10.12.2021, world wide web
Dr. Christopher Kofahl
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Institut für Medizinische Soziologie Martinistr. 52
D-20246 Hamburg kofahl@uke.de
Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der Selbsthilfe
AOK-Selbsthilfetagung
„Selbsthilfe nach dem Corona-Lockdown – Upgrade auf ein neues Level“
10.12.2021, world wide web
Dr. Christopher Kofahl
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Institut für Medizinische Soziologie Martinistr. 52
D-20246 Hamburg kofahl@uke.de
Definition Digitalisierung in der Selbsthilfe
Ergebnisse aus der Studie „Digitalisierung in der Selbsthilfe“
- DISH
Probleme und Chancen bei den Selbsthilfegruppen
Sozialrechtliche Verortung
30. Jht.
v. Chr.
30. Jht.
n. Chr.
Was ist unter Digitalisierung im Kontext der Selbsthilfe zu verstehen?
Kommunikation und Informationsspeicherung
Instrumente zur Überwindung immer größerer Distanzen bei zunehmender Geschwindigkeit und Reichweite mit
steigender Komplexität der zu übermittelnden Information und gleichzeitiger Sicherung dieser Information und der damit verbundenen Vorgänge.
Instrumente zur Sicherung, Bearbeitung und Verknüpfung immer komplexerer multipler Information bei gleichzeitiger Beschleunigung der Zugreifbarkeit.
Instrumente mit der Befähigung, (Fragen zu entwickeln und) Lösungen zu deren Beantwortung zu finden. (KI)
Ergo:
6
Definition Online-Selbsthilfe-Angebote
Web 1.0 Web 2.0
STUDIE ZUR DIGITALISIERUNG IN DER SELBSTHILFE – DISH
SEPTEMBER 2019 BIS FEBRUAR 2020 – FÖRDERUNG: BMG
Erkenntnisse zum aktuellen Stand der digitalen gesundheitlichen Selbsthilfe in Selbsthilfeorganisationen (SHO) und
-unterstützungseinrichtungen (SHU)
Was gibt es schon? Welche Erfahrungen liegen vor? Gibt es „rein digitale“
Selbsthilfeangebote? Wie werden digitale Elemente in die Selbsthilfearbeit eingebunden bzw. integriert?
Erkenntnisse zur Akzeptanz von Digitalisierung in der Selbsthilfe
Welche Chancen und Risiken werden mit der Digitalisierung der gesundheitlichen Selbsthilfe verbunden und wie könnten die Akteur*innen damit umgehen?
Welche Rahmenbedingungen müssen für einen sinnvollen Einsatz digitaler Angebote berücksichtigt werden?
Erkenntnisse zu Unterstützungsbedarfen
Welche Bedarfe sehen SHO für Selbsthilfegruppen (SHG) und für sich selbst?
Wie wollen sie den Bedarfen begegnen bzw. wie begegnen sie ihnen bereits?
Zielsetzung der Studie
8
standardisierte Online-Umfragen
Befragungszeitraum: 14.11.2019 – 31.01.2020
Unterstützende Einrichtungen (Fragebogenentwicklung, Rekrutierung, Öffentlichkeitsarbeit)
Dachverbände der Selbsthilfe
DAG SHG, NAKOS
10 regionale Selbsthilfekontaktstellen
Online-Surveys mit SHO und SHU
ERGEBNISSE DER SHO-UMFRAGE
Im Folgenden:
Nutzung digitaler Technologien - Außenkommunikation
(in %; N=114 bis 119)
84 44
26 25 21 13 13 11 6 6 4 1
9
14 23
19 23
32 15
11 36 29 6
11 9
4
2 33
55 52
47 71
76 70
65 88
85 91
87
0% 25% 50% 75% 100%
Homepage Facebook Online-Forum Online-Newsletter Messengerdienste (z.B. WhatsApp) Instagram Twitter Online-Chat YouTube (Video-Angebote) Eigene App Blog (Internet-Tagebuch) PodCast (Hör-Angebote) Sonstiges
nutzen wir häufig nutzen wir teilweise nutzen wir gar nicht
„Social Media“
12
Nutzung digitaler Technologien - Innenkommunikation
(in %; N=114 bis 119)
29
26
17
16
5
30
35
28
10
33
41
39
55
74
62
0% 25% 50% 75% 100%
Cloud-Systeme (z.B. Dropbox)
Dienste zur Terminkoordination
Net-Meeting-Dienste (z.B. Skype, Circuit)
