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gutbegleitet Frühe Hilfen in Kärnten und die Bedeutung intersektoraler Zusammenarbeit für eine erfolgreiche Projektumsetzung

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Universitätslehrgang Kärntner Medizinische Universität Public Health Gebietskrankenkasse Graz

„gutbegleitet“ – Frühe Hilfen in Kärnten

und die Bedeutung intersektoraler Zusammenarbeit für eine erfolgreiche Projektumsetzung

Mag. Marco Strempfl

Betreuerin: Dr. Sabine Haas Gesundheit Österreich GmbH (GÖG)

Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades Master of Public Health

Graz, 30. September 2017

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Kurzfassung

Hintergrund

Der Grundstein für die Gesundheit des Menschen wird bereits im frühen Kindesalter gelegt. Besonderen Einfluss auf die spätere gesundheitliche Entwicklung hat das Setting „Familie“. Um dieses Setting möglichst effektiv zu unterstützen, damit Kinder in einer gesundheitsförderlichen Umwelt aufwachsen können, benötigt es die Zusammenarbeit unterschiedlicher Politikfelder.

Forschungsfragen

Die primäre Forschungsfrage lautet: „Welchen Einfluss hat die intersektorale Kooperation auf die Umsetzung von Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekten?“

Weitere wesentliche Fragestellungen waren, durch welche Faktoren und Prozesse die intersektorale Zusammenarbeit begünstigt oder erschwert wird, welche Herausforderungen es im Rahmen sektorenübergreifender Kooperation zu berücksichtigen gibt und was für die Nachhaltigkeit mitbedacht werden muss.

Zusätzlich sollte eine Einschätzung des Umsetzungsstandes der Frühen Hilfen in Kärnten skizziert, sowie der Einfluss der Steuerungsgruppe auf die Projektumsetzung beschrieben werden.

Ziel der Arbeit

Ziel dieser Masterarbeit war es herauszufinden, ob eine auf „Health in All Policies“

ausgerichtete Projektstruktur von Praktikern in Kärnten als Erfolgsfaktor für eine gelungene Umsetzung eines Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekts angesehen wird.

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde als Methode die qualitative Sozialforschung gewählt. Hier fiel die Wahl für das Instrument zur Beantwortung der Forschungsfragen auf die Analyse von Leitfadeninterviews. Befragt wurden die Mitglieder der Steuerungsgruppen zu den Frühen Hilfen in Kärnten.

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Zentrale Ergebnisse

Aus der Analyse der Interviewergebnisse dieser Masterarbeit geht klar hervor, dass intersektorale Kooperation von den befragten ExpertInnen in Kärnten als ein Grundstein für eine erfolgreiche Umsetzung eines Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojektes gilt.

Herausforderungen dabei sind unter anderem die unterschiedlichen Kulturen der relevanten Institutionen, unterschiedliche Rahmenbedingungen, fehlendes Verständnis für andere Vorgehensweisen und das Umgehen mit Befindlichkeiten.

Der Nutzen von sektorenübergreifender Zusammenarbeit wird unter anderem dargestellt durch das Sammeln von Erfahrungen, das Lernen von Anderen, das Entstehen von Synergien.

Als Erfolgsfaktoren intersektoraler Zusammenarbeit wurden unter anderem identifiziert: Offenheit, Vertrauen, klare Kommunikation, Transparenz, professionelles Projektmanagement, gemeinsame Ziele, klare Regelungen und verlässliche Partner.

Schlussfolgerung

Prävention und Gesundheitsförderung sollten ein fixer Bestandteil der Gesundheitspolitik sein, um Strategien nachhaltig und effektiv umsetzen zu können. Es empfiehlt sich eine Strategie zur Verbesserung der Gesundheit in der frühen Kindheit nicht in einem Politikressort allein umzusetzen, sondern diese in eine gesundheitliche Gesamtpolitik zu integrieren. Ein erster Schritt hierzu ist die sektorenübergreifende Umsetzung von Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekten.

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Abstract

Background

The foundation of human health is influenced in the early childhood. The setting

“family” has a special influence on the health development. In order to support this setting, so that children can grow up in a health-promoting environment, cooperation between different policy areas is needed.

Questions of interest

Primary research question: "What influence does inter-sectoral cooperation have on the implementation of health-promotion and prevention projects?"

Other key questions: Factors and processes that influence inter-sectoral cooperation in a positive or a negative way, challenges of cross-sectoral cooperation and the need for sustainability. In addition, an assessment of the implementation status of “Early Aid” (Frühe Hilfen) in Carinthia should be outlined, as well as the influence of the steering group on the project implementation.

Objectives

The aim of this master thesis was to find out whether a project structure based on

“Health in All Policies” is regarded as a factor for a successful implementation of a health promotion and prevention project by practitioners in Carinthia.

Methods

In order to answer the research questions, qualitative social research was chosen as the method. The qualitative Interview was chosen as the instrument for answering the research questions. Answers of the members of the “early aid”

steering group in Carinthia were analyzed.

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Main results

It is clear from the analysis of the interview results that inter-sectoral cooperation, according to the experts in Carinthia, is a cornerstone for the successful implementation of a health promotion and prevention project.

Challenges are, amongst other things, the different cultures of the relevant institutions, different conditions, a lack of understanding of other approaches and the handling of personal sensitivities.

The usefulness of cross-sectoral cooperation is demonstrated by the gaining of experience, the possibility of learning from others and the development of synergies.

The success factors of inter-sectoral cooperation have been identified as:

openness, trust, a straight forward communication, transparency, professional project management, common goals, common regulations and reliable partners.

Conclusion

Prevention and health promotion should be a part of the health policy in order to implement strategies in a sustainable and effective manner. It is advisable to implement a strategy to improve health in early childhood, not only in one policy resort, but to integrate it into an overall health policy. A first step towards this is the cross-sectoral implementation of health promotion and prevention projects.

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Danksagung

Spezieller Dank gebührt meiner Betreuerin Frau Dr. Sabine Haas für die fachliche Unterstützung, die thematischen Impulse und strukturellen Hinweise hinsichtlich der Erstellung der vorliegenden Arbeit.

Des Weiteren richtet sich mein Dank an meinen Dienstgeber, die Kärntner Gebietskrankenkasse, der mir die Teilnahme an diesem Universitätslehrgang ermöglicht hat.

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Mitgliedern der Steuerungsgruppe der Frühen Hilfen in Kärnten bedanken, die mir als InterviewpartnerInnen zur Verfügung standen.

Abschließend möchte ich mich bei meiner Lebensgefährtin Sandra für die emotionale Unterstützung während der Verfassung dieser Arbeit bedanken.

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Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne unerlaubte fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen anderer Autoren als solche kenntlich gemacht habe.

Ort, Datum Unterschrift

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 1

1.1. Hinführung zum Thema ... 1

1.1.1. Gesundheitsdeterminanten ... 1

1.1.2. Public Health ... 3

1.1.2.1. Health in All Policies ... 4

1.2.1. Auswirkungen von Risiko- bzw. Belastungsfaktoren ... 7

1.3. Frühe Interventionen – Möglichkeiten und Nutzen ... 10

1.3.1. Reaktionskette: Warnehmen-Warnen-Handeln ... 11

1.3.1.1. Wahrnehmen ... 12

1.3.1.2. Warnen ... 13

1.3.1.3. Handeln ... 13

1.3.2. Return on Investment ... 14

2. Frühe Hilfen als Lösungsansatz ... 17

2.1. Was sind Frühe Hilfen?... 17

2.1.1. Ziele ... 17

2.1.2. Gesundheitsförderung und Prävention ... 19

2.1.3. Qualitätsdimensionen Früher Hilfen ... 20

2.2. „gutbegleitet“ – Frühe Hilfen in Kärnten ... 22

2.2.1. Ausgangslage ... 22

2.2.1.1. Position und Vorverständnis des Autors ... 23

2.2.2. Das Modellprojekt in Kärnten ... 24

2.2.3. Ausrollung auf weitere Bezirke ... 24

2.2.4. Zielgruppe ... 26

2.2.5. Intersektorale Steuerungsgruppe ... 27

2.2.6. Familienbegleitung ... 28

2.2.7. Netzwerkmanagement ... 28

2.2.7.1. Vernetzung ... 30

2.2.8. Überleitung zum empirischen Hauptteil ... 31

3. Empirischer Teil ... 33

3.1. Forschungsfragen und Ziele ... 33

3.2. Forschungsmethode ... 34

3.3. Literaturanalyse... 36

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3.3.1. Methodisches Vorgehen ... 36

