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Archiv "Mit Marcel Proust durch die Salons von Paris" (12.10.1989)

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KULTURMAGAZIN

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Mit Marcel Proust

durch die Salons von Paris

N

ichts ist alltäglich im Leben des Marcel Proust. Dieser außer- gewöhnliche Mensch ist weni- gen bekannt und von den We- nigen häufig verkannt. Seine Schriften, die bei oberflächli- chem Hinsehen langatmig und ereignislos erscheinen mögen, stecken in Wirklich- keit voller Sensationen und Abenteuer. Das Eigenartige an Proust besteht darin, daß sein Werk den Leser zur Be- schäftigung mit seiner Person zwingt. Er selbst ist seine be- klemmendste und erschüt- terndste Romanfigur

Bis zu seinem 35. Lebens- jahr ist seine Biographie nicht besonders ergiebig. Als Sohn einer angesehenen Arztfami- lie genießt er eine sorgfältige Erziehung. Er ist ein ver- wöhntes, sensibles Kind, das auf die Widrigkeiten des Le- bens mit Asthmaanfällen rea- giert. Den größten Einfluß üben zwei Frauen auf ihn aus:

seine Mutter und seine Groß- mutter. Als sein größtes Un- glück bezeichnet er: „Meine Mutter und meine Großmut- ter nicht gekannt zu haben."

Und auf die Frage: „Was ist für Sie der größte Kummer?", antwortet er: „Etre seare de Maman."

Seine Leidenschaft ist schon frühzeitig die Literatur, sein größer Wunsch: schrei- ben. So widersetzt er sich den Berufswünschen der Eltern.

Er schreibt Feuilletons über die Pariser Gesellschaft. Man hält ihn für einen dilettieren- den, mondänen Schriftsteller, der seine Zeit in den Salons nutzlos vergeudet, einen Beau, einen Dandy, den man nicht ernst nimmt

Die Beschäftigung mit sei- nem siebenbändigen Roman

„Auf der Suche nach der ver- lorenen Zeit" beweist das Ge- genteil. Proust geht nicht in die Salons, um sich zu amü- sieren. Er studiert Menschen und Charaktere und hält sie mit seiner untrüglich scharfen Beobachtungsgabe im Ge- dächtnis fest. Seine Eindrük- ke geben den Stoff ab zur Chronik der belle epo que, der Darstellung einer unter- gehenden Gesellschaft.

Proust- Leser sind im Vorteil, sagt Martin Walser

Foto: dpa

Schon als Gymnasiast zeigte Marcel eine unge- wöhnliche Vorliebe für die Salons. Sein Schulfreund Jacques Bizet, ein Sohn des

„Carmen"-Komponisten, stellt ihn seiner Mutter vor, die in zweiter Ehe mit Emil Straus, einem reichen An- walt, verheiratet ist. Diese noch jugendliche Dame ist der erste Gegenstand seiner Verehrung. Er macht ihr den Hof, überschüttet sie mit Blu- men und schreibt an sie: „Ma- dame, was immer ich Ihnen zu Gefallen tun kann, etwa ei- nen Brief für Sie nach Stock- holm oder nach Neapel tra- gen oder sonst dergleichen — es würde mich sehr glücklich machen."

So spielt er den verliebten Pagen, und seine „Dame"

nimmt das alles nicht ernster als er selbst.

Laure Hayman, die Ge- liebte seines Onkels, nennt ihn „meinen kleinen Marcel"

oder „meinen kleinen Porzel- lan-Psychologen". Manchmal gerät er durch sie in Konflik- te. Er fleht Madame Straus an, nicht zu glauben, daß er sie weniger liebe, weil er ihr keine Chrysanthemen schik-

ken konnte, da er mit Laure Hayman spazierengeht und sie zum Frühstück einlädt —

„das kostet so viel, daß ich für Blumen keinen Sou mehr üb- rig hatte." Mit einer weißen Camelie im Knopfloch und seinem „Eckenkragen" wirkte er später noch wie ein Pennä- ler. Er trug eine meergrüne,

„wie absichtslos" geschlunge- ne Krawatte, Ziehharmonika- Hosen und ein Spazierstöck- chen aus Rohr.

