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Vignettenforschung in Theorie und Praxis

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Academic year: 2022

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Vignettenforschung in Theorie und Praxis

Ass.-Prof.in Evi Agostini Universität Wien

Zentrum für Lehrer*innenbildung/Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft

evi.agostini@univie.ac.at

(2)

Für ein Projekt soll Karin zu Beginn der Englischstunde ein Stück auf ihrer Ziehharmonika vorspielen. Bevor sie zu spielen beginnt, fragt sie Herr Klotz in scharfem Ton: „Wie viele Teile hat das Stück?“ Karin, die schon in den Griff genommene Ziehharmonika lockernd, antwortet

schüchtern: „Drei.“ – „Wie heißen sie?“ Karin, nach unten schauend: „A – B – C.“ Herr Klotz schaut sie streng an: „Wie sagt man dazu?“ Karin blickt nicht auf, ihr Griff um die

Ziehharmonika wird wieder fester, sie antwortet nicht. – „Trio heißt das!“ Karin nickt, dann schiebt sie leise flüsternd „ja“ hinterher. Herr Klotz hebt, sie zum Spielen anweisend, leicht das Kinn. Karin beißt sich auf die Lippen und beginnt zu spielen, sehr konzentriert und mit ernstem Gesicht bringt sie das Stück zu Ende. Nach dem letzten Ton sagt Herr Klotz knapp:

„Ja. Und schau noch ein bisschen böser drein beim Spielen.“ Ohne Übergang wendet er sich wieder der Klasse zu: „Take your student books...“ (1) Karin packt die Ziehharmonika weg.

Leicht errötet und die Hände verschränkt, sagt sie halblaut: „Da habe ich mich jetzt blamiert.“

Vignette: Karin und Herr Klotz

(1) „Nehmt eure Lehrbücher…“

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(3)

Für ein Projekt soll Karin zu Beginn der Englischstunde ein Stück auf ihrer Ziehharmonika vorspielen. Bevor sie zu spielen beginnt, fragt sie

Herr Klotz in scharfem Ton: „Wie viele Teile hat das Stück?“ Karin, die schon in den Griff genommene Ziehharmonika lockernd, antwortet schüchtern: „Drei.“ – „Wie heißen sie?“ Karin, nach unten schauend:

„A – B – C.“ Herr Klotz schaut sie streng an: „Wie sagt man dazu?“

Karin blickt nicht auf, ihr Griff um die Ziehharmonika wird wieder fester, sie antwortet nicht. – „Trio heißt das!“ Karin nickt, dann schiebt

sie leise flüsternd „ja“ hinterher. Herr Klotz hebt, sie zum Spielen anweisend, leicht das Kinn. Karin beißt sich auf die Lippen und beginnt

zu spielen, sehr konzentriert und mit ernstem Gesicht bringt sie das Stück zu Ende. Nach dem letzten Ton sagt Herr Klotz knapp: „Ja. Und

schau noch ein bisschen böser drein beim Spielen.“ Ohne Übergang wendet er sich wieder der Klasse zu: „Take your student books...“ (1)

Karin packt die Ziehharmonika weg. Leicht errötet und die Hände verschränkt, sagt sie halblaut: „Da habe ich mich jetzt blamiert.“

Welche Phänomene zeigen sich mir in der Vignette?

Wie entsteht Scham und Beschämung in der

veranschaulichten Situation?

Was irritiert mich?

Was fällt mir auf?

Welche konkrete Situation wird hier beschrieben? Kenne ich ähnliche

Situationen?

Vignetten-Lektüre: Karin und Herr Klotz

(4)

(Soziale) Scham…

„Zur Scham kann man keine Umfragen machen, sie erschließt sich nur indirekt – im Nachspüren dessen, wodurch Menschen

eine soziale Kränkung erfahren.“

(Neckel 1991, S. 24)

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(5)

- Sehr persönlich 

Erforschbarkeit? Sichtbarkeit?

Wahrnehmbarkeit!

