A 894 Deutsches Ärzteblatt
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16. Mai 2014STUDIEN IM FOKUS
Nach Berichten zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko bei der Koadministration von Kalzium und Vitamin D wurde die alleinige Gabe von Vitamin D als Alternative un- tersucht. Mit negativem Ergebnis:
Die Supplementierung ist bei Ge- sunden nicht geeignet zur Präven - tion der Osteoporose – wenn nicht spezifische Risikofaktoren für ei- nen Vitamin-D-Mangel vorliegen.
Diesen Schluss ziehen Autoren einer aktuellen Metaanalyse aus ih- rem Ergebnis (1). Die Auswertung basiert auf 23 Studien mit 4 082 Teilnehmern (durchschnittlich 59 Jahre alt). Die Supplementierung mit 25-OH-Vitamin-D für 2 Jahre führte nicht zur Zunahme der Kno- chendichte an verschiedenen Mess- stellen (lumbale Wirbelsäule, Hüf- te, Trochanter, Radius, Ganzkör- per). Einzig am Femurhals ergab sich eine signifikante Zunahme.
Die Arbeit bestätigt zwei voraus - gegangene Metaanalysen mit nega- tivem Ausgang zur Fraktur-Präven - tion durch die alleinige Vitamin- D-Supplementierung ohne Kalzium- gabe. Dies brachte das Postulat ins Wanken, Vitamin D wirke knochen- protektiv.
Fazit: Die Einnahme von Vitamin D allein zur Prävention der Osteoporo- se ist bei Personen ohne Risikofak- toren für eine Vitamin-D-Defizienz nicht angezeigt. Diesem Fazit der Metaanalyse schließt sich der Kom- mentator an (2), denn bei den ver- gleichsweise jungen Teilnehmern seien ein Kalziummangel und eine gestörte Homöostase im Skelett - knochen eher unwahrscheinlich. Bei Älteren dagegen bleibe der Ansatz, auf gefüllte Vitamin-D-Speicher und ausreichende Kalziumaufnahme zu achten, ein effektiver Weg zur Prä- vention von Hüftfrakturen.
Da eine Vitamin-D-Defizienz ohne (teure) Bestimmung nicht zu verifizieren ist, spricht sich Prof.
PRÄVENTION VON OSTEOPOROSE
Vitamin D allein reicht nicht aus, um den Knochen zu schützen
Dr. med. Bruno Allolio, Universi- tätsklinik Würzburg, dafür aus, die derzeitige Basistherapie mit Kalzi- um und 800 IE Vitamin D zur Osteo- porosetherapie beizubehalten. Allo- lio hat sich mehrfach zum „Hype“
um das Sonnenvitamin D geäußert:
Nahezu alle Interventionsstudien hätten die positiven Ergebnisse der Assoziationsstudien nicht erhärten können. Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
1. Reid IR, et al.: Effects of vitamin D supple- ments on bone mineral density: a systema- tic review and meta-analysis. Lancet 2013, http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736 (13)61647–5
2. Rosen C: Vitamin D supplementation: bones of contention. Lancet; http://dx.doi.org/
10.1016/S0140–6736(13)61721–3 GRAFIK
Wirkung von Vitamin D auf Knochendichte der Hüfte: Funnel- Plot zeigt Publikations-Bias hin zu positiven Effektstärken
Standardfehler
Differenz der Studienergebnisse
modifiziert nach: Lancet 2013, http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736(13)61647–5
Egger’s Test p = 0,005 0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4
In sechs deutschen Kliniken wur- den randomisiert und offen Wirk- samkeit und Verträglichkeit einer stationären Therapie der Mager- sucht mit der Behandlung in einer Tagesklinik verglichen.
Die Magersucht (Anorexia ner- vosa) ist eine schwere psychische Erkrankung mit ausgeprägter Mor- bidität und Sterblichkeit. Weniger als die Hälfte der Betroffenen kann völlig geheilt werden. „Nach bishe- riger Auffassung war bei Patientin- nen und Patienten mit einer schwe- ren Form der Anorexia nervosa eine stationäre Behandlung unumgäng- lich – nicht zuletzt deshalb, weil bei extrem niedrigem Körpergewicht auch die Einsicht in die Notwendig- keit einer Behandlung häufig fehlt und ein stationäres Behandlungs - regime mit dem zum Teil recht einfallsreichen ,Ausweichverhalten‘
der Patientinnen und Patienten bes- ser umgehen kann“, erläuterte Prof.
