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Zur Hammurabi-Kritik.
I.
Von D. H. Mttller.
Herr Prof. Dr. Zimmem hat in der Anzeige meines Hammurabi-
Buches in dieser Zeitschrift (Bd. 58, S. 956) es ausgesprochen, daß er
nicht gern eine Veranlassung zu einer Kontroverse MüUer-Zimmem
in Sachen der Gesetze Hammurabi's bieten möchte. Er hat aber
in dieser kurzen Anzeige so manches gesagt und so manches nicht
gesagt, daß ich mich deshalb gezwungen sehe, einige Bemerkungen
darüber zu machen.
Zunächst quittiere ich Kompliment mit Kompliment. Die
Bezension ist äußerst „geschickt" und bedachtsam gemacht, um den
„Outsider" die ganze Überlegenheit des „zünftigen Assyriologen' fühlen zu lassen.
Zimmem sieht sich gezwungen „Bei der Übersetzung imum-
wunden zuzugestehen, daß die Erfassung des syntaktischen Zu¬
sammenhanges infolge von Müller's Beobachtung über den Gebrauch
und die eigentliche Bedeutung des postpositiven -ma beim Verbum,
sowie von u zwischen zwei Sätzen bei ihm schärfer und richtiger
ist, als bei seinen Vorgängern nnd Nachfolgern" (S. 955, oben).')
1) Wenn Zimmern sagt: „DaQ man deslialb mit Hüller nun alle ma-
Sätze durch „nachdem*, „indem", „sobald" u. s. w. auflösen müßte, soll damit nicht befürwortet werden", so gebe ich zu, daß meine Ubersetzung im Deutschen oft äußerst schwerfällig klingt. Wenn man aber die Wahi hat ungenau oder schwerfällig zu übersetzen, muß man sich für das letztere entschließen, umso¬
mehr als es eine Erkenntnis zu sichern galt, die zwanzig Jahre unbeachtet ge¬
blieben ist.
Noch viel weniger kann ich seinen Vorschlag billigen (trotzdem es bisher alle Übersetzer so gehalten haben), das babylonische Präsens nicht durch deutsches Präsens, sondern nuanciert durch „wird", „darf", „soll", „kann" zu Ubersetzen.
Heines Eracbtens hat der Übersetzer, insbesondere eines juristischen Textes, die Pflicht, dem Leser den Text möglichst unverändert zu geben und ihm die Interpretation der Textworte zu überlassen. Da im Babylonischen stets das Präsens ohne Nuance steht, so ist kein Grund vorhanden es im Deutschen anders zu macben. Zwei hervorragende Juristen billigten aus sachlichen Gründen meine streng wörtliche Übersetzung, insbesondere aber die Wiedergabe dnrch das Präsens.
Bd. LIX. 10
146 D. H. Müller, Zur Hammurabi-Kritik.
Um aber die Bäume nicht in den Himmel wachsen zu lassen,
fährt er also fort:
„Hat so in diesen beiden syntaktischen Punkten der outsider
. . . . den zünftigen Assyriologen in der Tat etwas gelehrt, so war
natürlich im übrigen von vomherein kaum zu erwarten, daß Müller
einzelne besondere Schwierigkeiten des Textes der Hamurabi-
Gesetze seinerseits nun beheben würde. Wo die Vorgänger nichts
bieten, versagt im allgemeinen auch bei ihm die Erklärung, und
wo die Vorgänger Pehler, z. T. direkte starke Verstöße gegen die
Grammatik aufweisen, finden wir sie mehrfach auch bei Müller.'
Dieses Urteil Zimmern's ist ebenso unrichtig als ungerecht, und
das was er zur Begründung dieser Thesen anführt, ist absolut un¬
zureichend es zu beweisen. Er führt im ganzen drei Pälle an,
von denen der eine § 141 e-si-ib-Sa inzwischen von Schorr, der
dritte re-qu-zu (§ 191) von Delitzsch richtig gestellt worden sind.
Ein grammatischer Pehler ist nur e-.n-ib-Sa (Inf), re-qu-zu ist eine
glückliche Konjektur, die nicht gemacht zu haben niemand vor¬
geworfen werden darf. Daß bibbulum , d e n Ertrag" übersetzt
wurde (§ 48), ist nicht so schrecklich, denn trotz aller Regelmäßig¬
keit im Kasusgebrauch bei Hammurabi kommen Ausnahmen vor.
