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Zur Diagnostik von Emotionen und Interesse bei Aufgaben mit und ohne Realitätsbezug

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Jonas KANEFKE, Münster & Stanislaw SCHUKAJLOW, Münster Zur Diagnostik von Emotionen und Interesse bei Aufgaben mit und ohne Realitätsbezug

Die Modellierungskompetenz gilt für Lernende als kognitiv anspruchsvolle Fachkompetenz. Daher sollte die Unterrichtsplanung auch die motivational- affektiven Merkmale von Lernenden berücksichtigen. Dies setzt bei Lehren- den die Kompetenz voraus, diese Merkmale adäquat einschätzen zu können.

Bisherige Studien zeigten, dass Lehramtsstudierende Schwierigkeiten ha- ben, die aufgabenspezifischen Emotionen und Interesse von Lernenden ak- kurat zu beurteilen (Schukajlow & Rellensmann, 2017, 2018). Der Beitrag untersucht daher einen möglichen Aspekt des Zustandekommens der Ein- schätzung von aufgabenspezifischen Urteilen. Dabei wird über die Einschät- zung von Lehramtsstudierenden aus ihrer eigenen Sichtweise und aus einer eingenommenen Lernendensichtweise zu folgenden Aufgabentypen berich- tet: innermathematische Aufgaben, „eingekleidete“ Textaufgaben und Mo- dellierungsaufgaben. Es wird insbesondere gefragt, ob sich die geurteilte Lernendensichtweise von der eigenen Sichtweise unterscheidet und ob es Besonderheiten bei der Beurteilung von Modellierungsaufgaben gibt.

Diagnostische Kompetenz

Schrader (2006, S. 95) bezeichnet diagnostische Kompetenz als „die Fähig- keit eines Urteilers, Personen zutreffend zu beurteilen“ und unterscheidet zwischen drei Arten von Einschätzungen. Personenbezogene Einschätzun- gen betonen die leistungsbezogenen Merkmale von Lernenden, das aufga- benbezogene Urteil schätzt die Schwierigkeit einer Aufgabe ein und das auf- gabenspezifische Urteil bewertet, ob eine bestimmte Aufgabe richtig oder falsch gelöst wird. McElvany et al. (2009) erweitern dieses Modell durch die systematische Trennung von Urteilsbereichen und Urteilsebenen. Im Urteils- bereich wird zwischen einer Fokussierung auf Lernende oder Unterrichtsma- terial differenziert. Jeder Urteilsbereich hat drei Urteilsebenen, die sich über eine sehr spezifische Ebene (einzelne Lernende) hin zu einer globalen Ebene (Klassenstufe) erstrecken. In der vorliegenden Studie wird von Urteilen über Unterrichtsmaterialien in einer klassenbezogenen Situation ausgegangen, da diese Diagnose insbesondere für die Auswahl von Aufgaben wichtig ist. Fer- ner wird sich auf nur einen Aspekt der Diagnosekompetenz, nämlich die Ein- schätzung von Freude, Langweile und Interesse konzentriert. Als theoreti- sches Rahmenmodell der Studie dient das heuristische Modell der Akkurat- heit diagnostischer Urteile von Lehrkräften nach Südkamp, Kaiser und Möl- ler (2017). Nach diesem Modell werden die Urteile der Lehrenden von den

Siller, H.-S., Weigel, W. & W¨orler, J. F. (Hrsg.).Beitr¨age zum Mathematikunterricht 2020. M¨unster: WTM-Verlag, 2020.

doi: 10.37626/GA9783959871402.0 1197

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Merkmalen des abzugebenden Urteils und von den Merkmalen der Lehren- den selbst beeinflusst. Merkmale der Lehrenden können unter anderem die eigenen Emotionen und Interessen sein.

Mathematische Aufgaben mit und ohne Realitätsbezug

Als Diagnosegegenstand dienen in dieser Studie drei Aufgabentypen, die sich nach der Stärke des Realitätsbezuges unterscheiden (Blum et al., 2007).