3.3.2. Ergebnisse der Literaturanalyse ... 36

3.3.2.1. Herausforderungen ... 36

3.3.2.2. Erfolgsfaktoren/Gelingensbedingungen ... 38

3.4.1.1. Deduktive Kategorienbildung ... 43

3.4.1.2. Zielgruppe des Interviews ... 44

3.4.1.3. Erstellung des Interviewleitfadens ... 45

3.4.1.4. Durchführung und Auswertung der Interviews ... 47

3.4.1.5. Codieren der Interviews ... 48

3.4.1.6. Kategorienbasiert auswerten ... 49

3.4.1.7. Induktive Kategorienbildung ... 50

3.4.2. Ergebnisse der Interviewanalyse ... 50

3.4.2.1. Herausforderungen intersektoraler Kooperationen ... 51

3.4.2.2. Institutioneller Nutzen intersektoraler Kooperationen ... 54

3.4.2.3. Persönlicher Nutzen intersektoraler Kooperationen ... 56

3.4.2.4. Erfolgsfaktoren intersektoraler Kooperationen ... 57

3.4.2.5. Hemmende Faktoren ... 63

3.4.2.6. Einschätzung des Status Quo der Frühen Hilfen in Kärnten ... 66

3.4.2.7. Einfluss der Steuerungsgruppe auf die Projektumsetzung ... 71

3.4.2.8. Faktoren die für die Nachhaltigkeit mitbedacht werden sollen ... 73

4. Zusammenfassung ... 77

4.1. Gesamtschau der Ergebnisse ... 77

4.1.1. Herausforderungen ... 77

4.1.2. Institutioneller Nutzen ... 78

4.1.3. Persönlicher Nutzen ... 79

4.1.4. Erfolgsfaktoren ... 79

4.1.5. Hemmende Faktoren ... 81

4.1.6. Status Quo der Frühen Hilfen in Kärnten ... 82

4.1.7. Einfluss der Steuerungsgruppe ... 83

4.1.8. Nachhaltigkeit ... 84

4.2. Beantwortung der primären Forschungsfrage ... 84

4.3. Zusammenfassung und Empfehlungen ... 87

5. Literaturverzeichnis ... 90

(10)

1

1. Einleitung

„Was Kinder betrifft, betrifft die Menschheit!“

(Maria Montessori 1870 – 1952)

Der folgende Abschnitt dient der Orientierung hinsichtlich des Aufbaus dieser Masterarbeit und soll einen Einblick der Beweggründe des Autors bezüglich der Themenwahl bieten.

1.1. Hinführung zum Thema

1946 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO Constitution Online) in ihrem Gründungsdokument Gesundheit als:

“Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.”

Frei übersetzt ist Gesundheit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. Sie ist die Gesamtheit von physischem, psychischem und sozialem Wohlbefinden. Aber wie entsteht Gesundheit und vor allem, was beeinflusst sie?

1.1.1. Gesundheitsdeterminanten

Faktoren die sich auf den Gesundheitszustand des Einzelnen oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe auswirken, wurden von Dahlgren und Whitehead (1991) als soziale Determinanten von Gesundheit beschrieben. Aus dem Englischen übersetzt sind soziale Determinanten der Weltgesundheitsorganisation (Social Determinants of Health) nach Bedingungen, unter denen Menschen geboren werden, leben, aufwachsen, arbeiten und altern. In der Gesundheitsförderung wird das Gesundheitsdeterminanten-Modell (siehe Abbildung 1) genutzt, um durch

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2 Interventionen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit zu generieren. (WHO Social Determinants Online)

Abbildung 1: Determinanten-Modell der Gesundheit

Quelle: Fonds Gesundes Österreich, in www.fgoe.org, Stand: 15.07.2017

Im Zentrum der Abbildung steht der Mensch als Individuum. Er ist von zahlreichen Faktoren umgeben, die sich auf seinen Gesundheitszustand sowohl negativ als auch positiv auswirken können. Nach Haas et al. (2013, S. 13) gliedern sich diese in:

Faktoren der Lebenssituation und des Lebensumfeldes:

Hier geht es um Verhältnisse, die auf gesellschaftlicher, politischer und sozialer Ebene beeinflusst werden können (z.B. soziales und kommunales Umfeld, Bildung, Einkommen, Beschäftigung).

Faktoren der individuellen Lebensweise:

Dazu zählen Lebensstilfaktoren wie beispielsweise Ernährung, Bewegung, Alkoholkonsum und Rauchen. Diese werden bereits im Kindes- und Jugendalter durch die sozialen und sozioökonomischen Einflüsse geprägt.

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3

Genetische und biologische Einflussfaktoren:

Es handelt sich hierbei um Faktoren, die nicht verändert werden können wie zum Beispiel Gene, Alter und Geschlecht.

Diese Masterarbeit setzt ihren Fokus auf die Gesundheit in der frühen Kindheit. In Bezug auf Kinder ist die wichtigste Determinante die Familie. In diesem Setting wird vor allem der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, der Qualität der Beziehung zu den Geschwistern sowie der sozialen Stabilität und Verbundenheit innerhalb der Familie, große Bedeutung zugemessen (Haas et al. 2013, S. 13). In den folgenden Kapiteln soll begründet werden, warum die frühe Kindheit einen großen Einfluss auf die Gesundheit im weiteren Lebensverlauf hat, wie man die Determinanten im Setting Familie durch frühe Interventionen auch in belastenden Lebenssituationen positiv beeinflussen kann und welche Rolle die sektorenübergreifende Zusammenarbeit dabei spielt.

1.1.2. Public Health

Public Health wird als Wissenschaft zur Vermeidung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit beschrieben. Sie berücksichtigt die gerechte Verteilung von Ressourcen und legt ihre Ziele vorrangig auf die Gesunderhaltung der Bevölkerung und einzelner Bevölkerungsgruppen. (Klemperer 2014, S. 16)

Nach Klemperer (2014, S. 16) beschäftigt sich Public Health mit einer Vielzahl an Problemfeldern, darunter auch mit der Frage welchen Einfluss Entscheidungen in diversen Politikfeldern, nicht nur im Gesundheitssektor, auf die Gesundheit der Bevölkerung haben (Health in All Policies). Demzufolge kann eine Verbesserung der Gesundheit sowie eine Minderung der sozialen Ungleichheiten nur durch die Zusammenarbeit vieler Politikbereiche erreicht werden.

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4 1.1.2.1. Health in All Policies

Die Gesundheit der Bevölkerung und die sozialen Ungleichheiten in der Gesundheit sind stark bestimmt von Gesundheitspolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik, Steuerpolitik, Familienpolitik, Verkehrspolitik. Beschlüsse in diesen Politikbereichen wirken sich auch auf die sozialen Determinanten (vgl. 1.1.1.) aus.

(Klemperer 2014, S. 16f.)

Um die Bedeutung dieser Faktoren (Determinanten) für unsere Gesundheit zu unterstreichen und ihre Zusammenhänge besser darzustellen, unterscheidet Klemperer (2014, S. 24ff.) relevante Aspekte der Gesundheitsdeterminanten mit Hilfe des Konzepts der Mikro-, Meso- und Makroebene.

In der Makroebene zusammengefasst werden die allgemeinen Lebensverhältnisse, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft. Die Verantwortung für diese Faktoren liegt in erster Stelle bei der Politik. Als Beispiele werden unter anderem angeführt (Klemperer 2014, S. 24f.):

 Mit der Verteilung von Wissen innerhalb einer Gesellschaft, entscheidet die Bildungspolitik mit über die Verteilung von Gesundheit.

 Die Bereitstellungsanzahl von Tagesbetreuungseinrichtungen für Kleinkinder und die Besteuerungshöhe von Einkommen beeinflusst den Anteil der Ein- bzw. Zweiverdiener-Familien.

 Lebensmittelrecht, Verbraucherschutz- und Landwirtschaftspolitik beeinflussen das Ernährungsverhalten einer Bevölkerung.

Auf der Mesoebene werden die Entscheidungen der Makroebene umgesetzt (Klemperer 2014, S.25):

 Wie sich die Fähigkeiten der Kinder mit sozioökonomisch niedrigem Status in Kindergärten, Schulen und Hochschulen entwickeln, steht in Zusammenhang mit den sachlichen und personellen Ressourcen sowie dem Qualifikationsprofil der PädagogInnen.

(14)

5

 Ernährungspolitik bestimmt das Lebensmittelangebot und wie Lebensmittel beworben werden dürfen. Dies hat einen dauerhaften Einfluss auf die Bevölkerung.