Wenn a-wi-lum (§ 7 und 120) Genitiv sein kann, kann auch bibbulum
als Akk. gefaßt werden. Ich gebe übrigens ohne weiteres zu, daß die
Stellen unrichtig von mir übersetzt worden sind. Dies kann aber
auch den zünftigen Assyriologen passieren und ist ihnen allen vor
und nach mir passiert. Dagegen ist die Behauptung Zimmern's :
„Wo die Vorgänger nichts bieten, versagt auch bei Müller im all¬
gemeinen die Erklärung' ganz falsch. So habe ich zuerst die Be¬
deutung von li-e-it „Ohrfeige" und neben Job. Jeremias die von
nStaSanna „verdoppeln" bestimmt. Daß ir-ri-su-ma (§ 47) nicht
Substantivum ist, sondem Jussiv, ist ebenfalls von mir zuerst er¬
kannt worden. Meine Bestimmung der Bedeutung von nibutum
(§ Ilff.), inu (hebr. "jiN), bi-ka-zu (§ 256) und viele andere Etymo¬
logien mögen Herrn Zimmern gefallen oder nicht — ein Recht
mich zu schulmeistern kann ich ihm nicht zuerkennen.
Es ist auch unrichtig , daß ich nur „in diesen beiden
syntaktischen Punkten den zünftigen Assyriologen etwas
gelehrt habe". Die Peststellung der Wortfolge bei Hammurabi
ist mindestens von gleicher Wichtigkeit. Der , outsider' hat auch
die fehlenden §§ 98—99 etc. mit nahezu mathematischer Sicherheit
ergänzt, was freilich nicht mehr zur „sprachlichen Seite" meiner
Arbeit gehört; dagegen hat er allerdings, wie Zimmern mit Recht
behauptet, die Ideogramme in § 274 nicht bestimmen können. Wenn
ich aber zu all dem, was ich über Hammurabi gemacht habe, auch
das getan hätte , was wäre dann für Assyriologen wie Zimmern
übrig geblieben, die ihren ganzen Sammelfieiß durch Dezennien auf
diese Dinge richten? —
Für die Bestimmung dieser Ideogramme bin ich Prof. Zimmern
D. H. MiUler, Zur Hammurabi-Kritik. 147
sehr dankbar, da ich schon in allernächster Zeit Gelegenheit haben
werde sie .geschickt' zu verwerten.
Es ist Zimmem anch gelungen ein von mir übersehenes U im
§170 zu finden. Wäre ich nicht zufällig derjenige, der das u
überhaupt entdeckt hat, so wäre mir der Vorwurf nicht erspart
geblieben, daß ich einen „starken grammatischen Verstoß' ge¬
macht habe.
Ganz besonders wundert es mich, daß Herr Zimmern nicht mit
einem Worte meinen Exkurs „Die sumerischen Familiengesetze und
die Adoptions Verträge' gestreift hat. Ich glaube hierin eine alte
Schuld der Assyriologen gesühnt und das Verständnis schwieriger
Stellen erschlossen zu haben. Die Sache ist um so wichtiger, als
Winckler jüngst (nach dem Erscheinen meines Buches) die alto
Übersetzung der sumerischen Gesetze 3 und 4 wiederholt hat und
Friedrich Delitzsch in seinem dritten Vortrag über Bibel und Babel
S. 12 unten diese Gesetze mit den Psalmen vergleicht — die Ver¬
gleichung paßt aber, wenn meine Auffassung richtig ist, durch¬
aus nicht.')
Man hätte erwartet, daß Zimmern in Bezug auf die sumerischen
Gesetze und die Adoptions Verträge, wo es sich um „direkte starke
Verstöße gegen die Grammatik handelt', die ich nachgewiesen habe,
sich kompetent genug fühlte, um ein maßgebendes Urteil abzugeben.
In einer Note (S. 955) weist Zimmern darauf hin, daß nament¬
lich Jensen in seinen Übersetzungen in KB. VI, 1 die »na-Sätze
öfter in der Weise von Nebensätzen gefaßt hat. Ich muß dagegen
bemerken , daß ich seit Monaten eine kurze Abhandlung über die
Syntax des GilgameS-Epos liegen habe, woraus die folgenden stati¬
stischen Daten hier raitgeteilt werden raögen.