- Soziales Gefühl: durch menschliche Interaktion

- Im Alltag von Gesellschaften präsent, in denen soziale Ungleichheit herrscht

- Verletzung der gesellschaftlichen (schulischen) Normen

- Machtverlust

- Folgereaktionen: Rückzug und Verbergen, Aggression und Unterwerfung, Verleugnung

(6)

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(7)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

(8)

- Gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen

- Zielsetzung: Ermöglichung maximaler zukünftiger Bildungschancen und Handlungsoptionen

- Neues pädagogisches Konzept

- Team-Teaching in Deutsch, Englisch und Mathematik

- Begabungs- und Begabtenförderung entlang der Stärken und Talente der Schüler*innen - Maßnahmen zur inklusiven Pädagogik und Diversität werden umgesetzt (z. B. durch die

Führung von Mehrstufenklassen)

- Neue Wege der Rückmeldung und Leistungsbewertung

Reformversuch „Neue Mittelschule“ (2008/2009) in Österreich

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(9)

- Fokus: Personale Bildungsprozesse in heterogenen Lernsettings

- Persönliche (Lern-)Erfahrungen einzelner Schüler*innen auf der Mikro-Ebene ihres Schulalltags

- „Lernseits“ (Agostini et al. 2018) von Unterricht - Forschungsfragen:

- Wie erfahren Schüler*innen ihre Schule in unterschiedlichen didaktischen Settings aus persönlicher Sicht?

- Welche Phänomene schulischen Lernens zeigen sich im Schulalltag?

- Was bedeutet dies für personale Bildungsprozesse (und weiterführend für Unterricht und Schule)?

Wissenschaftliche Studie (FWF)

„Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen“

(10)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen

III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(11)

„Das Lernen ist die Unbekannte in der pädagogischen Gleichung.“

Klaus Prange (2005, S. 82)

Was ist „Lernen“?

(12)

Was ist „Lernen“?

„Die unterschiedlichen Auffassungen von Lernen waren immer schon Antworten auf

gesellschaftliche Konfliktlagen.“

Käte Meyer-Drawe (2012, S. 46)

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(13)

Diskurse des Lernens

Lebenslanges Lernen

Innovation Produktivität

Kompetenzen Fähigkeiten, Fertigkeiten,

Kenntnisse Wettbewerbs-

fähigkeit

Globalisierung Beschleunigung

Internationalisierung Digitalisierung

Persönliche Entfaltung

Ausschöpfung des Bildungspotenzials

(Voll-)Beschäftigung Sozialer

Zusammenhalt

(14)

Historischer Abriss: Lernen = ...?

Göttlicher Erkenntnisakt

(Parmenides)

Übernahme fremden Wissens durch Unwissende

(Sophisten)

Wiedererinnerung

(Platon & Sokrates)

Aufstieg zum Allgemeinen

(Aristoteles)

Überwindung der Erfahrung

(Francis Bacon)

Aneignung methodischer

Fähigkeiten

(René Descartes)

Geleitete Aneignung von Wissen

(John Locke)

Eigenständiges vernünftiges Hervorbringen

(Immanuel Kant)

Verhaltensänderung

(Burrhus Frederic Skinner)

Reiz- & Reaktions- zusammenhang

(Iwan Petrowitsch Pawlow)

Assimilation und Akkommodation

(Jean Piaget)

Kognitiver Aneignungsprozess

(David Paul Ausubel)

Strukturelle Koppelung

(Horst Siebert)

Veränderung der Stärke synaptischer

Verbindungen im Gehirn

(Gerhard Roth)

515 v. Chr. um 1600 21. Jh.

Parmenides Protagoras Sokrates F. Bacon J. Locke J. J. Rousseau B. F. Skinner J. Piaget Horst Siebert Selbst zu vollziehende

Tätigkeit

(Jean-Jacque Rousseau)

vgl. Künkler (2011)

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(15)

Unterschiedliche lerntheoretische Zugänge

• ZIEL und RESULTAT des Lernens

• MODUS der ANEIGNUNG und METHODE der INFORMATIONS- VERARBEITUNG

• DIDAKTIK

• HIRNAREALE

WO? WIE?

WOHIN?

WIE?