Die Mikroebene ist nun jene Ebene auf der sich die von der Makroebene beeinflussten Bedingungen positiv oder negativ auf Gesundheit auswirken (Klemperer 2014, S. 25):

 Hohe Bildung korreliert mit günstigem Gesundheitsverhalten, niedrigere Bildung mit ungünstigem Gesundheitsverhalten.

 Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Blutfette, Übergewicht und Diabetes mellitus sind gesellschaftlich divergent verteilt.

Aus der Beschreibung von Klemperer (2014) lässt sich sehr gut ableiten, dass die Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung nicht nur im Gesundheitssektor liegt. Eine erfolgreiche Umsetzung von Strategien, Programmen und Projekten scheint von einer gelingenden Kooperation unterschiedlicher Sektoren abhängig zu sein.

Dies bedeutet, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um unterschiedliche Politikbereiche zur Zusammenarbeit zu bewegen. Um dies umsetzten zu können wurde die Strategie „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern) entwickelt.

„Health in All Policies“ zu einem Thema (möglichst) aller Politikbereiche zu machen scheint demnach die wesentliche Herausforderung bei der Erreichung von Gesundheitszielen. Klemperer (2014, S. 246) unterstreicht seine Sichtweise mit der Aussage:

„Die Minderung der sozialen Ungleichheiten der Gesundheit dürfte mit den herkömmlichen Mitteln von Prävention und Gesundheitsförderung nicht zu erreichen sein. Als notwendig gilt vielmehr eine alle Politikbereiche einbeziehende, koordinierte und auf lange Sicht geplante Strategie mit klaren Zielen, ausreichender

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6 materieller Ausstattung und einem hohen Commitment von Seiten

der Politik.“

In dieser Aussage lässt sich erkennen, dass Prävention und Gesundheitsförderung ein fixer Bestandteil der Gesundheitspolitik sein müssen, wenn Strategien nachhaltig und effektiv umgesetzt werden sollen. Eine Strategie zur Verbesserung der Gesundheit in der frühen Kindheit kann demnach nicht in einem Politikressort allein umgesetzt werden, sondern muss in einer gesundheitlichen Gesamtpolitik integriert sein.

Nachdem die Bedeutung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik beleuchtet wurde, soll im nächsten Abschnitt auf die Bedeutung möglichst früher Interventionen eingegangen werden.

1.2. Gesundheit und die frühe Kindheit

Die frühe Kindheit wird oft als „kritische Periode“ für das Entstehen und Erhalten von Gesundheit angeführt, da Schädigungen die bereits im Mutterleib und in der frühen Wachstumsphase erlitten werden, im späteren Lebensverlauf nur schwer oder teils gar nicht mehr kompensiert werden können (Kuh et al. 2005, zitiert nach Dragano und Siegrist 2009, S. 184). Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse in der frühen Kindheit beeinflussen demnach maßgeblich die Gesundheit im weiteren Leben.

Im vorherigen Abschnitt wurde dargelegt, dass es eine Vielzahl an Faktoren gibt, die sich sowohl positiv als auch negativ auf die Gesundheit des Menschen auswirken können. Das Entstehen und Erhalten von Gesundheit korreliert sowohl mit unserem Verhalten, als auch den Verhältnissen in welchen wir leben. Das Umfeld „Familie“ hat bereits sehr früh Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Welchen besonderen Einfluss die frühe Kindheit in Bezug auf das Entstehen von Gesundheit hat, soll in diesem Kapitel erörtert werden.

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7 Nach Knaller (2013, S. 1) sind die ersten Lebensjahre entscheidend für eine gesunde körperliche, psychische und soziale Entwicklung des Kindes. Wenn es in dieser Phase gelingt, Rahmenbedingungen für das Aufwachsen der Kinder zu verbessern bzw. zu optimieren, so können gesundheitliche Chancen frühzeitig gefördert werden. Im Umkehrschluss kann davon ausgegangen werden, dass belastende Lebenssituationen und schlechte Rahmenbedingungen die gesundheitlichen Chancen von Kindern stark reduzieren können.

Speziell die individuelle psychische sowie körperliche Entwicklung vollzieht sich in einem sehr frühen Lebensalter und wird daher besonders von den Bezugspersonen im familiären Kontext beeinflusst (Eickhorst et al. 2012, S. 386).

ExpertInnen gehen davon aus, dass etwa 5 bis 10 Prozent aller Kinder in Deutschland (Österreich: entspricht in etwa 15.000 bis 30.000 Kindern unter 4 Jahren) in belastenden Verhältnissen oder gar Risikokonstellationen leben (Esser und Weinel 1990, zitiert nach Geiger und Ellsäßer 2014, S. 876).

Nüsken (2011, S.272) sieht vor allem die gesellschaftliche Veränderung mitverantwortlich für diese Entwicklung. Heutzutage seien Mütter und Väter vielfach deutlicher mit Erziehungsaufgaben auf sich alleine gestellt. Unterstützung wie zum Beispiel durch die Großeltern, Verwandte oder nachbarschaftliche Gemeinschaften sind oftmals nicht mehr oder nur in abgeschwächter Form vorhanden.

1.2.1. Auswirkungen von Risiko- bzw. Belastungsfaktoren

Zu Beginn dieses Abschnitts sollte angemerkt werden, dass in Österreich im Bereich Frühe Hilfen auf Basis der Gesundheitsförderungsperspektive von Belastungsfaktoren, statt wie in Deutschland von Risikofaktoren (Kinderschutzperspektive) gesprochen wird. Da sich die, in diesem Abschnitt, zitierte Literatur vor allem mit der Entwicklung der Frühen Hilfen in Deutschland beschäftigt wird in diesem Abschnitt überwiegend von Risikofaktoren gesprochen.

Die in Deutschland steigende Prävalenz psychischer Erkrankungen, die hohe Rate an alleinerziehenden Müttern, sowie die steigende Anzahl an „jungen Müttern“ legt den Schluss nahe, dass von einer Verdichtung sogenannter Risiko- oder

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8 Belastungsfaktoren bei einem gleichzeitigen Schwinden von Ressourcen oder kompensatorischer Schutzfaktoren gesprochen werden muss. (Egle und Hardt 2012, S. 103ff.)

Kumulieren Risikofaktoren bei den Eltern wie zum Beispiel Depressionen, Suchtmittelabhängigkeiten, selbst erlebte Vernachlässigung oder Misshandlung, materielle Armut, etc., so steigt das Risiko einer Kindeswohlgefährdung statistisch gesehen stark an. (Nüsken 2011, S 272)

Egle und Hardt (2012) bestätigen, dass das kumulative Ausmaß belastender Umweltstressoren mit psychischen Langzeitfolgen zusammenhängt. Daher sollten Interventionen darauf ausgerichtet sein, das kumulative Einwirken von Risikofaktoren während der Kindheit zu verhindern. Bedeutsam für diese Form der Prävention sind die sogenannten kompensatorisch wirksamen protektiven Faktoren. Stehen diese ausreichend zur Verfügung, wirken sie wie eine

„Impfung“ die im optimalsten Fall nicht nur die pathogenen Langzeitfolgen verhindert, sondern später sogar zu einer erhöhten Stressresistenz (Resilienz) führen kann. (Egle und Hardt 2012, S. 105)

Empirisch erfasste Risikofaktoren mit potenziellen Langzeitfolgen und kompensatorische Schutzfaktoren sind beispielsweise:

Risikofaktoren Kompensatorische Schutzfaktoren Niedriger sozioökonomischer Status Mittlerer bis hoher sozioökonomischer

Status

Niedrige Schulbildung der Eltern Überdurchschnittliche Intelligenz des Kindes

Arbeitslosigkeit Sicheres Bindungsverhalten Große Familien bei gleichzeitigem

Platzmangel

Großfamilie, kompensatorische Elternbeziehung

Kriminalität und Dissozialität eines Elternteils

Entlastung der Mutter Chronische Disharmonie in der Primär-

familie

Gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust

Psychische Störung der Mutter/des Vaters

Verlässlich unterstützende Bezugsperson

Schwere Erkrankung der Mutter/des Vaters/ der Geschwister

Robustes und aktives Temperament Parentifizierung/Rollenumkehr Lebenszeitlich spätere

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9 Familiengründung

Alleinerziehende Mutter Soziale Förderung (Vereine, Schule, Kirche, o.Ä.)

Längere Trennung der Elternteile Dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson

Abbildung 2: Risiko- und Schutzfaktoren

Quelle: Eigene Darstellung nach Risiko- und Schutzfaktoren von Egle und Hardt 2012, S 104f.

