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Sexualisierte Gewalt gegen Kinder online

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Sexualisierte Gewalt gegen Kinder online

Positionspapier

Inhaltsverzeichnis

1 Ausgangslage ...2

2 Rechtliche Grundlagen ...3

2.1 International ...3

2.1.1 UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) ...3

2.1.2 Weitere internationale Abkommen mit Bezug zur Thematik ...3

2.2 Schweizer Recht ... 4

3 Grundsatz der Gleichbehandlung sexualisierter Gewalt an Kindern im Online- und im Offline-Bereich ... 4

4 Allgemeine Präventionsmassnahmen zu sexualisierter Gewalt an Kindern online... 5

4.1 Sensibilisierungsmassnahmen von Betreuungspersonen und Bevölkerung ... 5

4.2 Präventionsmassnahmen bei Täterinnen und Tätern ... 6

4.3 Präventionsmassnahmen für Kinder... 8

5 Präventionsmassnahmen zu spezifischen Phänomenen ... 9

5.1 Kindsmissbrauchsabbildungen (Kinderpornografie) ... 9

5.2 Cybergrooming und sexuelle Belästigung online... 11 Schlösslistrasse 9a!|!3008 Bern

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1 Ausgangslage

Kinder wachsen heute in einem digitalen Umfeld auf. In der Schweiz besitzen 99% der Jugendlichen von 12 bis 19 Jahren ein Smartphone.1 86% der Kinder von 6 bis 13 Jahren nutzen zumindest ab und zu das Internet.2 Kinder und Jugendliche nutzen digitale Medien, um Filme zu schauen, sich in sozialen Netzwerken auszutauschen, zu spielen, Fotos zu teilen, zu lernen usw. Während ein grosser Teil der Erfahrungen mit digitalen Medien von Kindern und Jugendlichen als positiv bewertet wird, birgt die digitale Welt auch Risiken.3 Denn sexualisierte Gewalt gegen Kinder wird vermehrt online ausgeübt. So wurde in letzter Zeit beispielsweise eine signifikante Zunahme von Cybergrooming festgestellt:4 Mehr als 30% der Jugendlichen wurden online schon einmal von einer fremden Person mit unerwünschten sexuellen Absichten angesprochen.5 Mit 16 Jahren sind schon 69% der

Jugendlichen mit sexuellen Darstellungen im Internet in Kontakt gekommen.6 Und auch die Zahlen

1 Waller, G., Willemse, I., Genner, S., Suter, L., & Süss, D. (2016). JAMES – Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz, Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, S. 64 (zitiert: JAMES 2018).

2 Genner, S., Suter, L., Waller, G., Schoch, P., Willemse, I., & Süss, D. (2017). MIKE – Medien, Interaktion, Kinder, Eltern: Ergebnisbericht zur MIKE-Studie 2017. Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, S. 28.

3 Hermida, M. (2019). EU Kids Online Schweiz. Schweizer Kinder und Jugendliche im Internet: Risiken und Chancen.

Pädagogische Hochschule Schwyz, Goldau, S. 3 ff. (zitiert: EU Kids Online 2019).

4 Willemse, I., Waller, G., Genner, S., Suter, L., Oppliger S., Huber, A.-L., & Süss, D. (2014). JAMES – Jugend, Akti- vitäten, Medien – Erhebung Schweiz. Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

5 JAMES 2018, S. 53.

6 EU Kids Online 2019, S. 13.

Zusammenfassung

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist immer real – ob im Online- oder im Offline-Bereich – und hat verheerende Auswirkungen. Dabei werden Opfer von sexualisierter Gewalt im Online-Bereich oft doppelt geschädigt: zuerst, wenn sie den Missbrauch erleben, und dann, wenn Bilder (oder Videos, GIF usw.) des Missbrauchs im Internet verbreitet werden. Gleichzeitig war der Zugang zu Kindern und Kindsmissbrauchsabbildungen (Kinderpornografie) noch nie so einfach wie im Internetzeitalter. Meldungen über Kindsmissbrauchsabbildungen haben einen Höchststand erreicht. Kontaktanbahnung und sexuelle Belästigungen von Kindern via Internet nehmen zu.