Dr. med. Dr. phil. Helmut Rem- schmidt, Marburg. Auch europä - ische und US-amerikanische Leit - linien sehen eine stationäre Behand- lung für mäßig schwer bis schwer
erkrankte Jugendliche oder für Pa- tienten ohne Besserung bei am - bulanter Therapie als sinnvoll an.
Die Kosten und Rückfallrate sind bei stationärer Behandlung jedoch hoch. Die Therapie in einer Tages- klinik ist kostengünstiger, und Rückfälle können durch den leich- teren Übergang ins tägliche Leben eher verhindert werden. Daher wur- den in sechs deutschen Kliniken Wirksamkeit und Verträglichkeit ei- ner stationären Therapie mit ei- ner Behandlung in der Tagesklinik in einer randomisierten, offenen Nichtunterlegenheits-Studie vergli- chen.
In die Studie wurden junge Frau- en und Mädchen im Alter zwischen 11 und 18 Jahren mit Anorexia ner- vosa aufgenommen. Randomisiert wurden 85 stationär und 87 in der Tagesklinik mit dem gleichen Be- handlungsprogramm und in der gleichen Intensität behandelt. Pri- märer Endpunkt war die Zunahme des Körpermassenindex (BMI) zwischen Studienbeginn und nach 12 Monaten, adjustiert nach Alter und Krankheitsdauer. Hierbei war THERAPIE DER MAGERSUCHT
Wirksame Behandlung auch in Tageskliniken möglich
M E D I Z I N R E P O R T
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16. Mai 2014 A 895 Das kolorektale Karzinom (KRK) istnach Brustkrebs das zweithäufigste diagnostizierte Malignom in Europa und eine der Hauptursachen für krebsbedingte Todesfälle. Zusätzlich zu Weiterentwicklungen der Chemo- therapie haben sogenannte zielge- richtete Substanzen dazu beigetra- gen, dass sich das Überleben von Pa- tienten mit metastasiertem KRK in den letzten Jahren verbessert hat. Zu ihnen gehören die Antikörper Cetu- ximab und Panitumumab, die an un- terschiedliche Epitope des epider- malen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) binden. Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist, dass Gene des RAS-Signalwegs im Tumor un- mutiert sind (Wildtyp; WT).
In der ASPECCT-Studie* sind 1 010 Patienten mit metastasiertem KRK (KRAS-Exon-2-WT) und Progredienz nach Chemotherapie (Irinotecan, Oxaliplatin, Fluoroura- cil) oder bei Zytostatika-Intoleranz randomisiert worden für einen Kopf-an-Kopf-Vergleich zwischen Cetuximab und Panitumumab (open-label) bezüglich Effektivität und Sicherheit. 499 Patienten aus der Panitumumab-Gruppe und 500 aus der Cetuximab-Gruppe wurden in die Wirksamkeitsanalyse einge- schlossen, fast gleich viele aus bei- den Gruppen in die Sicherheitsana- lyse. Ziel war, die Nichtunterlegen- heit von Panitumumab gegenüber Cetuximab nachzuweisen (≥ 50 % CHEMOTHERAPIEREFRAKTÄRER DARMKREBS
Panitumumab ist vergleichbar effektiv wie Cetuximab
des Therapieeffektes von Cetuxi- mab). Der primäre Endpunkt war das Gesamtüberleben.
Das mediane Gesamtüberleben betrug 10,4 Monate unter Panitu- mumab (95-%-Konfidenzintervall [KI] 9,4–11,6) und 10,0 Monate un- ter Cetuximab (95-%-KI 9,3–11,0;
Hazard Ratio [HR] 0,97). Die In - zidenz therapiebezogener uner- wünschter Ereignisse war ähnlich in beiden Gruppen, in beiden Ar- men mussten bei circa jedem drit- ten Teilnehmer die Medikamenten- dosierungen wegen unerwünschter Effekte reduziert werden. Infusions- reaktionen traten seltener unter Pa- nitumumab auf als unter Cetuximab (14 vs. 63 %; Grad III/IV: < 0,5 vs.
