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Archiv "Koronare Herzerkrankung – Diagnose im Niedrigprävalenzbereich" (01.07.2011)

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ORIGINALARBEIT

Koronare Herzerkrankung –

Diagnose im Niedrigprävalenzbereich

Verlaufsdaten von hausärztlichen Patienten mit falschnegativer KHK-Diagnose

Stefan Bösner, Jörg Haasenritter, Heidi Keller, Maren Abu Hani, Andreas C. Sönnichsen, Erika Baum, Norbert Donner-Banzhoff

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Die Diagnose einer koronaren Herzerkran- kung (KHK) stellt eine Herausforderung für Hausärzte dar.

Die Autoren analysierten bei Patienten mit Brustschmerz die Verlaufsdaten von 57 initial falschnegativ diagnosti- zierten KHK-Patienten.

Methoden: In die Studie eingeschlossen wurden 1 249 konsekutive Brustschmerz-Patienten über 35 Jahre aus 74 von 209 initial angeschriebenen Hausarztpraxen (35 %).

Die Hausärzte notierten Daten zu Anamnese und Befund;

zusätzlich wurden Verlaufsdaten während einer sechsmo- natigen Nachbeobachtungszeit erhoben. Ein unabhängiges Referenz-Komitee analysierte im Anschluss alle klinischen Patientendaten und entschied über die wahrscheinlichste Diagnose zum Zeitpunkt des Patienteneinschlusses.

Ergebnisse: Bei 405 (32,4 %) der Patienten gaben die Hausärzte eine KHK-Wahrscheinlichkeit von 0 bis 5 % an.

Von den 180 Fällen, bei denen das Referenz-Komitee eine KHK festgestellt hatte, wurden 123 (68,3 %) als (richtig-) positiv und 57 (31,7 %) als (falsch-)negativ eingestuft. Von diesen 57 Fällen hatten 26 (45,6 %) eine bekannte KHK.

Auch bei den initial falschnegativ eingestuften Fällen ver- anlassten die Hausärzte in 42 Fällen (73,7 %) ein EKG und überwiesen 20 Patienten (35,1 %) zu einem Kardiologen oder Internisten.

Schlussfolgerung: Die Hausärzte diagnostizierten eine KHK mit einer moderaten Sensitivität, verfolgten jedoch bei ei- nem großen Anteil der initial daraus resultierenden falsch- negativen Fälle die KHK als mögliche Differenzialdiagnose.

►Zitierweise

Bösner S, Haasenritter J, Keller H, et al.: The diagnosis of coronary heart disease in a low-prevalence setting—

follow-up data from patients whose CHD was misdiag- nosed by their family doctors. Dtsch Arztebl Int 2011;

108(26): 445–51. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0445

M

it einer Prävalenz von bis zu 4 % zählt Brust- schmerz zu den regelmäßigen Beratungsanlässen in der hausärztlichen Praxis (1). Während eine große Bandbreite zugrundeliegender Krankheiten diffe ren zial - diagnostisch in Betracht gezogen werden muss, gilt das Hauptaugenmerk der koronaren Herzkrankheit (KHK) beziehungsweise dem akuten Koronarsyndrom (ACS) als potenziell lebensbedrohlicher Verlaufsform (2, 3). Wenn sich ein Patient mit dem Leitsymptom Brustschmerz vor- stellt, muss der Hausarzt entscheiden, ob ein schwerwie- gendes Krankheitsbild sofortiges Handeln verlangt oder eine abwartende Haltung (Strategie des ‚abwartenden Offenhaltens’) eingenommen werden kann. Neben den Ergebnissen aus Anamnese und klinischer Befunderhe- bung wird die Entscheidungsfindung auch von epidemio- logischen Parametern wie der KHK-Prävalenz beein- flusst. In einem primärärztlichen Setting sind 8–15 % der Brustschmerzfälle durch eine KHK verursacht (4–7). Es existiert eine begrenzte Anzahl von Studien zur diagnosti- schen Treffsicherheit der initialen Verdachtsdiagnose des Hausarztes bei Patienten mit Brustschmerz, vor allem in Bezug auf die Referenzdiagnose KHK (1, 8–11). In ge- nannten Studien fehlen jedoch Verlaufsinformationen zu der Subpopulation von Brustschmerzpatienten mit KHK, bei denen die entsprechende Diagnose primär nicht ge- stellt wurde. In der vorliegenden Studie untersuchten die Autoren bei Patienten mit Brustschmerz neben der diag- nostischen Ersteinschätzung des Hausarztes bezüglich des Vorliegens einer KHK, Verlaufsdaten von Patienten, die bezüglich einer KHK initial falschnegativ diagnostiziert wurden. Zusätzlich modellierten die Autoren den Einfluss der hausärztlichen KHK-Einschätzung (Diagnosesicher- heit) auf daraus resultierende diagnostische Maße wie Sensitivität und Spezifität und damit verbundene poten- zielle Patientenströme für das Versorgungssystem (falsch- positive KHK-Diagnosen).

