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Reviewed by Thilo Nowack. Published on H-Soz-u-Kult (April, 2001)

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Funktionseliten im Spätmittelalter II (Büdingen, 29.-31.03.2001). Büdingen: Günther Schulz (Bonn) in Zusammenarbeit mit der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V., Institut für personengeschichtliche Forschung (Bensheim), 29.03.2001-31.03.2001.

Reviewed by Thilo Nowack

Published on H-Soz-u-Kult (April, 2001)

Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spät‐

mittelalter und in der frühen Neuzeit, Teil II.

39. Tagung "Buedinger Forschungen zur Sozi‐

algeschichte", veranstaltet von Guenther Schulz (Bonn) in Zusammenarbeit mit der Ranke-Gesell‐

schaft, Vereinigung fuer Geschichte im oeffentli‐

chen Leben e.V., und dem Institut fuer personen‐

geschichtliche Forschung (Bensheim), 29.-31. Mae‐

rz 2001 in Buedingen.

In Fortsetzung der letztjaehrigen Tagung the‐

matisierten die 39. Buedinger Gespraeche erneut soziale Aufstiegsprozesse in den gesellschaftli‐

chen Fuehrungsschichten in Spaetmittelalter und frueher Neuzeit. Generell gilt der Aufstieg nicht‐

adliger Fuehrungsschichten als wichtiges Kenn‐

zeichen des gesellschaftlichen Wandels seit dem Spaetmittelalter, als sich in den Staedten das vor allem grosskaufmaennisch gepraegte Patriziat im‐

mer staerker gegenueber dem Adel durchsetzte und schliesslich seine Position nach und nach auch geburtsstaendisch festigte. Diese Entwick‐

lung wurde durch den Aufschwung des Handels‐

kapitals zu Beginn der Neuzeit erheblich gefoer‐

dert. Mit der Ausweitung bzw. Ausdifferenzierung territorialer Verwaltungen seit dem 17. Jahrhun‐

dert bildete sich eine juristisch geschulte Beamte‐

naristokratie heraus, die wiederum die Schicht der buergerlichen Honoratioren ergaenzte oder gar verdraengte. Tagungsleiter Guenther Schulz (Bonn) zog einleitend ein Resuemee der neueren

Forschung, die differenzierend nach Faktoren sucht, die fuer den gesellschaftlichen Aufstieg aus‐

schlaggebend waren. Neben der beruflichen Qua‐

lifikation wird dabei mehr und mehr die heraus‐

ragende Bedeutung von sozialen Netzwerken her‐

vorgehoben. Persoenliche Beziehungen - durch Verwandtschaft, Bekanntschaft etc. - waren zwar nicht Garant fuer den gesellschaftlichen Aufstieg, ohne Beziehungen war Aufstieg aber ausseror‐

dentlich selten. Schliesslich formulierte Schulz als Ziel der Tagung, diese uebergreifenden und ver‐

einfachenden Thesen durch zeitlich und raeum‐

lich spezifizierte Einzeluntersuchungen zu diffe‐

renzieren und in personengeschichtlichen und strukturgeschichtlichen Ansaetzen zusammenzu‐

fuehren.

Die erste Einzeluntersuchung zur Frage der Voraussetzung fuer die Moeglichkeit sozialen Auf‐

stiegs wurde von Christine Reinle (Bochum) vor‐

gestellt. In ihrem Referat "Spaetmittelalterliche Landesverwaltung als Karrieresprungbrett? Das Beispiel Bayern auf dem Pruefstand" stellte sie fest, dass in ihrer Untersuchungsregion die Gren‐

zen zwischen Adel und Nichtadel nicht strikt ge‐

zogen waren und bestimmte Aemter der Landes‐

verwaltung auch Nichtadligen offen standen. Das Nebeneinander von adligen und nichtadligen Amtleuten liess eine staendische Identifizierung ueber das Amt nicht zu, was wiederum ausglei‐

chend gewirkt haben duerfte. Wichtig waren die

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Faehigkeit und Bereitschaft zur Kreditvergabe an den Landesherrn: Auf dem Weg des Amtsdarle‐

hens konnte man in den Besitz von Aemtern und Pflegen gelangen. Ohne ausreichenden Besitz, al‐

lein kraft Dienstes, war Aufstieg dagegen nicht moeglich. Des weiteren schlossen die Aemter der Aussenverwaltung haeufig den berittenen Dienst im Aufgebot als Pflicht ein. Da der Dienst zu Pfer‐

de sonst Ausweis adligen Standes war, konnte dies zu einer Annaeherung an den Adel fuehren.

