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Depressionen im Alter

T. C. Baghai, München

N

och immer unterliegen psy- chische Erkrankungen wie die Depression in allgemeinärzt- lichen Praxen einem »Eisberg-Phäno- men«: Nur ein Bruchteil der betrof- fenen Patienten wird korrekt diagnos- tiziert, die Mehrzahl bleibt dagegen unerkannt und damit ohne adäqua- te Behandlung. Besonders ältere Pa- tienten mit depressiver Symptoma- tik werden oftmals nicht erfasst. Die Ursachen dafür liegen zum einen in standardisierten Diagnoseverfahren, die nicht ausreichend auf die Beson- derheiten von Patienten im höheren Lebensalter eingehen, zum anderen lassen sie sich durch den operationa- lisierten Charakter der Diagnostik er- klären, der »unterschwellige« Depres- sionen nur unzureichend zu registrie- ren vermag.

Hürden der Differentialdiagnostik Im Vergleich zu jüngeren Patienten mit einer Depression erscheinen be- troffene Senioren häufig weniger of- fenkundig bedrückt und berichten sel- tener über Suizidgedanken. Ihr Sym- ptomspektrum umfasst eher agitierte Verhaltensweisen, Schlafstörungen oder somatische Beschwerden und überlappt stärker mit Angsterkran- kungen. Typische Symptome einer De- pression wie Müdigkeit, Gedanken an den Tod, verminderter Schlaf oder der Verlust der Libido werden bei Älteren zudem oft als Anzeichen des norma- len Alterungsprozesses interpretiert.

Von ärztlicher Seite besteht darü- ber hinaus das Problem der Altersdis- kriminierung: Die Vorstellungen, eine Pharmakotherapie sei zu riskant für

»gebrechliche Alte« oder gedrückte Stimmung sei im Alter legitim, sind weit verbreitet und tragen ebenfalls zu einem Behandlungsdefizit in die- sem Patientenkollektiv bei. Viele All- gemeinmediziner fokussieren sich au- ßerdem stärker auf die somatischen Beschwerden der Senioren. Aber auch die Patienten können der korrekten Diagnose einer Altersdepression im Wege stehen. Oft wissen sie nicht um die Behandelbarkeit ihrer Erkrankung oder zeigen sich unwillig, »beschä- mende« Symptome preiszugeben.

Ungeachtet der seltener geäu- ßerten Suizidgedanken ist das Risi- ko für einen Selbstmord bei älteren Patienten besonders hoch (s. Abb. 1):

Vor allem ältere Männer, die allein- stehend leben, zählen zur Hochrisi- kogruppe. In Untersuchungen an Se- nioren, die einen Suizidversuch unter- nommen hatten, konnte in fast 90 % der Fälle eine Depression diagnosti- ziert werden (Draper, 1995). Bei rund einem Drittel dieser Depressionen wurde zudem ein komorbider Zusam-

Diagnostische Subtypen der Depression n leichte bis mittelgradige unipolare Depres-

sion: alle etablierten AD möglich, häufig SSRI, Johanniskraut

n schwere unipolare Depression: dual wir- kende AD (TCA, SNRI, NaSSA), EKT n bipolare Depression: Stimmungsstabilisie-

rer, SSRI, DNRI, MAOI, atypische Neurolep- tika

n atypische Depression: MAOI, SSRI n saisonal abhängige Depression: zusätzlich

Lichttherapie (Cave: Suizidalität!) n Dysthymie, »double depression«

n Depression im Rahmen einer Anpassungs- störung

Depression mit spezifischen Symptomen:

n mit psychotischen Symptomen n mit psychomotorischer Hemmung n mit psychomotorischer Erregung, Insomnie,

Appetitverlust

n mit chronischen Schmerzen Symptome depressiver Störungen nach ICD-10

Dauer: Mindestens 2 Wochen

Hauptsymptome Andere häufige Symptome

– Gedrückte Stimmung – Interessen-/Freudlosigkeit – Antriebsstörung

– Konzentrationsstörungen – Gestörtes Selbstwertgefühl – Schuldgefühle

– Hemmung/Unruhe – Selbstbeschädigung – Schlafstörung – Appetitminderung 2 oder 3 Hauptsymptome 2 – 4 andere häufige Symptome

