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Haushaltskonsolidierungen in der Verschuldungskrise – die richtige Strategie? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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Dossier

55 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 3-2011

Die staatliche Schuldenkrise hält Europa in Atem. Griechenland und Irland hätten oh- ne Hilfe von aussen durch die EU, die Euro- länder und den Internationalen Währungs- fonds (IWF) mit Krediten von 110 bzw. 85 Mrd. Euro den staatlichen Zahlungsausfall kaum abwenden können. Spekulationen, ob Portugal, Spanien oder auch Italien bald in ernste Zahlungsschwierigkeiten geraten, be- feuern die Märkte. Die durchschnittliche Verschuldung der OECD-Staaten hat wäh- rend der Jahre 2007-2010 um fast einen Drit- tel von durchschnittlich 73% auf 97% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zugenommen.

Gemäss einer Zusammenstellung des IWF fällt rund die Hälfte der Verschuldungszu- nahme auf konjunkturbedingte Steuerrück- gänge und etwa 30% auf die beschlossenen Stabilisierungsmassnahmen während der Fi- nanz- und Wirtschaftskrise 2009. Über 20%

der Verschuldungzunahme ist aber bereits auf die über dem Wirtschaftswachstum lie- gende Zinslast der bestehenden Staatsschuld zurückzuführen.

Die Fokussierung auf den kurzfristigen Schuldenanstieg durch die Massnahmen der Stabilisierungspolitik verdeckt die Tatsache, dass viele Industriestaaten bereits vor der Krise in angespannter finanzieller Verfassung waren. Die Gründe dafür sind durchaus un- terschiedlich: Während Griechenland seit dem Beitritt zur Eurozone nie eine nachhal- tig geführte Finanzpolitik aufwies, leiden Ir- land und Spanien unter der Last eines zu- sammengebrochenen Immobilienbooms.

Portugal, Griechenland und Italien haben in den letzten Jahren stark an Wettbewerbs- fähigkeit eingebüsst – nicht zuletzt aufgrund stark gestiegener Lohnstückkosten. Irland überschätzte ausserdem seinen finanziellen Spielraum bei der Bankenrettung im Herbst

2008, als für die taumelnden Finanzinstitute Garantien im Umfang von über 250% des BIP gesprochen wurden.

Unterschiedliche Ursachen – ähnliche Herausforderungen

Auch wenn die Ursachen der Verschul- dungszunahme in den einzelnen Ländern unterschiedlich sind, so stellen sich für die meisten EU-Staaten ähnliche Fragen der ad- äquaten Haushaltskonsolidierung. Mit der Aufgabe der eigenen Währungen kann die fehlende Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr über Abwertungen herbeigeführt werden, sondern muss nun über reale Preis- und Lohnkürzungen sowie über Konsolidierun- gen im öffentlichen Haushalt erreicht wer- den. Daran würden auch eine Umschuldung, ein vollständiger Staatsbankrott oder ein Austritt aus der Währungsunion nichts än- dern.

Wie Tabelle 1 zeigt, will Griechenland das Haushaltsdefizit bis 2014 von 13,6% auf 3%

des BIP mit Massnahmen auf der Einnah- men- wie auch auf der Ausgabenseite senken.

Dabei schlägt insbesondere eine MWST- Erhöhung von 19% auf 23% sowie die Erhö- hung des Renteneintrittsalters von 60 auf 65 Jahre zu Buche. Auch Irland sieht mehrere Steuererhöhungen vor, verzichtet aber auf eine Erhöhung der im internationalen Ver- gleich tiefen Körperschaftssteuer von 12,5%.

Der grösste Teil der Massnahmen fokussiert jedoch auf die Ausgabenseite und trifft alle Bevölkerungsschichten. Ähnliches gilt für Spanien und Portugal. Auch Grossbritannien hat ein sehr umfangreiches Konsolidierungs- programm verabschiedet, welches zu fast 80% auf ausgabenseitigen Massnahmen ba- siert. Grossbritannien bleibt – im Unter- schied zu den erwähnten Staaten – die Mög- lichkeit, seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit über eine Abwertung des Britischen Pfund zu stärken.

