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Reviewed by Mathias Rautenberg. Published on H-Soz-u-Kult (April, 2014)

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Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen. Stiftung Mecklenburg; Europäische Akademie Mecklenburg-Vorpommern,

08.11.2013-09.11.2013.

Reviewed by Mathias Rautenberg Published on H-Soz-u-Kult (April, 2014)

Auch die beiden mecklenburgischen Herzog‐

tümer waren bis 1813 von der französischen Be‐

satzung betroffen und in die Auseinandersetzun‐

gen darum einbezogen.

Die Stiftung Mecklenburg (Schwerin) und die Eu‐

ropäische Akademie Mecklenburg-Vorpommern (Waren) veranstalteten dazu am 8./9.11.2013 eine wissenschaftliche Tagung zum Thema: „Die Her‐

zogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklen‐

burg-Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen“. Namhafte Regionalhistoriker legten ihre Forschungsergebnisse und Sichtweisen zu ausgewählten Aspekten des Geschehens vor 200 Jahren vor, mit dem Ziel, überkommene Irrtümer, Legenden und Mythen zu destruieren.

HELMUTH FREIHERR VON MALTZAHN (Ul‐

richshusen), Vorstandsvorsitzender der Stiftung sowie der Europäischen Akademie, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem pointierten historischen Exkurs, in dem er die landesgeschichtlichen Ereignisse mit der Ge‐

schichte seiner Familie verband. Dabei bestätigte er en passant die Einsicht, dass wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung und fiktives Erzählen ein‐

ander zwar einerseits ausschließen, aber Wirk‐

lichkeit und Imagination, Tatsachen und Erdichte‐

tes sich in unserem Geschichtsbewusstsein ande‐

rerseits immer wieder vermischen, weshalb die Grenzziehung durch Historiker und die Produkte ihrer Forschungsarbeit nötig ist, um das Reale von

den mannigfaltigen Formen des Fiktiven zu tren‐

nen.

Einführend beschrieb GÜNTER KOSCHE (Ro‐

stock) die Vielschichtigkeit der Aktivitäten in der Gegenwart zur Erinnerung an die Kämpfe gegen die Napoleonische Fremdherrschaft 1813. Deren Grundanliegen entsprach auch die Zielstellung der Tagung an der Europäischen Akademie Meck‐

lenburg-Vorpommern: Pflege der Erinnerungs- und Geschichtskultur durch eine kritische Be‐

trachtung der „Franzosenzeit“ sowie der Kämpfe, die im Frühjahr und Herbst 1813 das Ende der na‐

poleonischen Ära in Europa einleiteten, aus der regionalgeschichtlichen Perspektive, das heißt durch die „mecklenburgische Brille“.

In seinem Einführungsvortrag untersuchte ROBERT RIEMER (Greifswald) in einer zwanzig‐

jährigen Zeitreise das Verhältnis zwischen Napo‐

leon und Deutschland, um dabei die „Franzosen‐

zeit“ in Mecklenburg in den „nationalen“ und eu‐

ropäischen Kontext einzuordnen. Er richtete den Blick besonders auf jene Berührungspunkte in der deutsch-französischen Geschichte von 1792 bis 1815, in denen sich die gesellschaftspoliti‐

schen Beziehungen und militärischen Ziele der Kontrahenten schlaglichtartig offenbaren. Der Re‐

ferent zeichnete deshalb in einer tour d’horizont einen weiten Bogen von den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich über den Aufstieg und die Herrschaft Napoleons bis

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hin zu seinem Sturz und dem Wiener Kongress.

Berührungspunkte gab es viele. Allein die Tatsa‐

che, dass in jedem der sechs Koalitionskriege min‐

destens eine der beiden deutschen Großmächte – Österreich und/oder Preußen – Frankreich bzw.

Napoleon kämpfend gegenüberstand, verweist auf die Konflikte und Bündnisverpflichtungen so‐

wie die daraus resultierenden umfangreichen Wechselwirkungen. Schließlich sorgten Macht und Einfluss Napoleons im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als er nach der deutschen Staa‐

tenwelt griff, nicht nur für den Untergang des Heiligen Römischen Reiches, sondern auch für eine – wenn auch in Wien deutlich gebremste – Umstrukturierung und Modernisierung Europas und Deutschlands.