Auch Personen unbestimmten Standes aus der Klientel von Turnieradelsfamilien konnten durch deren Protektion Aemter erlangen und sich damit als adlig praesentieren. Darueber hinaus versuch‐

ten auch Aufsteigerfamilien, in etablierte Perso‐

nennetze integriert zu werden bzw. ihre Ver‐

wandtschaft mit sich zu ziehen. In jedem Fall musste sich Aufstieg langsam vollziehen, wenn er erfolgreich verlaufen sollte. Blitzkarrieren stoer‐

ten offenbar das eingependelte Gleichgewicht zu den Mitkonkurrenten in einer Weise, die als Af‐

front wahrgenommen wurde und die daher zum Scheitern fuehrte. Interessanterweise spielte die universitaere Bildung in der spaetmittelalterli‐

chen bayerischen Administration im Gegensatz zu Fertigkeiten, die dem Bereich pragmatischer Schriftlichkeit angehoerten, so gut wie keine Rol‐

le.

Dieser Befund wurde von Christian Hesse (Bern) in seinem Vortrag "Qualifikation durch Stu‐

dium? Die Bedeutung des Universitaetsbesuchs in der lokalen Verwaltung spaetmittelalterlicher Ter‐

ritorien im Alten Reich" bestaetigt. Mit einer pro‐

sopographischen Analyse lokalen Verwaltungs‐

personals der vier Territorien Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Wuerttemberg in der Zeit zwischen 1450 und 1510 ging er der Frage nach, inwieweit die immer zahlreicher werdenden Stu‐

denten Aufnahme in die landesherrlichen Verwal‐

tungen fanden, die in jener Zeit einen Ausbau und zugleich eine Differenzierung der einzelnen Auf‐

gabenbereiche erfuhren. Die vier Territorien un‐

terschieden sich nicht nur in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, sondern auch verwaltungs‐

technisch. In Bayern und Wuerttemberg trifft man bereits um 1450 institutionalisierte Verhaelt‐

nisse an, in den beiden anderen Territorien dage‐

gen erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Fuer die Analyse wurden die aus den staedtischen Fuehrungsschichten oder dem Niederadel stam‐

menden "Finanzverantwortlichen" (u.a. Rentmeis‐

ter und Schosser) und die Schreiber getrennt be‐

trachtet. Dabei zeigte sich deutlich, dass die "Fi‐

nanzverantwortlichen", die studiert hatten, vor al‐

lem jenen Geschlechtern angehoerten, die im Handel taetig und erst seit kuerzerer Zeit in die staedtische Fuehrungsschicht aufgenommen wor‐

den waren. Sie begannen wahrscheinlich im Stu‐

dium eine Qualifikation zu sehen, mit der sie ihre Position halten konnten. In Bayern, wo andere Be‐

dingungen herrschten, wurde ein Artes-Studium nur fuer die geistliche Laufbahn als qualifizie‐

rend angesehen. Der Anteil Akademiker weltli‐

chen Standes kann deshalb allgemein als Indika‐

tor fuer die soziale Zusammensetzung der territo‐

rialen Amtstraeger und die wirtschaftlichen Grundbedingungen in einem Territorium dienen.

Zusammenfassend stellte Hesse fest, dass man im untersuchten Zeitraum in saemtlichen Territorien grundsaetzlich kein Artes-Studium benoetigte, um sich fuer eine landesherrliche Funktion zu qualifi‐

zieren. Eine moderne Verwaltung wie in Bayern bedurfte dieser Akademiker nicht. Andere Fakto‐

ren (u.a. Schulbesuch, soziale Herkunft und Bezie‐

hungen) waren immer noch wichtiger.

Im darauf folgenden Referat "Aufstiegsprozes‐

se im niederen Adel" konzentrierte sich Peter-Mi‐

chael Hahn (Potsdam) vor allem auf Fragen der Repraesentationsformen und des demonstrativen Konsums des Adels in der Fruehen Neuzeit.

Den "Sozialen Aufstieg in der Reichs- und Hansestadt Luebeck um 1500" nahm Antjekathrin Grassmann (Luebeck) in den Blick. Obwohl die Quellenlage zu diesem Thema guenstig ist, sind bisher nur Einzelaspekte untersucht worden.