2 % Panitumumab vs. Cetuximab), allerdings war Hypomagnesiämie (Grad III/IV) häufiger unter Panitu-
*ASPECCT: A study of panitumumab efficacy and safety compared to cetuximab
GRAFIK
Überleben bei chemotherapierefraktärem metastasiertem kolo- rektalem Karzinom (KRAS-Wildtyp) unter Anti-EGFR-Therapie
Gesamtüberleben (%)
Monate
modifiziert nach: Lancet Oncology 2014; http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(14)70118-4
Hazard Ratio 0,97;
95-%-Konfidenzintervall 0,84−1,11 100
80
60
40
20
0 0
2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Cetuximab
Panitumumab
mumab als unter Cetuximab (7 vs.
3 %). Die meisten Todesfälle waren tumorbedingt.
Fazit: Die Behandlung mit Panitu- mumab ist bei chemotherapiere- fraktären Patienten mit metastasier- tem KRK (KRAS-Exon-2-WT) vergleichbar wirksam wie die Gabe von Cetuximab, es gibt allerdings Unterschiede in den Toxizitätspro- filen Grad III/IV. Die Substanzen seien bei diesen Patientengruppen vergleichbar effektiv, und die Wahl könne anhand der Toxizitätsprofile erfolgen, resümieren die Autoren.
Im Editorial (2) wird allerdings dar - auf verwiesen, dass sich aus einer retrospektiven Subgruppenanalyse der PRIME-Studie (3) eine Asso- ziation zur Unwirksamkeit einer Anti-EGFR-Therapie (Panitumu- mab) zusätzlich bei Mutationen in den KRAS-Genexonen 3 und 4 und im NRAS-Gen (Exon 2 bis 4) erge- ben habe, so dass die Effektivität von Panitumumab und Cetuximab noch einmal nach molekulargeneti- scher Analyse dieser weiteren Sub- gruppen verglichen werden sollte.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
1. Price TJ, et al.: Panitumumab versus cetuxi- mab in patients with chemotherapy-re- fractory wild-type KRAS exon 2 metastatic colorectal cancer (ASPECCT): a randomi- sed, multicentre, open-label, non-inferiority phase 3 study. Lancet Oncology 2014;
http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045 (14)70118-4.
2. Waddell T: Targeting EGFR in colorectal cancer: beyond KRAS exon 2. Lancet Onco- logy 2014; http://dx.doi.org/10.1016/
S1470-2045(14)70136-6.
3. Douillard JY, Oliner KS, et al.: Panitumu- mab-FOLOFOX4 treatment and RAS muta- tions in colorectal cancer. NEJM 2013;
369: 1023–34.
die Behandlung in der Tagesklinik der stationären Therapie nicht un- terlegen, der BMI nahm sowohl in der modifizierten Intention-to-treat- Analyse als auch in der Per-Proto- koll-Analyse in beiden Gruppen vergleichbar zu. Therapieassoziierte schwere unerwünschte Wirkungen waren in beiden Studiengruppen ähnlich häufig (8 in den stationären Gruppen, 7 in der Tagesklinik- Gruppe).
Fazit: Eine Magersucht bei Jugend- lichen lässt sich in einer Tageskli- nik ebenso effektiv, aber kostenspa- render behandeln wie stationär.
Diese multizentrische Studie sei be- merkenswert, kommentiert Rem- schmidt. „Die gleichermaßen er- folgreiche Therapie in der Tageskli- nik ist nicht nur kostengünstiger, sondern dürfte auch die Therapie- motivation der Patientinnen und Pa- tienten fördern. Darüber hinaus ver-
hindert sie die oft schmerzliche Trennung von der Familie. Es wäre interessant zu erfahren, wie stabil der Erfolg der beiden Behandlungs- regime nach zwei bis drei Jahren ist.“ Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
Herpertz-Dahlmann B, et al.: Day-patient treatment after short inpatient care versus continued inpatient treatment in adolescents with anorexia nervosa (ANDI): a multicentre, randomised, open-label, non-inferiority trial.
Lancet 2014; 383: 1222–9.