Es koramen im Epos rund 60 wa-Sätze vor und nur in 9 Fällen
faßt Jensen solche als Nebensätze auf, meistens bei dem Worte i-mur-
ma „als er sah" (S. 120 Z. 45; S. 122, 23; S. 124, 43; S. 120, 6
und S. 204, 10). Außerdem noch in andern 4 Fällen S. 120, 46;
S. 128, 40; S. 130, 27 und S. 170, 75). Wenn man die Stellen
vergleicht, so wird man finden, daß kein zwingender Grund vor¬
liegt , gerade hier die wia-Sätze anders aufzufassen als in den
übrigen 50 Fällen und daß nicht die Erkenntnis der Bedeutung von
-ma, sondem das deutsche Stilgefühl Herrn Jensen bestimmt
hat, diese Sätze so zu übersetzen. Man sagt im Deutschen lieber:
,Als er dies sah, sprach er" und nicht: „Er sah dies und sprach".
1) Die Assyriologen übersetzen Gesetz 3 (und ähnlicli Gesetz 4): „Wonn ein Vnter zu seinem Sohne spricht: „Du hist nicht mein Sohn', wird er (der Sohn!) Haus und Hof verlassen". Dagegen übersetze ich: „er (der Vater)" und im Gesetz 4 „sie (die Mutter)". Ich beweise dies durch eine Ueihe von Stellen, von denen hier nur eine angeführt werden soll: „Wenn H. und II. (Vater und Mutter) zu ihrem Sohne sprechen: „Nicht bist du unser Sohn", werden sie (dio Eitern) Haus und Hof verlassen". — Bis jetzt hat man „wird er (der Sohn)' übersetzt, obwohl ausdrücklich das Vorbum im Plural (i-te-lu-u) stoht.
148 D. H. Müller, Zur Hammurabi-Kritik.
Ein ähnlicher Grund liegt auch bei den übrigen 4 Sätzen vor.
Freilich hat Jensen dies nicht konsequent durchgeführt.
Einen Beweis dafür, daß es nicht wirkliche Erkenntnis war,
bietet eine ßeihe von Sätzen , die erst recht verständlich werden,
wenn man -ma richtig deutet, wo aber Jensen gerade -ma durch
„und' übersetzt. Zwei Sätze mögen hier mitgeteilt werden.
Ich gebe hier Transkription und Übersetzung genau nach Jensen,
GilgameS-Epos , Taf. I, Kol. II, Z. 39 ff. (S. 120), nur daß ich ma
durch Fettdruck hervorhebe:
(39) [i]t-tt sahäti-tna ik-ka-la äam-mi (40) it-ti b(p)u-lim maä-ka-a it-(t, d)i{a)p-pa{i)r (41) it-ti nam-maS-si-i mi i-tab libba{-ba)-Su
Mit den Gazellen zusammen frißt er Kraut,
Mit dem Vieh zusammen sättigt er sich mit der Tränke,
Mit dem Gewimmel des Wassers zusammen ist sein Herz wohl.
Ich dagegen übersetze :
D a er mit den Gazellen zusammen Kraut frißt.
Sättigt er sich mit dem Vieh zusammen an der Tränke,
Wird vom Gewimmel des Wassers sein Herz wohl.
Der Sinn ist nämlich der: Es soll erklärt werden, warum Ea¬
bani an der Tränke mit dem Vieh zu finden ist, und da wird gesagt :
Er ist kein Tier, sondern ein Sprößling der Götter, er ist aber
so beschaffen , daß er mit den Tieren sich herumtreibt , mit ihnen
frißt und also auch mit ihnen zur bestimmten Zeit zur Tränke geht.
Daß meine Auffassung richtig ist , geht aus folgender Stelle
hervor :
Es kommt das Vieh, trinkt die Tränke,
Es kommt des Wassers Gewimmel (und) dessen Herz ist wohl.
Dann heißt es weiter: Tafel I, Kol. IV (S. 124):
(2) u iu-u (ilu) IN-KI-bani i-lit-ta-su Sa-du-um-ina
(3) it-ti ,wbäti-ma ik-ka-la samma
(4) it-ti b{p)u-lim maä-ka-a i-sat-ti (5) it-ti nam-mas-si-i vii i-tab libba-{bd)-Su
Während') er /a-bani, (d)essen Ausgeburt der Berg.
Mit den Gazellen zusammen Kraut frißt,
Mit dem Vieh zusamraen die Tränke trinkt.
Mit dera Gewimmel des Wassers zusammen sein Herz wohl ist.
Richtig ist dagegen:
Auch er Ea-bani, da seine Ausgeburt der Berg ist
(Und) da er mit den Gazellen zusammen Kraut frißt,
1) Jensen Ubersetzt u zvrischen zwei Sätzen meistens ,und', bisweilen .während' — beides ist unrichtig.