Dennoch kann - mit aller Vorsicht - gesagt wer‐

den, dass Luebeck in seiner Funktion als die her‐

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ausragende wirtschaftliche Drehscheibe des Nor‐

dens im genannten Zeitraum das geradezu ideale Feld fuer den sozialen Aufstieg eines erfolgrei‐

chen Kaufmanns bot. Typisierend beschrieb Grassmann einen solchen Kaufmann als Zuwan‐

derer - meist aus dem Westen -, der auf die Foer‐

derung durch landsmannschaftliche bzw. fami‐

liaere Kreise rechnen konnte, erfolgreiche Ge‐

schaefte mit Schweden, Russland, Livland oder auch dem Westen abwickelte, zu Reichtum kam - nicht selten unterstuetzt durch eine guenstige Heirat - und in den Rat gewaehlt wurde. Flankie‐

rende Massnahme war die Mitgliedschaft in einer der wichtigen als Sprungbrett zum Aufstieg die‐

nenden Bruderschaften, die sich seit Mitte des 16.

Jahrhunderts gerade als Sammelpunkt fuer diese homines novi gebildet hatten. Sie entwickelten sich neben - und gewissermassen als Vorstufe - der exklusiven "Zirkelgesellschaft", deren Mitglie‐

der ratsfaehig waren, die aber nicht mit dem Rat identisch war. Reichtum und geschaeftlicher Er‐

folg waren der Ausgangspunkt fuer diese hoechs‐

te Stufe im Sozialprestige, nicht die staendische Zugehoerigkeit. Lebensstil, Wohnplatz und Stif‐

tungsgebaren standen in Wechselwirkung mit dem Aufstieg - nicht zuletzt auch die diplomati‐

schen Erfolge. Durch steten Wandel gekennzeich‐

net lagen Auf- und Abstieg nahe beieinander. Auf‐

stieg in der ersten Generation und Zuruecktreten oder Verschwinden in der naechsten oder ueber‐

naechsten Generation waren nicht selten. Diese Befunde muessen in Bezug gesetzt werden zu den politischen Wandlungen im Ostseeraum und zu den allgemeinen Entwicklungen des Handels im europaeischen Kontext dieser Zeit. Grassmann zielte mit ihrem Vortrag auch darauf, solche Un‐

tersuchungen anzuregen.

"Augsburger Fuehrungsschichten im 16. und 17. Jahrhundert. Soziale Mobilitaet und funktiona‐

le Differenzierung" standen im Mittelpunkt des Vortrags von Mark Haeberlein (Freiburg). Ausge‐

hend von den Forschungsergebnissen zu ober‐

deutschen staedtischen Fuehrungsschichten, die Rieber (1965), Blendinger (1968) sowie Press und

Endres (1978) in Buedingen vorgestellt hatten, wurden zunaechst Forschungsansaetze und -per‐

spektiven der letzten beiden Jahrzehnte disku‐

tiert: die Anwendung des Konzepts sozialer Ver‐

flechtung auf Augsburgs Fuehrungsschicht, die Frage nach der Sonderrolle der Fugger, die kon‐

fessionelle Differenzierung der Elite in einer bi‐

konfessionellen Reichsstadt sowie das Problem der soziooekonomischen Strukturwandlungen vor und waehrend des Dreissigjaehrigen Krieges und ihrer Auswirkungen auf die Fuehrungs‐

schicht. Auf der Basis des aktualisierten For‐

schungsstandes stellte er dann anhand ausge‐

waehlter Beispiele aus dem 16. und fruehen 17.

Jahrhundert einen eigenen Ansatz der staedti‐

schen Elitenforschung vor, der auf der Verknue‐

pfung von makrohistorischen Konzepten wie "so‐

zialem Wandel" und "Feudalisierung" mit einer mikrohistorischen Perspektive auf familiaere Be‐

ziehungsgeflechte, Strategien und Konflikte be‐

ruht. Dabei wurde vor allem die von Press und Endres favorisierte These eines Rueckzugs des Pa‐

triziats aus dem Handel auf das Land kritisch be‐

leuchtet: Statt wie bislang von einer Orientierung des staedtischen Buergertums am Adel auszuge‐

hen, behauptete Haeberlein die Existenz konkur‐

rierender sozialer Normen und Karriereoptionen, zwischen denen Angehoerige der Fuehrungs‐

schicht waehlen konnten.