Intranet
Webinar-Angebote (Web-Fortbildungen)
nutzen wir häufig nutzen wir teilweise nutzen wir gar nicht
Stand der digitalen Infrastruktur
(in %; N=111 bis 114)
52
59
68
75
39
35
32
21 9
6
1
5
0% 25% 50% 75% 100%
Hardware (z.B. PC, mobile Endgeräte)
Software (z.B. MS Office/ Betriebssystem)
Netzwerk (z.B. Internetzugang, WLAN)
IT-Sicherheit (z.B. Zugriffsicherheit, Virenschutz)
technisch auf dem aktuellen Stand teils, teils eher veraltet
14
IT-Verantwortliche für Computer und digitale Infrastruktur
(in %; Mehrfachantworten möglich; N=119)
61
43
30
8
5
0% 25% 50% 75% 100%
ehrenamtlich tätige Mitglieder externe Anbieter (kommerzielle Dienstleister)
hauptamtlich tätige Mitglieder andere Personen
es gibt keine Verantwortlichen
Anteil der IT-Kosten am verausgabten Jahresbudget
IT-Infrastruktur: 8 %
IT-Beratung und IT-Fortbildungen: 0,5 %
Zeitaufwand für IT-Betrieb
Kosten und Zeitaufwand für IT
5 – 10 h/Monat > 10 h/Monat
Homepage 31% 22%
Soziale Medien 17% 39%
Online-Forum 21% 41%
16
Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung
(in %; N=107 bis 110; Auswahl von Items)
68 52 42 36 36 27 24
25
35
39
41
26
27
22
6
12
16
18
26
41
38
1 3 5 12
6
15
0% 25% 50% 75% 100%
Wir können über digitale Kanäle die Öffentlichkeit besser informieren.
Austausch und Vernetzung über digitale Kanäle nehmen in unserer Organisation zu.
Durch unsere digitalen Angebote finden viele Betroffene den Weg in die Selbsthilfe.
Durch die Digitalisierung sparen wir Zeit und Geld (z.B.
Korrespondenz, Reisen).
Nur mit digitalen Angeboten können wir als SH-Organisation überleben.
Die Anonymität des Internets verringert die Hemmschwelle, unsere Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Online-Foren stellen für uns eine gute Ergänzung zu persönlichen Gruppentreffen dar.
stimme völlig zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme gar nicht zu
Mögliche Probleme durch Digitalisierung
(in %; N=104 bis 108; Auswahl von Items)
70
30
16
12
9
22
44
31
31
31
6
19
39
39
29
2
8
13
19
31
0% 25% 50% 75% 100%
Rein digitale Angebote können die Face-to-Face- Selbsthilfe vor Ort nicht ersetzen.
Die datenschutzrechtlichen Anforderungen (z.B.
DSGVO) sind eine Belastung für uns.
Eine unzureichende digitale Infrastruktur in Deutschland begrenzt unsere digitalen Angebote.
Wir kennen uns mit den Maßnahmen zur Digitalisierung nicht ausreichend aus.
Online-Selbsthilfe verhindert, dass Betroffene den Weg in Selbsthilfegruppen finden.
stimme völlig zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme gar nicht zu
18
Wichtigkeit von Unterstützungs- und Weiterbildungsangeboten für SHO
(in %; N=95 bis 103; Auswahl von Items)
63
52
50
34
23
28
30
41
44
36
7
11
6
14
30
2
7
3
7
10
0% 25% 50% 75% 100%
finanzielle Mittel für Digitalisierungs-Maßnahmen
Online-Kommunikation (z.B. wie erreicht man welche Zielgruppe, stellt man Qualität dar) Umgang mit Daten (Datenschutz, Datensicherheit,
DSGVO)
Bereitstellung von IT- und Datenschutz-Experten
Bereitstellung einer gemeinsamen Selbsthilfe- Arbeitsplattform
sehr wichtig eher wichtig eher unwichtig gar nicht wichtig
UND DIE GRUPPEN?
Fehlende technische Voraussetzungen
Mangelhafte IT-Infrastruktur (Breitband)
Fehlende Kenntnisse in der Bedienung der Software
„Verlust“ von Mitgliedern -> mehr Betreuungsaufwand für die SHG-
Sprecher*innen (telefonieren, Briefe schreiben…)
Wenn die Katze sich in den Schwanz beißt – Wie vermittle ich online
Online-Kompetenzen???