Methode

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine sekundäre Auswertung einer diagnostischen Quer- schnittsstudie. Das Hauptstudienziel bestand in der Er- hebung der diagnostischen Aussagekraft von Anamnese und Befund in Bezug auf die Diagnose KHK im Be- reich der hausärztlichen Primärversorgung (12) (weite- re, nicht im Text zitierte Studienergebnissen e1–e3).

Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Universität Marburg: Dr. med. Bösner, Haasenritter, Dr. phil. Keller, Abu Hani, Prof. Dr. med. Baum, Prof. Dr. med. Donner-Banzhoff

Abteilung für Allgemeinmedizin, Paracelsus Universität, Salzburg:

Prof. Dr. med. Sönnichsen

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Teilnehmende Ärzte und Patienten

Für die Studie wurden 209 Hausärzte in Hessen ange- schrieben, von denen sich 74 (35,4 %) für eine Teil- nahme entschieden. Jeder Patient über 35 Jahren mit Schmerzen im vorderen Thoraxbereich zwischen Cla- vicula, unterem Rippenbogen und hinterer Axillarli- nie gelegen, wurde für die Studie konsekutiv rekru- tiert. Es wurden Patienten mit akutem und chroni- schem Brustschmerz und auch Patienten mit einer be- reits bekannten KHK eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Patienten, deren aktuelle Thoraxschmerzepi- sode mehr als einen Monat zurücklag, schon medizi- nisch abgeklärt war oder bei denen es sich um eine Wiedervorstellung bei Brustschmerzen handelte.

Datenerhebung

Mit Hilfe eines Dokumentationsbogens führten die an der Studie teilnehmenden Ärzte eine standar - disierte Anamnese und Untersuchung durch. Die Hausärzte notierten ihre Verdachtsdiagnose und Ent - scheidungen über das weitere Prozedere (geplante weite re Untersuchungen, Überweisung, Einwei- sung). Die vom Hausarzt nach Anamnese und Be- funderhebung vermutete Wahrscheinlichkeit für ei- ne KHK wurde auf einer visuellen Analogskala (0–100 %) angegeben.

Die Studienassistenten führten Telefoninterviews mit allen Patienten sechs Wochen und sechs Monate nach der Index-Konsultation durch. Hierbei erhoben sie Daten über Schmerzverlauf und weitere Behand- lungen.

Vorsichtsmassnahmen gegen Selektionsbias

Die Studienärzte wurden über ein bestehendes Netz- werk von Forschungspraxen der Abteilung der Autoren rekrutiert und an einem gesonderten Termin geschult. Im Rahmen von Qualitätskontrollen über- prüften die Autoren die routinemäßig erhobenen Daten des Arztes darauf, ob alle Patienten mit Brust- schmerz in die Studie eingeschlossen wurden.

Referenzstandard

Da bei der überwiegenden Mehrzahl von Brust- schmerzpatienten in der Hausarztpraxis nur eine geringe KHK-Wahrscheinlichkeit besteht, war ein invasiver Referenzstandard wie zum Beispiel eine Koronarangiographie ethisch nicht vertretbar. Nach Ablauf einer sechsmonatigen Nachbeobachtungspe- riode analysierte deshalb ein Referenz-Komitee, be- stehend aus einem Allgemeinarzt, einem Kardio - logen und einem Mitarbeiter der Abteilung Allge- meinmedizin der Philipps-Universität Marburg, alle vorliegenden Patientendaten. Mittels dieses verzö- gerten Referenzstandards („delayed type reference standard“) (13) entschied das Komitee, ob zum Zeitpunkt der Rekrutierung eine KHK dem Brust- schmerz ursächlich zugrunde lag. Das Komitee stützte dabei den Entscheidungsfindungsprozess auf die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitli- nie KHK (14).

Statistische Auswertung

Die Auswertungen in Bezug auf Diagnosesicher - heit und KHK-Einschätzung beruhen auf der Ge- samtstichprobe von Patienten mit Brustschmerz. Für die Berechnung der Kenngrößen diagnostischer Aus- sagekraft (Einschätzung der KHK-Wahrscheinlich- keit) verwendeten die Autoren Kreuztabellen. Zur Berechnung von Sensitivität und Spezifität der Diagnose KHK wurde die initiale binär kodierte Ver- dachtsdiagnose (KHK ja/nein) der Referenzdiagnose (KHK ja/nein) gegenübergestellt. Alle Auswertun- gen erfolgten mit SPSS Software (Version 17.0) (eKasten).