Lernen

(vgl. Mitgutsch 2008)

(16)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(17)

Wie des Lernens und dessen Genealogie

Frage nach dem Vollzug, der Entstehung, aber auch den Irritationen in der Erfahrung

Vertreter*innen: E. Husserl, M. Heidegger, M. Merleau-Ponty, G. Buck, M. Wagenschein, B. Waldenfels, W. Lippitz, K. Meyer-Drawe, M. Brinkmann

Pädagogisch-phänomenologische Betrachtungsweise:

Lernen als Erfahrung

(18)

Beim Lernen als Erfahrung machen die Lernenden eine Erfahrung über die eigene Erfahrung. Dabei stoßen sie an ihre Grenzen, stellen das eigene

Vorwissen in Frage und erfahren sich als wissende Nichtwissende.

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(19)

Bewusstsein

Überraschung

Denk-,

Handlungs- und Wahrnehmungs- gewohnheiten

infrage stellen

Erwartungen

Lernen als Erfahrung

Vom Ereignis zur (Lern-)Erfahrung

Bedeutungs- zusammenhang

Persönliche Möglichkeiten

Durchkreuzen von Erwartungen/

Widerfahrnis

Antwort Störung

(20)

„Dieser Zustand der Schwebe markiert den Anfang des Lernens: […] Das Neue wird noch

nicht verstanden, auf das Alte kann man nicht mehr bauen. Wer wollte schon freiwillig in eine solche unbequeme Lage

geraten?“

Käte Meyer-Drawe (2013, S. 71)

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(21)

Beim Lernen wandelt sich der eigene Erfahrungshorizont und ein neuer Sinn eröffnet sich in dreifacher Hinsicht: in

Bezug auf das Selbst, andere und die Sache.

(22)

Sache

andere Selbst

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(23)

Lehrseits

Was unterrichte ich?

(INHALTE)

Wie unterrichte ich?

(METHODEN)

Fokus auf Umsetzbarkeit von Unterricht

Was vermögen meine Schüler*innen?

Welche Erfahrungen werden im Unterricht gemacht?

Lernseits

Fokus auf (Lern-) Erfahrungenim

Unterricht

WAS?

WIE?

(vgl. Agostini, Schratz & Risse 2018)

(24)

Wie kann man sich dem Lernvollzug mit all seinen möglichen Einschränkungen nähern?

Es gehört „vielmehr zur Struktureigentümlichkeit, zum Lernen selbst dazu, dass sich der Vollzug ins Dunkle zurückzieht“ (Meyer-Drawe

2003, S. 508f.)

Herausforderungen

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(25)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

(26)

Für ein Projekt soll Karin zu Beginn der Englischstunde ein Stück auf ihrer Ziehharmonika vorspielen. Bevor sie zu spielen beginnt, fragt sie Herr Klotz in scharfem Ton: „Wie viele Teile hat das Stück?“ Karin, die schon in den Griff genommene Ziehharmonika lockernd, antwortet

schüchtern: „Drei.“ – „Wie heißen sie?“ Karin, nach unten schauend: „A – B – C.“ Herr Klotz schaut sie streng an: „Wie sagt man dazu?“ Karin blickt nicht auf, ihr Griff um die

Ziehharmonika wird wieder fester, sie antwortet nicht. – „Trio heißt das!“ Karin nickt, dann schiebt sie leise flüsternd „ja“ hinterher. Herr Klotz hebt, sie zum Spielen anweisend, leicht das Kinn. Karin beißt sich auf die Lippen und beginnt zu spielen, sehr konzentriert und mit ernstem Gesicht bringt sie das Stück zu Ende. Nach dem letzten Ton sagt Herr Klotz knapp:

„Ja. Und schau noch ein bisschen böser drein beim Spielen.“ Ohne Übergang wendet er sich wieder der Klasse zu: „Take your student books...“ (1) Karin packt die Ziehharmonika weg.

Leicht errötet und die Hände verschränkt, sagt sie halblaut: „Da habe ich mich jetzt blamiert.“

Vignette: Karin und Herr Klotz

(1) „Nehmt eure Lehrbücher…“ Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(27)

Vignetten sind…?