MICHAEL BUSCH (Hamburg/Rostock) behan‐

delte in seinem Vortrag über die mecklenburgi‐

schen Stände zwischen Modernisierung und Be‐

harrung die Frage, ob in den beiden mecklenbur‐

gischen Herzogtümern mit dem Beitritt zum Rheinbund eine Reformpolitik einsetzte und ob der Weg zu moderner Staatlichkeit und Staatsbür‐

gergesellschaft beschritten wurde. In seinen Aus‐

führungen untersuchte er das Verhältnis der Lan‐

desherrschaft und der Landstände zu einer Re‐

form der Verfassung, der repräsentativen Elemen‐

te, des Finanz- und Justizwesens, vor allem die Be‐

reitschaft zur Auflösung der Lehnsverfassung und der Leibeigenschaft sowie zur Beseitigung altade‐

liger Privilegien. „Wenn ja“, so lauteten seine Pro‐

blemfragen, „wer waren dann die Träger dieser Reformen, welche Gruppen und Netzwerke be‐

standen, um sie durchzuführen oder um sie zu verhindern?“ Anhand der Konvents- und Land‐

tagsverhandlungen der Jahre 1806/08 und 1813 konnte Michael Busch überzeugend darlegen, dass nahezu alle Reformanstrengungen der her‐

zoglichen Regierung und eines aufgeklärten Teils der mecklenburgischen Stände von der Mehrheit der ultrakonservativen Ritterschaft blockiert wur‐

den, die dafür in erheblichem Maße die Staats‐

chulden beglich. Auf dem Gebiet der Judeneman‐

zipation jedoch wurde Mecklenburg für kurze

Zeit zum Vorreiter. Mit dem Emanzipationsedikt vom 22. Februar 1813, das in wesentlichen Teilen ohne Wissen und Beteiligung der Stände, von den jüdischen Gemeindevorstehern selbst verfasst worden war, erhielten die Juden in Mecklenburg für einige Jahre gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten wie die Christen, bis – begünstigt durch die nahezu überall im Deutschen Bund herrschen‐

de revisionistische Stimmung – auf Betreiben der Stände dieses mecklenburgische Edikt am Ende des Jahres 1817 aufgehoben wurde.

Über die Beteiligung mecklenburgischer Truppen in den Napoleonischen Kriegen von 1806 bis 1815 referierte der Militärhistoriker KLAUS- ULRICH KEUBKE (Schwerin). Dabei stützte er sich vor allem auf die Resultate seiner langjährigen Forschungen und wies nach, dass beide mecklen‐

burgische Herzogtümer, die durch die erzwunge‐

ne Mitgliedschaft im Rheinbund zur aktiven Teil‐

nahme an den Kriegen Napoleons verpflichtet wa‐

ren, besonders hohe Verluste im Feldzug gegen Russland 1812 erlitten. So überlebten nach den statistischen Analysen des Redners vom Schweri‐

ner Kontingent-Regiment den „Marsch durch Feu‐

er und Eis“ nur 6,8 Prozent der Mannschaften und Unteroffiziere und sogar nur 5,2 Prozent der Offiziere. Ähnlich erging es den Truppen aus Mecklenburg-Strelitz. Nachdem jedoch das Schicksal der Großen Armee in Russland Ende 1812 besiegelt war, sagten sich beide mecklenbur‐

gischen Herzogtümer als erste deutsche Staaten vom Rheinbund los und kämpften fortan auf der Seite der Verbündeten gegen Napoleon. Letztlich boten sie an die 10.000 Männer auf, die in den Be‐

freiungskriegen 1813-1815 gegen den französi‐

schen Usurpator ins Feld zogen.