GRAFIK 1 Patienten-Flow

TABELLE 1

Ausgewählte Charakteristika der Studienpopulation (n = 1 249)

Patienten-Charakteristika Alter – Mittelwert (Spannweite) weibliche Patienten n (%) Brustschmerz zum Zeitpunkt der Rekrutierung n (%)

Patient dem Arzt bekannt n (%) Brustschmerz ist Grund für den Arztbesuch n (%)

akuter Schmerz (< 48 Std.) n (%)

59 Jahre (35–93 Jahre) 701 (56,1)

660 (52,8)

1 148 (91,9) 1 092 (87,4) 364 (29,1)

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Ergebnisse

Arzt- und Patientencharakteristika

Die Mehrzahl der teilnehmenden Ärzte war männ- lich (67 %), das mittlere Alter betrug 49 Jahre und 63,5 % der Arztpraxen befanden sich in einem städti- schen Umfeld. Die 74 Prüfärzte sahen circa 190 000 Patienten während der gesamten Studienperiode und dokumentierten 1 355 Patienten mit Brustschmerz.

Nach Auswertung der Patientenakten erfüllten sie- ben Patienten nicht die Einschlusskriterien und wur- den von der Auswertung ausgeschlossen; 99 Patien- ten verweigerten die Teilnahme und wurden nicht in die Studienauswertung einbezogen, 60 Patienten konnten während des Nachbeobachtungszeitraumes nicht mehr kontaktiert werden („loss to follow up“) und elf Patienten starben. Zu allen diesen Patienten lagen jedoch genug klinische Daten vor, um eine Entscheidung bezüglich der Referenzerkrankung zu treffen. Drei Patienten schieden früh im Studienver- lauf aus („early drop out“) und wurden nicht einge- schlossen. Für weitere acht Patienten lagen zu weni- ge, fehlende oder widersprüchliche Informationen vor, so dass keine endgültige Diagnose gestellt wer- den konnte. Bei 1 238 Patienten konnte das Refe- renz-Komitee eine Entscheidung bezüglich des Vor- liegens einer KHK treffen. Von diesen Patienten hat- ten 180 (14,5 %) eine KHK (Grafik 1).

Tabelle 1 beschreibt ausgewählte Charakteristika der gesamten Studienpopulation.

Einschätzung der KHK-Wahrscheinlichkeit und Diagnosesicherheit

In der überwiegenden Mehrzahl von Patienten hiel- ten die Hausärzte eine KHK als Brustschmerzursa- che für unwahrscheinlich. Bei 820 (66,2 %) der Pa- tienten gaben die Hausärzte eine KHK-Wahrschein- lichkeit von 0–20 % an. Grafik 2 zeigt eine genauere Verteilung der initialen hausärztlichen Einschätzung, zusammengefasst in 10-%-Schritten.

Von den 180 Fällen, bei denen das Referenz- Komitee eine KHK festgestellt hatte, wurden von den Hausärzten (nach der initialen Erhebung von Ana mnese und Befund) 123 (68,3 %) als richtigposi- tiv und 57 (31,7 %) als falschnegativ eingestuft.

Falschnegative KHK-Diagnosen – Verlaufsdaten

Bei den 57 Patienten, bei denen die Hausärzte zu- nächst fälschlicherweise eine andere Krankheit als die KHK als Ursache der Brustschmerzen vermute- ten, wurde in über der Hälfte der Fälle (n = 29) ein muskuloskelettal bedingter Thoraxschmerz (Brust- wandsyndrom) und in weiteren elf Fällen sonstige kardiovaskuläre Erkrankungen (zum Beispiel Peri-/

Myokarditis, Herzrhythmusstörungen oder Herzin- suffizienz) angenommen. Tabelle 2 zeigt eine Auf- zählung der verschiedenen Verdachtsdiagnosen.

Obwohl die Hausärzte bei diesen 57 Patienten im Gegensatz zu einer KHK eine andere Diagnose als wahrscheinlicher erachteten, veranlassten sie bei 42

(73,7 %) ein EKG und überwiesen direkt nach der Indexkonsultation sechs (10,5 %) Patienten zum Kardiologen. In Zuge der Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten wurden weitere sieben Patienten zu einem Kardiologen und sieben Patienten zu einem allgemeinen Internisten überwiesen.

Das Referenz-Komitee stufte von den 57 falsch - negativen Fällen 46 als stabile KHK, sieben als in- stabile Angina pectoris und vier als Myokard - infarkt ein. Zwei von insgesamt elf Todesfällen in der Gesamtstudienpopulation (n = 1 249) ereigneten sich in dieser Gruppe (n = 57). Jeweils einer von die- sen Patienten war vom Referenz-Komitee für den Zeitpunkt der Index-Konsultation durch den Haus- arzt als instabile Angina pectoris (AP) beziehungs- weise stabile KHK eingestuft worden. Die Patientin mit instabiler AP erlitt während eines Krankenhaus- aufenthalts (Aufnahmeindikation: Weiterbehandlung eines diabetischen Fußsyndroms) zwölf Wochen nach Konsultation einen Herzkreislaufstillstand (laut Arztbrief Verdacht auf Myokardinfarkt oder Lungenembolie) und wurde erfolglos reanimiert. Der zweite Patient mit stabiler KHK gab während des Telefoninterviews nach sechs Wochen eine Besse- rung seiner Beschwerden hinsichtlich der Schmerz- frequenz an; von den klinischen Angaben her im - ponierten die Beschwerden als Angina pectoris. Im weiteren Verlauf wurde vom behandelnden Hausarzt wegen Beschwerdeverschlimmerung eine weiterfüh- rende kardiologische Diagnostik eingeleitet. Trotz intensiver Aufklärung über die Notwendigkeit einer stationären Behandlung lehnte der Patient jegliche weiterführenden Maßnahmen ab und verstarb nach Ablauf von sechs Monaten an akutem Herzver - sagen. Bei beiden Patienten war eine KHK vorbe-