Nach Egle und Hardt (2012, S. 106f.) begünstigen alle Risikofaktoren eine Störung des genetisch vorgegebenen Bindungsbedürfnisses. Psychobiologische Dysfunktionen, emotionale und kognitive Beeinträchtigungen können die Folge sein.

Das Zusammenwirken mehrerer Belastungsfaktoren hinterlässt laut Egle und Hardt (2012) sogenannte „biologische Narben“, welche die Vulnerabilität für psychosomatische und körperliche Erkrankungen deutlich erhöht. Die damit einhergehenden Schäden sind nicht auf das frühe Kindesalter beschränkt, sondern entfalten sich insbesondere im Erwachsenenalter und haben dabei nahezu irreparablen Charakter. (McEwen 1998, 2003, zitiert nach Egle und Hardt 2012, S. 107f.)

Ungünstige Lebensbedingungen können die Entwicklung von Bindungs- und Beziehungskompetenzen stören, die Stressvulnerabilität beeinflussen und sogar die Lebenserwartung um bis zu 20 Jahre reduzieren. Psychische Langzeitfolgen sind beispielsweise das Auftreten von affektiven Störungen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) sowie schwerer Persönlichkeitsstörungen. (Egle und Hardt 2012, S. 104ff.)

Als körperliche Langzeitfolgen sind die erhöhte Wahrscheinlichkeit an Typ-2- Diabetes und Hepatitis zu erkranken oder koronare Herzerkrankungen, Lungenkrankheiten oder einen Schlaganfall zu erleiden, zu nennen. Das Zusammenwirken mehrerer der oben angeführten Belastungsfaktoren fördert darüber hinaus ein ausgeprägtes Risiko- und Suchtverhalten wie zum Beispiel ständig wechselnde Sexualpartner und damit verbundene übertragbare Sexualerkrankungen, einen Body-Mass-Index von über 35, Bewegungsmangel, Nikotin-, Alkohol und Drogenkonsum. Dadurch erhöht sich auch das Risiko an

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10 Krebs zu erkranken (Schlund/Rachen, Lunge, Genitalbereich) um ein Vielfaches.

(Felitti 2002, zitiert nach Egle und Hardt 2012, S. 109f.)

Aus den bisher beschriebenen Risikofaktoren und deren Langzeitfolgen lässt sich die Notwendigkeit von möglichst früher und effektiver Prävention unbestritten erkennen. Verschärft wird die Situation zusätzlich durch die in den Medien bekannt gewordenen dramatischen Einzelfälle von Kindern die nachweislich zu Schaden oder gar zu Tode kamen. (Nüsken 2011, S. 271)

Wie man aus den neurobiologischen Studien gut erkennen kann, sind Störungen der frühzeitlichen Verhaltensregulation (z.B. exzessives Schreien, Fütterprobleme, Schlafstörungen, etc.) oftmals Vorläufer späterer Verhaltensauffälligkeiten. Auch entwicklungspsychologische und bindungstheoretische Studien weisen darauf hin, dass eine dysfunktionale Eltern-Kind-Bindung ein gravierender Risikofaktor ist, der zu einer Kindeswohlgefährdung führen kann. Daher kann zur Vermeidung von Störungen und zur Förderung einer sicheren Bindung das oberste Ziel nur „Frühe Prävention in der frühen Kindheit“ lauten. (Nüsken 2011, S. 278)

Auf Grund der möglichen schwerwiegenden negativen Auswirkungen der oben beschriebenen Risikofaktoren auf die weitere gesundheitliche Entwicklung des Menschen, beschäftigt sich diese Masterarbeit, und speziell das nächste Kapitel, unter anderem damit, welche Möglichkeiten zur frühen Intervention bestehen.

1.3. Frühe Interventionen – Möglichkeiten und Nutzen

Um der im vorherigen Kapitel beschriebenen Entwicklung entgegenzuwirken, empfehlen Egle und Hardt (2012, S. 111) die politisch unterstützte breite Einführung von Präventionsprogrammen um den, aufgrund der beschriebenen Langzeitfolgen, auf uns zukommenden Folgekosten Einhalt gebieten zu können.

Mechthild Paul, die Leiterin des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen in Deutschland (NZFH) und ihr Kollege Jörg Backes beschreiben Systeme, in welchen der Fokus

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11 auf dem Erkennen relevanter Risikofaktoren von belasteten Zielgruppen liegt, als sogenannte „Soziale Frühwarnsysteme“. Das Ziel dieser Frühwarnsysteme ist, Risiken welche im weiteren Verlauf die Entwicklung des Kindes gefährden möglichst früh zu identifizieren, um rechtzeitig Präventionsmaßnahmen setzen zu können. (BMFSFJ 2006, zitiert nach Paul und Backes 2008, S. 665) Entscheidend dabei ist der Zeitpunkt der Intervention, denn:

„Je frühzeitiger (werdenden) Müttern und Vätern Hilfen angeboten werden können – d.h. möglichst bereits während der Schwangerschaft –, desto höher sind die Chancen, Entwicklungen von Anfang an günstig zu beeinflussen. Damit kann verhindert werden, dass sich negative Entwicklungstendenzen verfestigen.“

(Paul und Backes 2008, S. 664)

Insbesondere Kinder von 0-3 Jahren befinden sich in einer besonders vulnerablen Phase, da diese in der Regel nicht von Institutionen profitieren, die Anzeichen von Misshandlung und Vernachlässigung erkennen.

Es geht dabei nicht um den Aufbau neuer Angebote, sondern um eine systematische Vernetzung und Kooperation von Anbietern vor Ort. Nach Nüsken (2011, S. 276) sollte das Ziel dabei sein:

„[…], riskante Entwicklungen von Kindern und ihren Familien bereits in ihrer Entstehung zu erkennen und zu bearbeiten und damit einer Verfestigung von Problemlagen entgegenzuwirken bzw. sie abzumildern.“

1.3.1. Reaktionskette: Warnehmen-Warnen-Handeln

Erfolgen können frühe Interventionen zum Beispiel durch eine sogenannte Reaktionskette nach dem Modell in Nordrhein-Westfalen, bestehend aus den drei Basiselementen „Wahrnehmen, Warnen und Handeln“. Das Element

„Wahrnehmen“ beinhaltet das Erkennen von Gefahrenpotentialen anhand von

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12 Indikatoren. Bei der „Warnung“ handelt es sich um eine systematische Information von einer Institution oder einer Person. „Handeln“ bedeutet, auf die erkannten Risiken zu reagieren (Nüsken 2011, S. 276). Im folgenden Abschnitt werden die einzelnen Elemente genauer beschrieben. Auch hier lässt sich erkennen, dass die Frühen Hilfen in Deutschland stark aus der Kinderschutzperspektive heraus entwickelt wurden.

1.3.1.1. Wahrnehmen

Schäfer (2011, S.175) führt an, dass es in der Praxis mittlerweile eine Vielzahl an zuverlässigen Indikatoren gibt, die das „Wahrnehmen“ von Risikofaktoren ermöglichen. Der Fokus dabei liegt aber nicht nur auf auffälligen Indikatoren wie zum Beispiel Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen oder soziale Isolation, sondern auch auf kleineren Merkmalen, wie zum Beispiel Distanz zwischen Mutter und Kind oder Probleme mit der Bewältigung des Alltags.

Eickhorst et al. (2012, S. 395) betonen die Bedeutsamkeit einer gesunden und funktionalen Beziehungsstruktur bereits im Rahmen der Geburtsnachsorge.

Gerade die Zeit rund um die Geburt und die frühe Elternschaft, stellt eine Phase dar, die bei Müttern und Vätern viele Fragen aufwirft. Zu diesem Zeitpunkt besteht für Fachkräfte (z.B. Hebammen, ÄrztInnen, GynäkologInnen, etc.) eine gute Gelegenheit mit den Eltern ins Gespräch zu kommen und etwaige Gesundheitsrisiken möglichst früh zu erkennen.

Im Vergleich zu körperlicher Misshandlung, die im schlimmsten Fall am Körper des Kindes zu erkennen ist, sind Interaktionsstörungen schwieriger zu attestieren.

Dabei verweisen Eickhorst et al. (2012, S. 386f.) auf bereits vorhandene Diagnosetools und empfehlen hierfür die am Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie des Universitätsklinikums Heidelberg entwickelte Heidelberger Belastungsskala (HBS). Diese wurde zum Zweck der Ermittlung von hilfsbedürftigen Familien im Präventionsprojekt „Keiner fällt durchs Netz“ konzipiert. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass eine fachgerechte Anwendung von derartiger Skalen stets Schulungen und Basisqualifikation voraussetzt.

