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Archiv "Was nützt die Gentechnik dem Menschen? Diagnostik an medizinische Zwecke binden" (20.11.1998)

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lfmal ist in den letzten zwanzig Jahren ein Nobelpreis für Genetik, genetische Moleku- larbiologie oder Gentechnologie ver- liehen worden. Diese Zahl belegt nach Auffassung von Dr. rer. nat. Dr.

med. Robert Geursen von Hoechst Marion Roussel die enorme Bedeu- tung der modernen Biologie. Plötzlich sei es möglich geworden, medizini- sche Vorgänge auf der subzellulären, molekularen Ebene nachzuvollzie- hen, sagte Geursen auf einer Veran- staltung des Fördererkreises „Bad Nauheimer Gespräche“ Ende Okto- ber in Frankfurt am Main, bei der Ver- treter der einschlägigen Industrie so- wie der Wissenschaft zusammenge- kommen waren.

Die Stecknadel im Heuhaufen

Künftig könnten gezielt Wirk- stoffe entworfen werden, die an einem ganz bestimmten Ort angreifen. „Das frühere Suchen nach einem Zufalls- treffer weicht der Entwicklung eines zielgerichteten Arzneimittels mit klar umrissenem Mechanismus und Wir- kungsort. Wir finden nicht nur die sprichwörtliche Stecknadel im Heu- haufen, sondern wir können von ihr auch noch eine beliebige Zahl von Kopien anfertigen“, sagte Geursen.

Die Gentechnologie sei außerdem in der Lage, Lebensmitteln manche un- erwünschte Eigenschaften zu neh- men, ergänzte Dr. rer. nat. Gunter Fricke, Leiter Quality Management Nestlé Deutschland. Um zu verhin- dern, daß Produkte mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen selbst Krankheiten hervorrufen, würden sie

äußerst strengen Prüfungen unter- zogen (dazu Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/1998).

Geursen vermutet, daß die neuen Ansätze der Gentherapie die Medizin und Pharmazie revolutionieren wer- den. So würden derzeit bereits rund 40 gentechnologisch hergestellte Pro- dukte vermarktet, 300 Arzneimittel befänden sich in klinischen Studien,

2 500 Projekte würden vorklinisch be- arbeitet. Einsatzgebiete der neuen Medikamente seien vor allem die Krebstherapie, neue Mittel zur Be- handlung von Infektionskrankheiten und von Erkrankungen des zentralen Nervensystems.

Mit der Gentherapie könne un- vermittelt in die genetische Informati- on eingegriffen und versucht werden, Veranlagungen zu bestimmten Krank- heiten zu beheben. Durch Übertra- gung eines intakten Gens erhoffe man sich die Korrektur im genetischen Mu- ster der Patienten und die Kompensa-

tion des krankheitsauslösenden Gens.

Anfang des nächsten Jahrtausends rechnen Forscher mit der Aufdeckung von mehr als 6 000 Krankheiten und Störungen, die auf solchen defekten Genen beruhen.

Mittelfristiges Ziel eines Projek- tes an den US-amerikanischen Na- tional Institutes of Health sei es, eine Karte vom menschlichen Genom auf- zustellen, in der alle bereits bekannten Gene verzeichnet sind. Die Karte wür- de es erlauben, neu entdeckte Gene im Erbgut zu lokalisieren. 1990 wurden in den USA erstmals am Menschen gentherapeutische Methoden bei der Behandlung der erblichen Adenosin- Desaminase-Defizienz versucht. Es folgten seitdem, so Geursen, eine ganze Reihe klinischer Gentherapie- studien in verschiedenen Ländern, vorwiegend bei Tumorerkrankungen.