1 7 «
D. H. MiUler, Zur Hammurabi-Kritik. 149
Trinkt er mit dem Vieh zusammen aus der Tränke,
Wird mit dem Gewimmel des Wassers sein Herz wohl.-)
Es verhält sich also mit dem ma bei Jensen ganz so wie bei
Meißner, der ebenfalls in einigen Pällen ma „wenn" übersetzt, aber
gerade dort, wo das Verständnis es gefordert hat, wieder das un¬
glückliche ,und" eingesetzt hat. (Vgl. mein Hammurabi S. 257 ff.)
Was ich hier ausgeführt habe, ist nicht pro domo zum Schutze
meiner Priorität, da ich bereits im Jahre 1884 meine These über
die Bedeutung von ma scharf formuliert habe , zu einer Zeit , da
Meißner und vielleicht auch Jensen die Keilschrift noch nicht haben
lesen können. Es gilt aber den Tatbestand festzustellen, der nicht
verdunkelt werden darf.
Zimmem hebt femer hervor, daß „auch ll in der Bedeutung
„auch" bisher nicht so völlig unbekannt war (s. z. B. Delitzsch
Handw. 1)". Dagegen muß ich betonen, daß die von Delitzsch an¬
geführten Stellen durchaus nicht konkludent sind. An allen diesen
und ähnlichen Stellen paßt „und" ebensogut wie „auch". Erst wenn die Tatsache festgestellt wird, daß zwischen zwei streng koordinierten
Sätzen U niemals vorkommt, wie ich es bei Hammurabi bewiesen
habe, erst dann kann man sagen : U muß, wenn es zwischen zwei
Sätzen steht, eben eine Steigerung bedeuten und „auch" heißen.
Zimmern, der seine Priorität so eifersüchtig wahrt (vgl. S. 954
Note 1), wird es verstehen, daß sich der „Outsider" seine Punde
nicht gern nehmen läßt.
Es wird Niemand behaupten wollen, daß die Rezension Zimmem's
auch nur eine Spur von Wohlwollen zeigt. Wenn er sich trotzdem
gezwungen sieht nicht nur den Wert meiner Ubersetzung anzu¬
erkennen , sondern auch mit mir gegen Kohler es für sehr wahr¬
scheinlich hält, „daß das Hammurabi-Gesetz nicht nur mit den
israelitischen, sondem auch mit den altrömischen Gesetzen in wirk¬
lichem historischem Zusammenhange steht" (S. 956, unten), so wird
man erkennen, daß die Wahrheit sich trotz aller ünter- und Gegen¬
strömungen Bahn bricht.
1) Da ich wohl kaum dazu kommen werde, meinen Artikel übor die
Synta.x das Gilgames-Epos zu veröffentlichen, so will ich hier kurz noch die Fälle verzeichnen, wo in der dritten Person Sing, die Mask. -Form für das Fem.
steht: S. 120 Z. 33, Z. 34 (drei Formen); S. 12C, IG. 17. 19. 32; S. 166, 6;
S. 170, 81; S. 172, 82. 92. 107; S. 176, 174. Dagegen ist das Fem. beibehalten S. 170, 72 (ti-pa-a).
150 Zimmern, Zur Hammurabi-Kritik.
IL Von U. Zlmmeru.
Zunächst komme ich gern der von Herrn Hofrat Prof. Dr.
Müller im Vorstehenden implicite ausgesprochenen Aufforderung
nach, die mir in seiner Übersetzung der Hammurabi-Gesetze be¬
gegneten Fälle von Verstößen gegen die assyrische Grammatik noch
durch weitere Beispiele zu belegen: § 13 Z. 16 fF.: da-a-a-nu . .
. . . {-Sa-ak-ka-nu-Sum-ma ,der Richter bestimmt' statt ,die
Richter bestimmen". — § 16 Z. 47: be-el biti Su-u ,der
Herr dieses Hauses" statt „dieser Hausherr". — § 52 Z. 5f. : ri- ik-sa ti-Su u-ul in-ni »wird sein Vertrag nicht ungültig" statt ,es
macht seinen Vertrag nicht ungültig". — § 53 Z. 15: ugaru me-e
uS-la-bil .die Peldflur vom Wasser überschwemmt wird" statt
,er hat die Peldflur mit Wasser überschwemmen lassen" ; ähnlich
§55 Z. 36; § 56 Z. 42. — § 65 Z. 73: bi-il-tam um-ta-di ,der
Ertrag zurückgeht' sl^tt ,den Ertrag vermindert' ; ähnlich g 108
Z. 21. — § 104 Z. 43f : Sa i na ad-di-nu »das er ge¬
geben hat' statt »das er gibt". — § 109 Z. 30 f: sa-ar-ru-
tim la i^-sa-ab-tu-ma »nachdem die Verschwörer nicht fest¬
genommen worden sind' statt .nachdem sie die Verschwörer nicht
festgenommen hat' (lies is-.fa-ab-tam-ma). — §137 Z. 82: u-ta-
ar-ru-Si-im .stellt er zurück" statt .stellen sie (stellt man) zurück'.