Erfolgversprechende Strategien der Austeritätspolitik

Zur Isolierung der Erfolgsdeterminanten von Haushaltskonsolidierungen lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen der letzten 40 Jahre. Wenngleich weite Bereiche der Ausga-

Haushaltskonsolidierungen in der Verschuldungskrise – die richtige Strategie?

Analog zu den staatlichen Inter- ventionen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise sind auch die Sparprogramme in ihrem Aus- mass historisch beispiellos. Im nachfolgenden Artikel wird aus- gehend von den Erfahrungen der letzten 40 Jahre untersucht, wie die Austeritätspolitik der euro- päischen Länder aus ökonomi- scher Sicht zu beurteilen ist. Zwei Fragen stehen dabei im Vorder- grund: Sind die verfolgten Strate- gien erfolgversprechend? Und:

Welcher Zeitpunkt der Konsolidie- rung sollte angepeilt werden?

Prof. Dr. Christoph A. Schaltegger Ordinarius für politische Ökonomie, Ökonomisches Seminar, Universität Luzern

Martin Weder M.A.HSG, Finanzen und Steuern, economiesuisse, Assistent Universität Luzern

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Dossier

56 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 3-2011

ben gesetzlich gebunden sind und sich Inter- essengruppen gegen geplante Ausgabenkür- zungen oder Steuererhöhungen zur Wehr setzen, ist es in den letzten Jahren immer wieder zu erfolgreichen Haushaltskonsolidie- rungen gekommen. Tabelle 2 zeigt die Haus- haltskonsolidierungen jener Industriestaaten, deren Schuldenquote sich am stärksten redu- zierte. Die Zahlen offenbaren, dass ein we- sentlicher Schuldenabbau nur über einen längeren Zeithorizont möglich ist. Mit Aus- nahme von Norwegen wurden die Schulden über einen Zeitraum von durchschnittlich 12 Jahren abgebaut. Fast 90% der Reduktion können auf Verbesserungen in der Primärbi- lanz (Abbau des Defizits, Erzielen von Über- schüssen) zurückgeführt werden. Nur in Ir- land, Spanien und Norwegen leistete ein hohes Wirtschaftswachstum einen wesentli- chen Beitrag zum Schuldenabbau. Im Gegen- satz zu den aufstrebenden Volkswirtschaften in Südamerika und Asien ist es für die rei- chen Industriestaaten derzeit kaum möglich, aus den Schulden «herauszuwachsen».

Vielen Regierungen bleibt daher – abgese- hen von Seigniorage – nur die Wahl zwischen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen oder einer Kombination von beidem. Da Steuererhöhungen ebenso unpopulär sein können wie Ausgabenkürzungen und zudem der Abwanderung mobiler Produktionsfak- toren, Steuerhinterziehung und einem An- stieg der Schattenwirtschaft Vorschub leisten, entscheiden sich Regierungen in der Regel für eine Kombination. Wie sind die Erfolgs- aussichten der unterschiedlichen Austeritäts- strategien?

Ausgabenkürzungen versus Steuererhöhungen Haushaltssanierungen sind vor allem dann längerfristig erfolgreich, wenn sie vorwiegend

Land Finanzeckwerte Einnahmen Ausgaben

(in % des BIP)

Portugal Defizit 2007 –2.8 − MWST von 20% auf 23% − Reduktion Saläre um 5%

2010 –7.3 − Kürzung von Steuer- − Rüstungsausgaben:

2015 –5.8 abzügen –40%

Schulden 2007 62.7 − Höhere Einkommenssteuer − Tiefere Transferausgaben 2010 83.1 − Erhöhung Körperschafts- an Staatsbetriebe 2015 97.8 steuer − Verstärkte Kontrolle der

Sozial- und Gesundheits- ausgaben

Irland Defizit 2007 +0.1 − Erhöhung Einkommens- − Abbau von 25 000 Stellen 2010 –31.9 steuer − Kürzung der Sozial- 2015 –5.8 − MWST von 21% auf 23% ausgaben Schulden 2007 25.0 − Höhere Lohnbeiträge − Senkung der Löhne