GRAFIK 2

Geschätzte KHK-Wahrscheinlichkeit (%) nach Anamnese und Befunderhebung (n = 1 238)

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kannt und vom Hausarzt schon vor der Index- Konsultation eine adäquate Therapie bezüglich der Besserung der Prognose (ASS, Betablocker, Statin) eingeleitet worden.

Diagnosesicherheit und Patientenströme

Angesichts nicht erkannter Fälle von KHK ist zu überlegen, ob Hausärzte ihre diagnostische Schwelle absenken sollten, das heißt auch Patienten mit weni- ger ausgeprägten Symptomen als KHK behandeln sollten (zum Beispiel kardiologische Überweisung).

Grafik 3 zeigt die Konsequenzen einer solchen Ver- änderung der Diagnoseschwelle.

Die meisten KHK-Patienten (laut Referenzkrite- rien 119 von 180) befinden sich im Bereich höherer geschätzter Wahrscheinlichkeit (> 50 %). Würden Hausärzte ihre „diagnostische Schwelle“ absenken, um in noch weniger Fällen eine KHK zu „überse- hen“, führte dies bei einem nur moderaten Anstieg der Sensitivität zu einem deutlichen Abfall der Spe- zifität mit gleichzeitig drastischem Anstieg falsch - positiver Befunde. Bedingt durch die Tätigkeit in einem Niedrigprävalenzbereich resultiert nur eine leichter Anstieg des negativ prädiktiven Wertes.

Diskussion

Die von den an der Studie teilnehmenden Hausärzten vorgenommene initiale KHK-Einschätzung bei Brust- schmerzpatienten deckt sich mit vorhandenen epide- miologischen Daten zur KHK-Prävalenz im primär- ärztlichen Bereich (4–7). Die meisten der falschnegati- ven KHK-Fälle wurden initial als Brustwandsyndrom eingestuft, wobei die Hausärzte in einem Drittel der Fälle eine weitere kardiologische Diagnostik initiierten.

Eine Veränderung der subjektiven Diagnoseschwelle führt bei moderatem Anstieg der Sensitivität zu einem deutlichem Abfall der Spezifität und vermehrten falschpositiven Fällen, die einer unnötigen weiteren diagnostischen Abklärung zugeführt würden.

Stärken und Schwächen des Studiendesigns

Stärken dieser Studie sind das prospektive Design, die große und repräsentative Stichprobe und kleine Drop-out-Raten. Studienprozeduren wie zum Bei- spiel Audits der teilnehmenden Praxen reduzierten die Möglichkeit eines Selektionsbias. Durch die frei- willige Studienteilnahme ist eine Verzerrung der Er- gebnisse durch besonders motivierte Hausärzte nicht generell auszuschließen. Es mag sein, dass die teil- nehmenden Ärzte ein besonders hohes Vertrauen in ihre diagnostischen Fähigkeiten hatten. Man kann deshalb jedoch nicht automatisch annehmen, dass ih- re diagnostischen Fähigkeiten systematisch vom Durchschnitt aller Hausärzte abwichen.

Ein interdisziplinäres Referenz-Komitee stellte den für diese Art von Studie bestmöglichen Refe- renzstandard dar. Da wir jedoch keinen Einfluss auf die von den Hausärzten initiierte weitere Abklärung nahmen, standen dem Referenz-Komitee für einen Teil der Patienten nur begrenzte klinische Daten zur Verfügung.

Einschätzung der KHK-Wahrscheinlichkeit und Diagnosesicherheit

Bei der überwiegenden Mehrzahl von Brustschmerz- patienten hielten die Hausärzte eine KHK für un- wahrscheinlich. Diese initiale Einschätzung deckt sich mit Ergebnissen verschiedener epidemiologi- scher Studien aus dem hausärztlichen Versorgungs- bereich, die eine KHK-Prävalenz von 8–15% be- schreiben (4–7). Demgegenüber stehen KHK-Präva- lenzen von über 50 % bei Patienten, die mit Brust- schmerz in der Notaufnahme eines Krankenhauses vorstellig werden (2, 15).

Die Ersteinschätzung der Hausärzte bezüglich des Vorliegens einer KHK zeigte mit einer Sensitivität von 68 % allenfalls eine moderate diagnostische Ge- nauigkeit (9). Andere Studien aus der Primärversor- gung ergaben mit Sensitivitäten von 72 % (8) ver- gleichbare beziehungsweise von 82 % (1) etwas bes- sere Ergebnisse. Studien mit Brustschmerzpatienten aus einer Krankenhausnotaufnahme beziehungswei- se einer kardiologischen Ambulanz zeigten eine Sen- sitivität von 78 % (16) beziehungsweise 83 % (17) bezüglich der ärztlichen Ersteinschätzung, ob bei den Patienten eine KHK vorlag.