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13 An solchen Frühwarnsystemen beteiligte Institutionen müssen in jedem Fall in der Lage sein, Indikatoren zu erkennen und anhand von Schwellenwerten zu entscheiden, welche pädagogischen Optionen es gibt, oder ob bereits ein Einschreiten erforderlich ist. (Schäfer 2011, S. 175)

1.3.1.2. Warnen

Das Basiselement „Warnen“ setzt SystempartnerInnen, Kommunikationsstrukturen sowie entsprechendes Wissen über die Funktionszusammenhänge voraus.

Entscheidend ist, dass die mögliche Reaktionskette für alle beteiligten Institutionen und Fachkräfte klar erkennbar ist, denn eine Risikoabschätzung nützt wenig, wenn danach nicht der adäquate Ansprechpartner bekannt ist. Dies birgt die Gefahr, den Fall in der eigenen Institution zu behandeln und nicht aus mehreren Blickwinkeln zu durchleuchten. Um dies zu vermeiden benötigt das Frühwarnsystem eine gemeinsame Sprache. Dies bedeutet, dass beispielsweise bei einer

„Überforderung der Familie“ eine gemeinsame Definition von Akteuren vor Ort notwendig ist, die alle verschiedenen Möglichkeiten und Sichtweisen berücksichtigt. Für das Element „Warnen“ erweist es sich daher als sinnvoll, die relevanten Fachkräfte fortzubilden und zu vernetzen um diese bei ihrem Risikomanagement zu unterstützen. (Schäfer 2011, S. 175f.)

1.3.1.3. Handeln

Bei der Dimension „Handeln“ geht es um das rechtzeitige Setzen von Interventionsmaßnahmen, sowohl in alleiniger Verantwortung als auch als Teil eines Kooperationsverbundes. Die Schwierigkeit besteht darin, ein verbindliches Netzwerk aufzubauen, auf das im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann. Schon vor dem Aufbau eines solchen Netzwerkes stellen sich nach Schäfer (2011, S.

176) folgende Fragen:

 Welche PartnerInnen braucht man für ein solches Netzwerk?

 Welche Institution ist für das Setzen von Interventionsmaßnahmen zuständig?

(23)

14

 Wie verständige ich mich mit einem fremden Sektor/System?

 Gibt es verpflichtende Grundlagen für eine verbindliche Zusammenarbeit aller relevanten Beteiligten?

Schäfer (2011, S. 170ff.) merkt hierzu an, dass Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass einzelne Institutionen oder Professionen diesen umfassenden jedoch wirksamen Präventionsansatz nicht alleine leisten können. Vernetzung und leistungsfähiges Schnittstellenmanagement sind der Schlüssel zum Erfolg und gleichzeitig die größte Herausforderung.

Aus den bisherigen Abschnitten dieses Kapitels lässt sich sehr gut erkennen, dass vor allem frühe Interventionen oder das Angebot „Früher Hilfen“ für Familien in belastenden Lebenssituationen von entscheidender Bedeutung sind. Nüsken (2011, S. 277) hat hierfür folgende Formel entwickelt:

„Früh2: Frühe Hilfen für die frühe Kindheit.“

In die Praxis übertragen besagt die Formel, dass durch eine Früherkennung von familiären Belastungen und Risiken für das Kindeswohl und einer frühzeitigen Unterstützung der Eltern zur Stärkung ihrer Erziehungskompetenz, hinsichtlich Vernachlässigung und Misshandlung bei Säuglingen und Kindern effektiv Prävention betrieben werden kann.

1.3.2. Return on Investment

Die Bedeutung möglichst früher Interventionen zeigt sich auch im Hinblick auf Folgekosten für die Gesellschaft die entstehen, wenn Verhaltensauffälligkeiten nicht erkannt werden, oder wenn keine Präventionsmaßnahmen gesetzt werden.

Aus dem Grünbuch Seelische Gesundheit der Europäischen Kommission (2005) geht klar hervor, dass erhebliche finanzielle Belastungen insbesondere in den Bereichen Justiz, Bildungswesen, Sozialhilfe und Gesundheit entstehen, wenn es durch frühe Förderung nicht gelingt Verhaltensauffälligkeiten zu vermeiden oder

(24)

15 wenn erkannte Verhaltensauffälligkeiten zu psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter werden.

Viele internationale Studien weisen darauf hin, dass diesen finanziellen Belastungen sehr effektiv mit frühen Interventionen entgegengewirkt werden kann.

Nobelpreisträger James Heckman beispielsweise konnte durch seine Forschung zum Return on Investment belegen, dass Interventionen in der frühen Kindheit aus ökonomischer Sicht den höchsten Ertrag erwarten lassen. (Cunha und Heckman 2006, zitiert nach Heckman und Masterov 2007, S. 447)

Abbildung 3: Rate of return to investment in human capital Quelle: Heckman und Masterov 2007, S. 476

Bei seiner Studie analysierte James Heckman Daten aus dem Perry Preschool Project in Ypsilanti und stellte dabei die Kosten für frühkindliche Interventionen den Folgekosten im Gesundheits-, Sozial- und Justizwesen, die ohne Intervention entstehen, gegenüber. Heckman konnte feststellen, dass der größtmögliche

„Return on Investment“ mit familienunterstützenden Programmen zu erreichen ist, die noch deutlich vor dem Schulbesuch eingesetzt werden. Bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien konnte ein noch deutlicherer Effekt durch Unterstützung in der frühen Kindheit belegt werden. (Wößmann 2008, Wagenknecht et al. 2009, zitiert nach Ziegenhain et al. 2010, S. 36)

(25)

16 Ziegenhain et al. (2010, S. 37) unterstützen die Beobachtungen von Heckman mit dem sogenannten „Cut Off Point“. Dieser von der Strategie-Einheit von Tony Blair berechnete Zeitpunkt legt dar, bis zu welchem Alter Investitionen einen möglichst hohen Output haben. Bei dieser Berechnung wurde festgestellt, dass Investitionen im Vorschulalter am günstigsten sind und dass alle späteren Maßnahmen mehr Kosten als sie nützen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die frühe Unterstützung von Familien einer Politik der Reparaturmaßnahmen vorzuziehen wäre. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die sogenannten Frühen Hilfen genannt.

Diese sollen Abhilfe schaffen und den in diesem Kapitel erwähnten Risiken und deren negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und unsere Gesellschaft entgegenwirken. Was aber verbirgt sich hinter diesem Begriff? Welche Handlungskonzepte stecken dahinter? Die vorliegende Masterarbeit soll aufgrund vorliegender Studien und Praxiserfahrungen Antworten auf diese Fragen liefern.

(26)

17

2. Frühe Hilfen als Lösungsansatz

Im Jahr 2007 wurde in Deutschland das „Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH)“ im Rahmen des Aktionsprogrammes „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Leben gerufen. (NZFH Online)

2.1. Was sind Frühe Hilfen?

Die Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirates des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen definiert die Frühen Hilfen wie folgt:

“Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen. Sie zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern.

Neben alltagspraktischer Unterstützung wollen Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten.

Damit tragen sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. […]” (NZFH Online)

2.1.1. Ziele

Ziele der Frühen Hilfen sind die frühzeitige und nachhaltige Verbesserung von Entwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitschancen von Kindern und deren Eltern. Weitere Ziele sind die Verhinderung bzw. Reduktion von Entwicklungsstörungen, -verzögerungen und Krankheiten. (NZFH.at Online) Nach Knaller (2013, S. 3) soll mit Frühen Hilfen:

(27)

18

 „ein Beitrag zum gesunden Aufwachsen von Kindern, inkl. Rechte auf Schutz geleistet werden;

 die Entstehung von Entwicklungsstörungen, -verzögerungen und Krankheiten verhindert bzw. reduziert werden;

 die Verfügbarkeit und Qualität von bedarfsgerechten Unterstützung- sangeboten für Familien verbessert werden.“

Frühe Hilfen tragen dadurch maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz vor Gefährdung. Erzielt werden soll der Schutz der Kinder durch Frühe Hilfen mittels folgender Maßnahmen (Paul und Backes 2008, S. 664):

 Festigung der Erziehungskompetenz der Eltern (Primärprävention).

 Früherkennung (soziale Frühwarnsysteme) von Risiken und Gefahren.

 Umsetzung und Verbesserung von Hilfssystemen.

 Implementierung und Festigung wirkungsvoller Kooperationsstrukturen von Jugendhilfe und Gesundheitsbereich.