2010 99.4 − Einführung CO2-Abgabe um 5%–10%

2015 113.9 − Erhöhung Stempelabgabe − Tiefere Mindestlöhne

− Einführung Immobilien- − Halbierung Kindergelder steuer − Kürzung der Entwicklungs-

hilfe

Griechenland Defizit 2007 –3.7 − Erhöhung um 4% des BIP − Reduktion um 5,3% des BIP 2010 –7.9 − MWST von 19% auf 23% − Lohnstopp bis 2014 2015 –2.0 − Erhöhung Tabak-, − Pensionen bis 2012 Schulden 2007 95.6 Mineralöl-, Alkohol- und eingefroren

2010 130.2 Zigarettensteuer − Erhöhung Pensionsalter 2015 133.9 − Zusatzsteuer gewinn- von 60 auf 65 Jahre

trächtige Unternehmen

Spanien Defizit 2007 +1.9 − MWST von 16% auf 18% − Kürzungen von 50 Mrd. EUR 2010 –9.3 − Erhöhung Tabaksteuer − Senkung der Löhne

2015 –4.4 um +30% um 5%–15%

Schulden 2007 36.1 − Privatisierung Lotterien − Nullrunde für Rentner 2010 63.5 und Flughafenverwal- − Wegfall der Babyprämie 2015 82.0 tungen − Reduktion Investitionen

− Wegfall Steuerfreibetrag und Entwicklungshilfe

− Erhöhung Kapitalertrags- steuer

Ver. Königreich Defizit 2007 –2.7 − Umfang von 29 Mrd. GBP − Umfang von 84 Mrd. GBP 2010 –10.2 − MWST von 17.5% auf 20% − Ressorts: Kürzung bis zu 2015 –2.4 − Kapitalgewinnsteuer 25%

Schulden 2007 43.9 von 18% auf 28% − Sozialreform, Kürzungen 2010 76.7 − Unbefristete Banken- − Erhöhung Studiengebühren 2015 83.9 steuer (0.04%–0.07% − Kürzung öffentliche

der Aktiven) Investitionen

Land (Jahre) Schulden Schulden Schulden- Primär- Diff. Zins- Übrige Beginn Ende abbau bilanz wachstum Faktoren

Irland (1987–2002) 109.2 32.2 77.0 53.3 31.1 –7.4

Dänemark (1993–2008) 80.1 22.0 58.1 51.3 –26.7 33.5

Belgien (1993–2007) 136.9 84.0 52.9 70.2 –25.2 7.9

Neuseeland (1986–2001) 71.6 29.8 41.8 52.1 -8.9 –1.4

Kanada (1996–2008) 101.7 62.7 39.0 39.3 –19.2 18.9

Schweden (1996–2008) 73.2 38.0 35.2 21.0 –4.6 18.8

Island (1995–2005) 58.9 25.4 33.5 17.4 4.7 11.4

Niederlande (1993-2007) 78.5 45.6 32.9 27.5 –8.3 13.7

Spanien (1996-2007) 67.4 36.1 31.3 21.6 11.5 –1.8

Norwegen (1979-1984) 56.5 35.1 21.4 24.2 11.7 –14.5

Durchschnitt 83.4 41.1 42.3 37.8 –3.4 7.9

Tabelle 1

Konsolidierungsprogramme ausgewählter Staaten

Tabelle 2

Erfolgreiche Haushaltskonsolidierungen in reichen Industriestaaten Zusammensetzung der Schuldenreduktion in % des BIP

Quellen: IWF (2010) / Die Volkswirtschaft

Quelle: IWF (2010) / Die Volkswirtschaft

1 Vgl. Alesina A., Ardagna A. (1998): Tales of Fiscal

Adjustment. Economic Policy 21, S. 205–247; Zaghini A. (2001): Fis- cal Adjustments and Economic Performing:

A Comparative Study. Applied Economics 33, S. 613–624; OECD (2007): Fiscal Consolidation: Lessons from Past

Experience. OECD Economic Outlook Nr. 81, Paris: OECD; European Commission (2007): Public Finances in EMU 2007. European Econo- my Nr.3, Luxemburg: Office for

Official Publications of the European Commission.