Besteht demnach Anlaß zur Eu- phorie? Nein. Darin waren sich die Re- ferenten wohl einig. Geursen wies dar- auf hin, daß die durch die Genthera- piestudien an bisher rund tausend Pati- enten gewonnenen Erfahrungen eine Nutzen-Schaden-Abwägung nicht zu- lassen. In einigen Fällen seien zwar eine verbesserte Lebensqualität, ver- minderte Infektionsraten sowie ein ge- ringeres Wachstum von Tumoren und Metastasen zu beobachten gewesen, Heilungen habe man jedoch noch nicht verzeichnen können.

Auf die Problematik der prädikti- ven Diagnostik machte Prof. Dr. med.

Peter Propping vom Institut für Hu- mangenetik der Universität Bonn auf- merksam. So könne Chorea Hunting- ton zwar diagnostiziert, aber nicht be- handelt werden, was zu schwerwiegen- den psychischen Folgen bei den gete- steten Personen führen könne. Das Wissen über eine Vererbung der Dispo- sition für bestimmte Krebsformen kön- ne dagegen grundsätzlich zur Präven- tion eingesetzt werden. Doch vor der genetischen Untersuchung müsse der Getestete umfassend informiert und beraten werden, forderte Propping.

Auf den Zusammenhang von prä- nataler Diagnostik und Schwanger- schaftsabbruch wies Prof. Dr. phil.

Ludger Honnefelder vom Philosophi- schen Seminar der Universität Bonn hin. So könne die Aufdeckung der Disposition einer schweren Krankheit zum Konflikt zwischen dem Lebens- A-2975 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November 1998 (35)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Die gelelektrophoretische Analyse von DNA-Frag-

menten Foto: Bayer AG

Was nützt die Gentechnik dem Menschen?

Diagnostik an medizinische Zwecke binden

In Medizin und Pharmaforschung ist die Gentechnik unentbehrlich geworden. Doch die Risiken und Grenzen müssen bedacht werden.

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recht des Embryos und der von der Schwangeren geltend gemachten Zu- mutbarkeit führen. Die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik lasse zwar den Schwangerschaftsabbruch eventuell vermeiden, impliziere aber die Zeugung auf Vorbehalt. Wenn sich dies mit der Vorstellung eines geneti- schen Determinismus verbinde, drohe die Gefahr der Herstellung eines Men- schen nach Maß, befürchtet Honnefel- der. Er fordert deshalb – wie Propping – eine der Diagnostik vorausgehende genetische Beratung und einen qualifi- zierten Schutz der persönlichen gene- tischen Daten. Erforderlich sei außer- dem die Bindung der Diagnostik an medizinische Zwecke, das heißt an den Auftrag des Arztes, „der sich auf Diagnose, Prävention und Therapie von Krankheiten und nicht auf Ver- stärkung beliebiger Eigenschaften be- zieht“.

Selbstbegrenzung

Grundsätzlich lehnt Honnefelder einen Gentransfer in die Keimbahn ab. Selbst ein therapeutisches Ziel sei keine hinreichende Legitimation.

„Offensichtlich ist die Beibehaltung der Heteronomie des genetischen Zufalls freiheitsbewahrender als die genetische Manipulation, die den zukünftig Betroffenen allemal den von einem Dritten gesetzten Zielen unterwirft und damit instrumentali- siert“, sagte Honnefelder.

In bezug auf die Entwicklung und Freisetzung gentechnisch herbizidre- sistenter Pflanzen vertritt Honnefel- der die Ansicht, daß das Risiko in je- dem Einzelfall zu prüfen sei, wobei die Neuheit der gentechnischen Ver- änderung Anlaß sein müsse, zusätzli- che Sicherheitsvorkehrungen zu tref- fen. Die Angst vieler Menschen vor der Gentechnik scheint ihm weniger die Angst vor den neuen Technologi- en zu sein als vielmehr die Angst, daß man den damit verbundenen ethi- schen Auseinandersetzungen nicht gewachsen sein könnte. Um die mo- derne Wissenschaft und ihre medizini- sche sowie biotechnologische Anwen- dung sinnvoll zu nutzen, „brauchen wir ein bisher unbekanntes Maß an Selbstbegrenzung“, forderte Honne- felder. Gisela Klinkhammer

A-2976 (36) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November 1998

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

isher liegt noch keine umfas- sende deutsche Publikation der Akten des Nürnberger Ärzteprozesses vor. Das wird vom kommenden Jahr an anders sein.