— ibid. Z. 12 f: mu-tu li-ib-bi-Sa i-i^-ha az-zi .den Mann ihres
Herzens wird sie heiraten' statt .der Mann ihres Herzens kann
sie (-Si) heiraten' ; ebenso § 156 Z. 16 f; § 172 Z. 39 f; vgl. auch
§ 161 Z. 75—77: »seine Prau darf seinen Preund nicht heiraten".
— §141 Z. 47: i-iz-ei-ib-si .hat er sie entlassen" statt .wird
(mag) er sie entlassen". — §151 Z. 41f. : be-el Jiu-bu-ul-li-Su . .
. . . u-ul i-sa-ba-tu .wird sein Gläubiger nicht fassen" statt
.werden seine Gläubiger nicht fassen" ; entsprechend ibid.
Z. 50 f — § 159 Z. 44 f.: mi-im-ma Sa ib-ba-ab-lu-Sum .alles, was
er ihm zugeführt hat" statt .alles, was ihm zugeführt worden ist" ;
entsprechend § 160 Z. 56 f; § 161 Z. 71f — § 165 Z. 44 f: ki-
iS-ti a-bu-um id di-nu-Sum .geben sie ihm das Geschenk des Vaters"
statt .das Geschenk, das der Vater ihm gegeben hat". — § 168
Z. 13: a-na da-a-a-ni .zum Richter" statt .zu den Richtern";
ibid. Z. 15ff'. : da-a-a-nu i-par-ra-su-ma .der Richter
Untersucbung pflegt' statt „die Richter Untersuchung pflegen".
— § 169 Z. 31: pa-ni-Su ub-ba-lu .wird er ihm verzeihen' statt
.werden sie ihm verzeihen". — § 267 Z. 83: kaz-za-tam u.S-tab-Si .ein Schaden entsteht" statt .einen Schaden entstehen läßt". —
Absichtlich nicht aufgenommen sind in vorstehender Liste, die ohne¬
dies nicht Anspruch darauf macht, erschöpfend zu sein, eine Reihe
von Fällen, in denen zwar, genau genommen, die MüUer'sche Über-
Zimmern, Zur Hammurabi- Kritilc. 151
Setzung der grammatischen Konstruktion des babylonischen Textes
ebenfalls nicht gerecht wird, wobei es sich jedoch, wie z. T. auch
die beigefügte hebräische Übersetzung erkennen läßt, nur um eine
freiere Wiedergabe handelt (Ersetzung einer passiven Konstruktion
durch eine aktive und ähnliches). Unverständlich geblieben ist mir,
was Müller mit den Worten „re-qu-zu [lies re-ku-zu] ist eine glück¬
liche Konjektur" meint. Nennt Müller etwa die Lesung des Zeichens
Jti als rt statt tal eine Konjektur V ! Gern gebe ich übrigens zu,
daß mit Leichtigkeit eine gleiche, ja z. T. eine noch weit längere
Liste von Verstößen gegen die Regeln der assyrischen Grammatik
bei den von Assyriologen, die eben nicht immer zugleich auch gute
Grammatiker sind, angefertigten Übersetzungen der Hammurabi-
Gesetze aufgestellt werden könnte, und zwar nicht nur bei den
ersten Übersetzungen, sondern leider auch bei den aus der jüngsten
Zeit stammenden. Doch lag es mir bei meiner obigen Rezension
nicht ob , die Übersetzungen der Hammurabi-Gesetze von Scheil,
Winckler, Johns, Peiser, Harper und abermals Winckler zu kriti¬
sieren, sondern nur eben die MüUer'sche. Und da glaube ich durch
die Worte ,wo die Vorgänger Pehler, z. T. direkte starke Verstöße
gegen die Grammatik aufweisen, finden wir sie mehrfach auch bei
Müller' nach den im Vorstehenden gegebenen weiteren Beispielen
kein „unrichtiges' und „ungerechtes' Urteil abgegeben zu haben;
zumal gerade icb, im Gegensatz zu mehreren assyriologischen Rezen¬
senten des Müller'schen Buches, seine Verdienste um die Erfassung
des syntaktischen Zusammenhangs der Hammurabi-Gesetze unter
voller Anerkennung seiner Aufstellungen über -ma und u gebührend
hervorgehoben habe. Ist aber eine solche Aufstellung für den einen
Pall richtig, so ist sie es natürlich auch für den andem. Es er¬
scheint daher überflüssig, in Bezug auf jeden anderen Text, wo sich
dasselbe nachweisen läßt, also beispielsweise die sog. sumerischen
Familiengesetze, Herrn Müller, wie er es zu erwarten scheint, aus¬
drücklich von neuem Bewunderung für diese seine Beobachtung zu
zollen. Übrigens bestätige ich ihm an dieser Stelle auf Wunsch
gem, daß seine Beziehung des 3. und 4. sog. Familiengesetzes auf
Vater und Mutter statt auf den Sohn richtig ist.
