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FORUM-11-2014-Recht-interessant

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K VB FORUM 11/2014

RecHt inteReSSant 28

D

as ärztliche und psycho- therapeutische Selbstver- ständnis, wie es sich auch in den einschlägigen Berufsord- nungen [1] widerspiegelt, wird von dem Bild des akademischen The- rapeuten, der ausschließlich dem eigenen fachlichen Wissen und Gewissen und dem Wohle des Pa- tienten verpflichtet ist, geprägt.

Die vertragsärztliche beziehungs- weise vertragspsychotherapeuti- sche Realität wird hingegen von einer kaum mehr überschaubaren Vielzahl von Gesetzen, Verordnun- gen und Richtlinien unterschied-

lichster Normgeber bestimmt, die eine am Patientenwohl orientierte Therapieentscheidung aus Sicht vieler Ärzte und Therapeuten zu- nehmend erschweren.

Begriff der „therapiefreiheit“

Allgemein wird unter „Therapiefrei- heit“ (in Anlehnung an § 1 Abs. 2 BÄO) die Freiheit eines Arztes/

Therapeuten verstanden, wei- sungsunabhängig zu entscheiden,

„ ob eine Behandlung erfolgen und

„ welche geeignet erscheinende diagnostische oder therapeuti- sche Methode hierbei ange- wandt werden soll. [3]

Der (Bundes-)Gesetzgeber hat ver- schiedentlich verdeutlicht (so zum Beispiel im Steuerrecht), dass er von einer „professionellen Autono- mie“ der selbstständigen Ärzte und Psychotherapeuten ausgeht, da er deren Tätigkeit – ebenso wie die je- weiligen Berufsordnungen – als

„Freien Beruf“ [4] qualifiziert. Kenn- zeichen eines solchen ist regelmä-

ßig die persönliche, eigenverant- wortliche und fachlich unabhängi- ge Erbringung von Dienstleistun- gen höherer Art.

Erstaunlicherweise mangelt es je- doch ausgerechnet im sonst mit beispielloser Regelungsfreude durch den Gesetzgeber ausgestal- teten Vertragsarztrecht bislang an einer expliziten Legaldefinition des allgegenwärtigen Begriffs der The- rapiefreiheit. Es fehlt insbesonde- re (ergänzend zu der in § 28 Abs. 1 und 3 SGB V erfolgten Beschrei- bung der ärztlichen/psychothera- peutischen Behandlung) eine aus- drückliche Beschreibung dessen, was der Gesetzgeber unter „eigen- verantwortlich und fachlich unab- hängig“ in Bezug auf die ärztliche beziehungsweise psychotherapeu- tische Therapieentscheidung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung versteht.

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Die Therapiefreiheit des einzelnen Arztes/Therapeuten wird durch

Vertragsärzte und -psychotherapeuten treffen tagtäg- lich (lebens-)wichtige Therapieentscheidungen für ihre Patienten. Derem Wunsch nach einer optimalen medi- zinischen Versorgung stehen oftmals Restriktionen

eines mit begrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Gesundheitssystems entgegen. Dieser Beitrag soll die rechtlichen Grundlagen der Therapiefreiheit skizzieren und schlaglichtartig ausgewählte Beschränkungen dieser Freiheit im System der vertragsärztlichen Versorgung darstellen.

RecHtLicHe aSPeKte deR tHeRaPie-

FReiHeit

RECHT INTERESSANT

„Ich werde ärztliche Verord- nungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fä- higkeit und meinem Urteil, hü- ten aber werde ich mich da- vor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwen- den.“ [2]

Hippokrates, um 460 bis 370 v. Chr.

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29 RecHt inteReSSant

die im Grundgesetz garantierten Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG) geschützt.

Sie ist kein Privileg des Arztes/The- rapeuten, sondern stellt zwangs- läufig, da sie unter anderem auch grundrechtliche Freiheiten des je- weiligen Patienten betrifft, ein fremdnütziges Recht dar, das es dem Arzt/Therapeuten erlauben soll, nach pflichtgemäßem und ge-

wissenhaftem Ermessen im Einzel- fall diejenigen Maßnahmen zu wäh- len, die nach seiner Überzeugung die besten Wirkungen für den Pa- tienten erwarten lassen. [6]

Eine Therapiefreiheit in dem Sin- ne, dass Untersuchungs- oder Be- handlungsmaßnahmen beliebig und ohne Begrenzung eingesetzt werden können, kennt das Verfas- sungsrecht jedoch nicht. [7] Frei- heitsrechte werden rechtlich gesi- chert, geformt und beschränkt durch die im Grundgesetz garan- tierten Grundrechte, durch die Rechte anderer sowie die Prinzipi- en von Bundesstaat, Demokratie und sozialem Rechtsstaat. Die Therapiefreiheit kann somit kein absolutes Individualrecht sein, son- dern erfordert eine soziale Einbin- dung. [8] Das in den Sozialgesetz- büchern kodifizierte Sozialrecht übernimmt diese Ausgestaltung zu einem wichtigen Teil für das deut- sche Gesundheitssystem. [9] In- nerhalb dieses normativ vorgege- benen Rahmens entscheidet der vom Versicherten frei gewählte

Vertragsarzt im Leistungsverhält- nis zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse grundsätz- lich verbindlich über die medizini- schen Voraussetzungen des Ein- tritts des Versicherungsfalls der Krankheit und die nach Zweck und Art notwendige Behandlung. [10]

Grenzen der therapiefreiheit Die therapeutische Entschei- dungsfreiheit des Vertragsarztes und -psychotherapeuten erfährt in vielfältiger Art und Weise direkte und indirekt wirkende Beschrän- kungen (siehe Grafik).

Beispiele:

„ Berufsrecht/Zivilrecht/Haftungs- recht/Sozialrecht

„ Mittelbare Beschränkung durch Bindung an den me- dizinischen/therapeutischen Standard und die Regeln der ärztlichen Kunst

„ Mittelbare Beschränkung durch Bindung an das Recht des Patienten auf Leben und

„Im Ergebnis ist der Arztberuf wohl am engsten und dichtes- ten von allen Freien Berufen geregelt. Wo Rechtsanwälte, Notare und Ingenieure nur eine Berufsordnung und eine Ho- norarordnung kennen, pras- seln auf den Arzt Berufsrege- lungen von allen Seiten ein.“

Prof. Dr. Ferdinand Kirchhoff, Vizepräsident des Bundesver-

fassungsgerichts [5]

Welche rechtli- chen Beschrän- kungen erfährt die therapiefrei- heit in unserem Gesundheits- system?

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körperliche Unversehrtheit, Information und Selbstbe- stimmung über Art und Um- fang der medizinischen Ver- sorgung [11]

„ Medizinrecht

„ Mittelbare Beschränkung, zum Beispiel durch Festset- zung von Höchstmengen,

§ 13 Betäubungsmittelge- setz in Verbindung mit § 2 BtMVV

„ Sozialrecht

„ Direkte Beschränkung, zum Beispiel durch Ausschluss von Bagatellarzneimitteln,

§ 34 Abs. 1 SGB V

„ Mittelbare Beschränkung durch abschließende Fest- legung des Inhalts der ab- rechnungsfähigen Leistun- gen und ihres wertmäßigen Verhältnisses zueinander durch den EBM [12]

Eine der in der vertragsärztlichen Praxis wichtigsten sozialrechtli- chen Beschränkungen der Thera- piefreiheit, stellt das Gebot der Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V) dar. [13]

Die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen dem- nach – dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse ent- sprechend – ausreichend, zweck- mäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirt- schaftlich sind, können Versicher- te nicht beanspruchen und dürfen Vertragsärzte/-psychotherapeu- ten nicht bewirken. [14] Das Wirt- schaftlichkeitsgebot ist von jedem Vertragsarzt/-psychotherapeuten zwingend zu beachten und ver- pflichtet ihn, umfassend (also nicht nur für die Behandlungs- und Ver- ordnungsweise im engeren Sinn, sondern beispielsweise auch für

die Beurteilung der Arbeitsunfä- higkeit, die Überweisungstätigkeit, die Krankenhauseinweisungen so- wie für sonstige veranlasste Leis- tungen) wirtschaftlich zu handeln.

[15]

Die medizinische Entscheidungs- freiheit erfährt nach der Recht- sprechung des Bundessozialge- richts durch das Wirtschaftlich- keitsgebot Einschränkungen, die sich aus den Erfordernissen einer beitragsfinanzierten, solidarischen Krankenversicherung ergeben. [16]

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 [17] festgestellt, dass es ver- fassungsrechtlich nicht zu bean- standen ist, dass die Gesetzliche Krankenversicherung den Versi- cherten Leistungen nur unter Be- achtung des Wirtschaftlichkeitsge- bots zur Verfügung stellt.

Angesichts des die Gesetzliche Krankenversicherung prägenden Sachleistungsprinzips dienen Wirt- schaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V durch verselbstständigte Prüfungsstellen aus Sicht des Ge- setzgebers insoweit als notwendi-

Abbildung 1 Quelle: KVB

die „therapiefreiheit“ im rechtlichen Spannungsfeld

Berufsrecht

„Berufsordnung

„Weiterbildungs- ordnung

„...

Therapiefreiheit

Medizinrecht

„Betäubungs- mittelgesetz

„Infektionsschutz- gesetz

„Transplantations- gesetz

„...

Sozialrecht

„Wirtschaftlich- keitsgebot

„EBM

„Richtlinien G-BA

„...

Haftungsrecht

„Medizinischer Standard

„Empfehlungen

„Leitlinien

„...

ges Korrektiv mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit des Gesund- heitssystems zu sichern. [18] Die- se Prüfmaßnahmen und die in die- sem Zusammenhang gegebenen- falls drohenden Regressansprüche sowie die sich oftmals hieran an- schließenden langwierigen rechtli- chen Auseinandersetzungen stel- len aus Sicht vieler Vertragsärzte eine erhebliche Belastung der ärztlichen Tätigkeit dar.

ausblick

Wünschenswert wäre – als Pen- dant zu dem in § 76 Abs. 1 SGB V geregelten Recht des Patienten auf freie Arztwahl – eine ausdrückli- che Definition und Verankerung der Therapiefreiheit der Vertrags- ärzte/-psychotherapeuten durch den Gesetzgeber, beispielsweise in § 2 Abs. 4 und § 70 SGB V.

Stefan Hochgesang (Rechtsabteilung KVB) Das Fußnoten-

verzeichnis zu diesem Artikel finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Service/Mit- glieder-Informa- tionen/KVB FO- RUM/Literatur- verzeichnis.

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