WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN DER SOZIALEN ARBEIT
THEORIEN
Prof. Dr. Elisabeth Schreieder
Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg Studiengang: Soziale Arbeit
Teil 2
THEORIEN SOZIALER ARBEIT/ GEGENSTANDSBESTIMMUNGEN
Hans Thiersch *1935
•Bezugsproblem: Lebenswelt, Alltagshandeln, mangelnde Emanzipation
•Gegenstand: Alltags- und Lebensweltorientierung: Hilfe zur Selbsthilfe;
Ermöglichung eines „gelingenderen Alltags“
Lothar Böhnisch * 1944
•Bezugsproblem: Gesellschaftliche Reaktionen auf die Bewältigungstatsache
•Gegenstand: Lebensbewältigung, Empowerment, Milieubildung
Silvia Staub-Bernasconi
*
1936•Bezugsproblem: Soziale Gerechtigkeit
•Gegenstand: Reflexive, wie tätige Antwort auf soziale Probleme,
Bearbeitung von Ausstattungs-, Austausch-, Macht- und Wertprobleme; Menschenrechte
ÜBERSICHT
1. Risikogesellschaft und Lebensbewältigung 2. Stressmodell/ Coping
3. Abspaltung und Bewältigungshandeln 4. Reframing
5. Milieubildung und offenes Milieu
Textgrundlagen:
Böhnisch, L. Böhnisch, L. (2012): Sozialpädagogik der Lebensalter - Eine Einführung, S. 44 - 47 (2016): Eine Theorie der Sozialarbeit muss Handlungsaufforderungen enthalten. In:
Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit. S. 105-129
Was bedeutet Individualisierung, Pluralisierung (Risikogesellschaft?)
Verbindung zu biographischer Lebensbewältigung?
Was meint Coping?
Woher kommt dieses Konzept?
Antworten aus den Arbeitsgruppen
BIOGRAPHISCHE
LEBENSBEWÄLTIGUNG
Individualisierung, Pluralisierung, Risikogesellschaft
COPING-THEORIE
Individualisierung, Pluralisierung
Postmoderne:
■ Suche nach neuen „Einbindungen“ in einer hocharbeitsteiligen Gesellschaft
■ Neue soziale Netzwerke/ Schichten entstehen;
■ Diese wiederum unterliegen auch dem Wandel
Risikogesellschaft
Wahrscheinlichkeit der sozialen Desintegration steigt !
• Herauslösung aus
vorgegebenen Sozialformen (Familie, Dorfgemeinschaft , feste Firmenzugehörigkeit etc.)
• Verlust traditioneller
Sicherheiten/ Bindungen (Handlungswissen, Glauben, Normen etc.)
Biographische
Lebensbewältigung
Kritische Lebenskonstellationen:
▪ Verfügbare personale/soziale Ressourcen reichen zur Bewältigung nicht aus.
■ Das psycho-soziale Gleichgewicht
(Handlungsfähigkeit) im Zusammenspiel von Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit ist gefährdet.
■ Streben nach Gleichgewicht/
Handlungsfähigkeit ist nicht nur rational, sondern vor allem emotional und
triebdynamisch strukturiert.
➢ Verbindung zur Stressforschung (Coping)
„Unter Lebensbewältigung
verstehe ich das Streben nach psycho-sozialer
Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen.“
(Böhnisch 2016, S.20)
Stressmodell Lazarus (1974)
Psychologisches Konzept
Jede neue oder unbekannte Situation wird vom Individuum kognitiv in zwei Phasen bewertet:
➢ Bewertung, ob die Situation eine Bedrohung enthält
➢ Bewertung, ob die Situation mit den
verfügbaren Ressourcen bewältigt werden kann.
Nur wenn Ressourcen nicht ausreichend sind, wird eine Stressreaktion ausgelöst
„Nicht die Charakteristika der Reize oder Situationen sind für Stressreaktionen von Bedeutung, sondern die individuelle kognitive
Verarbeitung des
Betroffenen.“
Stressmodell/ Lazarus
Person/ Situation z.B. Prüfung
Kann ich mit meinen Ressourcen diesen Stressor bewältigen?
Ja:
Adäquates Coping Nein:
Inadäquat:
Stressreaktion
Interpretation Wahrnehmung
■ Einleuchtendes Konzept?
■ Welche (kritische) Situationen erzeugen bei mir Stress ?
■ Welche Coping-Strategien wende ich an/
habe ich angewandt?