Was Müller in breiter Ausführung gegen die erste Hälfte
meiner Anmerkung auf S. 955 einwendet, erledigt sich einfach durch
die von ihm nicht gleichzeitig herangezogene zweite Hälfte dieser
Anmerkung. Im übrigen mag Müller die Interpretation der von
ihm behandelten Stelle aus dem GilgameS-Epos mit Jensen selbst
ausmachen , auf dessen Schultern er ja doch völlig bei der Er¬
klärung des Textes des GilgameS-Epos steht. Hier tritt eben, wie
bei den Hammurabi-Gesetzen , der tiefere Grund dafür zu Tage,
warum ich und mit mir wohl die meisten Assyriologen der unserm
Gebiet zugewandten Tätigkeit Müller's, wie ebenso mancher anderer
Semitisten, die das Assyrische nur im Nebenfach mit betreiben, nur
mit gemischten Gefühlen zuzusehen vermögen. Obwohl nämlich
152 D. H. Muller, Zur Hammurabi-Kritik.
eine derartige Tätigkeit nicht völlig in der Assyriologie drinnen
stehender Semitisten naturgemäß erst dann einsetzen kann, nachdem
andere die schwere Pionierarbeit getan und einen schön transskri¬
bierten und übersetzten Text vorgelegt haben, so gewinnen doch
leicht namentlich etwas Pemerstehende den Eindruck, als wenn die
ganze Sache erst durch das Eingreifen der Genannten auf die
richtige Grundlage gestellt würde, während es sich in Wirklichkeit
doch nur daram handelt, daß einige von den Vorgängem nicht be¬
achtete Pinessen aufgezeigt werden. So , auf den Schultern ihrer
Vorgänger stehend, zu arbeiten ist das gute Eecht der Genannten.
In gleicher Weise aber ist es nicht nur das gute Eecht, sondern
die Pflicht des assyriologischen Kritikers, der die Dinge genauer
übersieht, Verdienst gegen Verdienst genau abzuwägen und die
Ehre dem zuzuerkennen, dem sie in Wirklichkeit gebührt, un¬
bekümmert darum, daß seine Kritiken in diesem PaUe dann leicht
jede „Spur von Wohlwollen' vermissen zu lassen scheinen.
Den meisten der von Müller vorgebrachten neuen Etymologien,
auf die er sich besonders viel zu gute zu tun scheint, stehe ich
nach wie vor sehr skeptisch und z. T. direkt ablehnend gegenüber,
ohne daß ich auf die Einzelheiten hier eingehen kann.
Was endlich die am Schluß von Müller's Entgegnung berührte
Zustimmung von mir zu den sachlichen Resultaten seines Buches
betrifft, so möchte ich ausdrücklich hervorheben, daß diese meine
Zustimmung doch nur eine sehr bedingte ist. Wie ablehnend
z. B. ein anerkannt hervorragender Eechtshistoriker über die rechts¬
vergleichende Seite in Müller's Arbeit, sofem sie das syrisch-römische
Eechtsbuch betrifft, urteilt, mögen die Leser dieser Zeitschrift aus
L. Mitteis' Artikel „Das syrisch-römische Eechtsbuch und Hammurabi' in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Eechtsgeschichte, Bd. XXV,
Eom. Abt., 1904, S. 284—297 ersehen.
