwider. 20, 25 Teil- nehmer verkraftet ein Salon.

Aber 200 – da sollte man ihn bes- ser gleich eine Vorlesung nen- nen.

DÄ:Gab es eigentlich Regeln für die ersten Salons?

Bergemann: Die echten Sa- lons hatten keine Satzungen oder Statuten, es gab nicht einmal schriftliche Einladungen. Geführt wurden sie in der Regel von einer Salonière, die Freunde und Be- kannte zum Gespräch bat. Feste Themen gab es nicht. Aber natür- lich existierten alle möglichen Variationen.

DÄ: Wie begann das in Deutschland?

Bergemann: Die erste Salo- nière war Henriette Herz. Sie assi- stierte zunächst von 1780 an ihrem Mann bei dessen Salons, die streng genommen keine wa- ren. Herz war Arzt; er hielt zuwei- len Vorträge vor einem kleinen Kreis und veranstaltete Experi- mente. Dabei stellte sich heraus, dass ein Teil seiner Gäste sich auch für Literatur interessierte.

Daraus entwickelte sich dann der eigene Salon seiner Frau. Es gibt eine Anekdote, wonach jemand über einen neuen Goethe-Roman sprechen wollte und Herz sagte:

„Da gehen Sie am besten zu mei- ner Frau, die hat das Talent, Un- sinn zu erklären.“

DÄ:Was war das Reizvolle an

Salons?

Bergemann: Das freie Zu- sammenkommen von Menschen, denen das sonst aufgrund der Konventionen verwehrt war. Ad- lige und Bürgerliche, Christen und Juden, Männer und Frauen verkehrten doch in der Öffent- lichkeit oft getrennt voneinander in ihren Kreisen.

DÄ:Ließen sich Standesunter- schiede und die damit verbunde- nen Diskriminierungen in den Sa- lons denn ausblenden?

Bergemann:Nein, im Grunde nicht. Rahel Varnhagen war oft enttäuscht, zum Beispiel darüber, wie vielen ihrer bürgerlichen Gä- ste es erstrebenswert erschien, einen Adelstitel zu erwerben.

Oder welche Rolle doch ein gutes Essen für viele Salongäste spiel- te.

DÄ: Worin lag der Reiz für Frauen wie Herz oder Varnhagen, einen Salon zu gründen?

Bergemann:Frauen blieb da- mals eine Ausbildung, auf jeden Fall aber ein Beruf versperrt. Sie konnten sich allenfalls zu Hause Wissen aneignen. Die Salons wa- ren eine Chance, sich die Welt ins Haus zu holen.

DÄ: War ein weiterer Reiz, über Themen zu sprechen, über die man sonst schwieg? Unzen- siert zu äußern, was man dachte?

Bergemann: Ja. Dahinter steckte allerdings auch eine ge- wisse Brisanz: dass man sich frei von Etikette traf und austausch- te.

DÄ:Woher weiß man eigent- lich, was dort geschah?

Bergemann:Aus Briefen und Biografien, wobei viele Schilde- rungen und Interpretationen im- mer wieder verwendet werden.

Da ist im Grunde vieles mit Vor-

sicht zu genießen. Es gab offen- bar schon gewaltige Differenzen zwischen dem Anspruch, einen freien, offenen Kommunikations- raum zu schaffen, und der Wirk- lichkeit in den Salons.

DÄ:Warum klingt das heute noch so reizvoll: Salon?

Bergemann:Zum einen ist es ein interessantes Etikett. Zum an- deren besteht auch heute noch ein Bedürfnis, sich persönlich auszutauschen. Hinter dem Sa- longedanken steht ja die Idee, zu argumentieren, sich zu kritisie- ren, sich näher zu kommen, sich nicht hinter Wissen oder Titeln zu verstecken.

DÄ: Steht aber nicht Wissen heute mehr im Vordergrund als Rhetorik, Schlagfertigkeit oder originelle Ansichten?

Bergemann: Vielleicht. Auf jeden Fall mangelt es vielen Men- schen an der Übung, um präg- nant, verständlich und schnell zu formulieren.

DÄ:Und was ist mit falschen Erwartungen? Geht man zum Sa- lon und erwartet Goethe, trifft aber Mayer?

Bergemann:Wenn man mit zu hohen Erwartungen kommt, kann man nur enttäuscht wer- den. Wenn nicht, bekommt man etwas: Menschen machen sich ja über vieles Gedanken, bringen ihre eigene Perspektive und ihren eigenen Erfahrungsschatz ein. In einem thor’schen salon berichte- te ein Teilnehmer über seine Er- fahrungen als „Urwaldarzt“, dar- über, was er für Vorstellungen vor der Reise hatte und was er mitgenommen hat. Ein anderer hat eine Schwiegertochter, die Indianerin ist und mit Medizin ganz andere Erfahrungen als wir gemacht hat – das sind schon Be-

Interview

„...es war ja nicht üblich, dass die Stände miteinander verkehrten ...“

Nils Bergemann hat weibliches Territorium betreten: Seine Magisterarbeit

in Publizistik schrieb er über „Theorie und Praxis der Geselligkeit am Beispiel

der Berliner Salons“. Er hat zudem sieben thor’sche salons dokumentiert.

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