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Archiv "Motiv: „Politische Überzeugung“" (05.05.2006)

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Ich hatte nie das Gefühl: Das hier ist et- was richtig Bedrohendes.“

Nach dem Umzug in eine andere Stadt aufgrund seiner Scheidung erhielt IM „Klaus“ neue Führungsoffiziere, zunächst „einen älteren Herrn, der sehr schlecht ausgewählt und ein Dummkopf ersten Ranges war“. Der habe „ganz primitive sexuelle Dinge“

wissen wollen und ständig mit einem Tonband gearbeitet. Später hatte

„Klaus“ Kontakt zu einem jüngeren Führungsoffizier, der „angenehmer“

war. Dieser forderte den Arzt auf, Be- richte zu schreiben. „Ich sollte zum Bei- spiel einen Kollegen einschätzen, der nach Amerika zu Verwandten fahren wollte. Und eine Kollegin, die nach Dä- nemark reisen wollte“, erzählt Schmidt.

„Da hat man immer ausgewählt.“ Mit dem Kollegen habe er direkt und vor al- lem gut zusammengearbeitet. „Ich kannte seine persönliche Einstellung.

Da hat man so einen Bericht schon ein bisschen positiv gefärbt“, räumt Schmidt ein. „Ich konnte ihm keine so- zialistischen Ideale andichten. Aber Dinge, die nicht so gut angekommen wären, habe ich vielleicht etwas abge- schwächt. . . . Die Kollegin wiederum

konnte ich absolut nicht leiden. Da ha- be ich das vielleicht nicht so gemacht.

Und sie ist dann auch nicht nach Däne- mark gefahren.“

Nach der Wende kam die fristlose Kündigung

Dieser Vorfall gehört offenbar zu den Ereignissen, für die Schmidt „eine ge- wisse Schuld“ einsieht. Heute schäme er sich für seine Vorgehensweise, vor al- lem dafür, dass sie nicht politisch, son- dern persönlich motiviert war, sagt Schmidt. „Durch diese menschlichen Unzulänglichkeiten habe ich anderen vielleicht schon geschadet . . .“, meint er. Gemeldet hat sich nach der Wende jedoch keiner derjenigen bei Schmidt, über die er berichtet hatte. Der Kollege, der nach Amerika gefahren ist, sei Chefarzt geworden, weiß Schmidt. Die Kollegin sei noch immer in demselben Krankenhaus tätig.

Den letzten Kontakt zum MfS hatte Schmidt im Sommer 1989. Danach mel- dete sich sein Führungsoffizier nicht mehr. „Der hat wahrscheinlich eher ge- merkt als ich, dass das Ganze den Bach

hinunterging“, meint Schmidt. „Wir hatten uns zuletzt immer mal in seinem Auto auf dem Parkplatz getroffen. Da hat er gesagt: ‚Ach, es ist alles nicht mehr so.‘ Und ich wollte da immer noch Sozialismus.“

Nach der Wende gestand Schmidt ei- nigen Kollegen seine Berichtstätigkeit für das MfS, unter anderem seiner Oberärztin und seinem Chef. „Und als dann 1992 die Bögen kamen, habe ich alles reingeschrieben. Ja, und dann kam die Kündigung, die fristlose Kün- digung.“ Auf Anraten von Kollegen habe er Einspruch eingelegt und ei- ne Einzelfallüberprüfung gefordert.

„Doch die haben mich nur gefragt: ,Ha- ben Sie oder haben Sie nicht?‘ Da habe ich gesagt: ,Ja, ich habe.‘ Und das bitte schön, das war es.“

Einige Zeit hat sich Bernhard Schmidt dann mit einer Urlaubsver- tretung in einer Reha-Klinik und Ernährungsberatung über Wasser ge- halten. 1995 nahm er einen nichtärztli- chen Job an einer Schule an, in dem er bis 2005 tätig war. Seine Stasi-Akte kennt er bis heute nicht.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Dr. phil. Francesca Weil T H E M E N D E R Z E I T

A

A1202 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006

Motiv: „Politische Überzeugung“

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ie Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern des MfS auf der Grundlage von „politischer Überzeugung“ war die Hauptmethode beziehungsweise die wichtigste und hauptsächliche Art der Anwerbung. Neben „Wiedergut- machung“ (Erpressung) sowie „persönlicher und materieller Interessiertheit“ (Vorteilserwägungen) ist dieses Motiv aus Sicht des MfS das häufigste unter den inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Begrifflich wurde „politische Überzeugung“ allerdings weit gefasst.War es Ende der 1950er-Jahre noch Ziel der Stasimit- arbeiter, derart motivierte IM von der „Überlegenheit des sozialisti- schen Lagers“ zu überzeugen, wurde seit Ende der 1960er-Jahre unter

„Überzeugung“ eher die ablehnende Haltung zur Politik kapitalistischer Staaten akzentuiert. Schließlich war in der zuletzt gültigen IM-Richtlinie von 1979 nur noch von „progressiv politischen Überzeugungen“ die Re- de. Dieser Begriff umfasste marxistisch-leninistische, humanistische sowie

„antiimperialistische“ Einstellungen. Dazu zählten „Friedensliebe, die Solidarität mit den unterdrückten Völkern, Patriotismus, bürgerlich- demokratische und humanistische Bestrebungen und Absichten“.

Viele IM standen dem Sozialismus als Idee und der DDR als dessen

„realem Gesellschaftssystem“ aufgeschlossen gegenüber. Das MfS war sich dennoch der Tatsache bewusst, dass der hohe Anteil der IM, die angeblich aus „politischer Überzeugung“ inoffiziell mit dem Staats-

sicherheitsdienst zusammenarbeiteten, keinesfalls realistisch war.

Nicht alle dieser Informanten handelten aus „ideologischer Über- einstimmung mit dem DDR-System“. Das belegt zum einen der Fakt, dass sich auch „überzeugte“ IM der Kooperation mit dem MfS entzogen, indem sie nicht zu vereinbarten Treffen kamen, sich dekonspirierten, Republikflucht begingen oder Aus- reiseanträge stellten.

Zum anderen geschah es durchaus häufig, dass die An- werbung dieser IM „legendiert“ erfolgte. In diesen Fällen wurden die IM-Kandidaten mittels „Legenden“ (erfundener Geschichten) angeworben und dadurch teilweise unter Druck gesetzt. Die weitaus häufigste Legende zur Anwerbung von Ärzten war der Versuch hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter, die Abwerbung und Ausschleusung von fachkompetenten Medizinern aus der DDR als Verlust für das sozialistische Gesundheitswesen sowie als berufsethisches Vergehen gegenüber Patienten darzustellen, das es mit allen Mitteln zu verhindern galt. Diesem Anspruch an eine IM-Tätig- keit hatten nur wenige Ärzte etwas entgegenzusetzen – zumindest nicht, ohne befürchten zu müssen, politisch in Misskredit zu geraten und ernsthafte Konsequenzen tragen zu müssen. Francesca Weil

Literatur: Helmut Müller-Enbergs, Inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit – Mo- tive für geheimpolizeiliche und nachrichtendienstliche Kooperation, in: Sven Max Litzcke/

Siegfried Schwan (Hg.), Nachrichtendienstpsychologie 3. Beiträge zur inneren Sicherheit, Brühl 2005, S. 7–41, hier S. 35 f.; ders., Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staats- sicherheit. Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, Berlin 1996, S. 108 f.

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