Einen wichtigen Platz nahmen im Rahmen der Tagung historische Persönlichkeiten ein, die sich im Ringen gegen die französische Vorherr‐

schaft und die zunehmende Tyrannei Napoleons einen großen Namen machten. Zu den „Helden aus Leidenschaft“ gehört Major Ferdinand Baptis‐

ta von Schill aus Wilmsdorf bei Dresden ebenso

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wie der preußische Generalfeldmarschall Geb‐

hard Leberecht von Blücher aus Rostock. Jede deutsche Gesellschaftsordnung hat sie sich als ihre Helden zurechtgelegt, die bis heute in vielge‐

staltigen Mythen und Legenden fortwirken. Die Fakten der Ereignisgeschichte von den Fiktionen zu trennen, war Anliegen der Referenten Wolf Karge und Karl-Heinz Steinbruch.

Der Rebellenzug Schills 1809 durch Westfalen und Norddeutschland wurde von KARL-HEINZ STEINBRUCH (Schwerin) eingehend beschrieben.

Er stellte fest, dass diese Geschichte bereits in hunderten Publikationen behandelt wurde. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung stand die Flucht des schillschen Freikorps durch Mecklenburg und Vorpommern bis zu seinem tragischen Ende in den Straßen von Stralsund. Dabei hob er hervor, dass der Mythos der Heldenfigur Schill bereits von den Zeitgenossen (Ernst Moritz Arndt) kon‐

struiert wurde. Steinbruch charakterisierte den Zug, mit dem Schill das Fanal zum Aufstand gegen Napoleon geben wollte eher als Ausdruck von Tollkühnheit denn strategisch überlegten Han‐

delns. Eingehend schilderte der Referent die Aus‐

wirkungen auf die Bevölkerung der mecklenbur‐

gischen Orte, in denen Schills Freikorps Stellung bzw. Quartier bezog; zum Beispiel in Dömitz.

Noch deutlicher wurde dieser Aspekt durch die Vorstellung seiner neuesten Forschungsergebnis‐

se über die wirtschaftlichen Belastungen des mehrtägigen Aufenthaltes der schillschen Husa‐

ren für die Bewohner der Stadt Wismar, die er ge‐

rade durch die Auswertung von Ratsakten im Stadtarchiv Wismar gewonnen hatte.

WOLF KARGE (Schwerin) schilderte den Le‐

bensweg und die Lebensleistung des Mannes, den – nach seiner Aussage – die russischen Waffen‐

brüder hochachtungsvoll „Мapшaлл пошёл – Marschall Vorwärts“ nannten: Gebhard Leberecht von Blücher. Er charakterisierte ihn als eine der großen patriotischen Identifikationsfiguren der deutschen Geschichte im Allgemeinen und der Be‐

freiungskriege im Besonderen und nannte ihn

den „richtigen Mann – zur richtigen Zeit – am richtigen Ort.“ (Die Ausstellung des Stadtge‐

schichtlichen Museums Leipzig, die am 4. Septem‐

ber 2013 eröffnet wurde und bis zum 5. Januar 2014 zu sehen war, zählt ihn zu den „Helden nach Maß“.) Die Huldigungen, Ehrbezeugungen und Auszeichnungen, die ihm bereits zu Lebzeiten zu‐

teil wurden, sind nach Karges Aussage Legion, darunter die beiden ihm von den Universitäten Oxford und Berlin verliehenen Doktortitel hono‐

ris causa. In Kenntnis der Persönlichkeit seines Protagonisten gelang es Karge auch, den Fürsten von Wahlstatt vom Sockel der hehren Geschichts‐

schreibung zu holen und Blücher in einem ausge‐

wogenen Gesamturteil als einen blutvollen Men‐

schen mit seinen Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten, Vorzügen und Nachteilen zu präsen‐

tieren. Unverständnis rief seine Mitteilung bei den Anwesenden hervor, dass seine Geburtsstadt Rostock über die größte Sammlung von Blücher‐

unterlagen bzw. -devotionalien verfügt, diese aber bislang nicht ausgestellt hat.

An den Befreiungskriegen beteiligten sich auch elf – bislang namentlich bekannte – Frauen, getarnt in Männerkleidung mit der Waffe in der Hand. Zu ihnen gehörte Friederike Krüger aus Friedland, die 1814 mit in Paris einzog und vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. als erste Frau das von ihm gestiftete Eiserne Kreuz verlie‐

hen bekam. Die Stiftungsurkunde wurde bewusst auf den 10. März 1813 datiert, den Geburtstag der Königin Luise.