[D. H. Müller hat mir zu der voranstehenden Eeplik Zimmern's
noch eine Eeihe von Bemerkungen geschickt, die ich mit Zimmern's
Zustimmung hier noch folgen lasse:
„Alle von Herm Zimmern zusammengestellten Verstöße
meiner Hammurabi-Übersetzung sind mit geringer Ausnahme ent¬
weder evidente Versehen oder freie Wiedergabe des Textes. So
z. B. sind alle Stellen, wo ich da-a-nu „der Eichter' (sing.) statt
„die Eichter' (plur.) übersetzt habe, unzweifelhaft Versehen, da ich
ausdrücklich sage, daß da-a-nu Plur. ist und es auch an einigen
Stellen so übersetze, wobei ich mich noch auf die Autorität Zimmern's
berafen habe.') Sehr oft war es die deutsche Wendung, die mir
1) Herr Zimmern Itennt diese Tatsache und fiihrt sie auf S. 954 Note 1 an.
D. H. Müller, Zur Hammurabi-Kritik. 153
an der betr. Stelle besser zn passen schien, weshalb ich z. B. „die
Frau den Geliebten ihres Herzens heiraten lasse'. Sehr merkwürdig
ist es, daß mir auch die Übersetzung von be-el hu-bu ul-li-su durch
Singular als Verstoß angerechnet wird, da diese Tatsache, die durch¬
aus nicht auf der Hand lag, erst von Dr. Ungnad erschlossen worden
ist. Ich kann Herrn Zimmern versichern, daß ich in einer Arbeit
über Hammurabi, die zu Ostern ausgegeben werden wird, alle diese
Dinge und weit ernstere Versehen , die auch Herrn Zimmern ent^
gangen zu sein scheinen, verbessert habe.
Der Ausdruck „Konjektur' ist etwas ungeschickt, ich setze
dafür „ein glücklicher Einfall'. Es fällt mir nicht ein gegen sach¬
liche Ausstellungen empfindlich zu sein, ich erwartete von Herrn
Z. eine große Eeihe von Verbesserungen im Interesse der Sache
und war sehr enttäuscht und bin es auch noch, daß Herr Zimmern
so wenig und so Unwesentliches ausstellen konnte und begrüßte
deshalb die Bestimmung der drei Ideogramme dmxh Zimmem im
§174 mit großer Freude.
Was ich als „unrichtig' und „ungerecht' bezeichnet habe und
noch bezeichne , ist die allgemeine Fassung des Urteils , wobei
Z. es auch unterläßt das Schlußdiktum seines Urteils zu erweisen:
„Wo die Vorgänger nichts bieten, versagt im allgemeinen auch bei
ihm die Erklärung' — eine Behauptung, die ganz falsch ist.
Herr Zimmem täuscht sich, wenn er meint, daß ich nach
„Bewunderung' von seiner Seite geize; ich habe nur deshalb auf
die sumerischen Familiengesetze und Adoptionsverträge hingewiesen,
weil meine Beobachtungen über dieselben nach einer anderen
Eichtung als nach u und ma gingen und weil sie einen lauten
Protest gegen sein allgemeines Urteil enthalten.
Wenn mich HeiT Z. in Bezug auf das GilgameS-Epos an Herm
Jensen weist, so kann ich ihm sagen, daß ich diese Tatsache und
noch eine andere vor Monaten Herrn Jensen mitgeteilt habe mit
dem Bemerken, daß diese Mitteilungen bei ihm, dem vortrefi'lichen
Kenner des Epos, am besten aufgehoben sind. Nur weil Z. Herrn
Jensen in die Debatte gezogen hat, mußte ich dies öffentlich
aussprechen.
Nicht nur ich, sondern auch Herr Z. und die andem Assyrio¬
logen stehen auf den Schultern ihrer Vorgänger und es tut mir
im Interesse der Wissenschaft leid, wenn „Z. und mit ihm wohl
die meisten Assyriologen der ihrem Gebiet zugewandten Tätigkeit
Müller's, wie ebenso mancher anderer Semitisten, die das Assyrische
nur im Nebenfach mit betreiben, nur mit gemischten Gefühlen zu¬
zusehen vermögen'.
Ich gestehe , daß wir Semitisten uns über jede Förderung
freuen , die den semitischen Studien von Seiten der Assyriologen
zu teil wird. Wenn mancher Assyriologe in die Bibel und in die
altarabischen Dichter hineinredet und dabei einen unvokalisierten
hebräischen oder arabischen Text nicht zu entziffern vermag, so ver-
154 D. H. Müller, Zur Hammurabi-Kritik.
bessern wir die Fehler, die er im Hebräischen, Arabischen, Phöni¬
kischen etc. macht, stillschweigend und lernen aus dem von ihm
beigebrachten Material.
Ich muß hier noch gegen den Ausdruck „Finessen* protestieren.