Technische Entwicklungen führen zu immer neuen Missbrauchsformen, beispielsweise mittels Livestreaming. Kinderschutz Schweiz setzt sich deshalb in Politik und Gesellschaft dafür ein, dass Kindsmissbrauch via Internet erschwert, sexualisierte Gewalt gegen Kinder verhindert und die Risiken im Internet vermindert werden.

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verbreiteter Kindsmissbrauchsabbildungen steigen. So hat das FBI 2018 rund 9000 Fälle von Kindsmissbrauchsabbildungen an die Schweiz gemeldet.7

Diese virulente Zunahme der sexualisierten Gewalt gegen Kinder im Internet gab Anlass zur Erstellung des vorliegenden Papiers. Darin werden die relevanten rechtlichen Grundlagen zusammengefasst sowie die Haltung von Kinderschutz Schweiz zu den häufigsten kriminellen Phänomenen und Präventionsmassnahmen in diesem Bereich festgelegt.

2 Rechtliche Grundlagen

Beim Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder online sind verschiedene rechtliche Grundlagen von Bedeutung. Das Positionspapier stellt zunächst das relevante internationale Recht (soweit es für die Schweiz von Bedeutung ist) vor und geht danach auf das einschlägige Schweizer Recht ein.

2.1 International

2.1.1 UNO-Kinderrechtskonvention (KRK)

Die Konvention ist Grundlage der Arbeit von Kinderschutz Schweiz. Artikel 19 verpflichtet die Schweiz, das Kind vor jeglicher Gewaltanwendung zu schützen. Artikel 34 besagt, dass Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu schützen sind. Gemäss Artikel 35 müssen die Vertragsstaaten alle geeigneten Massnahmen treffen, um den Verkauf und den Handel von Kindern zu verhindern. Und schliesslich hält Artikel 39 fest, dass die Vertragsstaaten alle geeigneten Massnahmen treffen müssen, um die Genesung und Wiedereingliederung von Kindern, die Opfer von Vernachlässigung, Ausbeutung oder Misshandlung geworden sind, zu fördern.

2.1.2 Weitere internationale Abkommen mit Bezug zur Thematik:

§ Fakultativprotokoll zur KRK betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (FP Kinderhandel)

Das FP Kinderhandel hat zum Zweck, die wachsende sexuelle Ausbeutung von Kindern im Online-Bereich zu bekämpfen. Dadurch ist die Schweiz insbesondere verpflichtet, gegen Kindsmissbrauchsabbildungen (Kinderpornografie) vorzugehen.

§ Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention)

7 NZZ am Sonntag vom 12.1.2019: Das FBI stösst auf 9000 Fälle von Kinderpornografie aus der Schweiz.

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Die Lanzarote-Konvention ist das fortschrittlichste und umfassendste rechtlich bindende

internationale Instrument zur Bekämpfung von sexueller Ausbeutung von Kindern. Die Konvention verpflichtet die Schweiz, folgende Straftaten zu kriminalisieren und zu bestrafen:

Kinderpornografie (Artikel 20), pornografische Darbietungen mit einem Kind (Artikel 21), unsittliches Einwirken auf ein Kind (Artikel 22) und Kontaktanbahnung mit Kindern zu sexuellen Zwecken (Artikel 23).

§ Übereinkommen des Europarats über die Cyberkriminalität (Budapest- Konvention)

Die Budapest-Konvention ist das erste internationale Abkommen zum Thema Internet und Computerkriminalität und verpflichtet die Schweiz, Straftaten mit Bezug zu Kinderpornografie zu kriminalisieren.

2.2 Schweizer Recht

Im Bereich des Schweizer Rechts sind die Bundesverfassung (BV) und das Strafgesetzbuch (StGB) die zentralen Rechtsinstrumente in der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Online-Bereich. Gemäss Art. 11 BV haben Kinder und Jugendliche einen Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. Gemäss Art. 10 BV hat jeder Mensch, also auch alle Kinder, das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Im Strafrecht sind vor allem die Bestimmungen zur sexuellen Integrität in den Art. 187 ff. StGB von Bedeutung.