Über Königin Luise und die preußische Politik zu Beginn des 19. Jahrhunderts berichtete in ei‐

nem kurzweilig gehaltenen Vortrag MANFRED JATZLAUK (Rostock). Einleitend stellte er heraus, dass sich Preußen durch die Einflussnahme Napo‐

leons auf die Entwicklung in Deutschland nicht nur brüskiert, sondern regelrecht provoziert sah.

Die Königin Luise Auguste Wilhelmine Amalie, Herzogin von Mecklenburg-Strelitz gehörte zu den treibenden Kräften, die ihren Ehegatten, den König Friedrich Wilhelm III., zur Entscheidung

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drängten, Frankreich auch ohne Unterstützung anderer Mächte den Krieg zu erklären. Haupt‐

sächlich beleuchtete der Referent aber die Rolle der Kabinette und der Ministerialbürokratie. Da‐

bei nahm er eine Umwertung der politischen Rol‐

le der „Königin der Herzen“, wie sie der Dichter und Philologe August Wilhelm von Schlegel be‐

zeichnet hatte, vor und korrigierte die in den be‐

kannten Biografien vertretene Auffassung und in der Öffentlichkeit weit verbreitete Meinung über die „preußische Madonna“ (Christine von Brühl) und destruierte die Legende von ihrer Einfluss‐

nahme auf die von Männern dominierte prakti‐

sche Politik der Hohenzollern, vor allem aber in der Begegnung zwischen ihr und Napoleon am 6.

Juli 1807 im Hause des Justizkommissionsrates Ernst Ludwig Siehr in Tilsit.

Historiker unterliegen einem strikten Realis‐

musgebot und sind verpflichtet, darzustellen und zu erklären, was im Leben von Menschen wirk‐

lich passiert ist. Deshalb standen auch Faktizität und Authentizität im Vordergrund bei der Be‐

trachtung der zuvor aufgeführten Themen. An‐

ders ist es hingegen bei den Schriftstellern und Dichtern. Sie haben die Freiheit, zu schildern und zu beschreiben, was möglicherweise hätte gesche‐

hen können. Fritz Reuter liefert uns in Person und Werk ein augenscheinliches Beispiel.

Über Fritz Reuter und seine Erzählung „Ut de Franzosentid“ berichtete CORNELIA NENZ (Sta‐

venhagen). Angesichts bereits publizierter ausgie‐

biger Betrachtungen von „Ut de Franzosentid“ be‐

handelte sie das Thema vorwiegend aus dem Sta‐

venhagener Blickwinkel, referierte darüber hin‐

aus über die politisch motivierte Rezeption der Reuterschen Erzählung. Obwohl Fritz Reuter selbst zu jener Zeit, als die aus dem Russland-Feld‐

zug zurückströmenden Franzosen seine Vater‐

stadt besetzten, gerade erst zwei Jahre alt war, mussten die Vorfälle und Erlebnisse mit ihnen in den Erzählungen der Stadtbewohner eine große Rolle gespielt haben. Zu gravierend waren die Er‐

innerungen seines Vaters, des Bürgermeisters, der

für die Unterbringung der Besatzer und die Auf‐

rechterhaltung des städtischen Lebens verant‐

wortlich gewesen war. Für einige Episoden aus Reuters Erzählung finden sich auch Belege in Briefen des Stavenhagener Amtmanns Weber.

Fritz Reuter, seit 1859 Mitglied des National-Ver‐

eins, fand mit der Aufnahme des Themas der Be‐

freiungskriege bei den konservativen wie den na‐

tionalliberalen Kräften Resonanz. Die Referentin zeigte an einigen Beispielen wie die politischen Verhältnisse, besonders die erneute Zuspitzung der deutsch-französischen Beziehungen, nicht nur zu erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber dieser Erzählung, sondern auch zu zahlreichen rezepti‐

onsgeschichtlich bemerkenswerten Adaptionen führten. Die in den Theatern gespielten Stücke er‐

reichten eine besonders große Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. Von 1870 an wurde die „Fran‐

zosentid“ nicht nur als Komödie, sondern in un‐

terschiedlichen „Zeitstücken“, „Zeitbildern“ und zwei Opern zu ausdrücklicher Kriegspropaganda auf die Bühne gebracht. Sie begleiteten den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und fanden später agitatorische Verwendung im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg. Zum Abschluss des Vortra‐

ges wurden Szenen aus dem 1983 von NDR und DEFA in Stavenhagen gedrehten Film „Ut de Fran‐

zosentid“ gezeigt.

