DIE PTA IN DER APOTHEKE | März 2012 | www.pta-aktuell.de 99
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s gibt Substanzen, die im Grunde dieselbe chemische Struktur besitzen, aber den- noch nicht identisch sind. Denn sie verhalten sich wie Bild und Spiegelbild oder wie die rechte zur linken Hand. Man sagt auch, sie sind chiral und sie verhalten sich enantiomer zueinander.Solche Moleküle werden als Enantiomere bezeichnet. Die Mischung zweier Enantiomere im Verhältnis 1:1 heißt Race- mat. Wenn es um physikalische Eigenschaften, wie Schmelz- punkt und Dichte geht, verhal- ten sich die beiden Enantiomere eines Stoffs genau gleich. Ledig- lich bei der optischen Drehung unterscheiden sie sich. Das eine Enantiomer dreht die Ebene des polarisierten Lichts um einen bestimmten Betrag in die eine Richtung, das Spiegelbild dreht sie um denselben Betrag in die
andere Richtung – rechtsdre- hend und linksdrehend. Auch die meisten chemischen Reak- tionen laufen mit beiden Enan- tiomeren völlig identisch ab. Im Organismus jedoch können sie ganz unterschiedlich reagieren, denn auch unsere Enzyme und Rezeptoren haben die Eigen- schaft der Chiralität. Unsere Zellen bilden jedoch nur ein En- antiomer. Da das Andocken eines Moleküls an ein Protein nach dem Schlüssel-Schloss- Prinzip funktioniert, ist es ein- leuchtend, dass unter Umstän- den nur das eine Enantiomer eines Arzneistoffs gut zur Ziel- struktur, also dem Rezeptor oder dem Enzym, passt. Das Spiegelbild passt vielleicht gar nicht oder kann nur ganz lang- sam umgesetzt werden. So kann es bei chiralen Arzneistoffen, und davon gibt es eine ganze Menge, einen Unterschied ma-
chen, ob man ein Enantiomer einsetzt oder die Mischung bei- der Moleküle, eben das Race- mat. Dies kann nicht nur die Pharmakodynamik beeinflus- sen, sondern auch pharmako- kinetische Parameter verändern – wenn beispielsweise das eine Enantiomer besser an ein Trans- portprotein andocken oder ein abbauendes Enzym besser zu- packen kann.
Racemisch oder enantio- merenrein Bis vor wenigen Jahren war es noch sehr auf- wändig und teuer, enantiome- renreine Arzneistoffe herzustel- len. Inzwischen werden die ur- sprünglich als Racemat einge- setzten Wirkstoffe teilweise durch enantiomerenreine er- gänzt. Hat eines der beiden En- antiomere eine stärkere Wir- kung, nennt man es Eutomer.
Das Spiegelbild mit der schwä-
cheren Wirkung heißt Distomer.
Nicht immer ist der Einsatz des isolierten Eutomers klinisch re- levant, manchmal verbessert es jedoch die Therapie. Dies ist zum Beispiel beim Antihistami- nikum Levocetirizin der Fall, dem linksdrehenden Enantio- mer des Racemats Cetirizin. Da Levocetirizin wesentlich stärker an den H1-Rezeptor bindet als sein Spiegelbild, kann die Dosis halbiert werden. Citalopram, der selektive Serotonin-Reuptake- hemmer, wirkt durch Wechsel- wirkung mit dem Serotonin- Transportprotein. Auch hier bin- det ein Enantiomer, das Escita- lopram, wesentlich stärker an das Protein, sodass sich die Do- sis halbieren lässt und der Orga- nismus vor unwirksamem chemi- schem Ballast bewahrt wird.
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Sabine Bender, Apothekerin / Redaktion
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