Suizidalität – Hochrisikoprofi

nAkute Krisen (Schulden, Scheidung, soziale Isolation, Arbeitslo- sigkeit, Traumatisierung etc)

nSuizide/Suizidversuche in der Familie oder im Freundeskreis nfrühere Suizidversuche

npsychiatrische Erkrankungen (Depression, Drogenmissbrauch/- abhängigkeit, schizophrene Psychosen)

nEntlassung aus einem psychiatrischen Krankenhaus Suizidversuche: vor allem bei jüngeren Frauen Suizide: ältere Männer, alleinstehend

90

Zahl der Suizide/100.000 Einwohner

10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

0

Altersgruppe

(Jahre) 10-1515-20 20-2525-3030-3535-4040-4545-50 50-5555-6060-6565-7070-7575-80 80-85 85-90 n Männer

n Frauen

Abb. 1: Altersverteilung der Suizide in Deutschland (2004). (Quelle: Bundesamt für Statistik, Kompetenznetz Depression)

(Quelle: Akechi G et al. Jpn J Clin Oncol 2000; Akechi G et al. Psychoon- cology 2009)

70 | NeuroGeriatrie 2 · 2011

Fortbildung 26. Februar 2011, Recklinghausen

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menhang mit einem Delir oder einer Demenz festgestellt.

Drei Säulen der Therapie

Die Behandlung depressiver Stö- rungen gründet sich auf die drei The- rapiebausteine Psychotherapie, So- ziotherapie und Pharmakotherapie.

Welcher Schwerpunkt dieser Behand- lungsoptionen zu welchem Zeitpunkt im Behandlungsverlauf indiziert ist, hängt vom jeweiligen Subtypus der Depression sowie von den individu- ellen Besonderheiten des Patienten ab.

Psychotherapie

Obwohl bislang nur wenige kontrol- lierte Studien hierzu existieren, gilt der Einsatz psychotherapeutischer Verfahren auch bei Patienten im hö- heren Lebensalter als wirksam. Bei Verlusterlebnissen des Patienten, Einsamkeit oder im Angesicht des Todes müssen die Methoden der Psy- chotherapie entsprechend adaptiert werden.

Für die Kognitive Therapie konn- ten bereits messbare und anhaltende antidepressive Effekte nachgewiesen werden. Das Verfahren gilt zudem als sehr kosteneffizient. Auch die Verhal- tenstherapie stellte in Metaanalysen ihre Wirksamkeit unter Beweis. Sie zeigte ähnliche Effektstärken wie die Kognitive Therapie und erwies sich ebenfalls als ökonomisch günstige Therapieoption.

Als Verfahren mit einem guten Wirksamkeitsnachweis bei Depressi- onen gelten außerdem die Interper- sonelle Psychotherapie (IPT) sowie die Kognitive Verhaltensanalyse (Co- gnitive Bahavioral Analysis System of Psychotherapy, CBASP).

Soziotherapie

Im Rahmen der Soziotherapie werden soziale Fähigkeiten des Patienten ge- fördert. Er erhält therapeutische Hilfe- stellung bei der Wiedereingliederung und wird mittels ergotherapeutischer Verfahren wie Beschäftigungsthera- pie, Arbeitstherapie, Kunst-, Musik- oder Bewegungstherapie begleitend unterstützt. Diese Verfahren, die stets auch die Angehörigen des Patienten mit einbeziehen, eignen sich gut für

die Behandlung der Depression im höheren Lebensalter.

Nicht pharmakologische biologische antidepressive Verfahren

Zusätzlich zu Sozio- und Psychothera- pie stehen als weitere nicht pharma- kologische Behandlungsoptionen die biologischen antidepressiven Verfah- ren der Lichttherapie und der Wach- therapie zur Verfügung. Bei der Licht- therapie (»bright light therapy«) erhält der Patient eine Bestrahlung mit Breit- spektrum- bzw. Vollspektrumlampen von 2.500 bis 10.000 Lux Lichtintensi- tät. Die Dauer der Bestrahlung sollte – je nach Lichtstärke – zwischen einer halben Stunde (10.000 Lux) und zwei Stunden (2.500 Lux) liegen, wobei UV- Strahlung mittels Filterscheiben he- rausgefiltert werden muss.