Mit ihren patriotischen Gedichten, die zum Teil vertont und als Lieder verbreitet wurden, nahmen die „Dichter der Befreiungskriege“ ent‐

scheidenden Einfluss auf das Nationalbewusst‐

sein der Menschen in Deutschland. Als gefühlsbe‐

tonte Medien hatten sie einen erkennbaren Anteil an Sinnstiftungsprozessen im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Dennoch ruft die Lyrik der Befreiungskriege beim heutigen Leser weniger Zustimmung und Identifikation, sondern eher Reflexe von Abkehr und Distanzierung her‐

vor. ANDREA RUDOLF (Opole/Neubrandenburg) machte deutlich, dass die bewusste Auseinander‐

setzung mit den lyrischen Texten jener Jahre gera‐

de wegen der Gleichzeitigkeit von emanzipatori‐

schen und chauvinistischen Elementen zur politi‐

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schen wie zur literarischen Bildung gehören soll‐

te. An ausgewählten Beispielen belegte sie, dass eine Trennung zwischen früherem menschen‐

freundlichen Kosmopolitismus bzw. Patriotismus und späterem aggressiven Nationalismus nicht aufrecht zu erhalten ist. Viele vaterländische To‐

poi wurden bereits früher ausgeformt. An Gedich‐

ten aus den Befreiungskriegen zeichnete sie einen durchgehenden vornationalen bzw. nationalen Vaterlandsdiskurs nach und untersuchte die Fra‐

ge, ob es den Autoren tatsächlich um die Populari‐

sierung des Bewusstseins ging, einer Nation anzu‐

gehören, um dadurch eine überregionale Mobili‐

sierung der Bevölkerung in allen Teilen Deutsch‐

lands zu erreichen. Von der Referentin wurde die enorme soziale Reichweite der Aufrufe, ihr die Stände übergreifender Appell thematisiert. Sie ar‐

beitete auch die Dichotomie der Geschlechterdar‐

stellung in den lyrischen Texten heraus. Die an‐

schließende Diskussion über Schwierigkeiten des Umgangs mit einer Lyrik die Fremdenhass und Kriegsgewalt verherrlicht, kam zu dem Ergebnis, dass das Unbehagen an solcher Literatur solange nicht abreißen dürfte, wie nicht ein übergreifen‐

der Gesichtspunkt gefunden sei, von dem aus die Dinge ihre dialektische Natur offenbaren. Beide Tendenzen – nationale Emanzipation und hass‐

volle Feindbildkonstruktion – waren einander Kehrseiten. Dies ließe sich auch an lyrischen Tex‐

ten anderer Völker zeigen, die im 19. Jahrhundert um ihre Selbstbestimmung und Nationswerdung rangen.

Mit seinem Abschlussreferat beleuchtete MATTHIAS MANKE (Schwerin) mecklenburgische Erinnerungsorte aus der Franzosenzeit und den Befreiungskriegen und ließ ihre Wirkungsge‐

schichte über 200 Jahre lebendig werden. In sei‐

nen Ausführungen flossen historische und litera‐

rische Betrachtung zusammen. Er benannte und bündelte nicht nur mecklenburgische Erinne‐

rungsorte dieser Epoche, sondern sichtete kritisch ihre Symbolkraft in der regionalen Geschichtsre‐

zeption und Traditionspflege und zeigte ihre iden‐

titäts- und sinnstiftende Wirkung für die Ausprä‐

gung und die Vertiefung des regionalen Ge‐

schichtsbewusstseins. Dieser Untersuchungsan‐

satz verdient es, ausgebaut zu werden, resümierte der Referent, um einerseits die Geschichts- und Kulturlandschaft des Bundeslandes aus verschie‐

denen Blickwinkeln historischer Forschung zu be‐

trachten und andererseits um Irrtümer richtig zu stellen, Urteile zu überprüfen und Legenden, My‐

then und Erdichtetes über die Franzosenzeit und die Befreiungskriege zu widerlegen. Der Referent hat dafür eine theoretisch stimmige und in der Praxis umsetzbare Orientierung gegeben.