Lebensbewältigung/
Verbindung
Bewältigungshandeln
■ Eine neue/ unbekannte Situation wird von einem Individuum als
„gefährlich“ (stressig) wahrgenommen
■ „Innere Strategien“ zur Wiederherstellung des
Gleichgewichts werden mobilisiert.
■ Bewältigungshandeln – adäquat oder inadäquat - als
Wiederherstellung des psycho- sozialen Gleichgewichts
Böhnisch
Textgrundlage:
Böhnisch, L. (2016): Eine Theorie der Sozialarbeit muss Handlungsaufforderungen enthalten. In:
Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit. S. 105-129
Welche Formen von
Bewältigungshandeln gibt es?
Was meint „Abspaltung“
und welche Formen gibt es?
Was steckt hinter der Methode
„Reframing“?
Antworten aus den Arbeitsgruppen
FORMEN
BEWÄLTIGUNGS- HANDELN
ABSPALTUNG/FORMEN
REFRAMING
Bewältigungs- handeln
■ Regressive Handlungsfähigkeit:
Antisoziales oder autoaggressives Verhalten (Abspaltung) wird gezeigt.
■ Einfache Handlungsfähigkeit:
Klient*innen sind in der Lage, ihren Alltag wieder sozial verträglich und subjektiv befriedigend zu organisieren.
■ Erweiterte Handlungsfähigkeit:
Reflexivität im eigenen Handeln und Fähigkeit zur Empathie (Perspektive des Anderen
miteinbeziehen)
Formen
Abspaltung/
Formen ■ Äußere Abspaltung:
Körperliche Gewalt, psychische Gewalt (Abwertung, Demütigung), Gewalt gegen Sachen etc.
■ Innere Abspaltung:
Autoaggression, z.B. Schneiden, sich selbst entwerten,
Unterwerfung
„Was ich als Kind erlitten habe, muss ich in mir
abtöten“ (Böhnisch, 2016,
S. 25)
ABSPALTUNG/
BEWÄLTIGUNGSHANDELN
➢
Hilflosigkeit des eigenen Selbst kann nicht mehr thematisiert werden
➢
Wird an sich selbst oder anderen ausgelassen und kann sich
biographisch verstetigen (Muster)
➢
Antisoziale Abspaltung äußert sich durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Wir-Gefühl), die andere abwertet
➢
Zugehörigkeit zu einer rechtsradikalen Gruppierung als Folge von Hilflosigkeit und innerer Bedrohung
➢Auto-(aggressive) oder
antisoziale Abspaltung
wird zum alltäglichen
Bewältigungshandeln
Perspektiv- wechsel
Soziale Arbeit
■ Diebstahl und
Gewaltausübung als Streben nach Handlungsfähigkeit
(psycho-soziales Gleichgewicht um jeden Preis)
■ „Bewältigungsmittel“ bei Hilflosigkeit des eigenen Selbst
■ Selbstverletzung und Überidentifikation mit
stereotypen Rollen gelten als
Hilferufe
Akzeptierende
Haltung ■ Personen in ihren Versuchen der Selbstbehauptung und ihrer Form der
Lebensbewältigung ernst nehmen.
■ Innere Hilflosigkeit
wahrnehmen, ohne das Handeln zu billigen.
■ Nicht die eigenen
Verhaltensmaßstäbe an Klient*innen anlegen
„Antisoziales oder
autoaggressives Verhalten ist für Klient*innen „das einzig verbliebene Mittel, um auf
sich aufmerksam zu machen“.
(Böhnisch 2016, S. 107)
Reflexion/
Diskussion ■ Finde ich das Konzept der
„Abspaltung/
Bewältigungshandeln“
einleuchtend?
■ Kenne ich Beispiele, z.B.
aus dem Praktikum?
Technik des Reframing
■ Technik aus der systemischen Familientherapie/ Beratung
■ Durch Umdeutung wird einer Situation (Ereignis) eine andere Bedeutung (Sinn) gegeben.
■ Rahmung meint im
sozialkonstruktivistischen Sinne ein
„Konzept“, das unsere Sicht eingrenzt.
■ Verlassen von „geistiger
Festlegung“: Neue Vorstellungen/
Deutungsmöglichkeiten entstehen.
Ein anderer Kontext
oder „Rahmen“ wird
gefunden.
Gesprächstechnik
Reframing ■ Zugang zur inneren
Befindlichkeit wird freigelegt
■ Dinge/ Situationen werden sagbar gemacht
■ Eigene Dysfunktionalität wird sichtbar.