2 Vgl. Von Hagen J., Hallett A.H., Strauch R. (2002):

Budgetary Consolidation in Europe: Quality, Economic Conditions and Persistence. Journal of the Japanese

and International Economies 16, 512–535; McDermott J., Wescott R.

(1996): An Empirical Analysis of Fiscal Adjustments. IMF Working Paper Nr. 59.

3 Vgl. Heylen F., Everaert G. (2000): Success and Failure of Fiscal Con- solidation in the OECD: A Multivariate Analysis. Public Choice 105, S.

103-124; Alesina A., Perotti R. (1996): Fiscal Adjustments in OECD Countries: Composition and Macroeconomic Effects. NBER Working Paper Nr. 5730.

4 Vgl. Schaltegger C.A., Feld L.P. (2009): Are Fiscal Adjustments Less Successful in Decentralized Governments?. European Journal of Poli- tical Economy 25, S. 115–123.

5 Vgl. Mierau J.O., Jong-A-Pin R., de Haan J. (2007):

Do Political Variables Affect Fiscal Policy Adjustment Decisions? New Empirical Evidence. Public Choice 133, S. 297–319.

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57 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 3-2011

den.2 Letztlich ist wichtig, wer von den Aus- gabenkürzungen bzw. Steuererhöhungen be- troffen ist. Wird die Opfersymmetrie unter den politischen Interessengruppen in etwa gewahrt, erhöht dies die Chancen auf eine zügige Umsetzung der Sanierungsmassnah- men. Insbesondere kann der Sanierungsstra- tegie Glaubwürdigkeit verliehen werden, wenn auch Ausgaben im Interessenbereich der eigenen Regierungsklientel beschnitten werden.

Anfangsbedingungen

Die Erfahrungen zeigen weiter, dass eine nachhaltige Entlastung des öffentlichen Bud- gets vor allem dann zustande kommt, wenn die finanzielle Lage besonders akut ist: Je hö- her die Defizite und die Schulden, desto grösser ist der Handlungsbedarf und desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu bedeuten- den und wirksamen Reformen kommt (vgl.

Grafik 2). Treten die beschlossenen Massnah- men zu einem Zeitpunkt in Kraft, in wel- chem die Weltwirtschaft in guter Verfassung ist und die Zinsen tief sind, ist eine Gesun- dung der öffentlichen Finanzen deutlich wahrscheinlicher.3 Verschiedene erfolgreiche Haushaltskonsolidierungen wurden überdies durch vorgängige Abwertungen der eigenen Währung erleichtert – ein Instrument, das den Eurostaaten nicht mehr zur Verfügung steht.

Politische Faktoren

Stabile Regierungen sowie eine geringe Anzahl von politischen Parteien erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Konsolidierung, weil sie einen grösseren Handlungsspielraum besitzen und weniger Sonderinteressen berücksichtigen müssen.

Indessen behindert ein föderaler Staatsauf- bau die Chancen einer erfolgreichen Haus- haltskonsolidierung solange nicht, als die Kompetenzabgrenzungen der Staatsebenen klar sind und keine allzu starken Politikver- flechtungen über Verbundfinanzierungen bestehen. Föderalismus kann sogar die Er- folgschancen von Haushaltskonsolidierun- gen erhöhen.4 Die Erfolgschancen sind zu- dem höher, wenn Reformen unmittelbar nach einem Machtwechsel durchgeführt wer- den. Vor Wahlen finden hingegen weniger häufig Budgetanpassungen statt.5

Budgetregeln und Schuldenbremsen

Institutionelle Verankerungen wie Budget- regeln oder Schuldenbremsen können wirk- same Instrumente zur Schuldenbegrenzung sein. Damit solche Regeln effektiv sind, müs- sen sie vor allem einfach zu verstehen, umzu- setzen und zu überwachen sein. Gleichzeitig müssen sie einen gewissen Spielraum offen auf der Ausgabenseite erfolgen (vgl. Grafik 1).