Die innermathematischen Aufgaben sind dadurch gekennzeichnet, dass jed- weder Realitätsbezug fehlt. Bei der Gruppe der „eingekleideten“ Textaufga- ben wird bei der Bearbeitung zusätzlich zum mathematischen Arbeiten eine Übertragung zwischen Realität und Mathematik gefordert. Anzahl und Qua- lität der realitätsbezogenen Aktivitäten sind aber sehr eingeschränkt. Die Strukturierung, Präzisierung und Vereinfachung bei der Konstruktion des Realmodells ist oft trivial und es wird im Wesentlichen mit der Aufgabe dar- geboten. Problemstellungen, bei denen alle Schritte des Modellierungskreis- laufes in nicht trivialer Weise durchlaufen werden müssen, stellen zuletzt die Gruppe der Modellierungsaufgaben dar. Ferner ergab sich aus vorausgegan- genen Studien bereits, dass Urteile von Lehramtsstudierenden bei den ein- zelnen Aufgabentypen variieren (Rellensmann & Schukajlow, 2017, 2018).

Forschungsfragen und Hypothesen

Für die Untersuchung ergeben sich damit die folgenden Forschungsfragen:

• Unterscheidet sich die Einschätzung der eigenen Emotionen und Interesse von Lehramtsstudierenden bezüglich der verschiedenen Aufgabentypen?

• Unterscheidet sich die Einschätzung von Lehramtsstudierenden über Emotionen und Interesse von Schülerinnen und Schüler bei den verschie- denen Aufgabentypen?

• Sind mögliche Differenzen in der Einschätzung von Emotionen und Inte- resse durch Lehramtsstudierende aus eigener Sichtweise und aus Lernen- densichtweise bei Modellierungsaufgaben, „eingekleideten“ Textaufga- ben und innermathematischen Aufgaben unterschiedlich ausgeprägt?

Aufgrund der theoretischen Überlegungen und empirischen Studien werden größere Freude und Interesse sowie geringere Langweile bei beiden Urteils- sichtweisen der Lehramtsstudierenden bei Modellierungsaufgaben gegen- über den anderen Aufgabentypen erwartet. Weiterhin wird erwartet, dass sich die Einschätzung aus den beiden Sichtweisen nicht unterscheidet, da Studierende weder über viel Lehrerfahrung noch über vertiefte pädagogische und didaktische Fachkenntnisse verfügen und das Urteil über die Lernenden somit stark von der eigenen Sichtweise geprägt wird.

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Methode der Untersuchung

Die Daten wurden bei 167 Lehramtsstudierenden in Master-Lehrveranstal- tungen an der WWU Münster erhoben. Die Studierenden wurden zufällig einer der zwei Untersuchungsbedingungen zugewiesen. In einer Bedingung wurde die eigene Sichtweise und in der anderen Bedingung die Einschätzung über Emotionen und Interesse von Lernenden erfasst. Den Studierenden wurden zu den drei Aufgabentypen je vier Aufgaben vorgelegt, die mit dem Satz des Pythagoras bearbeitet werden können. Mittels eines Fragebogens unterhalb der Aufgaben wurde dann von den Studierenden entweder deren eigene Emotionen und Interesse abgefragt oder sie wurden gefragt, fiktive Lernende (Realschule, Jg. 9) bei den einzelnen Aufgaben zu beurteilen. Die Einschätzung einer fiktiven Lerngruppe soll dabei eine bessere Vergleich- barkeit der Ergebnisse gewährleisten. Die Studierenden waren aufgefordert, die Aufgaben genau durchzulesen, ohne sie jedoch zu lösen. Bei den Befra- gungen handelt es sich um Likert-Skalen mit 5-stufigen Antwortmöglichkei- ten von „stimmt gar nicht“ bis „stimmt genau“. Eine Aussage zur Einschät- zung der eigenen bzw. geurteilten Emotion Freude war „Die Bearbeitung der abgebildeten Aufgabe würde mir Spaß machen.“ bzw. „Die Schüler haben Spaß an der Bearbeitung dieser Aufgabe.“ Die Reliabilitäten der Skalen lie- gen im akzeptablen bis sehr guten Bereich.