Proust war eine eigenarti- ge Erscheinung. Er hatte wunderbare braune Augen mit einem träumerischen Glanz, volles schwarzes Haar, das stets etwas in Unordnung war. Er glich einem südländi- schen Fürsten. Dieser Schön- heit, die er gelegentlich etwas geckenhaft unterstrich, war er sich durchaus bewußt. Seine Art, sich zu gebärden, wurde unter den jungen Leuten als

„proustieren" bezeichnet und nachgeahmt. „Wie kommt es", fragte er eines Tages Anatole France, „daß Sie so- viel wissen?" — „Das ist ganz einfach, mein lieber Marcel:

Ich war nicht so hübsch wie Sie, ich gefiel nicht sehr und ging nicht in Gesellschaft. Ich

blieb zu Hause und las und las."

Proust ließ sich von den Gastgeberinnen seiner Jüng- lingszeit an andere ihm noch verschlossene Salons weiter empfehlen. Bei der Aquarell- malerin Madame Lemaire („die, nächst Gott, die mei- sten Rosen geschaffen hat") lernt er die Prinzessin Ma- thilde Bonaparte kennen, bei der er Freundschaft mit dem Musiker Reynaldo Hahn schließt, der „ein Ausbund al- ler Vorzüge und ein Genie jeglichen Charmes war".

Großen Einfluß auf Proust gewinnt auch der achtund- dreißigjährige Dichter Comte Robert de Montesquiou, „der selbst noch durch seine Arro- ganz verführerisch wirkt".

Von ihm ließ er sich in die

„Poesie des Snobismus" ein- führen. Durch Montesquiou macht er die Bekanntschaft der Comtesse Greffuhle. Als er zum ersten Mal ihren Sa- lon betrat, wußte er sofort, daß sie das Modell für die Prinzessin von Guermantes in seinem Roman abgeben würde.

Wie andere Künstler Län- der bereisen, studierte Proust die „zwischen den Salons hin- und herkutschierenden Adli- gen und Snobs". Seine Beob- achtungen finden ihren Nie- derschlag besonders im drit- ten Teil des Romanwerks, in der „Welt der Guermantes".

Dem bürgerlichen Salon von Madame Verdurin steht die adlige Gesellschaft im Fau- bourg Saint-Germain gegen- über.

Marcel liebte es, im Hause seiner Eltern festliche Diners zu geben, zu denen er be- rühmte Zeitgenossen versam- melte. Doch die Familie konnte nicht begreifen, daß die mondäne Welt ihn so ge- waltig anzog. So wurden diese Feste gelegentlich zum Ge- genstand häuslicher Ausein- andersetzungen. „Um auf das Diner zurückzukommen, das du so taktvoll ein ,Kokotten- diner' nennst . . . ich werde es wohl oder übel im Restaurant geben, da du nicht willst, daß es hier stattfindet", schreibt er an seine Mutter.

A-2986 (82) Dt. Ärztebl. 86, Heft 41, 12. Oktober 1989

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Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte der Dich- ter meist im Bett, in einem Zimmer mit Korkwänden und stets geschlossenen Fenster- läden. Hier arbeitete er, un- terbrochen von den schreck- lichsten Erstickungsanfällen.

Eine Klingel war stets in Reichweite, damit er zu jeder Zeit Weste, seine treue Die- nerin, die nie vor morgens sieben Uhr schlafen ging, her- beirufen konnte.

Er ging nun, wenn über- haupt, nur noch nachts aus.

So kam es einmal vor, daß er gegen Mitternacht im Haus der Madame de Caillaret er- schien und inständig bat, ihre Tochter sehen zu dürfen.

Aber die Tochter sei schon schlafen gegangen. „Ich flehe Sie an, Madame, erfüllen Sie meinen Wunsch." Und die sechzehnjährige Simone wur- de geholt.

Immer seltener ließ sich Proust in den Salons sehen.

Meist lud er seine Freunde jetzt ins Hotel Ritz zu einem fürstlichen Menü ein, das er mit großer Sorgfalt zusam- menstellte, während er selbst eingehüllt in warme Pelze, denn er fror zu jeder Jahres- zeit, mit bleichem Gesicht und fiebrig glänzenden Au- gen dabeisaß. Für sich be- stellte er ein Glas Wasser, um seine Medizin einzunehmen, und Kaffee, mehrere Tassen.

Als er schließlich sein Zimmer nicht mehr verlassen konnte, bat er — wiederum in den Nachtstunden — seine nächsten Freunde zu sich.

Während aleste sie bewirte- te, fragte er sie über die neue- sten Ereignisse in den Salons aus. So wurde er nicht müde, in den wiederkehrenden Si- tuationen und Menschen den Wandel zu studieren, dem sie unterworfen waren. Und so wurde aus der „Suche nach der verlorenen Zeit" die

„wiedergefundene Zeit".