Im Rahmen der Wachthera- pie führt der Patient zwei- bis drei- mal pro Woche entweder einen kom- pletten Schlafentzug (total sleep de- privation, TSD) oder einen partiellen Schlafentzug (partial sleep deprivati- on, PSD) durch. Dieser soll dazu bei- tragen, die bei depressiven Patienten gestörten Rhythmen und Regelkreis- läufe der Hormone und Neurotrans- mitter neu zu takten. Da die Wach- therapie nur kurzfristig wirksam ist, sollte sie durch die Gabe von Antide- pressiva oder Lithium ergänzt wer- den.

Antidepressive Pharmakotherapie Depressive Störungen alter Menschen lassen sich ebenso wie Depressionen bei jüngeren Erwachsenen auch er- folgreich mit Antidepressiva behan- deln, wobei jedoch wichtige Beson- derheiten zu beachten sind. Bei der Indikationsstellung stehen dem bei älteren Menschen höheren Neben- wirkungsrisiko die ebenfalls höheren Folgerisiken unbehandelter Depressi- onen gegenüber.

Noch immer kontrovers diskutiert wird der Einsatz von Phytopharmaka wie Johanniskraut (Hypericum per- foratum). Dessen Wirksamkeit und Verträglichkeit in der Therapie leich- ter bis mittelschwerer Depressionen gilt zwar als erwiesen, allerdings schränkt das Interaktionspotential der Substanz die Sicherheit gerade

bei polypharmazeutisch behandel- ten Patienten ein.

Welche Form der Pharmako- therapie angezeigt ist, hängt auch vom jeweiligen diagnostischen Sub- typ der Depression ab. In der phar- makologischen Akuttherapie der De- pression haben sich selektive Sero- toninwiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Noradrenalinwiederauf- nahmehemmer (NARI) und selektive Serotonin- und Noradrenalinwieder- aufnahmehemmer (SNRI) bewährt (s.

Tab. 3). Die leichte Handhabbarkeit, das Nebenwirkungsprofil und die Überdosierungssicherheit sind Vor- teile der SSRI und neuerer Antide- pressiva, die insbesondere bei der Al- tersdepression zum Tragen kommen.

Darüber hinaus stehen noradrenerge und spezifisch serotonerge Antide- pressiva (NaSSA), Melatonin-(MT1+2)- Agonisten und Serotonin-(5HT2c)-

Pharmakologische Akutbehandlung selektive Serotonin-

wiederaufnahmehemmer

Citalopram (20 – 60 mg/d), Escitalopram (10 – 20 mg/d), Fluoxetin (20 – 80 mg/d), Fluvoxamin (50 – 300 mg/d), Paroxetin (20 – 60 mg/d), Sertralin (50 – 200 mg) selektive Noradrenalin-

wiederaufnahmehemmer

Reboxetin (4 – 12 mg/d)

selektive Serotonin- und Noradrenalinwieder- aufnahmehemmer

Venlafaxin (150 – 375 mg/d), Duloxetin (60 – 120 mg/d), (Milnacipran)

Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepres- sivum

Mirtazapin (15 – 45 mg/d), Mianserin (30 – 120 mg/d)

Melatonin-(MT1+2)-Agonist und Serotonin-(5HT2c)-Ago- nist

Agomelatin (25 – 50 mg/d)

Monoaminooxidasehemmer Moclobemid (150 – 600 mg/d), Tranylcypromin (10 – 40 mg/d), (Selegilin), (Phenelzin), (Isocarboxacid), (Pirindol) Trizyklische Antidepressiva Trimipramin (1 – 2x 25 – 400 mg/d),

Clomipramin (1 – 2x 25 – 250 mg/d), Amitriptylin (2 – 3x 25 – 600 mg/d), Amitripylinoxid (1 – 2x 30 – 300 mg/d), Doxepin (2 – 3x 25 – 300 mg/d), Imipramin (2 – 3x 25 – 300 mg/d), Dosulepin (75 – 150 mg/d), Protriptylin (10 – 60 mg/d), Desipramin (1 – 3x 25 – 300 mg/d), Nortriptylin (1 – 2x 25 – 300 mg/d), Maprotilin (1 – 3x 25 – 225 mg/d) Tab. 1: Auswahl antidepressiver Substanzen in der pharmakolo- gischen Akuttherapie