Falschnegative KHK-Diagnosen

Inwiefern es Sinn macht, die Sensitivität eines dia - gnostischen Verfahrens zu steigern, hängt unter an- derem davon ab, welche Konsequenzen die initiale Fehldiagnose des Hausarztes im weiteren Verlauf für die Kohorte der falschnegativen Patienten hatte, weshalb die Autoren in dieser Auswertung die falsch - negativen KHK-Fälle genauer betrachteten.

Von den 57 Patienten, bei denen die Hausärzte ei- ne KHK übersahen, wurde in 29 Fällen ein Brust- wandsyndrom diagnostiziert. Hierzu passen die Beobachtungen von Verdon et al., die in einer Stu - die zum Brustwandsyndrom bei 672 konsekutiven TABELLE 2

Verdachtsdiagnose des Hausarztes bei initial nicht erkannter KHK (n = 57)

*1 bei 26 (45,6 %) der Patienten war bereits in der Vorgeschichte eine KHK diagnostiziert und bei 9 (15,8 %) der klinische Verdacht auf eine KHK geäußert worden

*2 muskuloskelettale Ursachen Verdachtsdiagnose des Hausarztes*1

Brustwandsyndrom*2 n (%)

sonstige kardiovask. Erkrankungen n (%) psychogene Erkrankung n (%) Refluxkrankheit n (%)

sonstige orthopäd. Erkrankungen n (%) sonstige andere Erkrankungen n (%) keine speziellen Angaben n (%)

29 (50,8) 11 (19,3) 3 (5,3) 3 (5,3) 2 (3,5) 2 (3,5) 7 (12,3)

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Brustschmerzpatienten aus der Allgemeinarztpraxis bei der Mehrheit der Patienten eine linksseitige Schmerzlokalisation beschreiben (18). Die Tatsache, dass die Hausärzte bei diesen Patienten trotzdem in 72 % der Fälle ein EKG veranlassten und 20 von 57 Patienten (35 %) entweder direkt oder im weite- ren Verlauf zu einem Kardiologen oder Internisten überwiesen, zeigt, dass sie die Möglichkeit einer KHK parallel im Auge behielten. Dies unterstreicht die Bedeutung der hausärztlichen Betreuung mit niederschwelligen Kontaktmöglichkeiten zwischen Arzt und Patient, in deren Verlauf eine initiale Ent- scheidung jederzeit revidiert werden kann (Strategie des abwartenden Offenhaltens). Denn dem Hausarzt stehen aufgrund der spezifischen Charakteristika sei- ner ärztlichen Tätigkeit (erlebte Anamnese, wieder- holte Patientenkontakte) spezielle Strategien zur Verfügung, potenziell gefährlich abwendbare Verläu- fe zu erkennen („safety netting“) und adäquat zu handeln (19).

KHK-Diagnose – ein Dilemma für Hausärzte

Hausärzte stehen unter dem Druck, eine KHK bei Brustschmerzpatienten auf keinen Fall übersehen zu dürfen. Der Hausarzt steht dabei jedoch vor dem Di- lemma, dass bezüglich der KHK-Diagnose eine Er- höhung der Sensitivität mit einem Abfall der Spezifi-

tät einhergeht. Dies resultiert in vielen unnötigen weiteren Untersuchungen und damit verbundenen Kosten. Würden die Hausärzte jeden Patienten, bei dem diagnostische Zweifel bestehen (Grafik 3), zur weiteren Abklärung überweisen, kämen auf einen KHK-Fall circa 15 Patienten, bei denen eine unnöti- ge Diagnostik erfolgen würde. Auf der anderen Seite kann eine nicht diagnostizierte KHK gegebenenfalls fatale Folgen für den betroffenen Patienten haben.

Solche Fälle sind nicht selten Gegenstand medizini- scher Gutachten und juristischer Streitfälle.

Trotzdem ist die hausärztliche Filterfunktion auch bei Patienten mit Brustschmerz unabdingbar (Nied- rigprävalenzbereich), damit die bei einer Überwei- sung eingeschalteten Fachärzte ihre dem Hochpräva- lenzbereich zugeordnete Diagnostik sinnvoll und da- mit auch kosteneffektiv einsetzen können.