Dann soll nämlich eine deutsch- und englischsprachige Gesamtedition er- scheinen. Möglich wurde dieses um- fangreiche Projekt, das eine For- schungslücke schließen soll, durch die finanzielle Unterstützung vieler Ärz- tinnen und Ärzte. Der ehemalige Leiter der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neu- rologie in Gütersloh, Prof. Dr. med.

Dr. phil. Klaus Dörner, hatte dazu ei- ne Spendeninitiative gestartet, über die auch das Deutsche Ärzteblatt mehrfach berichtet hat.

Jetzt hat die Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhun- derts (HSG) einen aktuellen Sach- standsbericht vorgelegt:

1 Neben dem Wortprotokoll des Prozesses umfaßt die Edition außerdem die von Anklage und Verteidigung eingebrachten Beweis- stücke sowie die Gnadengesuche für die Verurteilten. Darüber hinaus werden in der deutschsprachigen Ver- sion die Originale der Anklagebe- weisstücke beigefügt, die im Prozeß lediglich als Abschriften vorlagen.

Damit sei, so Dörner, auch eine Überprüfung der bis heute nicht gänz- lich verstummten Fälschungsvorwür- fe möglich.

1 Um das ganze Material, das einen Gesamtumfang von rund 55 000 Seiten haben wird, benutzerfreund- lich zu gestalten, erstellt die HSG Re- gister und Konkordanzen. Die Stif- tung rechnet damit, die Registerer- schließung bis zum Sommer 1999 ab- geschlossen zu haben.

1 Neben der für die Edition zentralen Registerarbeit hat die Stif- tung seit etwa einem halben Jahr nach Quellen zum Umfeld und Hinter- grund des Ärzteprozesses gesucht. In- zwischen ist „eine große Sammlung interessanter und aufschlußreicher Quellen zur Geschichte der NS-Medi- zin entstanden“, berichtet Dörner. Es ist beabsichtigt, einige zentrale Doku- mente in einer eigenen Abteilung der Mikrofiche-Edition zu publizieren und somit wissenschaftlich zugänglich zu machen. Der wissenschaftliche Begleitband zur Gesamtedition er- scheint voraussichtlich Ende 1999 als letzter Band.

1 Eine Ringvorlesung zum Nürnberger Ärzteprozeß veranstalte- te im Sommersemester 1998 die Ham- burger Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische So- ziologie der Universität Hamburg und der Ärztekammer Hamburg. „Der Vorlesungsreihe lag die Konzeption zugrunde, die in Nürnberg verhandel- ten Verbrechen in einen größeren hi- storischen Bezugsrahmen einzubet- ten, um so zu Erklärungen des Ge- schehens zu kommen, die jenseits ei- ner nur moralischen Bewertung lie- gen. So gehören für uns die soziale Lage der Ärzte im Nationalsozialis- mus ebenso zum Kontext wie histori- sche Wandlungen ärztlicher Menta- lität und Ethik“, schreibt Dörner. Im Mittelpunkt der Vorträge standen die in Nürnberg verhandelten Menschen- versuche und die Patientenmorde.

Die Vorträge sollen die Grundlage für einen Sammelband bilden, der für ein größeres Publikum gedacht ist. Diese Publikation wird voraussichtlich ebenfalls im Sommer 1999 abge-

schlossen sein. Kli

Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses

Eine Forschungslücke

soll geschlossen werden

Eine deutsch- und englischsprachige Gesamtedition des Nürnberger Ärzteprozesses soll im kommenden Jahr veröffentlicht werden.

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