„kurze prägnante Erzählungen, die (schulische) Erfahrungsmomente fassen. [...] Sie gleichen Schnappschüssen, die dynamisches Handeln von Personen in konkreten Situationen

herausnehmen und im Festhalten fixieren. [...] Gleich einem Photo halten die Vignetten einen Erfahrungsmoment fest und fixieren ihn sprachlich und in ihrer bestechenden Wirkung“

(Schratz, Schwarz & Westfall-Greiter 2012, S. 34f.).

(28)

Vignetten

franz. vigne, vignette (vgl. z. B. Schratz, Schwarz & Westfall-Greiter 2012; Meyer-Drawe 2012)

Beispielhafte Beschreibung

• Im Fokus: nicht-begriffliche bzw. nicht-propositionale Erfahrungsformen

Was des Gesagten und Wie einer Sprachgeste: Tonfall, Tempo, Rhythmus, Mimik, Gestik, Haltung, Gangart, Kleidung und Körperschmuck finden Eingang in die Vignette

• Tatsächliche Ereignisse, so wie sie sich in der Wahrnehmung und Erfahrung der Vignettenschreiber*innen als leibliche Artikulationen sichtbar verkörpern

• Kontextualisiert in Raum und Zeit

• Datenerhebung und -auswertung: „Auslese“

• Verdichtete Beschreibung

• Ästhetische Prägnanz

Sinnliche Erkenntnis und praktische Urteilskraft

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(29)

Forschungsinstrument Ausbildungsmedium

Erhebung erfahrungsbasierter Dimensionen des Lernens und Lehrens

Datenerhebung, Rückmeldung, Evaluation

Pädagogische, relationale, pathische Aspekte von Lernen und Lehren

„zugänglich“ machen

Heranbildung einer pädagogischen Achtsamkeit und Zuwendung

Ausbildung einer praktischen Urteilskraft

Einsatzgebiete

Innerhalb und außerhalb der Schule

1. Datenerhebung (Vignetten schreiben) 2. Datenbearbeitung (Vignetten lesen) 3. Datenanalyse (Vignetten-Lektüre)

1. Vignetten lesen 2. Vignetten-Lektüre 3. Vignetten schreiben

(30)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(31)

• Handwerkliche bzw. erlernbare Seite der phänomenologischen Schreibarbeit

• „Sprachkunst“ (Meyer-Drawe 2012, S. 14)

Welche Verben geben den Ton wieder, in dem etwas gesagt, oder den Klang, in dem es hörbar wurde? Ist dies wie in der Erfahrungssituation von Karin ein Flüstern, oder aber eher ein Wispern, ein Tuscheln oder ein Murmeln? Gleiches gilt für das Nachzeichnen des Blicks, der auf Karin fällt: Ist dieser streng, oder doch eher autoritär und bestimmt?

• Ziel: Vergegenwärtigung der gemachten Erfahrungen

• Annäherung an unerschöpfliche Erscheinungsweise der Dinge im

phänomenologischen Grundzug der „signifikativen Differenz“ im deskriptiven Modus des Etwas-als-Etwas

Datenerhebung:

Wie können Erfahrungen sprachlich übersetzt werden?

(32)

• Verdichtung der Rohvignetten im Forschungsteam bzw. in der Studierendengruppe

• Leitfragen, die dabei im Vordergrund stehen:

• Verlebendigen Vignetten die von den Vignettenschreiber*innen beschriebenen Erfahrungssituationen?

• Geben sie pointiert die wahrgenommenen leiblichen Expressionen wieder?

• Welche (zusätzlichen) Kontextinformationen sind notwendig, um die Erfahrungssituation verstehen zu können?

• Welche Kontextinformationen sind für eine mehrperspektivische Deutung dagegen schon engführend?

Datenbearbeitung:

Können die Erfahrungen in der Gruppe (intersubjektiv) nachvollzogen werden?

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(33)

Datenanalyse:

1. Schritt: Im Lesen über sich und andere lernen. Oder:

Sensibilität für Fremdes und andere/anderes

• Was irritiert mich? Was fällt mir auf? Welche Situation wird hier

beschrieben? Kenne ich ähnliche Situationen? Welche Phänomene zeigen sich mir in der Vignette? Wie zeigen sich diese?