Neben zahlreichen unabhängigen Autoren gelangen auch die OECD und die Europäi- sche Kommission zu diesem Ergebnis.1 Er- folgreiche Konsolidierungen setzten vor al- lem auf Kürzungen bei den Transfer- und den Personalausgaben. Investitionen sollten hingegen möglichst nicht beschnitten wer-

Quelle: Schaltegger, Weder (2010) / Die Volkswirtschaft

Quelle: Schaltegger, Weder (2010) / Die Volkswirtschaft Anmerkung: Die Grafiken zeigen den Verlauf der Ausgaben-

und Einnahmenquote der betroffenen Länder vor, während und nach der Haushaltskonsolidierung, und zwar sowohl für alle eingeleiteten als auch für die Gruppe der erfolgreichen sowie die Gruppe der gescheiterten Konsolidierungen.

Anmerkung: Die Grafiken zeigen den Verlauf der Schulden - quote der betroffenen Länder sowie den Verlauf der indexier- ten effektiven, realen und handelsgewichteten Wechselkurse der betroffenen Länder, und zwar jeweils vor, während und nach der Haushaltskonsolidierung.

Grafik 1

Haushaltskonsolidierung: Ausgaben und Einnahmen in der OECD

Grafik 2

Haushaltskonsolidierung: Schuldenquote und Wechselkurs in der OECD

Ausgaben (in % des BIP) Einnahmen (in % des BIP)

Konsolidierung Erfolgreich Gescheitert

45 46 47 48 49 50 51 52 53

T+3 T+2 T+1 T T-1 T-2 T-3

40 41 42 43 44 45 46 47 48

T+3 T+2 T+1 T T-1 T-2 T-3

Schuldenquote in % Effektiver Wechselkurs

Konsolidierung Erfolgreich Gescheitert

56 60 64 68 72 76 80

T+3 T+2 T+1 T T-1 T-2 T-3

92 94 96 98 100 102 104

T+3 T+2 T+1 T T-1 T-2 T-3

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58 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 3-2011

tumsimpuls registriert. Das Wirtschafts- wachstum war mit 3,7% bzw. 5,2% höher als vor der Krise und lag deutlich über dem in- ternationalen Durchschnitt.9

Hohe Schuldenstände als Wachstumsbremse

Die von vielen Regierungen beschlosse- nen Konsolidierungsprogramme müssen an- gesichts der hohen Schuldenstände deshalb nicht zwingend rezessiv wirken. Vorausset- zung dafür ist, dass es nicht nur bei Ankün- digungen bleibt und die Sanierung des öf- fentlichen Haushalts mit weiteren Reformen begleitet wird. So senkt eine Zunahme der Staatsschulden um 10% des BIP das Wachs- tum des Einkommens pro Kopf durch- schnittlich um 0,2% pro Jahr.10 Eine Analyse für 20 Industriestaaten, welche Zeitreihenda- ten von 1790 bis 2009 auswertet, kommt zum Schluss, dass ab einer Schuldenquote von 90% des BIP das durchschnittliche Wachs- tum um mindestens 1 Prozentpunkt tiefer liegt. Ein Vergleich mit 24 Schwellenländern zeigt, dass die kritische Grenze dort bereits bei 60% liegt.11 Japan, das mit 200% des BIP von allen OECD Staaten die höchste Ver- schuldungsquote aufweist, ist in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt nur um 0,8% pro Jahr gewachsen.

Allerdings sind die Konjunkturimpulse aus der Haushaltskonsolidierung derzeit da- durch beeinträchtigt, dass viele Staaten gleichzeitig ihre Haushalte sanieren müssen und daher grenzüberschreitende Wachstums- impulse eher eine untergeordnete Rolle spie- len dürften. Eine Haushaltskonsolidierung ist aber nicht zuletzt auch deshalb unaus- weichlich, weil die Industriestaaten der OECD in den kommenden Jahren einen ste- tig wachsenden Ausgabendruck in den Be- reichen Altersvorsorge, Gesundheitswesen, Infrastruktur und Umweltschutz aufweisen

werden. m

lassen, indem auf aussergewöhnliche Situa- tionen (z. B. Naturkatastrophen, schwere Re- zessionen) adäquat reagiert werden kann.