Weitere Spezialgesetze, beispielsweise das Fernmeldegesetz, das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs sowie Datenschutzgesetze, können bei der Verhinderung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder online ebenfalls eine zentrale Rolle spielen.

So auch die kantonalen Polizeigesetze, die sich in ihrer Ausgestaltung jedoch von Kanton zu Kanton unterscheiden können.

3 Grundsatz der Gleichbehandlung sexualisierter Gewalt an Kindern im Online- und im Offline-Bereich

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist immer real – ob im Online- oder im Offline-Bereich – und hat verheerende Auswirkungen für das Kind. Mit der stetig steigenden Bedeutung des Internets hat auch die sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Online-Bereich rasant zugenommen. Im Namen von Freiheitsrechten im virtuellen Raum und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen wird das Internet zu oft den Täterinnen und Tätern überlassen und werden entsprechende Missbrauchsdelikte durch ein tiefes Strafmass bagatellisiert. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, gerade auch wenn es um sexualisierte Gewalt gegen Kinder geht. Denn bei der sexualisierten Gewalt im Online-Bereich gibt es genauso wie bei jener im Offline-Bereich immer ein Opfer in der realen Welt. Das Kind ist nie

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digital oder virtuell verletzt, es ist immer als reale Person in seiner sexuellen Integrität verletzt. Ein Kind, das Cybergrooming erlebt, wird in der realen Welt in seiner sexuellen Entwicklung gestört.

Ein Kind, das in einer Kindsmissbrauchsabbildung (Kinderpornografie) vorkommt, wird in der realen Welt sexuell missbraucht. Aus diesen Gründen ist es falsch, zu denken, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder weniger schlimm ist oder dass diese anders behandelt werden soll.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein Kind im Rahmen von sexualisierter Gewalt online bei jeder weiteren Verbreitung von Bildern und anderem Missbrauchsmaterial erneut zum Opfer wird (sogenannte Reviktimisierung).

Deshalb setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

§ sexualisierte Gewalt gegen Kinder online als ebenso schwerwiegendes Delikt angesehen wird wie sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Offline-Bereich und dieses von Justiz, Polizei, Legislative und Gesellschaft gleichwertig behandelt wird. Diese Gleichsetzung muss von allen einschlägigen Rechtsgrundlagen widergespiegelt werden. Dazu müssen insbesondere die Freiheitsrechte von Täterinnen und Tätern im virtuellen Raum gezielt eingeschränkt, wirtschaftliche Interessen zugunsten eines effektiven Schutzes zurückgestellt, Strafrahmen harmonisiert, die effektive Verfolgung von Online-Delikten sichergestellt und die nötigen Ressourcen gewährleistet werden.

4 Allgemeine Präventionsmassnahmen zu sexualisierter Gewalt an Kindern online

Die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder online darf sich nicht nur auf den Erlass von entsprechenden gesetzlichen Regelungen und auf die Strafverfolgung beschränken. Umfassende präventive Programme und Strukturen sind nötig, damit sexualisierte Gewalt gegen Kinder online frühzeitig bekämpft werden kann und es gar nicht zu Straftaten kommt. Kinderschutz Schweiz setzt sich dafür ein, dass die Prävention gesamtschweizerisch auf allen Ebenen verstärkt wird und entsprechende Mittel bereitgestellt werden.

4.1 Massnahmen zur Sensibilisierung von Betreuungspersonen und der Bevölkerung

Eltern, Lehr- und andere Betreuungspersonen nehmen eine wichtige Funktion in der Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Kinder online ein und sind darum ein wichtiges Zielpublikum von Präventionsmassnahmen. Durch ihren engen Kontakt mit Kindern sind sie oft die Ersten, die

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Risikosituationen für die Kinder erkennen können. Mit ihrem frühen und kompetenten Eingreifen kann sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Online-Bereich frühzeitig bekämpft werden.