Aus der zu Beginn dieses Kapitels angeführten Definition der Frühen Hilfen und den in den folgenden Absätzen beschriebenen Zielen und Maßnahmen lässt sich bereits der präventive Ansatz erkennen, der Kinder und Familien möglichst früh vor unnötigem Leid bewahren möchte. Durch die Frühen Hilfen sollen die, im Kapitel zuvor angeführten Risiken, möglichst frühzeitig erkannt werden, um somit rechtzeitig passende Hilfsangebote vermitteln zu können, bevor sich Krisen entwickeln. Die Frühen Hilfen zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitschancen von Kindern, im Besonderen von sozial benachteiligten Kindern, schon frühzeitig und nachhaltig zu verbessern.

Je früher (werdenden) Eltern in schwierigen Lebenssituationen Hilfen angeboten werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass negativen Entwicklungen entgegengewirkt werden kann. Insbesondere Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren bedürfen einer besonderen Fürsorge, da beispielsweise ein Mangel an Flüssigkeit oder Nahrung sehr schnell zum Tode führen kann. Da Kinder in diesem Alter noch nicht von Betreuungseinrichtungen (z.B. Kindergärten, Schulen, etc.) profitieren,

(28)

19 stehen bei den Frühen Hilfen die 0 bis 3-jährigen im Fokus (Paul und Backes 2008, S. 664).

2.1.2. Gesundheitsförderung und Prävention

In Folge beschreibt Knaller (2013, S. 3) die Frühen Hilfen als eine Gesundheitsförderungs-Intervention im Setting „Familie“, die sich auf drei Ebenen auswirkt:

1. Die Ebene der Familie: Frühe Hilfen wollen auf dieser Ebene eine verlässliche Versorgung der Kinder und eine liebevolle Bindung zwischen Eltern und Kind(ern) sicherstellen.

2. Die Ebene der Kinder: Frühe Hilfen wollen soziale, emotionale und kognitive Fähigkeiten sowie Gesundheitskompetenz, Lebensqualität und psychosoziale Gesundheit von Kindern fördern.

3. Die Ebene der Mütter/Eltern: Frühe Hilfen wollen auf dieser Ebene zur psychischen Entlastung und zu sozialer Unterstützung beitragen sowie Gesundheitskompetenz, Lebensqualität und psychosoziale Gesundheit von Müttern/Eltern fördern.

Frühe Hilfen umfassen eine Vielzahl an Maßnahmen und Hilfsangeboten. Von zentraler Bedeutung ist es, den Familien zu diesen Angeboten einen möglichst niederschwelligen Zugang zu gewährleisten. Frühe Hilfen sind zentral koordinierte Unterstützungssysteme die ihre Hilfsangebote an alle (werdenden) Eltern mit ihren Kindern im Sinne der Gesundheitsförderung richten (universelle/primäre Prävention). Im Besonderen wenden sich Frühe Hilfen an Familien in sogenannten belasteten Situationen (selektive/sekundäre Prävention). Dabei sollen Ressourcen der Familien gestärkt und Belastungsfaktoren reduziert werden, um damit das Wohl und die Entwicklung des Kindes frühzeitig zu fördern. (NZFH.at Online) Das Fundament der Frühen Hilfen baut vor allem auf multiprofessionelle Kooperation, bezieht aber auch ehrenamtliches Engagement und die Stärkung sozialer Netzwerke (Ressourcen) von Familien mit ein. Das Schlüsselelement ist

(29)

20 die Vernetzung und Kooperation von Institutionen und Angeboten aus den unterschiedlichsten Bereichen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens (z.B.

Schwangerschaftsberatung, Frühförderung, Kinder- und Jugendhilfe, etc.).

Weitere Ziele der Frühen Hilfen sind die flächendeckende Versorgung von Familien mit bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten und die Verbesserung der Qualität der Versorgung. (NZFH.at Online)

2.1.3. Qualitätsdimensionen Früher Hilfen

In Deutschland wurden auf Basis umfangreicher Praxiserfahrungen Qualitätskriterien definiert die als besondere Herausforderungen bei der Umsetzung früher Hilfen gelten. Frühe Hilfen Projekte sollen demnach folgende Qualitätsdimensionen erfüllen (Paul und Backes 2008, S. 664):

 Systematischer Zugang zur Zielgruppe wird gefunden.

 Belastungen und Risiken werden frühzeitig erkannt.

 Familien werden zur Annahme von Hilfe motiviert.

 Passgenaue Hilfen werden entwickelt.

 Kontinuierliches Monitoring.

 Implementierung ins Regelsystem.

Nach Renner und Heimeshoff (2014, S. 12ff.) gibt es bezüglich der einzelnen Qualitätsdimensionen noch erheblichen Forschungsbedarf, der im folgenden Absatz skizziert werden soll.

Systematisch und umfassend Zugang zur Zielgruppe finden:

Ein systematischer Zugang zu Familien soll weiter forciert werden, um so früh wie möglich Hilfsangebote anbieten zu können. Verschiedenen Zugangswege über unterschiedliche Akteure des Gesundheitswesens, der Kinder- und Jugendhilfe und weiterer Unterstützungssysteme müssen auf ihre Effektivität in der Praxis untersucht werden, um so das Erreichen belasteter Familien kontinuierlich verbessern zu können. (Renner und Heimeshoff 2014, S. 12 f.)

(30)

21 Systematisch und objektiviert Belastungen erkennen:

Um in der Praxis psychosoziale Belastungen, die sich negativ auf eine gesunde Entwicklung der Kinder auswirken könnten, frühzeitig zu erkennen, bedarf es der Verwendung von erprobten Instrumenten und einer wissenschaftlichen Begleitung.

(Renner und Heimeshoff 2014, S. 13)

Familien zur aktiven Teilnahme an Hilfen motivieren:

Um Familien zur Inanspruchnahmen von Hilfsangeboten zu motivieren, müssen bestehende Strategien flächendeckend umgesetzt werden. (Renner und Heimeshoff 2014, S. 13)

Hilfen an den Bedarf der Familie anpassen:

Die Hilfe muss an die Bedürfnisse der Familie optimal angepasst werden um erfolgreich zu sein. Familien sollen hierfür in den Entscheidungsprozess miteingebunden werden und Fachkräfte an einem kontinuierlichen Reflexionsprozess teilnehmen. (Renner und Heimeshoff 2014, S. 13)

Monitoring des Verlaufs der Hilfeerbringung:

Die langfristige Begleitung von Familien ist eine besondere Herausforderung für die Praxis. Vor allem dann, wenn unterschiedliche Hilfen und Hilfeanbieter am Prozess beteiligt sind. Strenge Datenschutzbestimmungen erschweren hierbei die Weitergabe von Informationen. (Renner und Heimeshoff 2014, S. 13)

Verankerung der Frühen Hilfen im Regelsystem:

Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, müssen die Frühen Hilfen den Projektstatus verlassen und in den Regelbetrieb übergehen. Auf Basis der Erfahrungen aus Modellprojekten zu den Frühen Hilfen werden praktische Anhaltspunkte zur Umsetzung erwartet. (Renner und Heimeshoff 2014, S. 13) Wie sich unschwer erkennen lässt, gibt es bei der Umsetzung der Frühen Hilfen eine Vielzahl von Herausforderungen zu bewältigen. Wie diese Herausforderungen die Umsetzung in der Praxis beeinflussen und welche Faktoren positiv und negativ auf diesen Prozess einwirken, sollen in den Abschnitten 4.1.1., 4.1.4. und 4.1.5. beschrieben werden.

(31)

22 Wie in Kapitel 2 bisher beschrieben, umfassen Frühe Hilfen vielfältige Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention in der frühen Kindheit.

Sie zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitschancen von Kindern und Eltern frühzeitig zu verbessern und wollen insbesondere einen Beitrag zum gesunden Aufwachsen von Kindern leisten. (Knaller 2013, S. 3) Voraussetzung dafür ist, die von einer zentralen Stelle aus koordinierte Vernetzung mit relevanten Institutionen und Berufsgruppen. Wie dieser Prozess in Kärnten seit dem Jahr 2014 ausgesehen hat, soll im folgenden Abschnitt beschrieben werden.

2.2. „gutbegleitet“ – Frühe Hilfen in Kärnten

Dieser Abschnitt soll einen Überblick über die Entwicklung der Frühen Hilfen in Kärnten seit den Anfängen im Jahr 2014 geben und Eckpunkte der Projektumsetzung beschreiben.