Die schweizerische Schuldenbremse erfüllt diese Kriterien und hat sich bisher entspre- chend bewährt.6 In anderen Ländern haben sich solche Einschränkungen zwar teilweise als unglaubwürdig erwiesen, oder ein Ver- stoss gegen die Regeln hatte keine entspre- chenden Sanktionen zur Folge. In den letzten Jahren haben dennoch immer mehr Länder eigene Regeln implementiert: Waren es 1990 noch weniger als zehn Staaten weltweit, ist ihre Zahl bis 2009 auf 80 angewachsen. Ob- schon einige dieser Mechanismen Mängel aufweisen, kann insgesamt ein positiver Ef- fekt auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen nachgewiesen werden.7

Zeitpunkt der Haushaltskonsolidierung Auch wenn kaum Zweifel besteht, dass die öffentlichen Haushalte vieler Staaten saniert werden müssen, stellt sich die Frage des rich- tigen Zeitpunkts der Austeritätspolitik. Ge- mäss traditioneller Lehrmeinung verursa- chen Reduktionen der Staatsausgaben oder Steuererhöhungen einen kontraktiven Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung (keynesi- anischer Effekt). Insbesondere bei einer Un- terauslastung der Wirtschaft und einer an- haltend hohen Arbeitslosenquote wäre eine Haushaltskonsolidierung deshalb schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung.

Diese Argumentation widerspricht aller- dings dem ricardianischen Äquivalenztheo- rem, wonach Wirtschaftsakteure neue Schul- den als zukünftige Steuererhöhungen antizi- pieren und deshalb bereits heute höhere Ersparnisse bilden, um diese zusätzliche Be- lastung auffangen zu können. Fiskalpoliti- sche Massnahmen haben deshalb nach dieser Theorie keine Auswirkungen auf die Kon- junktur.

Ein dritter Ansatz geht sogar noch weiter und postuliert, dass Ausgabenkürzungen die Konjunktur positiv beeinflussen können, wenn die Verschuldungssituation besonders dramatisch ist und die Regierung ein glaub- würdiges Programm präsentiert, das den Bruch mit der Vergangenheit signalisiert (nicht-keynesianische Effekte). Der negative Impuls einer umfassenden Haushaltskonso- lidierung wird in diesem Fall durch einen höheren privaten Konsum und ein besseres Investitionsklima überkompensiert.8 Als em- pirische Evidenz werden häufig die Beispiele Dänemark (1983–1986) und Irland (1987–

1989) herangezogen. Nach einem Regie- rungswechsel haben beide Staaten mit ein- schneidenden Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen einen sofortigen Wachs-

6 Vgl. Feld L.P., Kirchgässner G. (2008): On the Effectiven- ess of Debt Brakes: The Swiss Experience. In: Sturm J. E., Neck R. (Hrsg.): Sustainability of Public Debt. Cambridge USA: MIT Press, S. 223–255.

7 Vgl. IMF (2009): Fiscal Rules – Anchoring Expectations for Sustainable Public Finances. Washington: IMF.

8 Vgl. Schaltegger, C.A. und Weder, M. (2010): Are Fiscal Adjustments Bad for Investment?. Crema Working Paper Nr. 2010–17.

9 Vgl. Giavazzi F., Pagano M. (1990): Can Severe Fiscal Constraints be Expansionary? Tales of Two Small Euro- pean Countries. In: Blanchard O.J., Fischer S. (Hrsg.).

National Bureau of Economic Research Annual 1990, S. 75–116.

10 Vgl. Kumar M.S., Woo J. (2010): Public Debt and Growth.

IMF Working Paper Nr. 174.

11 Vgl. Reinhart C.M., Rogoff K.S. (2010): Growth in a Time of Debt. American Economic Review 100(2), S. 573–578.

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