Betreuungspersonen müssen geschult werden, damit sie Kindern geeignete Strategien zum Schutz vor sexualisierter Gewalt online beibringen können. Zudem müssen Betreuungspersonen unbedingt selbst den schützenden Umgang mit Daten und Bildern von Kindern lernen. Das Teilen von intimen Bildern von Kindern (nackt oder halbnackt) oder von Personendaten stellt ein erhebliches Risiko für sexualisierten Missbrauch an Kindern dar.8 Zudem kann jede Person einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung von sexueller Gewalt an Kindern online beitragen, indem sie aktiv Fälle von Kindsmissbrauchsabbildungen (Kinderpornografie) oder auffälliges Verhalten in Chaträumen meldet und so die Arbeit der Polizei entscheidend erleichtert.

Deshalb

setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

§ sich staatliche Stellen verstärkt, systematisch und mit entsprechenden Mitteln für die Sensibilisierung und die Prävention hinsichtlich sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Online-Bereich einsetzen.

§ Darunter fallen die folgenden Massnahmen:

o Eltern, Lehr- und andere Betreuungspersonen werden systematisch für sexualisierte Gewalt an Kindern online sensibilisiert und zu persönlichen und digitalen

Schutzmechanismen und -strategien geschult. Dazu gehört ein schützender Umgang mit Bildern von Kindern und mit persönlichen Informationen.

o Der Staat, privatwirtschaftliche Akteure oder Nichtregierungsorganisationen richten eine niederschwellige Meldestelle für Betreuungspersonen oder Dritte ein, die

Verdachtsmeldungen zur Identifizierung an die Polizei weiterleitet. Diese

niederschwellige Meldestelle wird der breiten Bevölkerung aktiv bekannt gemacht.

4.2 Massnahmen zur Prävention bei Täterinnen und Tätern

Zusätzlich zur Sensibilisierung von Bevölkerung und Betreuungspersonen können auch

Massnahmen zur Prävention bei potenziellen Täterinnen und Tätern sexualisierte Gewalt gegen

8 Immer mehr fällt in diesem Zusammenhang der Begriff «sharenting». Sharenting bedeutet das Publizieren und Teilen von Kinderbildern auf sozialen Medien durch Eltern. Grundsätzlich hat jedes Kind das Recht am eigenen Bild, und niemand darf ein Bild von ihm ohne seine Einwilligung veröffentlichen. Für ein Kind, das noch nicht urteilsfähig ist und somit keine Einwilligung geben kann, können die Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge über das Ob und Wie einer Veröffentlichung entscheiden. Für die Urteilsfähigkeit eines Kindes gibt es keine klare Altersgrenze. Kinderschutz Schweiz vertritt die Haltung, dass das Kind sobald als möglich (also schon ab dem Alter von ungefähr sechs Jahren) bei Entscheiden bezüglich seines Bildes einbezogen werden muss. Teilen Eltern Bilder von noch urteilsunfähigen Kindern, so müssen sie immer im (auch zukünftigen) Interesse des Kindes (und nicht im eigenen) handeln. Peinliche oder intime Bilder oder genaue Informationen zur Person haben nichts im Internet zu suchen, denn sie gefährden die Entwicklung des Kindes.

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Kinder online verhindern. Erwachsene mit pädophiler Neigung oder anderen

Persönlichkeitsmerkmalen, die das Risiko von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Online- Bereich erhöhen, werden erreicht, bevor sie zu Tätern oder Täterinnen werden.

Präventionsangebote, die auf diese Gruppe von Erwachsenen abzielen, sind jedoch rar.9

Immer öfter sind heute auch Minderjährige Täter oder Täterin. So wurden 2018 299 Minderjährige wegen verbotener Pornografie verurteilt.10 Jedes Kind macht sich strafbar, wenn es illegale

Pornografie herstellt, verbreitet oder konsumiert. Ebenso strafbar ist es, wenn Kinder grundsätzlich erlaubte Pornografie anderen Kindern unter 16 Jahren zugänglich machen, beispielsweise indem sie solche Inhalte in WhatsApp-Chats teilen.