• Jede*r erfährt im Lesen der Vignette etwas anderes

• Gegenstand wird zu einem bestimmten Gegenstand, indem er einen Sinn gewinnt und sich damit überhaupt erst als ein bestimmter

Gegenstand zeigen kann

• Genese des Sinnes wird nachgezeichnet und erfahrbar gemacht

• Raum für eigene und fremde (Lern-)Erfahrungen wird eröffnet

(34)

Datenanalyse:

2. Schritt: Vignetten-Lektüre – Reflexive Zugriffe auf Praxis. Oder:

Allgemeine Erkenntnisse im Vollzug des Besonderen

• Was steht da geschrieben, wie kann man das allgemein verstehen? („pointing to“, vgl. Finlay 2009)

• Wie entsteht Scham und Beschämung in der veranschaulichten Situation? Was hat dies mit Lernen zu tun?

• Verzicht auf die rekonstruierende Suche nach der „Wahrheit“ der Handelnden in der Vignette

• Suche nach Verstehensmöglichkeiten für Lernen am Geschehen, so wie es sich für die/den Einzelne*n beispielhaft zeigt

• Beleuchtung der Zusammenhänge zwischen Lernen und ihren gesellschaftlichen, sozioökonomischen oder kulturellen Bedingungen und Bedingtheiten

• Kontext, den Lektüre herstellt, ist jener zu übergeordneten Fragestellungen aus der Perspektive des Erfahrungs- und Theoriewissens der Lesenden

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(35)

1. Veränderung von Wahrnehmungsgewohnheiten 2. Ermöglichung von Lernerfahrungen

3. Im exemplarischen Handlungszusammenhang werden allgemeine

(theoretische) Zusammenhänge in konkreten Praxisvollzügen aufgezeigt

4. Antizipation von möglichen analogen Erfahrungssituationen (Theorie-Praxis- Bezug)

5. Zuwendung in Form einer pädagogischen Achtsamkeit und Zuwendung

Potenziale für die Professionalisierung von

(angehenden) Lehrpersonen

(36)

I. Entstehungskontext

II. Erkenntnistheoretische Prämissen III. Lernen als Erfahrung

IV. Vignetten und ihre Einsatzgebiete

V. Datenerhebung, -bearbeitung und -analyse im Prozess des Forschens

VI. Arbeit an Vignetten

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(37)

I. Lesen von Vignetten

(38)

Der lernseitgeBlick:

Welche Schlüsse lassen sich davon für mein (zukünftiges) Lehren

ableiten?

Ergänzen Sie „Lernen als…“ mit Verben, um

den Lernbegriff zu entfalten!

Wie zeigt sich die (Lern-)Erfahrung in dieser Vignette?

- Perspektive Lehrer*in

- Perspektive auf die Erfahrung der Schüler*innen

ALLEINE

Fokus: Lernen

IN DER GRUPPE

Was passiert hier?

Was für Erfahrungen zeigen sich in der

Vignette?

Wie fühlt sich die Atmosphäre an?

Welche Resonanzen und/oder Irritationen

spüre ich?

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(39)

Frau Hunter ist wie in der Englischstunde am vorigen Tag erneut dabei, den Unterschied zwischen „leave“ (1) und

„live“ (2) zu erklären. Diesmal geht es um die Aussprache. In den hinteren Reihen spielt Hannelore mit einem Gummiband. Frau Hunter sieht es und fragt: „What‘s that, a chewing gum?“ (3) „No“ (4), sagt Hannelore verlegen und schiebt das Band von sich. Unvermittelt ruft Frau Hunter: „Take it again!“ (5) Hannelore schaut sie verwundert

an, nimmt das Band in die Hand und schaut erneut zu Frau Hunter. Diese zieht nun zwischen ihren

hochgehobenen Händen ein fiktives, unsichtbares Gummiband langsam und weit auseinander, dabei spricht sie

„liiiiiiv ... have you seen? And now you!“ (6) Sie blickt Hannelore aufmunternd an. Diese lacht verlegen, zieht ihr Band auseinander und wiederholt „liiiiv“. Frau Hunter nickt zustimmend: „And now live!“ (7) Hannelore lässt das Band los und wiederholt „live!“. Hannelores Banknachbar schnappt sich das Band, dehnt es und lässt es mit einem

zischenden „live“ los. Frau Hunter lobt ihn: „Exactly!“ (8) Als mehrere Schülerinnen und Schüler Gummibänder hervorkramen, ruft sie: „No, stop it! No chance!“ (9) Die Schülerinnen und Schüler lachen.