2.2.1. Ausgangslage

In Österreich führte 2011 die steigende Anzahl von Übergewicht und psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu einem breit geführten Dialog zur Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit (BMG 2011). Im Zuge der Entwicklung von Umsetzungsmaßnahmen, wurde auf Bundesebene die Notwendigkeit der Etablierung der Frühen Hilfen in Österreich erkannt. Daher sind sie Bestandteil verschiedener politischer Strategien. Im folgenden Abschnitt werden hierfür einige Beispiele genannt:

Die Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie, welche 2011 im Rahmen des

„Kindergesundheitsdialoges“ mit 20 Zielen in fünf Themenfeldern erarbeitet wurde, empfiehlt die Frühen Hilfen als zentrale Strategie zur Erreichung von Ziel 4 – „In

(32)

23 der frühen Kindheit das Fundament für langfristige Gesundheit legen“. (BMG 2011)

Die 2012 vom Ministerrat und der Bundesgesundheitskommission beschlossenen Gesundheitsziele Österreich verweisen ebenso auf die Bedeutung der Frühen Hilfen für die Erreichung von Ziel 6 – „Gesundes Aufwachsen für alle Kinder und Jugendlichen bestmöglich gestalten und unterstützen“. (BMG 2017)

Wie bereits erwähnt haben sich die Frühen Hilfen in Österreich stärker aus der Gesundheitsförderungsperspektive heraus entwickelt, während in Deutschland der Kinderschutzaspekt im Fokus stand. Daher unterscheidet sich die österreichische Definition der Frühen Hilfen von der aus Deutschland (Jurasovich 2017, S. 1):

„Frühe Hilfen sind ein Gesamtkonzept von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bzw. gezielten Frühintervention in Schwangerschaft und früher Kindheit, das die Ressourcen und Belastungen von Familien in ihren spezifischen Lebenslagen berücksichtigt. Ein zentrales Element von Frühen Hilfen ist die bereichs- und berufsgruppenübergreifende Vernetzung von vielfältigen Ansätzen, Angeboten, Strukturen und Akteurinnen/Akteuren in allen relevanten Politik- und Praxisfeldern.“

Auch in Kärnten war man bereits 2012 am Konzept der Frühen Hilfen interessiert.

Um letzte Zweifel zu beseitigen begannen 2013 die Vorbereitungen zur Umsetzung eines Modellprojekts zu den Frühen Hilfen ab April 2014.

2.2.1.1. Position und Vorverständnis des Autors

Der Autor dieser Masterarbeit ist Mitarbeiter der Kärntner Gebietskrankenkasse. In der Abteilung Gesundheit war er von 2008 bis 2017 zuständig für die Begleitung und Umsetzung von Gesundheitsförderungsprojekten. Seit 2012 beschäftigte er sich mit dem Thema „Frühe Hilfen“. 2013 war er interimistisch Gesamtprojektleiter des Modellprojekts der Frühen Hilfen in den Bundesländern Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Wien. Von 2014 bis Ende 2015

(33)

24 leitet er das Frühe-Hilfen-Netzwerk im Bezirk Wolfsberg/Kärnten und war zudem Mitglied der Steuerungsgruppe des Modellprojekts. Nach Beendigung des Modellprojekts leitete er von Jänner 2016 bis Juni 2017 die Frühen-Hilfen- Netzwerke in den Bezirken Wolfsberg sowie Villach Stadt und Land. Seit Juli 2017 ist er Mitglied der intersektoralen Steuerungsgruppe zu den Frühen Hilfen in Kärnten. Das nun folgende Kapitel stellt überwiegend einen Erfahrungsbericht aus der Praxis des Autors da und enthält aus diesem Grund kaum Quellenangaben.

2.2.2. Das Modellprojekt in Kärnten

Das Modellprojekt Frühe Hilfen als kostenloses, freiwilliges und aufsuchendes Angebot für werdende Eltern und Familien mit Kleinkindern in belastenden Lebenssituationen auf regionaler Ebene startete in Kärnten im April 2014.

Aufgebaut wurde ein regional begrenztes Frühe Hilfen-Netzwerk in Wolfsberg. Die dafür benötigten Strukturen wurden im Zuge des Modellprojekts Frühe Hilfen aus den Mitteln des Rahmen-Pharmavertrages finanziert. Für die Modellregion Wolfsberg wurden zwei Familienbegleiterinnen ausgebildet. Die Projektorganisation übernahm die Kärntner Gebietskrankenkasse, für die Familienbegleitung sowie die fachliche Leitung konnte die Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens (AVS) gewonnen werden. Weitere wichtige Projektpartner waren bereits damals das Land Kärnten und das LKH Wolfsberg. Die bis zum Ende des Modellprojekts gesammelten Erfahrungen waren durchwegs positiv und so bestand großes Interesse bei der Kärntner Gebietskrankenkasse sowie beim Land Kärnten an der Ausrollung der Frühen Hilfen auf weitere Bezirke.

2.2.3. Ausrollung auf weitere Bezirke

Nach Abschluss des Modellprojekts der Frühen Hilfen im Dezember 2015, war es der Kärntner Gebietskrankenkasse ein großes Anliegen eine Weiterführung in Wolfsberg zu initiieren. Die Zusage der Fördermittel des „Kärntner Gesundheitsfonds“ war der erste Schritt zur weiteren Umsetzung der Frühen Hilfen in Wolfsberg. Durch die bereits aufgebauten Strukturen, wurde ein fast

(34)

25 nahtloser Übergang bzw. eine Weiterführung ermöglicht. Nachdem auch für die Bezirke Klagenfurt Stadt und Land Fördermittel aus dem Kärntner Gesundheitsfonds zur Verfügung standen, konnten ab dem Jahr 2016 neben der Weiterführung von Wolfsberg zwei weitere Bezirke in das Frühe Hilfen-Angebot in Kärnten integriert werden.

Mit den Vorsorgemitteln der Bundesgesundheitsagentur sollte mit Beginn 2016 noch ein zusätzliches Frühe-Hilfen-Netzwerk etabliert werden. Eine erste Netzwerkanalyse ergab, dass in den Bezirken Villach Stadt und Land bereits geeignete Strukturen für die Etablierung eines weiteren regionalen Frühe-Hilfen- Netzwerks vorhanden sind. Das Landeskrankenhaus in Villach beispielsweise verfügt über eine Geburtenstation und eine Station für Kinder- und Jugendheilkunde. Weiters bieten diverse Institutionen in Villach zahlreiche Angebote an, die sich auf die Zielgruppe beziehen, z.B.: das Sozial- und Gesundheitszentrum mit diversen Diensten (Psychologisch- Psychotherapeutischer Dienst für Kinder und Jugendliche, psychosoziales Beratungszentrum, ambulante Erziehungshilfe, etc.), Angebote der Caritas, Angebote der Jugendwohlfahrt und des Magistrat Villach, kostenlose Rechtsberatungen, diverse Selbsthilfegruppen, Angebote der sozial- pädagogischen Jungendwohngemeinschaft, Hebammenbetreuung und -beratung, Stilltreffs, ein Kinderschutzzentrum, Frauenberatungsstellen und ein Frauengesundheitszentrum, Hilfe bei Schreibabys, Unterstützung bei Suchtproblemen, Angebote von Pro Mente für Personen mit psychiatrischen Problemen, Angebote der ARGE Sozial für diverse Randgruppen, etc. Nach der Durchführung der Standortanalyse erschien es als sehr sinnvoll Villach Stadt und Villach Land als Modellregionen zu wählen, da es viele Institutionen und Angebote gibt, die es zu vernetzen gilt. Auch das benötigte Fachpersonal und die verschiedenen Professionen, die als FamilienbegleiterInnen und für das ExpertInnengremium geeignet wären, sind vorhanden. Ein weiterer Grund für die Auswahl dieser Bezirke war, dass nahezu fast alle Gemeinden in diesem Bezirk Teil der Initiative „Gesunde Gemeinde“ sind und diese ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit dem Land Kärnten stehen.