Für gewisse Verhaltensweisen kennt die schweizerische Gesetzgebung betreffend die Strafbarkeit zwei Alterskategorien: eine für Kinder unter 16 Jahren und eine für Jugendliche über 16 Jahre. So bleiben Jugendliche über 16 Jahre straflos, wenn sie voneinander einvernehmlich Pornografie herstellen, diese besitzen oder konsumieren (Art. 197 Art. VIII StGB). Kinder unter 16 Jahren hingegen, die sexuelle Handlungen von sich aufnehmen und somit verbotene

Kindsmissbrauchsabbildungen herstellen, machen sich strafbar.

Auch Cybermobbing wird oft von Kindern verübt. Cybermobbing bedeutet, dass mehrere Täter oder Täterinnen über längere Zeit eine Person online belästigen oder bedrohen. Oft werden dazu

pornografische Fotos der betroffenen Kinder verbreitet.

Dies zeigt, dass Kinder und Jugendliche nicht nur Opfer, sondern in geringerem Mass auch Täter oder Täterinnen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder online werden können.

Deshalb

setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

§ Programme zur Täter- und Täterinnenprävention ausgebaut werden, sodass alle Menschen, die sexuelle Fantasien mit Kindern haben, eine Anlaufstelle haben und Straftaten verhindert werden können;

§ an den Schulen systematisch Sensibilisierungsmassnahmen durchgeführt werden, die verhindern, dass Kinder selbst zu Tätern werden.

9 Postulat Jositsch 16.3644: Präventionsprojekt «Kein Täter werden» für die Schweiz, unter https://www.parla- ment.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163644. Das Postulat wurde angenommen, ein Bericht dazu wird zurzeit ausgearbeitet.

10 Strafurteilsstatistik 2018, unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetde- tail.8946462.html.

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4.3 Präventionsmassnahmen für Kinder

Kinder müssen insbesondere im Umgang mit persönlichen Daten geschult werden. Kinder sollen lernen, dass sie einer fremden Person im Internet nie persönliche Angaben wie den Wohnort bekannt geben. Denn das Treffen mit Internetbekanntschaften stellt für Kinder ein Risiko dar.

Präventionsangebote müssen dazu richtige Verhaltensweisen vermitteln (erste Treffen in Begleitung eines bekannten Erwachsenen, Treffen nur an öffentlichen Orten, Eltern über Treffen informieren).

Auch das unbedachte Versenden von intimen Bildern und Videos untereinander (sogenanntes Sexting) bedeutet für Kinder eine Gefahr. Allzu leicht können diese weitergegeben und missbraucht werden oder zu Erpressungszwecken (sogenannter Sextortion) verwendet werden. Darüber sind Kinder aufzuklären. Kinder werden im Internet regelmässig sexuell belästigt. Im Umgang mit unangenehmen Kontakten im Internet haben sich das Blockieren und das Löschen dieser Personen als relativ erfolgreiche Strategien erwiesen.11

Deshalb

setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

§ Kinder in ihrer Medien- und Sexualkompetenz gefördert werden und insbesondere den sorgsamen Umgang mit persönlichen Daten und Bildern lernen. Im Unterricht erfahren sie von den Risiken, die vom Internet ausgehen, und lernen die nötigen Schutzmechanismen anwenden. Die an Kinder gerichteten Präventionsmassnahmen sollen auch darauf abzielen, dass Kinder selbst nicht zu Tätern von sexualisierter Gewalt online werden;

§ staatliche, privatwirtschaftliche Akteure oder Nichtregierungsorganisationen eine niederschwellige Meldestelle für Kinder einrichten, die sich im Falle von

Missbrauchserfahrung oder eines Verdachts um das kindliche Wohlbefinden, den Schutz desselben und das weitere Verfahren kümmert.

