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it dem GKV-VStG ist der Gesetzgeber einmal mehr mit dem Ziel angetreten, die Sektoren zu verbinden [2]. Da- bei hatte er vor allem die ASV im Blick, die er als „sektorenverbin- denden Versorgungsbereich“ ein- führen wollte [3].Dieses Ziel ist nicht neu. Bereits mit Einführung der Integrierten Versor- gung (§§ 140a ff.) zum 1. Januar 2000 bestand die Möglichkeit, Ver- sorgung in der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) Leistungs- sektoren übergreifend zu gestalten.
Doch schon bald zeigte sich, dass nicht überall da, wo Integrierte Ver- sorgung „drauf steht“, auch Integ- rierte Versorgung „drin ist“. Anlass genug, auch die ASV kritisch zu be- trachten. Es ist schon fraglich, ob die ASV tatsächlich Sektorengren- zen überwinden kann, aber auch, welche Bedeutung ihr in Zukunft zukommt.
rückblick
Bereits 2004 führte der Gesetzge- ber die Versorgung nach § 116b Abs. 2 als „Vertragslösung“ in die GKV ein. Erste Änderungen folgten durch das GKV-WSG, das die Ver-
tragskompetenz der Krankenkassen beseitigte [4]. Es war nun Sache der Krankenhausplanungsbehörde, ein Krankenhaus zur Versorgung nach § 116b „zu bestimmen“, so- weit dieses die geforderten Vorga- ben erfüllt. Das bedeutete eine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung der Versi- cherten ohne Einbindung der Ver- tragsärzte, die eklatante Wettbe- werbsverzerrungen zwischen Ver- tragsärzten und Krankenhäusern mit sich brachte. Rechtliche Aus- einandersetzungen waren die Fol- ge, die bis heute nicht höchstrich- terlich geklärt sind.
neuregelung durch das gkV-Vstg
Mit dem GKV-VStG wurde § 116b mit Wirkung zum 1. Januar 2012 vollständig neu gefasst. Wenn man nach dem wesentlichen Unterschied der Neuregelung zur Vorgängerrege- lung sucht, fällt auf, dass nunmehr nicht nur zugelassene Kranken- häuser, sondern auch Vertragsärzte sowie ermächtigte Ärzte und Ein- richtungen berechtigt sind, Leistun- gen nach § 116b zu erbringen, wenn sie die dort normierten Vorausset- zungen erfüllen. Insoweit wurde der
Forderung nach „gleich langen Spie- ßen“ Rechnung getragen. Vertrags- ärzte und Krankenhäuser treten je- doch nicht in jeder Hinsicht unter den gleichen Bedingungen an.
Qualifikation und persönliche leistungserbringung
Das Gesetz stellt beispielsweise nicht sicher, dass die gleichen Qua- lifikationsanforderungen für jeden Arzt persönlich gelten. Während Vertragsärzte, die an der ASV teil- nehmen, über die notwendige Fach- arztqualifikation verfügen (müssen), ist dies für Ärzte, die für zugelasse- ne Krankenhäuser innerhalb der ASV tätig werden, gerade nicht si- chergestellt. Mit Blick darauf, dass je nach Krankheit unter anderem besondere medizinische Kenntnis- se und Erfahrungen erforderlich sind, die deutlich über allgemeine Facharztqualifikationen hinausge- hen [5], ist das Fehlen einer ver- bindlichen Regelung insoweit nicht nachvollziehbar.
einseitige Bereinigungs- regelung
Einseitig sind auch die Bereinigungs- vorgaben. So ist zwar die morbidi-
In der Ausgabe 1-2/2012 von KVB FORUM wurde ausführlich über das Versorgungsstrukturgesetz (GKV- VStG), insbesondere über die Inhalte der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach dem
neuen § 116b SGB V [1] berichtet. Dieser Beitrag betrachtet die ASV aus einer weiteren Perspektive.
asV – eine eigen- stänDige Versor- gungsForm?