Anja Victorine Hartmann (Mainz) ging in ih‐

rem Referat "Vom Refugié zum Ratsherrn? Chan‐

cen und Grenzen intergenerationellen Aufstiegs am Beispiel von Einwanderern in Genf (1537-1792)" ausfuehrlich auf die Frage der Be‐

deutung sozialer Netzwerke ein. Intergeneratio‐

nelle Mobilitaet (Generationenmobilitaet), die we‐

niger von individuellen Leistungen als von fami‐

liaeren Zusammenhaengen abhaengig ist und sich zudem ueber laengere Zeitraeume erstreckt, scheint auf den ersten Blick mit dem Normensys‐

tem der vormodernen Gesellschaft besser kompa‐

tibel zu sein als intragenerationelle Mobilitaet (Karrieremobilitaet). Die Erfolgschancen interge‐

nerationellen Aufstiegs waren aber ebenfalls von

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spezifischen Faktoren abhaengig, die sich nicht immer im Einklang mit den Ordnungsvorstellun‐

gen der staendischen Gesellschaft befanden. Am Beispiel von Einwanderern in Genf, die im Rah‐

men des "Premier Refuge" (im 16. Jahrhundert) und des "Second Refuge" (nach 1685) in die Stadt kamen, untersuchte Hartmann vier dieser Fakto‐

ren, und zwar erstens die Einflussmoeglichkeiten der etablierten politischen Elite auf die Aufstiegs‐

chancen von Zuwanderern, zweitens die struktu‐

rellen Rahmenbedingungen fuer einen Aufstieg in die politische Elite, drittens die Spezifika der Ein‐

wanderungsschuebe und viertens die Auswirkun‐

gen politischer Krisen auf die Mobilitaetschancen.

Insgesamt bestaetigen die Untersuchungen die Kompatibilitaet zwischen staendischer Gesell‐

schaft und intergenerationeller Mobilitaet, wobei die Grenzen der letzteren bis in die Mitte des 18.

Jahrhunderts im wesentlichen von den etablier‐

ten Eliten bestimmt wurden. Allerdings blieb das Personalreservoir, das sich aus den Einwande‐

rungsschueben ergab, dem Einfluss der alteinge‐

sessenen Eliten weitgehend entzogen. Ab der Mit‐

te des 18. Jahrhunderts ist zudem die allmaehli‐

che Aufloesung der staendischen Strukturen in ei‐

ner raschen Abfolge politischer Krisen zu beob‐

achten, die Aufstiegschancen auch fuer jene ero‐

effneten, die bisher durch die restriktiven Mass‐

nahmen der etablierten Eliten ausgeschlossen ge‐

wesen waren.

Im Abendvortrag ueber "Professionalisierung und sozialen Aufstieg bei oberdeutschen Kaufleu‐

ten und Faktoren im 16. Jahrhundert" war es wie‐

derum die Frage nach der Bedeutung der Qualifi‐

kation, mit der sich Markus A. Denzel (Goettin‐

gen) auseinander setzte. Er stellte erste vertiefen‐

de Zusammenhaenge zwischen dem Phaenomen des sozialen Aufstiegs und dem der Professionali‐

sierung in der oberdeutschen Kaufmannschaft vor allem des 16. Jahrhunderts heraus. Waehrend sozialer Aufstieg vergleichsweise gut erforscht ist, verdient nach Denzel der Gesichtspunkt der Pro‐

fessionalisierung verstaerktes Forschungsengage‐

ment. Es geht dabei um die Frage, welchen Stel‐

lenwert Professionalisierung im Vergleich zu wirt‐

schaftlichem Erfolg, der Einbindung in familiaer- soziale Netzwerke oder auch persoenlicher, cha‐

rakterlicher Befaehigungen des einzelnen Kauf‐

manns in den individuellen Aufstiegsprozessen wie auch fuer das zunehmende Sozialprestige der Kaufmannschaft in Oberdeutschland besass. Die Professionalisierung der kaufmaennischen Taetig‐

keit machte im Oberdeutschland des 16. Jahrhun‐

derts so grosse Fortschritte wie in keiner Zeit zu‐

vor, zunaechst einmal in der Ausbildung der an‐

gehenden Kaufleute und ihrer Handelsdiener mit der einsetzenden Formalisierung und Institutio‐

nalisierung von Qualifizierungsprozessen im kaufmaennischen Bereich. Zweifellos war und blieb der oekonomische Erfolg die wichtigste Grundvoraussetzung fuer den sozialen Aufstieg einzelner Kaufleute und Faktoren. Aber die Pro‐