11 EU Kids Online, S. 10.

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5 Massnahmen zur Prävention spezifischer Phänomene

Das folgende Kapitel gilt der Erörterung von einzelnen, besonders virulenten Phänomenen sexualisierter Gewalt gegen Kinder online und konkretisiert die Mittel zu deren Bekämpfung. Die aufgeführten Massnahmen sind folglich in Ergänzung der allgemeinen Präventionsmassnahmen in Kapitel 4 zu lesen, die auch im Bereich der spezifischen Phänomene Wirkung erzielen.

5.1 Kindsmissbrauchsabbildungen (Kinderpornografie)

In der Umgangssprache und in verschiedenen internationalen und nationalen rechtlichen Instrumenten wird von Kinderpornografie gesprochen. Der Begriff Kinderpornografie ist jedoch ungenau und verharmlosend, weil es sich dabei nicht um Pornografie handelt, sondern um ein Abbild des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Kinderschutz Schweiz bevorzugt daher

grundsätzlich den Begriff Kindsmissbrauchsabbildung (mitgemeint sind dabei immer auch Videos, GIF usw.). Weil das schweizerische Strafgesetzbuch jedoch mit dem Begriff der «verbotenen Pornografie» operiert, wird deshalb je nach Kontext auf den Begriff der «Kinderpornografie»

zurückgegriffen.

Art. 197 des Strafgesetzbuches regelt Inhalt und Strafrahmen der verbotenen Pornografie, wozu Kindsmissbrauchsabbildungen gehören. Um als diese zu gelten, müssen sich die Abbildungen dabei grundsätzlich auf geschlechtsspezifische oder erogene Körperteile des Kindes beziehen. Laut

Bundesgericht gelten auch die sogenannten Posingbilder von halbnackten Kindern, soweit eindeutig sexualbezogen und sozial inadäquat, als kinderpornografisch.12

Verdachtsfälle zu Kindsmissbrauchsabbildungen haben in den letzten Jahren massiv zugenommen.

Neben den vom FBI gemeldeten 9000 Fällen hat das Bundesamt für Polizei fedpol 2017 selbst an die 1000 Fälle ermittelt.13 Trotz diesen hohen Zahlen kommt es zu verhältnismässig wenigen

Verurteilungen. So wurden 2018 nur 673 erwachsene Personen wegen

Kindsmissbrauchsabbildungen und anderer verbotener Pornografie verurteilt.14

Die rasante Entwicklung des Internets führt zu immer neuen Formen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder im Online-Bereich. So ist in den letzten Jahren ein neues Phänomen bekannt geworden: der Missbrauch mittels Livestreaming. Dabei wird ein Kind unter Anleitung des

Internetnutzers, der sich live dazuschalten lässt, gegen Bezahlung missbraucht. Der live gestreamte

12 BGE 6B_180/2015, Erwägung 3.3.

13 Ibid.

14 Strafurteilsstatistik 2018 unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetde- tail.8946462.html.

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Missbrauch hinterlässt möglicherweise keine Spuren, da der Stream unmittelbar nach dem Missbrauch gelöscht werden kann.15

Es sind demnach drei besorgniserregende Entwicklungen betreffend Kindsmissbrauchsabbildungen zu beobachten:

1. Während international die Meldungen bezüglich Kindsmissbrauchsabbildungen in den letzten Jahren massiv gestiegen sind, bleibt die Anzahl von Verurteilungen von Erwachsenen in der Schweiz verhältnismässig klein.

2. Das Gros der Meldungen stammt von ausländischen Behörden.

3. Die Möglichkeit des Livestreamings hat einen neuen Markt eröffnet. Im Gegensatz zum herkömmlichen Markt wird der Missbrauch aktiv vom Zuschauenden beeinflusst und hinterlässt kaum Spuren.