Ergebnisse und Ausblick

Die ANOVA konnte gemäß den Erwartungen zeigen, dass sich Freude, Lan- geweile und Interesse der Lehramtsstudierenden aus der eigenen Sichtweise für verschiedene Aufgabentypen unterscheiden. Modellierungsaufgaben wurden für die drei Konstrukte besser beurteilt als „eingekleidete“ Textauf- gaben und innermathematische Aufgaben. Aus der Sichtweise der Lernen- den urteilten die Studierenden jedoch entgegen den Erwartungen. Die geur- teilten Einschätzungen hängen zwar mit dem Aufgabentyp zusammen, paar- weise Vergleiche zeigen jedoch, dass die geurteilten Emotionen und das In- teresse bei „eingekleideten“ Textaufgaben besser eingeschätzt werden als bei Modellierungsaufgaben. Bezüglich der dritten Forschungsfrage ergab sich, dass signifikante Wechselwirkungen zwischen Freude, Langeweile und Interesse bei den Aufgabentypen und der Sichtweise bestehen. Mittels eines t-Tests wurde weiter überprüft, wie sich die Mittelwertdifferenzen zwischen den Einschätzungen der beiden Sichtweisen bei den drei verschiedenen Auf- gabentypen unterscheiden. Es zeigt sich, dass es keine Unterschiede im Di- agnoseurteil zur Freude und Langeweile bei „eingekleideten“ Textaufgaben zur eigenen Sichtweise gibt. Bei Modellierungsaufgaben und innermathema- tischen Aufgaben unterscheidet sich das Urteil hingegen. Hier werden die

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drei Konstrukte aus der eigenen Sichtweise besser beurteilt als aus der Ler- nendensichtweise. Mittelwertdifferenzen zeigen, dass die Unterschiede bei Modellierungsaufgaben geringer ausgeprägt sind als bei innermathemati- schen Aufgaben.

Im Fall keiner Unterschiede zwischen der geurteilten Lernendensichtweise und der eigenen Sichtweise könnten (unkorrekte) Urteile also dadurch zu- stande kommen, dass die eigene Sichtweise die Urteile über Lernende beein- flusst. Zeigt es sich aber, dass sich die Sichtweisen unterscheiden, dann er- folgt ein Perspektivenwechsel beim Urteilsprozess, der nach den Studien von Rellensmann & Schukajlow (2017, 2018) allerdings insgesamt zu inkorrek- ten Urteilen führen könnte. Eine Konsequenz aus den Ergebnissen der Un- tersuchung ist somit die Notwendigkeit, dass Zustandekommen der Ein- schätzungen von Lehrenden über motivational-affektive Merkmale von Ler- nenden bei den verschiedenen Aufgabentypen weiter zu untersuchen. Es gilt die der Einschätzung zugrundeliegenden Prozesse zu analysieren sowie Fak- toren zu identifizieren, die zu akkurateren oder weniger akkurateren Urteilen führen. Dadurch könnten Ansatzpunkte für die Förderung der Güte dieser Einschätzungen abgeleitet werden, um dann durch treffende Steuerungsim- pulse und geeignete Emotionen im Unterricht das Lern- und Leistungsver- halten von Lernenden positiv zu beeinflussen.

Literatur

Blum, W., Galbraith, P. L., Henn, H.-W. & Niss, M. (2007). Modelling and applications in mathematics education. The 14th ICMI study. New York: Springer.

McElvany, N., Schoeder, S., Hachfeld, A., Baumert, J., Richter, T., Schnotz, W., Horz, H. & Ullrich, M. (2009). Diagnostische Fähigkeiten von Lehrkräften bei der Einschät- zung von Schülerleistungen und Aufgabenschwierigkeiten bei Lernmedien mit in- struktionalen Bildern. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 23, 223–235.

Rellensmann, J. & Schukajlow, S. (2017). Does students’ interest in a mathematical prob- lem depend on the problem’s connection to reality? An analysis of students’ interest and pre-service teachers’ judgements of students’ interest in problems with and with- out a connection to reality. ZDM Mathematics Education, 49, 367–378.

Rellensmann, J. & Schukajlow, S. (2018). Do Students Enjoy Computing a Triangle’s Side? Enjoyment and Boredom While Solving Problems with and Without a Connec- tion to Reality from Student’s and Pre-Service Teachers’ Perspectives. Journal für Mathematik-Didaktik, 39, 171–196.

Schrader, F.-W. (2006). Diagnostische Kompetenz von Eltern und Lehrern. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 68–71). Weinheim: Beltz.

Südkamp, A., Kaiser, J. & Möller, J. (2017). Ein heuristisches Modell der Akkuratheit diagnostischer Urteile von Lehrkräften. In A. Südkamp & A.-K. Praetorius (Hrsg.), Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften – Theoretische und methodische Weiter- entwicklungen. Münster: Waxmann.

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