Wenn Barth z. B. die Form naqtal als maqtal erklärt etc. oder
wenn ich die Bedeutung von ma und u feststelle und den Hammu¬
rabi interpretiere, so sind dies keine „Finessen' — es gibt außer
den Schriftzeichen und den grammatischen Pormen in dieser Welt
noch etwas, was man nicht als Finessen bezeichnen darf.
Daß ich mich übrigens als durchaus „auf den Schultern anderer
stehend' betrachte, möge folgende Stelle aus meiner ersten Notiz
über Hammurabi') beweisen: „wobei ich nicht umhin kann schon
hier meine Bewunderung für die großartige Leistung des ersten
Herausgebers und Entzifferers dieser Gesetze, des Professors V. Scheil
in Paris, zum Ausdrucke zu bringen und zu bemerken, daß mir
auch die deutsche Übersetzung H. Winckler's gute Dienste ge¬
leistet hat'.
Herr Z. bemerkt schließlich, daß seine Zustimmung zu meinen
sachlichen Resultaten nur eine bedingte sei. Ich habe seine
Worte genau zitiert; es steht ihm aber frei seine Zustimmung
einzuschränken, die Wahrheit wird trotzdem durchdringen.
Sehr bedauem muß ich, daß Z. meine Polemik mit Herrn Prof.
M i 11 e i s heranzieht . Der letztgenannte Gelehrte ist aber in der
Frage des syr.-röm. Rechtsbuches nicht Richter, sondern Partei;
denn ich habe seine Aufstellungen angegriffen, die er verteidigt
Ich darf also sagen: Audiatur et altera pars; meine Antwort an
Mitteis wird bald erfolgen'.
Soweit D. H. Müller. Zimmern schreibt mir dazu:
„Die Angelegenheit scheint mir für die Leser dieser Zeitschrift
so genugsam pro et contra erörtert zu sein, daß ich meinerseits
darnuf verzichte, nochmals das Wort dazu zu ergreifen.'
Damit ist diese Kontroverse für die ZDMG. erledigt.
Der Redakteur.]
1) Auzeiger der Kais. Alcad. d. W. in Wien 1903 S. 79.
155
Zu Matth. VII, 6.
Von J. Oestrup.
In der Bergpredigt Jesu steht der bekannte Ausdruck in Mattb.
VII, 6: , Perlen vor die Schweine werfen' mit seiner auffallenden
Metapher ziemlieh vereinzelt da; es möchte deshalb von Interesse
sein, einige orientalische Parallelen — oder vielmehr Ausdrücke,
welche mit dem genannten eine gewisse Ähnlichkeit darbieten —
anzuführen ; vielleicht kann dadurch auch auf die Redewendung des
N. T. neues Licht geworfen werden.
Der Vers Matth. VII, 6 lautet bekannterweise wie folgt:
„Mrj därs to ayiov rotg Kvßl' iirjds ßdlrjrc rovg fiu^ya^lTag ifi&v e'fiTtQoa&ev r&v lolqav , fiijnoxe Karajtcctijacoaiv amovg iv roig noalv aiz&v, xat GzQacpivreg ^-q^maiv tiftäg.'
Für unsereinen ist dieser Ausdruck „Perlen vor die Schweine
werfen' durch die tausendmalige Wiederholung so geläufig ge¬
worden, daß die Worte jeden befremdenden Klang verloren haben.
Ob das nun aber auch der Fall gewesen ist, als diese Worte zum
ersten Male gesprochen und gehört wurden, kommt mir ziemlich
zweifelhaft vor. ünd was heißt das Polgende: „damit sie nicht
umkehren und euch zerreißen' ? Weiß (Das Matthäusevangelium,
Halle, 1876, pag. 207) erklärt es so, daß die Schweine „im Grimm
über die Täuschung durch die ihnen verächtlich dünkende Gabe
sich von der Gabe gegen den Geber wenden' ; ähnliches auch bei
späteren. Damit ist uns aber, dünkt mir, wenig geholfen ; Schweine,
welche gegen Menschen losfahren und dieselben zerreißen, bloß weil
sie das dargebotene Futter nicbt mögen , sind doch zu sonderbare
Tiere, um ohne eine speziellere Erklärung zugelassen werden zu
können. Solche üngeheuer gehören von rechtswegen der Märchen¬
welt an. Und woher — diese Frage ist in diesem Zusammenhange
für uns die Hauptsache — kommt überhaupt die Idee von Perlen
als Tierfutter?
Anscheinend sehr weit entfernt von dem Gedankenkreise des
N. T. begegnen wir derselben Idee in den orientalischen Volks¬
märchen. In den von Ignäcz Künos in der großen Sammlung
Eadloff's (Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme, VIII)