„Jeder Tag führt Proust neue Leser zu, und das heißt neue Freunde. Jeden Tag tritt jemand mit dem Gefühl be- glückten Staunens in sein Buch" (Jacques Rivikre).

Ilse Dittmar

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b Nico in Köln als Christa Päffgen ge- boren wurde, ob es der 15. Oktober war, und ob dies wirklich ge- nau 50 Jahre her ist, wird wahrscheinlich für immer im Reich der Legende bleiben.

Aber eben aus dem Reich der Legenden stammt der Stoff für Sensationen, und heiß ge- nug war sie, die Lebensge- schichte dieser nahezu unbe- kannten Frau, die die Sprin- ger-Presse am Hundstag des Juli 1988 als raumfüllende Ti- telstory zu erzählen wußte;

der Anlaß dafür war, wie man nicht anders vermuten konn- te, ein trauriger: Nico war tot.

Nico nannte man sie, seit sie als junges Mädchen Man-

nequin für Oestergaard war, und seit sie mit diesem Na- men 1959 in Fellinis Fresco

„La Dolce Vita" eine unter zahllosen Partygängerinnen spielte. Die Rastlosigkeit des

„dolce vita" fand für Nico auch im wahren Leben statt.

Sie war Klassenkameradin von Marilyn Monroe in Lee Strasbergs berühmter New Yorker Schauspielschule, wurde alsbald Mutter eines Sohnes von Alain Delon und schließlich zur Frontfigur im florierenden Kitschkunstim- perium des Meisters Andy Warhol. Dieser lancierte die schweigsame Schönheit als

„Chanteuse" an seine Haus- band „The Velvet Under- ground", deren geringe Popu- larität während ihrer kurzen Existenz in umgekehrtem Verhältnis zum langfristigen Einfluß steht, den „The Vel-

vet Underground" auf die Rockmusik voraussichtlich auch noch in den 90er Jahren haben wird.

Nicos Teilhabe an der le- gendären Velvet-Debut-LP (1967) mit ironisch sanften, autobiografischen Songs wie

„Femme Fatale" und „All To- morrow's Parties" geriet zum Wendepunkt in ihrer beweg- ten Laufbahn. Bis dahin schienen ihre Sängerambitio- nen nur die für Starlets obli- gatorische Verlegenheitslö- sung zur Imagepflege zu sein, gleichwohl sie kraft ihres Sze- newertes keine geringeren als Bob Dylan und den späteren Led-Zeppelin-Boss Jimmy Page als Songwriter für sich gewinnen konnte. Nico pach- tete sich eine Nische in der Ewigkeit, jenseits der Zeit und vom Leben selbst.

Noch vor Joni Mitthell ver- wandelte sich Nico zu einer der ersten poetisch eigenständi- gen Frauenpersönlichkeiten der damals an dunklen Seiten noch armen Popmusik. Ihre erste Solo-LP „Chelsea Girl"

(1968) und alle Nachfolgeplat- ten stehen isoliert von jegli- chem musikalischen Ver-

Zwei Jahrzehnte Nico, links zur Zeit als Modell bei Andy Warhol in New York, oben live im irdischen Exil

gleich, lassen zwischen völli- gem Unverständnis und faszi- nierter Hingabe kaum eine Grauzone an Sympathie.

Das Maß an Einsamkeit und Melancholie, das Nico zu sparsamer Kammermusik auf

„Chelsea Girl" verbreitete, steigerte sich auf den späteren Alben zu morbiden Klage- gesängen, die sie in Deutsch und Englisch mit grabestiefer Stimme auf einem nepalesi- schen Harmonium intonierte.

„Warum Selbstmord begehen, wenn Sie sich diese Platte kau- fen können?" hieß es im Werbeslogan für ihre LP „The End" (1974). Ganze sechs LPs veröffentlichte sie in zwanzig Jahren, verschwand immer wieder für lange Zeit zwischen Heroin, Alkohol und Entzie- hungskuren. In diesen zwanzig Jahren schien sie im Leben an sich fehl am Platz zu sein. Das Nachtwesen Nico starb 1988 bei einem Fahrradunfall unter der Juli-Sonne Ibizas, dem ge- meinsamen Refugium von ihr und Delon-Sohn Ah. Das bit- tere Ende ihres einst süßen Le- bens war für viele bedrückend, aber für kaum jemanden über- raschend. cue

Bonne Nuit,

Tristesse!

Dt. Ärztebl. 86, Heft 41, 12. Oktober 1989 (85) A-2989

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