fessionalisierung wurde zu einem keineswegs ge‐

ring zu veranschlagenden Element. Denn es ge‐

lang recht haeufig, auch relativ schlechte Vermoe‐

genslagen durch gute Ausbildung, lebenslanges Lernen und hohe Kompetenz in allen Fragen des Handels in nur wenigen Jahren auszugleichen und sich somit auch die Grundlagen fuer den Auf‐

stieg zu schaffen. Dabei scheint das Moment der Professionalisierung fuer Faktoren und andere Handelsdiener noch wichtiger gewesen zu sein als fuer die in der Regel bereits sozial etablierten Kaufleute, denn aus der urspruenglichen "Funkti‐

onsgruppe" wurde mit zunehmender Professiona‐

lisierung allmaehlich eine neue "Berufsgruppe", die der kaufmaennischen Angestellten.

Soziale Aufstiegsprozesse aus der niederrhei‐

nischen Region untersuchte Dieter Scheler (Bo‐

chum). Gegenstand seines Vortrages ueber "Patro‐

nage und Aufstieg im Niederkirchenwesen" war die Pfarrei als Zentrum des spaetmittelalterlichen Niederkirchenwesens am Beispiel von Kleve und Nordbrabant in der Zeit vor dem Tridentinum (1545-1563). Zunaechst problematisierte er ange‐

sichts der Beobachtungen an diesem Untersu‐

chungsgegenstand die zentralen Begriffe der Ta‐

gung "Funktionseliten" und "sozialer Aufstieg",

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die angesichts der geringen geforderten Qualifika‐

tionen der Geistlichen und des Doppelcharakters der Pfarrfunktion als Amt und Pfruende nur sehr bedingt greifen. Es zeigte sich, dass es dennoch epochenspezifische Wahrnehmungen sozialen Aufstiegs im Niederkirchenwesen gab, die nicht nur die Einzelperson, sondern auch deren Familie und Gemeinde im Blick hatten. Schwerpunkt der Ausfuehrungen war die Art und Weise, in der man zu solchen Stellen gelangte, d.h. die Patrona‐

ge, die kirchenrechtlich bereits im Institut des Pa‐

tronats angelegt war. Wenn residierenden Pfar‐

rern und noch staerker Vikaren und Stellvertre‐

tern abwesender Pfarrer der Aufstieg in Positio‐

nen des hoeheren Klerus in der Regel nicht ge‐

lang, so lag das vor allem daran, dass sie aus der unteren Mittelschicht kamen und sich dieser Auf‐

stieg ueber die Kanonikate der Stiftskirchen mit gewoehnlich qualifizierterer Universitaetsbildung und vor allem besseren Protektionschancen voll‐

zog, die der Oberschicht des Buergertums und dem Adel vorbehalten blieben.

Im klerikalen Themenfeld blieb auch Rudolf Holbach (Oldenburg), der sich in seinem Referat ueber "Sozialen Aufstieg in der Hochkirche" auf soziale Mobilitaet in den deutschen Hochstiften bis zur Erlangung von Domkanonikaten, Dignitae‐

ten und Bischofsstuehlen konzentrierte. Er skiz‐

zierte zunaechst die sich als Reaktion traditionel‐

ler Eliten auf die Ansprueche neuer Kreise vers‐

chaerfenden, freilich stark differierenden Zulas‐

sungsbedingungen bei den Domkapiteln. In sechs Abschnitten wurde dann auf Voraussetzungen, Wege und Formen sozialen Aufstiegs innerhalb der Hochkirche ebenso eingegangen wie auf die dazugehoerigen Verhaltensweisen und Reaktio‐

nen. Verschiedene Bereiche untersuchte Holbach hinsichtlich ihrer Bedeutung und versuchte sie zu typisieren: die uebliche Aufnahmepraxis durch Kooptation nach den bekannten Verflechtungskri‐

terien Verwandtschaft und Landsmannschaft; Bil‐

dung und Dienst fuer Herrschaftstraeger (Patro‐

nage und Klientel); der Weg ueber die Kurie mit Provision und Expektanz; die Bedeutung von Ver‐

moegen, Geldgeschaeften und Kreditierung fuer die Erlangung kirchlicher Wuerden; Konstanz bzw. Mobilitaet, Ruehrigkeit und Flexibilitaet in der Karriere als Faktoren; schliesslich Pfruen‐

denhaeufung, Stationen des Aufstiegs und not‐

wendige Wartezeiten. Dabei wurde ebenso die Frage nach zeitlicher Veraenderung, nach zu‐