Deshalb setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

§ Kindsmissbrauchsabbildungen konsequent als Fälle von realem Kindsmissbrauch behandelt werden. Wo nötig, sind die Gesetze anzupassen. Online-Delikte müssen konsequent verzeigt und geahndet werden. Damit dies gelingt, sind insbesondere genügend Meldestellen einzurichten, die eng mit der Polizei zusammenarbeiten;

§ Behörden die Ressourcen (insbesondere technische, rechtliche, finanzielle, politische, personelle sowie auch solche für die verdeckte Ermittlung) erhalten, um mehr Fälle von

Kindsmissbrauchsabbildungen aufzudecken. Technische Möglichkeiten zur Verhinderung, Aufdeckung, Blockierung und Löschung von Kindsmissbrauchsabbildungen müssen konsequent angewandt werden;

§ private Internetanbieter ihrer Mitverantwortung in der Bekämpfung der

Kindsmissbrauchsabbildungen gerecht werden. Das Einrichten von Meldestellen zu Kindsmissbrauchsabbildungen, die Zusammenarbeit mit der Polizei und das Einsetzen von Filtern können wirksame Massnahmen sein, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder im digitalen Umfeld zu verhindern;16

§ polizeilichen Behörden zur Bekämpfung von Kindsmissbrauchsabbildungen adäquate Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören:

15Siehe https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/zieh-dich-aus-wie-kinder-via-webcam-sexuell-missbraucht-werden-ein-opfer- erzaehlt-ld.1416551?reduced=true.

16 Das Schweizer Parlament hat kürzlich dazu das Fernmeldegesetz SR 784.10 revidiert und die Zusammenarbeit von Fernmeldedienstanbietern mit Meldestellen und polizeilichen Behörden zur Bekämpfung von

Kindsmissbrauchsabbildungen festgelegt. Die Änderungen treten demnächst in Kraft. Der Schlussabstimmungstext

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o eine effektive Koordinationsfunktion des Bundes sowie die Übernahme der

Ermittlungsaufgaben, wo die Zuständigkeiten unter den Kantonen unklar sind oder kantonale Ressourcen fehlen;

o genügend Ressourcen für verdeckte Ermittlungen und Fahndungen und die entsprechenden nationalen und kantonalen gesetzlichen Grundlagen;

o genügend personelle und technische Mittel.

die Behörden die nötigen technischen Mittel und gesetzlichen Grundlagen erhalten, um zahlungswillige Tatpersonen vor dem Livestreaming zwecks Kindsmissbrauchs zu überführen. Das Strafmass bei Livestreaming (z.B. Anstiftung zu Vergewaltigung oder zu sexuellen Handlungen mit Minderjährigen) muss von den Gerichten konsequent ausgeschöpft werden.

5.2 Cybergrooming und sexuelle Belästigung online

Cybergrooming bedeutet ein gezieltes und auf sexuelle Inhalte ausgerichtetes Kontaktknüpfen von Erwachsenen mit Kindern im Internet. Dazu baut der Täter ein Vertrauensverhältnis zu dem Kind auf. Man kann zwischen Cybergrooming im engeren und im weiteren Sinne unterscheiden.

Cybergrooming im engeren Sinne wird in Art. 23 des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention)

beschrieben: Ein Erwachsener schlägt einem Kind im Internet ein Treffen vor und tätigt konkrete Vorbereitungshandlungen, um am Treffen mit dem Kind sexuelle Handlungen vorzunehmen oder eine Straftat zu begehen. Diese Handlungen sind in der Schweiz als Versuch zur Vornahme sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) oder zur Herstellung von verbotener

Pornografie (Art. 197 Ziff. 3 StGB) strafbar.17 Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich eine hohe Anzahl Kinder mit Internetbekanntschaften im realen Leben trifft. Aufgrund des möglichen Cybergroomings eines Erwachsenen ist dieses Verhalten – ohne entsprechende Schutzmassnahmen – einem hohen Risiko ausgesetzt.18

Das Cybergrooming im weiteren Sinne, nämlich das sexuell motivierte Chatten eines Erwachsenen mit einem Kind, ist in der Schweiz gemäss herrschender Lehre hingegen nicht eindeutig strafbar.19 Politische Vorstösse, die Cybergrooming in diesem weiteren Sinne strafbar machen wollen, werden regelmässig abgelehnt.20 Dies, obwohl der Bundesrat in seiner Botschaft zur Umsetzung der Lanzarote-Konvention feststellt, dass Chatforen (inkl. Gamerforen) rege für Cybergrooming im

17 Botschaft zur Genehmigung der Lanzarote-Konvention sowie zu ihrer Umsetzung (Änderung des StGB) vom 4. Juli 2012, BBl 2011 1556, S. 7626.

