Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 18⏐⏐4. Mai 2007
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und eine Million Menschen haben in den vergangenen 50 Jahren ein neues Organ erhalten.Damit lässt sich die Transplantation ohne Zweifel zu den etablierten The- rapieverfahren zählen. Das organisa- torische und chirurgische Prozedere stellt ebenso wenig eine Herausfor- derung dar wie die Prophylaxe aku- ter und chronischer Abstoßungsre- aktionen. Insgesamt kann sich die Bilanz sehen lassen: Die zuvor tod- geweihten Patienten haben heute gute Chancen, 20 und mehr Jahre mit dem neuen Organ zu leben. Den- noch – „Je länger die Transplantier- ten überleben, desto mehr neue Pro- bleme tauchen auf“, erinnerte Dr.
Claas Ulrich (Berlin) in München an die Kehrseite eines so massiven Ein- griffs in die physische Integrität.
Krebserkrankungen limitieren Langzeitprognose
In den Fokus gerückt ist die über- durchschnittlich hohe Zahl an Krebs- erkrankungen. Das Risiko sei je nach Art des transplantierten Organs und Typ des Tumors um bis zum 15-fa- chen höher als in der Allgemein- bevölkerung, präzisierte Priv.-Doz.
Dr. Christian Graeb (München). Auch bei den Todesfällen mit funktions- tüchtigem Transplantat ständen Ma- lignome mit 33 Prozent (Australia/
New Zealand Dialysis and Trans- plantation Registry Report 2005) und 24 Prozent (Transplantationszentrum am Klinikum München-Großhadern) als Ursache ganz oben auf der Liste.
Fatal ist daran – nach allem, was man weiß –, dass für das erhöhte Krebsrisiko vorrangig die für den Schutz des Transplantats unerläss- liche Immunsuppression verant- wortlich zu machen ist. Die zur Pro-
phylaxe von Abstoßungsreaktionen erwünschten Eigenschaften schwä- chen zum einen die körpereigene Tumorabwehr und lockern zum an- deren die „Sperre“ für die Replika- tion von potenziell onkogenen Viren wie beispielsweise HPV, HHV-8, EBV, HBV, HCV*.
Neben diesen unspezifischen Ein- flüssen, die allen zur Abstoßungs- propylaxe eingesetzten Medikamen- ten eigen sind, sollte man die Ef- fekte, die mit dem jeweiligen phar- makodynamischen Profil der ein-
zelnen Immunsuppressiva zusam- menhängen, nicht aus den Augen verlieren. Hier bietet sich mögli- cherweise eine „Stellschraube“ für die Langzeitprognose von Trans- plantierten. Nach Aussage von Priv.- Doz. Dr. Markus Guba (München) haben Steroide wahrscheinlich kei- nen Einfluss auf die Tumorentwick- lung. Im Gegensatz dazu ist von Azathioprin bekannt, dass die DNA- Reparaturmechanismen von geschä- digten Zellen blockiert werden. Für Calcineurininhibitoren (Cyclosporin
SIROLIMUS ZUM TRANSPLANTATSCHUTZ
Bessere Langzeitprognose durch geringere Tumorinzidenz
*humane Papilloma Viren, humane Herpesviren Typ 8, Epstein-Barr-Viren, Hepatitis-B-Viren, He- patitis-C-Viren
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und Tacrolimus) wurde nachgewie- sen, dass sie unter anderem die Pro- liferation von B-Zellen über eine Steigerung der Interleukin-6-Sekre- tion von T-Lymphozyten induzieren und ebenfalls DNA-Reparaturpro- zesse unterdrücken. Darüber hinaus scheinen sie das Tumorwachstum über Pathomechanismen zu för- dern, die vom Immunsystem unab- hängig sind. Mycophenolsäure hin- gegen zeigt antiproliferative Effekte in vitro, deren Validierung im Tier- modell und beim Menschen aller- dings noch aussteht.
Pluspunkte für mTOR-Inhibitoren
Anders ist die Situation bei den mTOR-Inhibitoren (Sirolimus und Everolimus), die über eine andere Zielstruktur in das immunologische Geschehen eingreifen. Das „mam- malian Target of Rapamycin“ gilt als ein Schlüsselenzym für Zellteilung und Zellwachstum. Besonders sensi- tiv für die Hemmung seiner Aktivität sind nicht nur T-Zellen (Immunsup- pression), sondern nach neuesten Er- kenntnissen auch Blut- und Lymph- gefäßzellen (Antiangiogenese und Antilymphangiogenese), glatte Mus- kelzellen (Beschichtung von Koro- narstents zum Schutz vor Rever- schluss nach Ballondilatation) sowie verschiedene Tumorzellen (Prolife- rationshemmung und Apoptose).
Die meisten Untersuchungen wur- den mit dem Sirolimus durchgeführt.