Probleme bei den Selbsthilfegruppen(-mitgliedern)
Bildquelle (Karikatur): https://eberhard-koeppe.de/edv/meldung.shtml
Mangelnde Akzeptanz der Online-Angebote <-> Angst vor Ausspähungen und
Datenmissbrauch
Video ersetzt keine
persönliche Begegnung (Berührung, ganzheitliche Wahrnehmung, „räumli- ches Spüren“, gemeinsame Bewegung, vertrauliche Zwischengespräche, …)
Bildquelle (Karikatur): https://roth-cartoons.de/projekte/datenschutz-cartoons/
Niedrigere Kosten (An- und Abfahrten, Raummieten, …)
Zeitersparnis (weniger als 10 Sekunden „Anfahrtsweg“
)
Weniger Aufwand und Anstrengung für Mobilitätseingeschränkte (u. U. sogar Voraussetzung für SHG-Teilnahme)
Neue Mitglieder, die über das Web den Weg in die (Online-)SHG gefunden haben
Entstehung neuer Gruppen aus den social media
Diversifizierung der Themenangebote (z. B. regional seltene
Kombinationen von Themen wie junge Männer mit Prostata-Krebs)
…
Chancen für die Selbsthilfegruppen(-mitglieder)
UND IHRER FÖRDERUNG – KERNAUSSAGEN
Key Messages
Digitalisierung und Teilhabechancen
Teilhabe grundrechtlich fundiert, prägt die Gesetzbücher
UN-Grundrechtskonvention für Menschen mit Behinderungen fordert Teilhabe auf dem gesellschaftlich möglichen technologischem Niveau -> Grundrecht auf selbstbestimmte Teilhabe am Gemeinwesen über
digitale Wege und in digitalen Räumen
24
Sozialrechtliche Fragen und ethische Dimensionen der
Digitalisierung der Selbsthilfe und ihrer Förderung
Gemeinwohlrelevanz und Daseinsvorsorgebezug
Gemeinwohl-Bedeutung der Selbsthilfeaktivitäten (§ 20h SGB V; § 45 SGB XI) -> Förderung der Digitalisierung von Selbsthilfeaktivitäten als Gewährleistung der sozialraumorientierten Daseinsvorsorge
Digitale Strukturen können Selbsthilfeaktivitäten auf lokaler Ebene stärken und Teilhabechancen erhöhen:
− mobilitätseingeschränkte Menschen
− Strukturschwache, dünnbesiedelte und schrumpfende (ländliche) Räume
− besondere Bedeutung digitaler Hilferäume bei räumlich weit gestreuten seltenen Erkrankungen.
Digitalisierung der Selbsthilfe und ihrer Förderung
Digitale Modernisierung der Meso- und Makroebene (SHO)
SHO im Gemeinwohlinteresse förderwürdig, da SHO öffentlich bedeutsame Aufgaben als Teil der Zivilgesellschaft übernehmen
Bedeutsamkeit der organisierten Patient:innen-Interessen im System der Gemeinsamen Selbstverwaltung bzw.
… als "vierte Säule" für die Funktionsfähigkeit der Versorgungsleistungen
26
Sozialrechtliche Fragen und ethische Dimensionen der
Digitalisierung der Selbsthilfe und ihrer Förderung
1. Um die Kompetenzen der Selbsthilfe (SH) für die Digitalisierung zu stärken, bedarf es gezielter Weiterbildungsangebote.
2. Sensibilisierung der Leitungskräfte etablierter SH-Zusammenschlüsse für digitalen Veränderungsbedarf
3. Junge SH-Engagierte sind häufig technologie-affiner. Ein regelmäßiger Austausch mit ihnen könnte die Hürden der Digitalisierung durch
gegenseitiges Lernen überwinden.
4. Digitalisierungsprozesse sind mit Risiken und Kosten verbunden. Nicht alles, was machbar oder verfügbar ist, eignet sich für die (jeweilige Form der) gesundheitlichen Selbsthilfe. -> Organisationsentwicklung und Zielanalyse
5. Förderung von Digitalisierungsprozessen in der SH kann aus den bestehenden Grundrechten abgeleitet werden.
Empfehlungen für die Praxis
28
www.uke.de/dish/
Zum Nachschlagen:
10.12.2021, world wide web
Dr. Christopher Kofahl
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Institut für Medizinische Soziologie Martinistr. 52
D-20246 Hamburg kofahl@uke.de
Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der Selbsthilfe
AOK-Selbsthilfetagung
„Selbsthilfe nach dem Corona-Lockdown – Upgrade auf ein neues Level“
10.12.2021, world wide web
Dr. Christopher Kofahl
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Institut für Medizinische Soziologie Martinistr. 52
D-20246 Hamburg kofahl@uke.de