saetzlichen beschleunigenden oder hemmenden Faktoren gestellt (z.B. Stiftsfehden, wirtschaftli‐

chen Krisen) wie die nach raeumlichen Unter‐

schieden durch soziale Zusammensetzung, Herr‐

schaftsverhaeltnisse u.a. Angesichts schwieriger Bedingungen blieb sozialer Aufstieg in der Hoch‐

kirche - wenn er nicht innerhalb des Stiftsadels erfolgte - auf Einzelpersonen beschraenkt und hatte eher eine flankierende als initiierende Funktion fuer den Aufstieg ganzer Familien. Im‐

merhin fand er unter bestimmten Voraussetzun‐

gen Akzeptanz, soweit er zur Wahrung spezieller Interessen diente und den grundsaetzlichen Vor‐

rang des Adels nicht beeintraechtigte.

Im letzten Vortrag ueber "Standes- und Rang‐

konflikte zwischen geburtsadligem Patriziat und akademisch geschulten Juristen in Frankfurt a. M.

im 17. und 18. Jahrhundert" befasste sich Andreas Hansert (Frankfurt/M.) zunaechst mit mentalen und sozialen Wandlungsprozessen im Frankfurter Patriziat der fruehen Neuzeit. War das Patriziat fuer wirtschaftliche Aufsteiger urspruenglich noch offen, so zogen sich die fuehrenden Patrizi‐

erfamilien, die sich in der Gesellschaft Alten-Lim‐

purg zusammengeschlossen hatten, mit dem Auf‐

kommen eines neuen adligen Standesethos' um 1500 von der Handelstaetigkeit zurueck. Die poli‐

tische Fuehrung kapselte sich sozial von den neu‐

en wirtschaftlichen Eliten ab, die sich seit der zweiten Haelfte des 16. Jahrhunderts vielfach aus zuwandernden Glaubensfluechtlingen rekrutier‐

ten. Ein neues Element im Frankfurter Patriziat seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert bildeten vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Re‐

zeption des roemischen Rechts die Juristen. Vor allem im 16. Jahrhundert waren akademisch ge‐

schulte Juristen als ebenbuertige Heiratspartner

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anerkannt und willkommen. Im Laufe des 17.

Jahrhunderts traten dann mehr und mehr rein ge‐

burtsstaendische Kriterien als Zugangsmerkmale des Patriziats hervor. Im Vortrag wurde der Wi‐

derspruch zwischen einer urspruenglich egalitaer angelegten Ratsverfassung und dem historisch ge‐

wachsenen Anspruch der fuehrenden Familien auf die Ratsmacht herausgearbeitet. Anlaesslich eines Streits um protokollarischen Vortritt zwi‐

schen Patriziern und Graduierten kam es 1705 zu einer grundsaetzlichen Auseinandersetzung: soll‐

te der Geburtsadel oder das professionell erwor‐

bene persoenliche Verdienst, die "meriten", die bessere Legitimation fuer den Fuehrungsan‐

spruch haben? In dieser Schaerfe traten die bei‐

den Paradigmata Geburt und Leistung einander selten in der historischen Wirklichkeit der Stadt Frankfurt gegenueber.

Die Tagung machte deutlich, dass die bisher gaengigen Thesen zu Aufstiegsmoeglichkeiten von Funktionseliten einer eingehenderen Ueberprue‐

fung und Differenzierung beduerfen. Dabei rue‐

cken in der neuesten Forschung vor allem die Aspekte Professionalisierung und soziale Netz‐

werke in den Vordergrund des Interesses. Bedaue‐

rlich bleibt, dass soziale Abstiegsprozesse bisher nur in Ausnahmefaellen untersucht wurden. Hier besteht weiterhin umfangreicher Forschungsbe‐

darf.

Die Beitraege der Tagungen 2000 und 2001 werden im Oldenbourg-Verlag erscheinen: Guen‐

ther Schulz (Hg.): Sozialer Aufstieg. Funktionseli‐

ten im Spaetmittelalter und in der fruehen Neu‐

zeit. Buedinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000/2001 (Deutsche Fuehrungsschichten in der Neuzeit, Band 25), Muenchen 2001/02.

If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

Citation: Thilo Nowack. Review of Funktionseliten im Spätmittelalter II (Büdingen, 29.-31.03.2001). H- Soz-u-Kult, H-Net Reviews. April, 2001.

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