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tätsbedingte Gesamtvergütung für die ambulante vertragsärztliche Ver- sorgung um die Leistungen zu be- reinigen, die Bestandteil der ASV sind, dabei darf die Bereinigung nicht zu Lasten des hausärztlichen Vergütungsanteils und der fachärzt- lichen Grundversorgung gehen (§ 116b Abs. 6 S. 13 und 14). Da- gegen fehlen Bereinigungsvorgaben für den „Krankenhaussektor“. Über- zeugen kann dies nicht, angesichts der Annahme des Gesetzgebers, dass aufgrund des medizinischen Fortschritts viele bisher stationär erbrachten Behandlungen von Kran- kenhäusern auch ambulant durch- geführt werden können [6]. Dem Grundsatz, dass das Geld der Lei- stung folgen muss, wird hier nicht mehr Rechnung getragen.
strukturelle einordnung der asV
Die ASV ist nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Die ASV ist – neben einigen Unterschie- den im Vergleich zur vertragsärzt- lichen Versorgung – nicht kollektiv- vertraglich organisiert. Ebenso we- nig ist die ASV als Teil der Kranken- hausversorgung zu verstehen. Ei- nerseits weil an der ASV nicht nur Krankenhäuser teilnehmen können, andererseits aber auch, weil die Versorgung nach § 116b nicht als Krankenhausbehandlung in § 39 geregelt wurde. Krankenhausbe- handlung wird nach dieser Vorschrift vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a) sowie am- bulant (§ 115b) erbracht. Die Ver- sorgung nach § 116b hat der Ge- setzgeber aber nicht in dieser Vor- schrift genannt. Es spricht also ei- niges dafür, die ASV als „neuen eigenständigen Versorgungsbereich“
in der GKV zu werten [7].
Eine bessere Verbindung des am- bulanten und des stationären Sek- tors muss dies nicht zwingend aus- schließen. Im Gegenteil: Denn nach
dem Willen des Gesetzgebers sol- len die an der ASV beteiligten Ärz- te und Krankenhäuser zusammen- wirken. Deshalb kann der Gemein- same Bundesausschuss (G-BA) für die Versorgung bei schweren Ver- laufsformen von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen Regelungen zu Vereinbarungen tref- fen, die eine Kooperation zwischen den beteiligten Ärzten und Kranken- häusern in diesem Bereich fördern (§ 116b Abs. 4 S. 9). Für die Versor- gung von Patienten mit schweren Verlaufsformen onkologischer Er- krankungen muss der G-BA sogar Regelungen für solche Vereinba- rungen treffen (§ 116b Abs. 4 S. 10).
Diese Vereinbarungen sind, von Ausnahmen abgesehen, Voraus- setzungen für die Teilnahme an der ASV (§ 116b Abs. 4 S. 11).
Ob eine bessere Verzahnung ge- lingt, wird letztlich von den konkre- ten Vorgaben des G-BA, und dann vor allem von den individuellen Ver- einbarungen der Kooperationspart- ner abhängen.
auswirkungen für Vertrags- ärzte und krankenhäuser Welche Auswirkungen der neue ei- genständige Versorgungsbereich (zwischen der vertragsärztlichen Versorgung und Krankenhausbe- handlung) für die Vertragsärzte und Krankenhäuser hat, lässt sich noch nicht klar abschätzen. In § 116b nur Chancen zu sehen, erscheint zu leichtgläubig. Skepsis aus der Sicht der Vertragsärzte ist im Hin- blick auf weitere Absichten des Gesetzgebers, die schon die For- mulierungen in der Gesetzesbe- gründung nahelegen, durchaus an- gebracht. So heißt es in den Ge- setzesmaterialien: „Um ein reibungs- loses Ineinandergreifen von statio- närer und ambulanter Versorgung zu gewährleisten, wird schrittwei- se ein sektorenverbindender Ver- sorgungsbereich der ambulanten
spezial[fach]ärztlichen Versorgung eingeführt.“ [8]
Der Gesetzgeber erwähnt die schritt- weise Einführung eines neuen Ver- sorgungsbereichs. Das bedeutet aber auch, dass die Neuregelung erst der Anfang ist. Nur der Anfang wovon? Was ist das wirkliche Ziel?
Fazit
Es spricht einiges dafür, die ASV als eigenständigen Versorgungs- bereich für die Versorgung gesetz- lich Versicherter in der GKV zu ver- stehen. Welche Auswirkungen die ASV für Vertragsärzte und Kranken- häuser mittel- bis langfristig hat, bleibt abzuwarten. Es wird sich zei- gen, ob die ASV die Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten tatsächlich verbessert oder ob sie den Weg für die unbe- grenzte ambulante Behandlung durch Krankenhäuser bereitet und die sogenannte „doppelte Facharzt- schiene“, jedenfalls im hochspezi- alisierten Bereich, abschafft. In diesem Fall hätten sich die Befürch- tungen, den § 116b als „trojanisches Pferd in der ambulanten Versor- gung“ anzusehen [9], bestätigt.
Christine Jaquet, Ronny Rudi Richter (beide Rechtsabteilung der KVB)
Das Fußnotenverzeichnis fin- den Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Presse/Publikatio- nen/KVB FORUM/Literatur- verzeichnis.