Wie wir mit unserer Querschnittsanalyse falschne- gativer KHK-Einschätzungen zum Zeitpunkt der ers- ten Konsultation zeigen, ist dieser Filter natürlich nicht perfekt. Jedoch zeigt eine Längsschnittanalyse unserer Daten ein differenzierteres Vorgehen der Hausärzte mit den initial nicht als solche klassifizier- ten Fälle von Angina pectoris. Bei einem guten Drit- tel der initial falschnegativ eingestuften Patienten wurde im weiteren Verlauf eine internistisch/kardio- logische Abklärung eingeleitet. Beide Todesfälle in GRAFIK 3

Auswirkungen einer Änderung der subjektiven hausärztlichen Diagnoseschwelle auf resultierende diagnostische Parameter und falschpositive Fälle (n = 1 238). Die Grafik zeigt die Verbindung zwischen hausärztlicher KHK-Einschätzung mit den daraus resultie- renden diagnostischen Maßen (Sensitivität, Spezifität, positiver und negativer prädiktiver Wert) beziehungsweise der Anzahl von Patienten mit Verdacht auf KHK, die potenziell einer weiteren diagnostischen Abklärung zugeführt würden (falschpositive Fälle). Die gestrichelten Linien symbolisieren dabei verschiedene diagnostische Schwellenwerte. Würde der Hausarzt zum Beispiel jeden Patienten mit einer geschätzten KHK-Wahrscheinlichkeit von > 5 % einer weiteren diagnostischen Abklärung zuführen, resultierte daraus ein Patientenstrom von 833 (67,3 %) der vom Arzt gesehenen Patienten mit Brustschmerz. Von diesen 833 Patienten würden 667 (falschpositive Fälle) eine unnötige weitere Diag- nostik erfahren. Bei einer geschätzten KHK-Wahrscheinlichkeit von > 20 % würde es bei einem Anstieg der Spezifität auf 74 % zu einem Pa- tientenstrom von 418 Brustschmerzpatienten (33,8 %) mit 274 falschpositiven Fällen kommen. *1 laut Referenzkomitee nach 6 Monaten

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dieser Gruppe standen nicht in zeitlichem Zusam- menhang mit der Index-Konsultation und beide Pa- tienten waren bei bereits bekannter KHK durch den Hausarzt bezüglich Prognose verbessernder Therapie adäquat behandelt worden.

Klinische Entscheidungsregeln

Neben der Verschiebung der diagnostischen Schwel- le, die jedoch zwangsläufig mit geringerer Spezifität und unnötiger weiterer Abklärung einhergeht, kommt eine Diagnose-Optimierung durch die Ver- wendung besserer Tests beziehungsweise Teststrate- gien in Frage. Während neuere Tests wie zum Bei- spiel das hochsensitive Troponin T-Essay (20) bei der Prognose einer stabilen KHK hilfreich sein kön- nen, ist die diagnostische Aussagekraft für die KHK in der Primärversorung bisher nicht untersucht wor- den. Das EKG und herkömmliche Troponintests ha- ben nur eine limitierte Bedeutung für den Ausschluss einer KHK oder eines akuten Koronarsyndroms (ACS) in einem primärärztlichen Versorgungskon- text, da ein normaler EKG-Befund zum KHK-Aus- schluss nicht geeignet ist und ein negativer Tropo- nintest allenfalls nach 8 bis 12 Stunden aussagekräf- tig ist (21, 22).

Da sich deshalb die Diagnosefindung weiterhin auf Anamnese und Befunde aus der körperlichen Un- tersuchung stützt, besteht ein alternativer Lösungs- ansatz in der kombinierten Anwendung von Daten aus Anamnese und Befund, sogenannten klinischen Entscheidungsregeln (23, 24). So liegt zum Beispiel mit dem Marburger Herz-Score eine validierte Ent- scheidungsregel vor, die dem Hausarzt helfen kann, seine Filterfunktion bei der Beurteilung von Brust- schmerzpatienten weiter zu optimieren (23, 25).

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 24. 11. 2010, revidierte Fassung angenommen: 17. 3. 2011

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KERNAUSSAGEN

Bei einer verhältnismäßig niedrigen KHK-Prävalenz stellt die Diagnose einer KHK bei Brustschmerzpatien- ten eine Herausforderung für Hausärzte dar.

Hausärzte stuften in der vorliegenden Studie 31,7 % der KHK-Patienten initial als falschnegativ ein.

‚Abwartendes Offenhalten’ gehört zu den Grundcharak- teristika allgemeinärztlichen Handelns. Auch wenn Hausärzte eine andere Diagnose als wahrscheinlichere Ursache des Brustschmerzes ansahen, verfolgten sie doch bei einem Teil der Patienten eine weitere differen- zialdiagnostische Abklärung bezüglich einer KHK.

Eine Senkung der hausärztlichen „diagnostischen Schwelle“ bezüglich der KHK ist als problematisch zu werten und würde bei vielen Patienten zu einer unnöti- gen weiteren Diagnostik führen.

Eine KHK-Diagnoseoptimierung durch die Verwendung besserer Tests oder klinischer Entscheidungsregeln auf hausärztlicher Ebene stellt eine mögliche Lösung dar.

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Anschrift für die Verfasser Dr. med Stefan Bösner, MPH

Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin Universität Marburg

Karl-von-Frisch-Straße 4 35043 Marburg

boesner@staff.uni-marburg.de

SUMMARY

The Diagnosis of Coronary Heart Disease in a

Low-Prevalence Setting—Follow-Up Data From Patients Whose CHD Was Misdiagnosed by Their Family Doctors Background: The diagnosis of coronary heart disease (CHD) is a challenge for primary care. We studied the further course of 57 pa- tients who presented to their primary care physicians (PCPs) with chest pain and were initially misdiagnosed as not having CHD as the cause of chest pain.