(35)

26 Seit dem 01.01.2016 stehen den Familien in Kärnten folgende Netzwerke zur Verfügung:

 gutbegleitet – Frühe Hilfen in Klagenfurt Stadt & Land

 gutbegleitet – Frühe Hilfen in Villach Stadt & Land

 gutbegleitet – Frühe Hilfen in Wolfsberg

2.2.4. Zielgruppe

Als primäre Zielgruppe wurden, in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in Österreich (NZFH.at), Schwangere und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern von 0 bis max. 3 Jahren in belastenden Lebenssituationen definiert. Belastungen, die eine Familienbegleitung im Rahmen des Angebots der Frühen Hilfen indizieren können, sind (Haas und Weigl 2017, S. 5):

 „Besondere soziale Belastungen, wie finanzielle Notlage, soziale Isolation oder ungesicherter/unzureichender Wohnraum

 Besondere psychische Belastungen, wie psychische Erkrankung/

Suchterkrankung der Hauptbezugsperson oder des Partners/der Partnerin, unerwünschte Schwangerschaft

 Spezifische Merkmale der Eltern, wie minderjährig, alleinerziehend, Behinderung oder chronische Erkrankung der Hauptbezugsperson oder des Partners/der Partnerin

 Erhöhte Fürsorgeanforderungen des Kindes, wie Frühgeburtlichkeit, Mehrlingsgeburt, Entwicklungsrückstand, Erkrankungen oder Behinderung

 Starke Zukunftsängste der Hauptbezugsperson(en)

 Schwierigkeiten in der Annahme/Versorgung des Kindes bzw. Störungen in der Mutter-/Eltern-Kind-Interaktion“

(36)

27 2.2.5. Intersektorale Steuerungsgruppe

Die Zuständigkeit für die für Frühe Hilfen relevanten Bereiche (Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe/Familie, Soziales) liegen im Bundesland Kärnten in verschiedenen Ressorts. Durch die Ausweitung des Projektes sollte daher einerseits die Zusammenarbeit landesintern und andererseits mit den externen Playern des Landes verbessert werden.

Durch das Installieren einer Steuerungsgruppe, nach den Empfehlungen des NZFH.at (Haas et al. 2014, S. 7), mit VertreterInnen aus dem Land und der Kärntner Gebietskrankenkasse konnten beide Player voll in den Gestaltungs- und Entscheidungsprozess eingebunden werden.

Das NZFH.at definiert die wichtigsten Aufgaben der Steuerungsgruppe wie folgt (Haas et al. 2014, S. 7):

 „Klärung der Perspektiven für Frühe Hilfen im Bundesland

 Festlegung der Einzugsbereiche für die regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerke im Bundesland

 Abstimmung von Grobkonzepten für die regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerke

 Auswahl der zentralen Umsetzungspartner

 Klärung und Sicherstellung der benötigten Ressourcen

 Festlegung der Verantwortlichkeiten für die regionale Umsetzung

 Reflexion und Weiterentwicklung der Frühen Hilfen im Bundesland“

Bereits am 17.12.2014 fand die erste Steuerungsgruppensitzung in Klagenfurt statt. Seit diesem Zeitpunkt wurden alle wichtigen Entscheidungen (strategisch/finanziell/personell) für die Frühen Hilfen in Kärnten (Klagenfurt/Villach/Wolfsberg) in der intersektoralen Steuerungsgruppe getroffen.

(37)

28 2.2.6. Familienbegleitung

Die Familienbegleitung stellt den kontinuierlichen Kontakt mit den betroffenen Familien sicher, und identifiziert, organisiert und koordiniert den Bedarf an Unterstützungsleistungen anhand der identifizierten Belastungen und Ressourcen.

Die FamilienbegleiterInnen haben dadurch eine Lotsenfunktion im Gesundheits- und Sozialsystem. In ihrer wichtigsten Rolle, als Bezugsperson für die Familien, ist es unter anderem ihre Aufgabe eine Vertrauensbasis sicherzustellen.

Die Umsetzung der Familienbegleitung in Kärnten richtet sich ganz nach den Vorgaben des NZFH.at. Im Leitfaden zum Aufbau von Frühe Hilfen Netzwerken werden die zentralen Aufgaben der Familienbegleitung wie folgt beschrieben (Haas et al. 2014, S. 10):

 „Abklärung der familiären und persönlichen Situation der Schwangeren bzw.

Mütter und Väter und deren Neugeborenen bzw. Kleinkinder beim Erstkontakt,

 Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung mit den Familien,

 Identifizierung von und Zuweisung zu passenden Unterstützungsangeboten,

 laufende Begleitung der betreuten Familien durch persönliche Kontakte, insbesondere in Form von Hausbesuchen, aber auch durch telefonische Kontakte,

 falls erforderlich: Begleitung der Familien zu Behörden oder zu Anbietern aus dem Frühe-Hilfen-Netzwerk,

 Unterstützung der Eltern/Familien, gesund zu bleiben und ihre Ressourcen zu aktivieren.“

2.2.7. Netzwerkmanagement

Um die Zielgruppe, Schwangere und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern von 0 bis max. 3 Jahre in belastenden Lebenssituationen, möglichst früh durch die Familienbegleitung erreichen zu können, müssen jene Institutionen und Fachkräfte

(38)

29 eingebunden werden, die rund um die Geburt und bis zu den ersten 3 Jahren eines Kindes mit Familien tätig sind. In Kärnten sind daher folgende Berufsgruppen/Institutionen für Frühe Hilfen vorrangig relevant:

 Die Landeskrankenhäuser mit den Kinder- und Geburtenstationen

 Hebammen

 (Dienstleister/innen im Bereich der) Kinder- und Jugendhilfe

 Eltern-Kind-Zentren

 niedergelassene Ärzte (insbesondere ÄrztInnen für Kinder- und Jugendheilkunde, GynäkologInnen, AllgemeinmedizinerInnen)

 PsychotherapeutInnen und PsychologInnen

 Gesundheits- und Sozialzentren

 Frauengesundheitszentren

 Frauenberatungsstellen

 Stilltreffs und Mutterberatungsstellen

 Krabbelstuben und Kindertagesstätten (pädagogisches Personal, andere Eltern)

 Kindergärten

 Mini- Ambulatorien

 Institutionen und Zentren, in denen gezielt Angebote für Eltern und Baby/

Kinder angeboten werden (z.B. Babyschwimmen, Babyyoga, etc.)

 Sozialversicherungsträger

Ziel war es alle in dieser Region relevanten Institutionen und Berufsgruppen einzubinden, um ein möglichst effektives Frühe Hilfen Netzwerk zu entwickeln. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt haben gezeigt, dass die ZuweiserInnen eine zentrale Rolle übernehmen. Diese Gruppe musste so gut wie möglich über das Projekt informiert sein, um Missverständnissen und Konkurrenzdenken entgegenzuwirken. Folglich kann das Netzwerkmanagement als Schlüsselelement des regionalen Frühe Hilfen Netzwerks betrachtet werden. Bei der Umsetzung der Maßnahmen wird im Sinne der Ressourcenbündelung und fachübergreifenden Zusammenarbeit auf Vernetzung mit den anderen relevanten Berufsgruppen im Umfeld großen Wert gelegt. Der erste Schritt hierfür war die Kooperation mit der

(39)

30 Kärntner Landesregierung. Die weitere Vernetzung erfolgte durch Netzwerkmanager. Der Aufbau und die Umsetzung der Frühe Hilfen Netzwerke in Kärnten beruht auf einem national entwickelten Konzept des NZFH.at (Haas et al.

2014). Entscheidend ist die Sensibilisierung von DienstleistungsanbieterInnen, sowie von Institutionen und Fachkräften, welche potentielle Familien der Familienbegleitung zuweisen können.

Die zentralen Aufgaben des Netzwerkmanagements sind (Haas et al. 2014, S. 9):

 „Erarbeitung und Abstimmung eines Detailkonzepts für das regionale Frühe-Hilfen-Netzwerk,

 Aufbau des Frühe-Hilfen-Netzwerkes auf Basis des abgestimmten Konzepts,

 laufende Pflege und Weiterentwicklung (z. B. bei allfälligen Lücken im Angebotsspektrum) der Netzwerke,

 Sicherstellung der Kooperation von potenziellen Zuweisern/Zuweiserinnen und Dienstleistungsanbietern,

 laufende Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung von Institutionen und Fachkräften, die dem Netzwerk Familien zuweisen,

 Organisation der Dokumentation und Evaluation des regionalen Frühe- Hilfen-Netzwerkes,

 Sicherstellung weiterer regionaler Qualitätssicherungsmaßnahmen (z. B.

Supervision, Fortbildung),

 Durchführung der regionalen Öffentlichkeitsarbeit mit den Zielgruppen Fachöffentlichkeit und Bevölkerung,

 Einrichtung und regelmäßige Organisation eines interdisziplinären Expertengremiums zur anonymisierten Fallbesprechung.“

2.2.7.1. Vernetzung

Im Sinne von „Health in All Policies“ war es für eine erfolgreiche Projektumsetzung unumgänglich, sich bereits von Beginn an ressortübergreifend aufzustellen. Der

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