Wenn nunmehr, basierend auf den Vorträgen dieser Tagung, ein Projekt zur Umsetzung dieser Ideen und Empfehlungen entstünde, betonte der Moderator Günter Kosche, dann könnten sogar die beiden Ausrichter der Veranstaltung, die Stif‐

tung Mecklenburg und die Europäische Akademie Mecklenburg-Vorpommern, das geschichtsträchti‐

ge Qualitätssiegel Erinnerungsort erhalten und Eingang finden in die kollektive Erinnerung unse‐

rer Region.

Seine Zusammenfassung beschloss der Mode‐

rator mit einem Blick auf die Zeit nach der Über‐

windung Napoleons, als, nachdem die beiden mecklenburgischen Herzogtümer, beim Wiener Kongress zu Großherzogtümern erhoben worden waren und ihre Herrscher nunmehr das Recht auf die Anrede Königliche Hoheit hatten, aus den vormaligen Freiheitsdichtern sehr schnell so ge‐

nannte Demagogen, wie Friedrich Ludwig Jahn, Ludwig Uhland, gemacht wurden. Die breite Mas‐

se der Mecklenburgerinnen und Mecklenburger aber, die in der Franzosenzeit die drückende Last der Fremdherrschaft geschultert und sich tapfer im Kampf gegen Napoleon geschlagen hatten, blieben, was sie vorher waren, Untertanen.

In Vertretung der Geschäftsführerin der Stif‐

tung Mecklenburg nahm MATHIAS RAUTENBERG (Rostock) die Gelegenheit wahr, den Dank an Re‐

ferentinnen und Referenten sowie den Tagungs‐

leiter mit der Bemerkung zu verbinden, dass alle Vortragenden durch neue Quellen, Bewertungen,

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Fragestellungen oder Zusammenhänge die Debat‐

te über die Sicht auf die Geschichte des Krieges zur Befreiung von napoleonischer Herrschaft be‐

lebt haben. Die kritische Reflexion von Matthias Manke zum Umgang mit Geschichtsbildern auf‐

greifend, betonte er die Aufgabe von Geschichts‐

schreibung als wissenschaftliche Disziplin, sich immer wieder der Sisyphosarbeit zu stellen, sich mit Instrumentalisierung, Trivialisierung und Zu‐

richtung von Geschichtserzählung auseinander‐

zusetzen.

Konferenzübersicht:

Helmuth Freiherr von Maltzahn, (Stiftung Mecklenburg/Europäische Akademie M-V), Begrü‐

ßung

Günter Kosche (Rostock), Einführung

Robert Riemer (Greifswald), Napoleon und Deutschland

Michael Busch (Hamburg/Rostock), Die meck‐

lenburgischen Stände zwischen Modernisierung und Beharrung

Klaus-Ulrich Keubke (Schwerin), Beteiligung mecklenburgischer Truppen in den Napoleoni‐

schen Kriegen

Cornelia Nenz (Stavenhagen), Fritz Reuters

„Franzosentid“ – Literarische Rezeption der Fran‐

zosenzeit

Wolf Karge (Schwerin), Marschall „Vorwärts“

– Gebhard Leberecht von Blücher Abendvortrag:

Andrea Rudolf (Opole/Neubrandenburg), Lyrik der Befreiungskriege

Karl-Heinz Steinbruch (Schwerin), Das Frei‐

korps Schill in Norddeutschland

Manfred Jatzlauk (Rostock), Königin Luise und die preußische Politik zu Beginn des 19. Jahr‐

hunderts

Matthias Manke (Schwerin), Mecklenburgi‐

sche Erinnerungsorte – Die Befreiungskriege in der regionalen Geschichtsrezeption

Mathias Rautenberg (Stiftung Mecklenburg), Resümee der Tagung

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If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

Citation: Mathias Rautenberg. Review of Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg- Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. April, 2014.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=41520

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