Vignette: Hannelore und Frau Hunter

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(40)

II. Herausforderungen beim Schreiben von Vignetten

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(41)

Welche Verben und Adjektive geben die

Tonalität und Atmosphäre des Wahrgenommenen

wieder?

Welche Aussagen, Zitate, Regeln, die sich auf Tafeln, Wänden oder Gängen finden, springen ins Auge?

Notieren Sie sich dazu Stichworte,

ganze Sätze, Aussagen…

Was wird wie hörbar? Was wird wie spürbar?

Greifen Sie eine für Sie prägnante Erfahrung auf:

Wo merke ich auf? Was spricht mich an? Woran erfahre ich etwas Neues?

(42)

Nähe/Abgrenzung zu verwandten Verfahren

Warum habe ich genau diese Szene ausgewählt?

Wie übersetze ich meine Wahrnehmungen?

Wo beginne, wo ende ich?

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(43)

III. Resümee

(44)

Was nehme ich mit?

Welchen Erkenntnisgewinn schafft die Vignettenforschung?

Welche Anwendungsmöglichkeiten sehe ich für mich?

Evi Agostini, Universität Wien: „Vignettenforschung in Theorie und Praxis“

(45)

(Weiterführende) Literaturangaben:

Agostini, E. (2016). Lernen im Spannungsfeld von Finden und Erfinden. Zur schöpferischen Genese von Sinn im Vollzug der Erfahrung. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh.

Agostini, E., Schratz, M. & Risse, E. (2018). Lernseits denken – erfolgreich unterrichten. Personalisiertes Lehren und Lernen in der Schule. Hamburg: AOL.

Baur, S. & Peterlini, H. K. (Hrsg.). (2016). An der Seite des Lernens. Erfahrungsprotokolle aus dem Unterricht an Südtiroler Schulen – ein Forschungsbericht. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag.

Buck, G. (1989). Lernen und Erfahrung – Epagogik: zum Begriff der didaktischen Induktion (3., erw. Aufl.). Darmstadt:

Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Finlay, L. (2009). Debating Phenomenological Research. Phenomenology & Practice, 3(1), 6-25.

Künkler, T. (2011). Lernen in Beziehung. Zum Verhältnis von Subjektivität und Relationalität in Lernprozessen. Bielefeld:

transcript.

Lippitz, W. (1987). Phänomenologie als Methode? Zur Geschichte und Aktualität des phänomenologischen Denkens in der Pädagogik. In W. Lippitz & K. Meyer-Drawe (Hrsg.), Kind und Welt. Phänomenologische Studien zur Pädagogik (S. 101-130, 2., durchges. Aufl.) Frankfurt am Main: Athenäum.

Meyer-Drawe, K. (2010). Zur Erfahrung des Lernens. Eine phänomenologische Skizze. Filosofia 18 (3), S. 6-17.

Meyer-Drawe, K. (2012). Vorwort. In M. Schratz, J. F. Schwarz, T. Westfall-Greiter (Hrsg.), Lernen als (bildende) Erfahrung.

Vignetten in der Praxisforschung (S. 11-15). Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag

Mitgutsch, K. (2008). Lernen durch Enttäuschung. Skizze eines pädagogischen Umlernvollzugs. Dissertation zur Erlangung des Doktors der Philosophie – Wien.

Schratz, M., Schwarz, J. F. & Westfall-Greiter, T. (2012). Lernen als bildende Erfahrung. Vignetten in der Praxisforschung.

Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag.

Waldenfels, B. (1990). Der Stachel des Fremden.Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Waldenfels, B. (2002). Bruchlinien der Erfahrung. Phänomenologie, Psychoanalyse, Phänomenotechnik. Frankfurt am Main:

Suhrkamp.

Referenzen

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