Methods: The 57 misdiagnosed patients were among 1249 conse- cutive patients aged 35 and above who presented with chest pain to 74 different PCPs (35% of the 209 PCPs initially invited to parti- cipate in the study). For each patient, the PCPs recorded the initial history and physical findings and the course over the ensuing six months. An independent interdisciplinary reference panel reviewed all of the data and retrospectively determined each patient’s most likely cause of chest pain at the time of inclusion in the study.

Results: For 405 patients (32.4%), the PCPs rated the probability that CHD was the cause of chest pain at 0 to 5%. The reference pa- nel retrospectively diagnosed CHD as the cause of chest pain in 180 patients. The PCPs correctly diagnosed CHD as the cause of chest pain in 123 (68.3%) of these patients and failed to diagnose CHD as the cause of chest pain in 57 of them (31.7%). 26 (45.6%) of the 57 misdiagnosed patients had a history of CHD. Even when the diagnosis of CHD as the cause of chest pain was missed, the PCPs often ordered an ECG (42 of 57 patients, or 73.7%) or re - ferred the patient to a cardiologist or internist (20 of 57 patients, or 35.1%).

Conclusion: Primary care physicians diagnose CHD with moderate sensitivity. Even when they initially fail to make the diagnosis, they often order further tests and consultations that ultimately lead to a correct diagnosis of CHD.

Zitierweise

Bösner S, Haasenritter J, Keller H, et al.: The diagnosis of coronary heart disease in a low-prevalence setting— follow-up data from patients whose CHD was misdiagnosed by their family doctors. Dtsch Arztebl Int 2011;

108(26): 445–51. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0445

@

Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:

www.aerzteblatt.de/lit2611

The English version of this article is available online:

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www.aerzteblatt.de/11m0445

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ORIGINALARBEIT

Koronare Herzerkrankung –

Diagnose im Niedrigprävalenzbereich

Verlaufsdaten von hausärztlichen Patienten mit falschnegativer KHK-Diagnose

Stefan Bösner, Jörg Haasenritter, Heidi Keller, Maren Abu Hani, Andreas C. Sönnichsen, Erika Baum, Norbert Donner-Banzhoff

eLITERATUR

e1. Bösner S, Haasenritter J, Becker A, Hani MA, Keller H, Sönnich- sen AC, et al.: Heartburn or angina? Differentiating gastrointesti- nal disease in primary care patients presenting with chest pain: a cross sectional diagnostic study. Int Arch Med 2009; 2: 40.

e2. Bösner S, Haasenritter J, Hani MA, Keller H, Sönnichsen AC, Ka- ratolios K, et al.: Gender differences in presentation and diagnosis of chest pain in primary care. BMC Fam Pract 2009; 14; 10: 79.

e3. Bösner S, Becker A, Abu Hani M, Keller H, Sönnichsen A, Haasen- ritter J, et al.: Chest wall syndrome in primary care patients with chest pain: presentation, associated features and diagnosis. Fam Pract 2010; 27: 363–9.

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eKasten

Methode

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine diagnostische Querschnittsstudie. Das Hauptstudienziel bestand in der Erhebung der diagnosti- schen Aussagekraft von Anamnese und Befund in Bezug auf die Diagnose KHK im Bereich der hausärztlichen Primärversorgung (12). Der Artikel präsentiert eine sekundäre Auswertung, die näher auf Versorgungsaspekte bei initial falschnegativ diagnostizierten KHK-Patienten eingeht. Bezüglich weiterer Studienauswertungen siehe e1–e3.

Teilnehmende Ärzte und Patienten

Für die Studie wurden 209 Hausärzte in Hessen angeschrieben, von denen sich 74 (35,4 %) für eine Teilnahme entschieden. Die teilnehmenden Pra- xen sollten jeden Patienten mit Brustschmerz (entweder als vom Patienten geäußerten Konsultationsanlass oder auf Nachfragen des Arztes angege- ben) konsekutiv rekrutieren. Für jede Praxis betrug die Rekrutierungsperiode 12 Wochen mit vier Staffeln zwischen Oktober 2005 und Juli 2006. Die Hausärzte erhielten für jeden eingeschlossenen Patienten eine Aufwandsentschädigung von 30 Euro.

Jeder Patient über 35 Jahren mit Schmerzen im vorderen Thoraxbereich zwischen Clavicula, unterem Rippenbogen und hinterer Axillarlinie gele- gen, sollte für die Studie rekrutiert werden. Es wurden Patienten mit akutem und chronischem Brustschmerz und auch Patienten mit einer bereits be- kannten KHK eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Patienten, deren aktuelle Thoraxschmerzepisode mehr als einen Monat zurücklag, schon me- dizinisch abgeklärt war oder bei denen es sich um eine Wiedervorstellung bei Brustschmerzen handelte. In Notfallsituationen, in denen keine Zeit zur Patientenaufklärung bestand, dokumentierte der Arzt die für die Studienfrage relevanten Daten und holte später die nötige Aufklärung nach. Das Stu- dienprotokoll wurde von der Ethikkommission der medizinischen Fakultät der Universität Marburg genehmigt und stimmt mit den Richtlinien der Hel- sinki Deklaration überein.