18 EU Kids online, S. 23: 15 Prozent der 9- bis 16-Jährigen haben sich innerhalb eines Jahres mit Internetbekanntschaften getroffen. Bei den 15- bis 16-Jährigen liegt der Anteil bei einem Drittel.

19 Maier, Basler Kommentar zum StGB, vor Art. 187 N 10d sowie Isenring, Basler Kommentar zum StGB, Art. 198 N 24.

20 Beispielsweise Motion 12.3476 oder parlamentarische Initiative 13.442. Die parlamentarische Initiative 18.434 dazu ist zurzeit hängig.

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weiteren Sinne missbraucht werden.21 Laut einer neuen Studie wurden 21% der 13- bis 14-Jährigen und 41% der 15- bis 16-Jährigen im letzten Jahr online unerwünscht nach sexuellen Informationen (z.B. Bilder, Videos) über sich selbst befragt.22 Es besteht also eine Strafbarkeitslücke, die es zu schliessen gilt. Dazu bietet sich eine Revision von Art. 198 StGB (sexuelle Belästigung) an. Verbale sexuelle Belästigung im realen Leben ist bereits strafbar. Neu soll auch die sexuelle Belästigung online (d.h das Cybergrooming im weiteren Sinne) eindeutig strafbar sein. Bis anhin ist zudem die sexuelle Belästigung gegenüber Kindern nur auf Antrag strafbar. Kindern ist es regelmässig nicht zuzumuten, dass sie selbst Strafanzeige einreichen. Diese hohe Hürde spiegelt sich auch in der geringen Zahl von Anzeigen wider. So führt das fedpol für das Jahr 2018 nur drei registrierte Fälle von Cybergrooming auf.23 Deshalb vertritt Kinderschutz Schweiz die Ansicht, dass die sexuelle Belästigung gegenüber Minderjährigen von Amtes wegen verfolgt werden soll.24

Deshalb

setzt sich Kinderschutz Schweiz dafür ein, dass:

den polizeilichen Behörden zur Bekämpfung von Cybergrooming adäquate Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören:

o eine effektive Koordinationsfunktion des Bundes sowie die Übernahme der Ermittlungsaufgaben, wo Kantonszuständigkeiten unklar sind oder Kantonsressourcen fehlen;

o die nötigen Gesetzesgrundlagen auf Bundes- und Kantonsebene für verdeckte Ermittlungen;

o genügend personelle und technische Mittel.

der Staat sicherstellt, dass Kinder und Eltern mittels präventiver Massnahmen für das Phänomen des Cybergroomings sensibilisiert werden und für die nötigen

Schutzmassnahmen geschult werden;

sexuelle Belästigung online als Ausprägungsform des Cybergroomings reglementiert und bestraft wird. Sämtliche Ausprägungen von Cybergrooming sollen von Amtes wegen verfolgt werden. Dazu bietet sich insbesondere die Revision von Art. 198 StGB (sexuelle Belästigung) an.

21 BBl 2011 1556, S. 7626.

22 EU Kids Online, S. 20.

23 fedpol: Statistiken zum Jahresbericht 2018, abrufbar unter: https://www.fedpol.admin.ch/dam/data/fedpol/publiser- vice/publikationen/berichte/jabe/jabe-2018-stat-d.pdf.

24 Fontanive, Simmler. Gefahr im Netz: Die unzeitgemässe Erfassung des Cybergroomings und des Cyberharassments im schweizerischen Sexualstrafrecht – zur Notwendigkeit der Modernisierung von Art. 198 StGB, in ZSR I 2016, S. 510 ff.

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