In Tiermodellen sprachen vor allem Kolon-, Lungen-, Pankreaskarzino- me und Melanome auf die „Behand- lung“ an. Man gehe davon aus, erläu- terte Guba, dass dieser antitumorale Effekt hauptsächlich auf den anti- angiogenetischen Eigenschaften von Sirolimus beruhe. Es gebe überzeu- gende Hinweise, dass Sirolimus die Produktion des für die Tumorvasku- larisierung wichtigen Wachstums- faktors VEGF (vascular endothelial growth factor) inhibiere. Auch schei- ne die hämatogene und lymphogene Metastasierung durch die Blockade der Tumorangiogenese/-lymphangio- genese reduziert zu werden. Wichti- ger scheint jedoch, dass diese in experimentellen Untersuchungen be- obachtete antitumorale Wirksamkeit von Sirolimus (Rapamune®) allem
Anschein nach auch in der klinischen Situation Bestand hat. Dafür spre- chen unter anderem die Daten von Patienten, die nach Teilnahme an der Zulassungsstudie unter kontrol- lierten Bedingungen nachbeobachtet wurden.
Fünf Jahre nach Nierentransplan- tation war im Sirolimus/Steroid- Arm die kumulative Krebsinzidenz signifikant niedriger als in der Gruppe, deren immunsuppressives Regime zusätzlich Cyclosporin ent- halten hatte. Das galt auch für Haut- tumoren (18 versus 51 Prozent) und nichtdermatologische Karzinome (vier versus acht Prozent) (J Am Soc Nephrol 2006; 17: 581–9).
In die gleiche Richtung geht das Ergebnis einer Auswertung der OPTN/UNOS-Datenbank (Organ Procurement and Transplant Net- work/United Network for Organ Sharing). Bei den berücksichtigten 33 249 Patienten waren innerhalb von 963 Tagen nach Nierentrans-
plantation unter Calcineurininhibito- ren in 1,81 Prozent der Fälle und un- ter mTOR-Inhibitoren – allein oder in Kombination mit einem Calci- neurininhibitor – nur in 0,6 Prozent ei- ne Krebsneuerkrankung aufgetreten (Transplantation 2005; 80: 883–9).
Klinische Fallberichte zeigen dar- über hinaus, dass durch den Wechsel bei der Basisimmunsuppression von einem Calcineurininhibitor auf Siro- limus sogar Kaposisarkome abklin- gen (New Engl J Med 2005; 352:
1317–23). Inzwischen sind national und international Studien angelaufen, um den positiven Einfluss von Siroli- mus auf die Tumorentstehung/-proli- feration prospektiv unter kontrollier- ten Bedingungen zu bestätigen. I Gabriele Blaeser-Kiel
Pressekonferenz „Neues zur Erhaltungstherapie nach Nierentransplantation – Mit Rapamune das Tumorrisiko deutlich reduzieren“ in München an- lässlich der 15. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Veranstalter: Wyeth Pharma GmbH
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as bekannte Problem der Opio- id-Einnahme bei gleichzeiti- gem Alkohol-Konsum hat eine neue Relevanz bekommen: Für Oxycodon- Generika besteht aufgrund der Re- tardierungstechnologie ein erhöhtes Risiko, dass diese Präparate in Ver- bindung mit Alkohol bereits vorzeitig (statt retardiert) in unerwünschter Weise und Menge freigesetzt werden.In einer ersten Reaktion ordnete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Stu- fenplanverfahren für alle Oxycodon- Generika an: Packungsbeilagen und Fachinformationen der Generika müssen um einen Warnhinweis er- gänzt werden.
Nicht betroffen ist das Oxycodon- Originalpräparat Oxygesic®(Mundi- pharma): In speziellen Untersuchun- gen konnte für Oxygesic kein Ge- fährdungspotenzial für Patienten fest- gestellt werden. Entsprechende In-
formationen müssen in die Fach- und Gebrauchsinformation aller Generi- ka aufgenommen werden. In der Konsequenz werden die verschrei- benden Ärzte/Ärztinnen stärker in die Pflicht genommen, Patienten auch über mögliche Wechselwirkun- gen der Oxycodon-Generika mit Al- kohol wie Somnolenz und Atemde- pression aufzuklären. Für Arzt und Patient wirft die aktuelle Problema- tik zusätzliche Fragen und Beden- ken bei der Wahl des richtigen Anal- getikums auf.
Bereits vor Jahren wurde das Ori- ginalprodukt Oxygesic auf das Risi- ko unerwünschter Wechselwirkungen mit Alkohol untersucht. Es konnte kein verändertes Freisetzungsverhal- ten festgestellt werden. Das Sicher- heitsprofil des Originalpräparates gibt Arzt und Patient die notwendige Si- cherheit für eine optimale Therapie und gewährleistet die Compliance.EB