NeuroGeriatrie 2 · 2011 | 71

11. Forum Aktuelle Neurologie und Neurogeriatrie Fortbildung

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Agonisten, Monoaminooxidasehem- mer oder trizyklische Antidepressiva zur Verfügung. Letztere Substanzklas- se ist bei älteren Patienten allerdings mit einem erhöhten Risiko für gastro- intestinale, kardiovaskuläre und neu- ropsychiatrische Nebenwirkungen as- soziiert (Mottram, Wilson & Strobl, 2006). Nortriptylin wird von älteren Patienten meist besser vertragen als andere trizyklische Substanzen, kann aber ebenfalls kardiovaskuläre Neben- wirkungen verusachen (Flint, 1998).

Zeigt eine antidepressive Monothera- pie keinen Behandlungserfolg, sollte eine Kombinationstherapie erwogen werden. Evidenz besteht hier für Kom- binationen von NaSSA oder Mianse- rin mit SSRI oder Trizyklika. Auch ei- ne Ergänzung der medikamentösen Behandlung mittels Elektrokonvulsi- onstherapie ist denkbar. Diese gilt als besonders sichere und wirksame Al- ternative zu einer Pharmakotherapie.

Bei einer Therapieresistenz eignen sich zudem alle pharmakologischen Substanzen – außer den SSRI (da für diese kein ausreichender Wirksam- keitsnachweis für eine Dosiserhöhung vorliegt und dies deshalb in den Leit- linien der DGPPN ausdrücklich aus- geschlossen wird) – für eine Hochdo- sistherapie. Dosisänderungen sollten bei alten Menschen jedoch stets lang- sam erfolgen.

Als experimentelle Therapiealter- nativen stehen derzeit zudem Hirn- stimulationsverfahren wie die repeti- tive transkranielle Magnetstimulati- on (rTMS), die Vagusnerv-Stimulation (VNS), die tiefe HIrnstimulation (deep brain stimulation, DBS) oder die di- rekte Gleichstromstimulation (direct current stimulation, DCS) zur Verfü- gung.

Eine antidepressive Therapie be- steht demzufolge aus einem Thera- pieangebot mit pharmakologischen und nicht pharmakologischen bio- logischen Behandlungsangeboten, die regelhaft durch psycho- und so- ziotherapeutische Elemente ergänzt werden. Aufgrund der Vielzahl der zur Verfügung stehenden pharmako- dynamischen Wirkprinzipien gibt es auch bei schweren und z. T. therapie- resistenten Erkrankungen aussichts- reiche Behandlungsmöglichkeiten. In- dividualisierte Therapiepläne mit op- timierter Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit können daher in Ab- hängigkeit von psychiatrischen und somatischen Faktoren im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung zusammen mit den betroffenen Pati- enten erstellt werden.

Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. T. C. Baghai

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität Nußbaumstraße 7

80336 München

E-Mail: Baghai@med.uni-muenchen.de Möglichst selektive

und gut verträgliche Substanzen:

n niedriges Inter- aktionspotential n niedrige Wahr-

scheinlichkeit für UAW SSRIs:

Citalopram Escitalopram Sertralin

Insomnie:

Mirtazapin Agomelatin Appetitlosigkeit:

Mirtazapin Antriebsmangel:

(Reboxetin) Bupropion Moclobemid Schmerzen:

Duloxetin Venlafaxin Mirtazapin wahnhaftes Erleben:

Atypikum

Duale Präparate:

Venlafaxin Duloxetin Mirtazapin Kombination:

z. B. SSRI oder SNRI + Mirtazapin Augmentation:

Atypikum (Lithium) EKT:

Monotherapie Kombination

Abb. 2: Antidepressive Therapie bei älteren Patienten: klinische Empfehlungen für die Praxis

Initiale

Pharmakotherapie Spezifische

Zielsymptomatik Therapieresistenz

 

72 | NeuroGeriatrie 2 · 2011

Fortbildung 26. Februar 2011, Recklinghausen

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