Datenerhebung

Mit Hilfe eines Dokumentationsbogens führten die an der Studie teilnehmenden Ärzte eine standardisierte Anamnese und Untersuchung durch. Die hier evaluierten Index-Tests schlossen den ersten Eindruck des Arztes bezüglich des Patienten, Dauer, zeitlichem Verlauf, Charakter und Lokalisation des Schmerzes, begleitender vegetativer Symptome, Risikofaktoren und Vorerkrankungen und relevanter Befunde ein. Die Hausärzte notierten zu- dem ihre Verdachtsdiagnose und Entscheidungen über das weitere Prozedere (geplante weitere Untersuchungen, Überweisung, Einweisung). Die vom Hausarzt nach Anamnese und Befunderhebung vermutete Wahrscheinlichkeit für eine KHK wurde auf einer visuellen Analogskala (0–100 %) an- gegeben.

Die Autoren führten Telefoninterviews mit allen Patienten sechs Wochen und sechs Monate nach der Index-Konsultation durch. Hierbei erhoben sie Daten über Schmerzverlauf und weitere Behandlungen (Fachärzte, Krankenhaus, Änderungen in der Medikation). Die entsprechenden Arzt- be- ziehungsweise Entlassungsbriefe wurden dann über den behandelnden Hausarzt angefordert.

Vorsichtsmaßnahmen gegen Selektionsbias

Die Studienärzte wurden über ein bestehendes Netzwerk von Forschungspraxen der Abteilung der Autoren rekrutiert und an einem gesonderten Ter- min geschult. Dabei betonten sie die Wichtigkeit einer konsekutiven Rekrutierung von Patienten, unabhängig von der vom Arzt angenommenen KHK- Wahrscheinlichkeit. Im Rahmen von Qualitätskontrollen überprüften die Autoren die routinemäßig erhobenen Daten des Arztes darauf, ob alle Patien- ten mit Brustschmerz in die Studie eingeschlossen wurden.

Referenzstandard

Da bei der überwiegenden Mehrzahl von Brustschmerzpatienten in der Hausarztpraxis nur eine geringe KHK-Wahrscheinlichkeit besteht, war ein in- vasiver Referenzstandard wie zum Beispiel eine Koronarangiographie ethisch nicht vertretbar. Nach Ablauf einer sechsmonatigen Nachbeobach- tungsperiode analysierte deshalb ein Referenz-Komitee, bestehend aus einem Allgemeinarzt, einem Kardiologen und einem Mitarbeiter der Abteilung Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg, alle vorliegenden Patientendaten. Mittels dieses verzögerten Referenzstandards („delayed type reference standard“) (13) entschied das Komitee, ob zum Zeitpunkt der Rekrutierung eine KHK bestanden hatte. Dieses Design basiert auf der An- nahme, dass sich eine schwerwiegendere Krankheit wie eine KHK als Ursache der Symptome innerhalb des genannten Zeitraumes demaskieren würde. Das Komitee stützte dabei den Entscheidungsfindungsprozess auf die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie KHK (14).

Die Anamnese ist Teil der Definition einer akuten oder chronischen KHK. Das Vorliegen des ursprünglichen Erhebungsbogens mit den anamnesti- schen Angaben des Patienten kann so das Urteil des Referenz-Komitees beeinflussen. Um die Möglichkeit dieses „incorporation bias“ zu minimieren, analysierte das Referenz-Komitee in einer ersten Runde nur die Daten aus der Nachbeobachtungsperiode ohne die Angaben des Index-Fragebo- gens (verblindeter Referenzstandard). In einer zweiten Runde wurden die Patientenakten in veränderter Reihenfolge erneut zusammen mit dem In- dex-Test zur Begutachtung vorgelegt (unverblindeter Referenzstandard).

Statistische Auswertung

Die Auswertungen in Bezug auf Diagnosesicherheit und KHK-Einschätzung beruhen auf der Gesamtstichprobe von Patienten mit Brustschmerz. Für die Berechnung der Kenngrößen diagnostischer Aussagekraft (Einschätzung der KHK-Wahrscheinlichkeit) verwendeten die Autoren Kreuztabellen.

Zur Berechnung von Sensitivität und Spezifität der Diagnose KHK wurde die initiale binär kodierte Verdachtsdiagnose (KHK ja/nein) der Referenzdi- agnose (KHK ja/nein) gegenübergestellt. Alle Auswertungen wurden an dem unverblindeten Datensatz durchgeführt und erfolgten mit SPSS Software (Version 17.0).

Referenzen

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