■ Verdeckte Lösungen/
Möglichkeiten rücken durch
„Thematisierung“ in den Vordergrund
■ Spannungen/ Abspaltung wird durch Umdeutung aufgehoben bzw. reduziert
➢ Lebensbewältigung
durch Thematisierung
Beispiel Beispiel: Absage eines „Traumjobs“ nach einem Vorstellungsgespräch
Person 1/ Frame:
■ „Ich bin deprimiert, die wollen mich nicht, ich bin nicht gut genug, das ist beim nächsten Mal bestimmt wieder genauso..“
Person 2/ Frame/Reframing
■ „Ich war ein*e interessante*r Kandidat*in, bin eingeladen worden, die Leitung hatte aber Gründe, jemand anders zu nehmen. Ich
bewerbe mich weiter
Welche unterschiedlichen Selbstkonzepte werden deutlich?
➢ Welche Formen von
Bewältigungshandeln sind bei den Personen von
Frame 1 & 2 denkbar?
Textgrundlage:
Böhnisch, L. (2016): Eine Theorie der Sozialarbeit muss Handlungsaufforderungen enthalten. In:
Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit. S. 105-129
Was bedeutet Milieubildung und welche Haltung benötigt sie?
Welche
Entwicklungsdimensionen gibt es?
Was meint „Offenes Milieu“?
Antworten aus den Arbeitsgruppen
MILIEUBILDUNG HALTUNG
ENTWICKLUNGSDIMENSIONEN
OFFENES MILIEU
Funktionale
Äquivalente/ Offene Milieus
Funktionale Äquivalente:
■ Erfahrung, dass das antisoziale
oder autoaggressive Verhalten nicht gebraucht wird.
■ Selbstbefähigung der Klient*innen verfügbare soziale Unterstützung zu aktivieren.
■ Anerkennung und
Selbstwirksamkeit werden jenseits des bisherigen Verhaltens erfahrbar Soziale Arbeit soll nach
funktionalen Äquivalenten
suchen und offene Milieus
gestalten
Milieubildung
„Milieu meint einen
biografisch verfügbaren, sozialräumlichen und
sozialemotionalen Kontext der Gegenseitigkeit (…), in dem sich
Bewältigungskompetenzen entwickeln und an dem
Normalisierungshandeln rückgebunden ist.“
(Böhnisch 2013, S. 80)
Offene Milieus/
Personal-verstehende Dimension:➢ Verstehen des mitgebrachten Milieubezugs Aktivierende Dimension
➢ Schaffung eines sozialpädagogisch arrangierten Milieus als Ressource der alltäglichen Lebensbewältigung
Pädagogisch-interaktive Dimension:
➢ Herstellung von Vertrauen ( Beratung) und Autorität ( Aufzeigen von Grenzen/
Sicherheit)
Infrastrukturelle Dimension:
➢ Aktivierung von Ressourcen und Suche nach „Anschlüssen“ über Milieugrenzen hinaus
Entwicklungs-
dimensionen
Offene Milieus ➢ Respekt vor der Integrität des
anderen innerhalb und außerhalb der Milieugrenzen
➢ In einem sozialpädagogischen
Projektmilieu (offenes Milieu) wird ein Ort geschaffen, indem
Klient*innen Entlastung, Rückhalt und Zugehörigkeit erfahren.
➢ Dabei wird Zugehörigkeit aber nicht auf Kosten anderer
(Diskriminierung) gesucht
Zielsetzung
Reflexion/
Diskussion ■ Finde ich das Konzept/ die Begriffe „Milieubildung“
bzw. „offene Milieus“
einleuchtend?
■ Kenne ich Beispiele, z.B.
aus meinem Praktikum?
■ Wenn ja, welche?
Fallbespiel Herr Meier
Aufgabe in Gruppen/ Breakout Räume
➢ Bearbeitung der Fragen anhand des Fallbeispiels „Herr Meier“
Theoriefolie
Lebensbewältigung/
Böhnisch
Literatur
■ Böhnisch, L. (2012): Sozialpädagogik der Lebensalter. Weinheim und Basel
■ Böhnisch, L. (2013): Handlungsaufforderungen. In: Böhnisch, L. und Schröer.
Soziale Arbeit – eine problemorientierte Einführung. Bad Heilbrunn.
■ Böhnisch, L. (2016): Wie innere Hilflosigkeit Abspaltungsdruck erzeugt – Abspaltungen. In: Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit.