ErichGrüner
Beilagezur Exlibris-Zeitschrift 1908, Heft3/4.
90
Zur Kunstgeschichte der Besuchs- und Glückwunschkarte.
I.
Die Besuchskarte.
angestattemir,mit einerpersönlichenErinnerung zu beginnen. Alsich im Jahre1901im Berliner Künstlerhause einen Vortrag übermoderne Gebrauchs-Graphikhielt,erwähnteichauch bedauernd, daß unsere Künstler aneinem derhauptsächlichsten graphischenBedarfsartikel bisher achtlosvorübergegangenseien,daß nämlichdie Visitenkarte,die zuunsererUrgroßväter Zeiten so schönundgeschmackvolldekoriert wordensei,sichgegenwärtiginihrerbilligsten,wieinihrer kostspieligstenFormvöllig nüchternundschmucklosdarstelle.DieseBemerkungerregte vielfachVerwunderung und
BesuchskartedesBaron Braun,gezeichnetvonKininger, gestochenvonClemensKohl(SammlungvonZur Westen)
von verschiedenenSeitenwurdeichnachSchluß des Vortragsgefragt,wiedenndie alten Visitenkartenausgesehenhättenundwieichmireinemodernekünstlerische Visitenkarte vorstellte.DieersteFragekonnteichden Wißbegierigen einigermaßen beantworten,so- weit sicheben durchWorteeineVorstellungvoneinemKunstwerkevermittelnläßt,auf diezweitekonnteichdagegen keinen befriedigenden Aufschluß geben.Erst beidieser Unterhaltungwurdemir nämlichselbstklar,daßdieAufgabe,füreinemoderneVisiten- karteeinensinngemäßenundzweckentsprechendenSchmuckzuschaffen, offenbarsehr schwierigwäreunddaßihr dieKünstlernichtumsonstbisheraus
dem Wege
gegangen wären.Jetzt sindsievonberufenerStellezurLösungdesProblemseingeladen worden.Die KöniglicheAkademiefürgraphische Künsteund BuchgewerbeinLeipzigundder Vorstand desDeutschen Buchgewerbe-Vereins habengemeinsameinPreisausschreiben zur Erlangung von künstlerischgeschmückten Besuchskartenerlassen; dieDeutsche
i ] 91 r " i
KronprinzessinunddiePrinzessinJohann Georg vonSachsenhaben dasUnternehmen unterihrenSchutzgestelltundhöchst ansehnliche Preisesind ausgesetztworden.In- zwischenhatdasPreisgericht,
dem
u.a.Max
Klingerund GrafKalckreuth angehört ha- ben,bereitsgesprochenunddiepreisgekrönten Entwürfesindim ArchivfürBuchge- werbeabgbildetworden.Im AnschlußandiesEreignishaben zahlreicheTagesblätterund ZeitschriftenNotizen überdiekünstlerischeBesuchskarteveröffentlichtundsoistsie der Mehrzahl unserer Gebildeteneine geläufigeVorstellunggeworden.BisvorkurzemwarenesdagegeninDeutschlandinderHauptsache nurdieSammler
alterExlibris,die sich für die künstlerischeBesuchskarteinteressierten.Siekanntensie, abersieliebtensiemeistnicht;im Gegenteil,siesaheninihrdenerklärten Feind.Hat dochgarmanchealteVisitenkarteziemlichvielÄhnlichkeit miteinemExlibrisundso
kam
esgarnicht seltenvor,daßeinangehenderSammlerfür teuresGeldeinBlättchen alsvermeintlichesBücherzeichenkaufte,vondem
sichnachherherausstellte,daßes„nur“eineVisitenkarte sei.„Nur“,welch einAbgrund von Verachtung lag in diesem klei- nen Wörtchen!
Einen gewissen Trost konnte höchstensdie Feststellung ge- währen, daßdie betreffendeKar- tenebenbei auch inBüchereinge- klebt, also als einBucheigner-
zeichenverwen- F.Bolt,BesuchskartederFrauSchadow vonHardyin sei- detwordenwar. (Sammlungvon Zur Westen) nen „ßookpla- tes“(London,1893,zwischenS.68und69) abgebildete BlattderLadyBessboroughvon FrancescoBartolozziunzweifelhaftalsVisitenkarte gefertigtworden;dasbeweist dasbei Bücherzeichen nurseltenvorkommendeausgesprochene Querformat,ferner dieDar- stellung,die keinerleiHinweisaufBücherbesitzenthält,sonderneineVenusmitAmoret- tenzeigt,dasbeweistendlich dieunszufälligerhaltengebliebeneHonorarquittung des Künstlers,inderer sein
Werk
als„ticket-plate“bezeichnet.Erhatübrigens20 PfundSter- ling für seineArbeitbekommen;mansieht,eswarschon damals kein ganzbilligesVer- gnügen,sichseineVisitenkartevoneinemModekünstlerhersteilenzulassen.Auchbei WarneckesindverschiedeneBlätteralsExlibrisverzeichnet, dieursprünglichVisiten- kartenwaren, wiemanindem
kleinen Aufsatz desGrafen Leiningen über„Visitenkarten undExlibris“ inunsererZeitschrift(Band 8Seite 109)nachlesen kann. Unserverstor- benes Ehrenmitgliedtratdamalsdafürein,nachweislichalsBücherzeichen benutzteVisi- tenkartenden Exlibris-SammlungenalsbesondereGruppeoderwenigstensalsAnhangan- Daskam
keines- wegsseltenvor, wiemanjaauch heute wohl die Visitenkarte ge- legentlichansei- nen Koffer hängt odersie in sei-nem
Cylinder befestigt,um
da- durch derenEi- gentumsverhält- nisse klarzustel- lenundVerwech- selungen zu ver-r
• i 92 i—
-—
i
zugliedern.Ich stand früher auf
dem
gleichenStandpunkt, habe deshalb auchinmeinem Exlibris-BucheeinealsBucheignerzeichen gebrauchteitalienischeVisitenkarteunter HervorhebungdiesesUmstandesabgebildet.Heutehalte ichdagegendieseAnsichtnicht fürzutreffend,meine vielmehr, daßfürdieEinordnungeines BlattesindieGruppe „Ex-libris“oder „Besuchskarte“nichtderGebrauch maßgebendseinkann,denmanhaupt- sächlichoder nebenbei von
dem
fertigen Blattegemachthat,sondernlediglichdieZweck- bestimmung, zu deresgeschaffenistundderauchdieDekoration angepaßtist.Wobei allerdingszubemerkenist,daßdieaufverschiedenenmodernenExlibrisangebrachten Darstellungenebensogutodermeinetwegen ebensoschlechtauchauf eineBesuchskarte passenwürden.IneineSammlung,diegrundsätzlichnur Bücherzeichenenthaltensoll, gehörtm.E.eine Visitenkarteauchdannnicht,wennsienachweislichineinegrößereAn- zahlvonBücherneingeklebtgewesenist.Imübrigenhabeichdagegendas geringe Inte- resseunserer Exlibris-SammlerfürdieVisitenkarteniemalsbegreifenkönnen. Künstle- risch stehtsiedem
gleichzeitigen Exlibrisgewißnichtnach. Sie besitztauch,soweitsiefür einebestimmte Persongeschaffenist,dasgleiche individuelleInteresseundendlichistzu berücksichtigen,daßdieKreise derBesitzervonExlibrisundBesuchskartensichdurch- ausnichtdeckten.Gar mancherStaatsmannoderFeldherr, garmanchesdurch Stellung oderGeburt ausgezeichneteMitgliedderhöherenGesellschaftbesaßeineBesuchskarte, das keineZeitoder keinInteresse für dieAnlegungeinergrößerenBüchereihatte.Soer- gänzensichdie ExlibrisunddieBesuchskarten zueinemerheblich vollständigerenSpie- gelbildederdurch Rang,Geburt oder Bildung hervorragendenKreise,alses eineSamm-
lungvon Bucheignerzeichenalleingewähren kann.Und
werweiß, wiemancherExlibris- Sammleresbaldbereuen wird, der BesuchskartesowenigAufmerksamkeitgeschenkt zuhaben!HeuteistdasBucheignerzeichen dasbeliebteste ZielsammlerischerTätigkeit, dermodische Sammelgegenstand.Wer
abervermöchte mitSicherheitzusagen,obnicht dasZusammentragenvon BesuchskartendieSammelmode
vonmorgenseinwird?Ange- strebtwirddas bereitsundindem
erwähnten Preisausschreiben wird der HoffnungAus- druck gegeben, daß„die künstlerischgeschmückten BesuchskartenalsWerke
feinster Kabinettskunst für den KunstfreundundSamm-
lereinnichtweniger be- liebterGegenstand sein werden,alsheutedieEx-
libris.“ Aufdie Dauer wirdfreilichdieBesuchs- kartedemBücherzeichen
alsSammelgegenstand keine ernstliche Kon- kurrenzmachen können
;
denndazubietetsie
dem
SammlerzugeringeAus- sichten. Einmal dürfte sich dieZahl der unser- haltenen Abdrücke bei J.A. Fridrich,Augsburg,BesuchskartedesBaronsde Bossi.
i l 93 stärkererNachfragebaldalsziemlichge- ring heraussteilen; denn währenddie in
Bücher eingeklebten Exlibris in ihrem sicheren VersteckzumgroßenTeilunver- sehrtder Nachwelterhalten blieben,wur- dendie Visitenkarten an denSpiegel ge- stecktoderinSchalen aufbewahrtund wa- rendort allen Fährlichkeiten ausgesetzt.
Vorallem
kommt
aber in Betracht, daß, währendsichinden tausendenundaber- tausendenvonBucheignerzeichendieganze Entwicklungsgeschichte der graphischenKunst
vom
15.JahrhundertbiszurGegenwartspiegelt,dieBesuchskartenureinekurze Blütezeit erlebthat,diemanmitPazaurekindieZeitvon1780bis1820 verlegen kann.—
InFrankreichistdie künstlerisch dekorierte Visitenkarte zuerstinAufnahme gekom-
men
undhatvondiesem damals tonangebendenLandeaussich dieeuropäische Gesell- schaft erobert. Freilich erzähltGrand-Carteret(Vieuxpapiers,vieillesimages,S.35),dass dieornamentierteVisitenkarte bereitsim16.Jahrhundertin Italienim allgemeinenGe- brauchgewesensei;aberichglaube,man
wirdhinter dieseNachrichteinbeträchtliches Fragezeichensetzenmüssen.Für das Jahr1741wirddieVerwendungvon Visitenkarten inFrankreichineiner Satireüberdie„Inconvenientsdujourdel’an“bezeugt. Daheisst esvondem
Besucher, derso glücklichist,beiseinerNeujahrsvisite verschlosseneTüren zufinden:„Surledos d’unecarteonfaitsasignaturePourrendresavisiteau dos dela serrure.“Von
dergeschriebenen zurgestochenen Besuchskartewar dannnureinSchritt, derschnellgemacht wurde.AufeinigenderältestenBesuchskartenfindetmannochdie Zierformen desRokoko; imübrigen herrschenderZopfstilunddasEmpireaufder gan- zenLinie.EineReihetüchtigerKünstlerhabensichum
denSchmuckvonBesuchskarten bemüht;so findenwirinFrankreichfeineStichevonChoffardundSt.Aubin,sohabenin Italien,wo
dieBesuchskarteeinebesondersreicheundsehrerfreulicheEntwicklungge- habthat, Rosaspina, Cagnoni, Fontana, BesuchskartedesBaronsvon Türckheim RaphaelMorghenu.a.eine beträchtliche (SammlungvonZur Westen) Zahl reizvoller graphischer Kabinett-stückegeschaffen, so hatder bedeutendste italienische StecherderZeit,Francesco Bartolozzi, fürdenMaler Reynoldsund verschiedene Mitglieder der englischen Aristokratie Visitenkarten gefertigt, die dieganze
Anmut
undLiebenswürdigkeit seinerKunstzeigen.AusDeutschland ha- ben wir Arbeiten vonNilsson, Chodo- wieckiundMeil,neben deneneineganze ReihevonSternen zweiten Ranges, wieF.Bolt, Klemens Kohlu.a.tätiggewesen sind.Wobeiallerdingszubemerkenbleibt,
BesuchskartederContessaB.Canti Carrati
r
i 94 r-
i-
<
daßdieKleinenaufunseremSondergebiet meistdiegrößeren waren.Natürlichsuchten dieKünstlerinähnlicherWeise, wiebeimExlibris, dieDarstellungenaufden Besuchs- karten mitpersönlichenBeziehungen zu
dem
Auftraggeber zuerfüllen.Sofindenwir auf der Karte des Avocat auParlementGrimodde laReyniere,dieeinem Bucheignerzeichen zumVerwechselnähnlich siehtundauchalssolches benutztwordenist,Robe,Barettund sonstige Attributeseines juristischen Berufes, fernerBücher,einFernrohr,' eineTheater- maske,eineKatzealsHinweiseaufLiebhabereien desKartenbesitzers.(Abb.beiGrand Carteret,a.a.O. S.40.) Offiziere erfüllen ihreBesuchskarten gernmitGruppen von Waf- fenundTrophäen, Fahnen,Helmen undZelten,wofürdieKarten desColonel de Froeden, des spanischen MarquisdeOvando,desbayrischenMajorsGrafenMerendoni undend- lichdas hier abgebildete BlattdesBarons de BossiBeispielegeben,dasvondem
Augs- burger Stecher J.A.Friedrich herrührt.Hierfindetsich einhübscher Scherz, derauf die ZweckbestimmungdesBlatteshinweist.„Quiestlä?“fragt,wieein militärischerVor- posten,derPortierdes Besuchten,unddieKarteantwortetmitdem Namen
desBesuchers undder Versicherung„BonAmy“. DerfeuchtfröhlicheBerliner KapellmeisterHimmel
hat seineKartemit einerLyraausstatten lassen,aufderjenigenvon Malern, wie Reynolds, J.Höfelund G.Davide erscheinenallegorische IdealgestaltenderMalerei, auf
dem
schö- nenvonBolt gefertigten Blatte GottfriedSchadowssind sogar,derVielseitigkeitdesKar- tenbesitzersentsprechend,Malerei,ArchitekturundPlastikdurchdreiFrauengestalten repräsentiert.(Abb.)Eineandere KarteSchadowsweist—
einziemlichseltenerFall—
das BildnisdesBesitzersauf. EinenZuginsGrandiosehatdieFontana zugeschriebene Kartedes BildhauersCanova: AufaltemMauerwerkistinmajestätischenVersaliender
Name
des Künstlerseingemeisselt.J.AdamKleinhat einPferd,dasStaffelei,Pinselund Paletteträgt,auf seineKartegesetzt,dieim übrigenaufderGrenzezwischen dereigent- lichenBesuchs-undder Geschäftskartesteht.(Abb.) Passionierte Jäger,wie derBaron de Lehrbach,„Grandveneur en haute Autriche“, lassenjagdhundeaufihrenKarten an- bringen,Mediziner,wie derHofmedikusÖggel, einen Arztam
Krankenbettedarstellen.DerMaitredeposteXavierdePuchbergwähltfürseineKarteeinantikesZweigespann, dasinrasenderEile dahinjagt,derBankierBarondeBraunläßt inseinerreizenden,von Clemens KohlnacheinerZeichnungKiningersgestochenen Karte durchallegorische Figurenaufseinen kaufmännischen BerufundseineLiebezumTheater hindeuten,wäh- rendeineKroneauf
seinenAdelstitelhin- weist. (Abb.)Inlie- benswürdig humo- ristischerWeisehat Cagnoni in seiner Karte desErzbischo- fesvon Mailandein schweres Motiv ge- meistert. Auf
dem
vergeblich dieZähne fletschendenDra- chen des Unglaubens
Besuchskartedes ProfessorsErman vonD.Chodowiecki (Sammlung von Zur Westen)
lagert der Fels der Kirche,ihn
am
Bo- denhaltend,aufdem
Felsblock tummeln sich fröhlichePutten, dieMitraundPedum, Kreuz und Kronetra- gen.DerselbeDrache lauert übrigens auf eineranderen Karte CagnonisfürDonna Maria Bongiovanni, nataVisconti,aufdem95 Felsenundrini
gelt sich dro hendgegenei paar ängstlic entfliehende Amoretten
em
por.
Man
wei es nichtrech wollte Donn Mariaauf ihr felsenfesteTu
gend hindeute oder beabsich tigtesie, inder Drachen eine nichteben be- sondersschmei- chelhafteAlle-r. tsolt,rsesuctisKarteUes BildhauersU.bchadow (SammlungvonZur Westen)
goriedeswach- samenEhegat- ten anzubrin- gen?
—
Groß- grundbesitzer ließengernihre Schlösseroder Lieblingsplätze ausihrenParks abbilden, so die GräfinSalm,so dieGräfinKins- ki, geborene Gräfin Auers- perg,während derGrafClam- Gallasseine Schöpfung,den Badeort Liebwerda, verewigenließ.Sehrhäufig findetmanitalienischeLandschaften mit antikenRuinen.War
doch durchWinkelmann undLessing dasInteresseunddieLiebe für dieRestedesklassischenAltertumsmächtigbelebtworden;der Gebildetestrebtemit der ganzen SehnsuchtseinesHerzensnachItalien,erstdort glaubte ereinenharmoni- schenAbschlußseinerBildunggewinnenzukönnen. Hatteman
abereine italienische Reisehinter sich,so machtees sich gut,wennman
esaufseiner Visitenkartedurcheine AbbildungantikerBaulichkeitenzum
Ausdruckbrachte.Man
machteinenarchäologi- schen Anschauungsunterricht durch,wenn maneineReihe solcher Karten durchmustert.Ja,wennmannurdie vierKarten der Gräfin Rex, desGrafenNeny,desBarons de Baert undder Gräfin Seinsheim, gebornen Baronin vonHoheneck,zusammenstellt,so hatman Abbildungen des Kolosseums, derTrajanssäule,desGrabmalsderMetella,derberühm- tenPyramidedes Cestiusundnochmanchesanderen bekanntenBaudenkmals.Der Ca- valiereWorsleybevorzugteoffenbar diegriechischeKunstundließsichdeshalbvon Skel- ton eineRekonstruktion der athenischen Akropolisstechen,zuderein festlicherZughin- aufwallt.AndereLeute zeigen durch Nachbildungen japanischer Wandmalereien,An- bringungvonStatuenundetruskischenVasenihren antikisch geläutertenGeschmack.
N
eben der BegeisterungfürdieKunst des Altertumswares diedurch RousseausSchriften angefachteBegeisterungfürdieunberührte Natur,diedieGeister bewegte.Auchinden Besuchskarten spiegeltsich das. Immerwieder begegnen uns romantische,waldum- rauschte,moosbewachseneFelsblöckealsTrägerderNamen,so aufden Karten derKup- ferstecherRahlundJ.X.Schmuzer unddesDoktors der ArzneikundeP.Macerata,und aufderKarte desFinanzratsBaronAretinöffnetsichder Blick aufeineweiteFlußland- schaft.Auchdie Sentimentalität, dieWertherstimmungderZeitkommt
vielfachzur Er- scheinung.Soposieren derGraf vonHochberg undderGrand-maitred’hötelvon Ber- lepsch miturnenbekrönten Grabmälern,die ihreNamen
tragen.Man
solltemeinen,daß derartigeDarstellungennichtaufBesuchskarten,sondern nuraufTodesanzeigenundähn-96
lieheDruckwerkegehörten;aberdie Zeitfand nichts Auffälliges dabei.Begegnenuns doch ähnliche VorwürfeauchvielfachaufExlibrisund sogaraufGlückwunschkarten. Im- merhinwares nichtjedermannsGeschmack,seinepersönlichenEmpfindungen undLieb- habereienauf seinerBesuchskartezum Ausdruckzu bringen;daher begnügtesichman- chermit einerbloßen dekorativen
U
mrahmung.EinBeispiel gibt dieKarteder Contessa BarbaraCantiCarrati(Abb.)Fernerseieinkleines Blättchen,dasChodowieckifürdenPro- fessorErmanstach,alseinzigeArbeit des MeistersaufunseremGebietehierwiederge- geben,wennesauchsonst aufbesondereBedeutungkeinenAnspruchmachenkann.SehrbeliebtwarenKartenmitpompejanischen Dekorationsmotiven, wiediedesBarons von Türkheim(Abb.); einganz ähnlichesBlattverwendetez.B. dieMarquise Lucchesini, dieGattindesbekannten preußischenMinisters. Vielleichthaben wires hiermitMustern zutun,die, ingrößererZahlhergestellt,indeneinschlägigenGeschäftenvorrätiggehal- tenwurden undindievorkommendenfalls
Namen
undTiteleinesKundeneingedruckt wurden. Derar-tigeKartenblan- ketts waren in großer Zahlim Handel undbe- reits1760machte Croisey,der in der rueSt.An- dreinParis sein Geschäft hatte, bekannt,daßman beiihm„dejolie billetsde mari- age et diverse sorte de billets d’invitation,car- tespourvisites“
beiBedarffinden könne. Nichtje- der,dereineVi- sitenkarte ge- brauchte, hatte dieNeigungund dasnötigeGeld, sichvon einem Künstlereine Platteherstellen und diese dann abdrucken zu lassen.
Wenn
er nunnichtzudem
primitiven,aber merkwürdiger- weise garnichtso
F.Bolt,BesuchskartedesBildhauersGottf.Schadow (SammlungvonZur Westen)
seltengeübtenMittel greifen wollte,aufirgendeinerinseinemBesitze befindlichenKarte den
Namen
auszuradierenunddurchdenseinigenzuersetzen,so ging erineingeeig- netesGeschäftundkaufte sich die erforderlicheAnzahlvonBlankokarten,indie er sei- nenNamen
handschriftlich einfügte.Dastatenkeineswegsnur Minderbemittelte, sondern auch Personen der höchstenKreise,wie der Prinz MaximilianvonThurn undTaxis(de laTouretTassis), der GrafDietrichsteinundviele andere.Soistneben derindividuellen Besuchskartedas Blankett, die Universalkarte,wennichsosagendarf,gleichberechtigt im Gebrauch. Häufig waren zwölfundmehrverschiedeneMusteraufeinemBogenver- einigt,diederErwerberdann auseinanderschnitt.Und
es sindkeineswegs nurornamen-tierteRahmen,die dieFabrikantenhersteilen ließen.NebenDarstellungen, die auf die Bestimmungder Kartehinzielten,wie dasbeliebteMotiv derStaatskarosse,dereinLäu- fer,dieVisitenkarteinderHand,voraneilt, findetsich eine Fülledermannigfaltigsten Vorwürfeverwertet, beidenenjedersolcherZusammenhangfehlt.Genauwiebeiden individuellenKartensehen wirklassischeGebäude undDenkmäler, romantische Land-
i 1 97 I
—
. I
schäftenmitRuinenundWasserfällen, allegorischeFigurenallerArt,Graburnenmitkla- gendenGenienundAmoretten.DanneineMengegenrehafterScenen, wiesie inähn- licherWeiseaufWunschkartenmassenhaftdargestelltwurden,ländlicheLiebeszenen, SchäferundSchäferin,Kindergruppenunddergleichen. Schließlichauchpatriotische Darstellungen, Huldigungen vor der Büste des KaisersundÄhnliches.Besondersmerk- würdigisteinBlättchenvon Mansfeld,eingeharnischterKrieger,derden schlafendenGe- niusdes Deutschtums aufzurüttelnsucht: „Erwach!
O
deutscher Geist,ausdeinem Schlafe!Sonstfühlstdulängernoch desSchlummersStrafe“.(DieseKarteund mancher-leiandereBeispielevon Universalkartensindim ArchivfürBuchgewerbe,a.a.O.,von G.Pazaurekveröffentlichtworden.)Daßderartige Blättervor hundert JahrenalsBe- suchskartenabgegebenwerdenkonnten,isteineVorstellung,andie sichderMenschder Gegenwartnurschwergewöhnenkann.
—
Nachdem
Wiener Kongreßkam
dieillu- seinem Freunde,dem
Stabsarzt Dr.Puhlmann schenkte, zudie- sen Ausnahmen gehört, d.h. nicht blos einScherz- artikelseinsoll- te, sondern zur Visitenkartebe- stimmt war, wie G.Pazaurek in seiner neuesten Veröffentlichung über die Be- suchskartenin den StuttgarterMitteilungen überKunstund Gewerbeannimmt, glaubeichabernicht.
—
JetztsolldiekünstlerischeBesuchskarte aus ihrem Dornröschenschlafe erwecktwerden—
wirdesgelingen?Daswird einmaldavon abhängen,obsichKünstlerfinden, diedem
Geschmack undden Bedürfnissen derGegen- wartentsprechende Karten zuschaffenvermögen, vor allem aber davon, obsichPersonen vongenügendemgesellschaftlichenEinfluß für dieSacheinteressieren,um
die künstleri- scheVisitenkarteindieMode
bringen.An
derLösungderAufgabe durchdieKünstler- schaft zweifle ich nicht.DasPreisausschreibenhatzwaroffenbarkein befriedigendesEr- gebnisgebracht. Ich urteilefreilichnur nachden im ArchivfürBuchgewerbeabgebildeten 16Preisträgern, dieübrigenEntwürfe sahich nicht.Aberauch derdort veröffentlichte Aufsatz des Direktors des LeipzigerBuchgewerbemuseumsDr. Willrichüber denBe- suchskarten-Wettbewerbklingtnichtbesonderssiegesfroh.Zwarsind nichtwenigerals 2043 Arbeiten eingegangen;eswird aber hervorgehoben, daßdieBeteiligungbereitsbe- währter KünstlerhinterderErwartung zurückgebliebensei.Beirechtmilder Sichtung strierteBesuchs-karteallmählich außerGebrauch, die schlichteNa- menskarte, zu- nächst mitganz kleinenBuchsta- ben auf Glanz- karton gedruckt, ersetztesie.Nur
in ganz verein- zelten Fällenka-
men
noch von Künstlernge- schmückteKar- tenvor;daßdas reizendehumor- volle Blättchen, dasAdolfMenzelJ.A. Klein,Besuchs-und Geschäftskarte (SammlungvonZur Westen)
I = = I
98
i iwurden462 Entwürfefürdie beabsichtigteWanderausstellung ausgesondert, nur 54 ka-
men
indieengereWahl,16davon wurden, wiegesagt,mitPreisenbedacht.Diemitden erstenPreisen gekrönten Kartenfürdiedeutsche KronprinzessinunddiePrinzessin Jo- hannGeorg vonSachsen rühren beidevon H.Vogelerher,deraußerdemnoch einenvier- tenPreiserrungenhat;ausdem
WettbewerbfürKartenbeliebigerPersonenistHansVol- kertalsersterSiegerhervorgegangen.AußerdemsindWalther Matthes-Leipzig,Karl Hollek -Weithmann-Groß-Lichterfelde, Karl Throll-München,PaulNaumann
-Dres- den,Bernhard Lorenz-Leipzig, Rob. Oreans-Kassel, Rud. Koch-Offenbacha.M.,Walter Conz-Karlsruhe,HansKurth-Berlin, ErnstAufsesser-München, KarlLänge-Dresden undKäthe Röhler-Leipzigprämiiertworden. Gegenständlichbieten diepreisgekrönten Karteneigentlich nichts,wasdieKarten der Vergangenheitnicht bereits gezeigt hätten;allegorische Figuren,Schloßarchitekturen,ornamentaleRahmen,indie die Schrift ein- gefügtist,heraldischeZutaten, einandie StellederStaatskarosse getretenesHandsom, in
dem
dieKartenbesitzerin ihre Visitentourabmacht,Blumenkorb und Blumenvase und auf der KarteeinesJägersein von einemHun- degehetzter Hirsch. Einan- deres Ergebnis war auch wohl
kaum
zuerwar- ten;die Blütezeit der Besuchskar- tenhat dashierin Betracht kom- mende Stoffge- bietbereitsinder Hauptsache er- schöpft. Bedau-erlich ist aber, daß auchdiealte
Form vielfach übernommenist,
daß Zopf- und Biedermeierstil vielederBlätter
beherrschen.
Das gilt insbe- sonderevonden an sich gewiss sehrschönenVo- gelerschen Ra- dierungen.Auch vonDr. Willrich wird das aus- H.Vogeler,EntwurfeinerBesuchskarte
fürI.K.H.dieHerzogin Johann Georg von Sachsen
drücklichfestgestellt;erurteilt,Vogelers Karten„seienimGrunde
genommen
dochdie Kartevon 1800undsoundsoviel,modernisiertesBiedermeiertum, biedermeiertümelnde Moderne,eineModernisierung desaltenTypus.“ NichtalsunübertrefflicheLösungender Aufgabe, sondern„weil schließlichdocham
meistenKünstlertumdahinter steckte“, seien sieandie erste Stellegerückt worden.Die KartefürdieFrau Kronprinzessinverstößtübrigensauch gegeneineanderevonWill- rich aufgestellteForderung
—
sieistnicht persönlich,„derBildinhalt stehtinkeinerBe- ziehungzumTräger derKarte“.IstdieseForderung aberwirklichzwingend?Ichbe- zweiflees.Gewißwirdman voneinemExlibrisgrundsätzlichpersönlichenCharakter fordernmüssen, auchwennmandieunpersönlichen,blosdekorativenArbeitenAnning Beils,OspovatsundandererEngländerum
keinenPreisausder Exlibriskunststreichen möchte.Aberbeim BücherzeichenrechtfertigtsichdieseForderung ausseinerEigen- schaftalsEigentumsmarke;essolldiePersönlichkeitdesBesitzersim Buchevertreten undmuß
daher auch persönlichsein.Die Besuchskartehateinesolche Aufgabenicht;I
"
1 99 E
1
dieseRücksichtentfälltalsobeiihr. Passend
muß
dieBesuchskarteselbstverständlich sein,persönlichbrauchtsienichtnotwendig zusein.Auchvor hundert Jahrenhatman soempfunden, das beweistdiemassenhafteVerwendungderUniversalkarte,während Ex- librisblankettsdamalsnur sehrseltenvorkamen. Indessen wirdsicherlichfastjeder,der sich eineeigene Besuchskarteanfertigenläßt,daraufhalten,daß dasindividuelleMoment
inihrerDekoration
zum
Ausdruck kommt.Hier dasrechteMaß
zuhalten,wirdnicht immerganzeinfach sein.BeimExlibris bietet sichdem
Zeichnerindem
Charakter,den Neigungen undLiebhabereien des Bucheignerseine FüllevonAnknüpfungspunkten.DerKünstlerausderZeit
um
1800 konntedieseMotive unbedenklich auchfürdieVisiten- karte verwenden; gegenwärtig geht dasinder Regelnicht. DieMenschen vonheute sind nichtmehrso geneigt,wiediedamalige Generation,inBriefen anflüchtigeBekannte ihrvollesHerzauszuschütten,mitschönen Gefühlen, mitWeltschmerzundEmpfind- samkeit zuposieren.Auch wennmanaufeinemExlibris,dasmaninseineverschwiege- nenBücherklebt,mancherleiübersichausplaudernläßt,wirdman
dochBedenkentra-~
kenmuß.Dabie-gen,
dem
häufig ganz unbekann- ten Empfänger einerVisitenkar- tegleich einge- zeichnetesCha- rakterbildindieHand
zu drük- ken. Eswerden also meist nur äußerlichereBe- ziehungen sein müssen, aufdie sich derZeich- nereinerVisiten- karte beschrän-tensichz.B.der Name,das
Wap-
pen, dasSchloß oder Landhaus desKarteninha- bers.Zweidieser Motive hat K.Hollek -Weith- mann in seiner KartederKron- prinzessin recht geschickt ver- wertet; ich halte dasBlattfüreine der gelungen- H.Vogeler,EntwurfeinerBesuchskarte
fürI.K.H.dieKronprinzessin
stenLösungender Aufgabe.Nureins hätte icheinzuwenden,wasübrigensauchfürmeh- rereanderevon den preisgekrönten Arbeitengilt
—
dasBlattunterscheidetsichinseiner Gesamterscheinungnichtscharfgenugvon den Arbeiten der Reklamekleinkunst.Würde
es nichtz.B.einevorzüglicheEtikette fürCecilienschokoladeabgeben?Dasisteine Klippe,die bei
dem
heutigenerfreulichenAufblühen der Geschäftskarten,Etiketten u.a.nicht leichtzuvermeidenseinwird.Mirscheint,
dem
jungen vielversprechenden Leip- zigerErichGrüneristdasinseinerKartefürFrauMaria Hell gelungen,die ichdank derGütederBesitzerinineinemAbdruck vonderOriginalplattebringenkann. Einaltes, inderBlütezeitderBesuchskarteso häufigesMotivhat hier seineAuferstehunggefeiert—
dieErinnerung anItalien,dieLiebe derBesitzerinzudem
schönen Lande,wo
die Zi- tronen blühen,istvondem
Künstler verwertetworden, aberohneEmpfindsamkeitund ohneAltertümelei.SoisteinewirklichmoderneBesuchskartevondiskreterVornehm- heitentstanden.Ein ganzköstliches Blättchen, vollAnmut
undLiebenswürdigkeithat sichBruno HerouxfürdeneigenenGebrauchgeschaffen.Wie
unsereAbbildungzeigt,E I1001
-1
knüpftdieDarstellung an seinenBe- rufanunddas wirdwohlvielfachder gegebeneVorwurfsein.DasLange- sche KärtchenfürdenOberforstrat AdolfvonStein,kannalseingutes Mustergelten,wie Kartenblanketts fürverschiedene Berufsständege- staltetwerdenkönnten. Denn ohne Universalkarten
kommen
wir im Hinblickaufden Kostenpunktnicht aus,wennwirdie illustrierteVisiten- kartewollen,dashalteich für sicher.K.Hollek -Weithmann, EntwurfeinerBesuchskarte Istdieillustrierteoderornamentierte
I.K.H.derKronprinzessin Visitenkarte aberwirklich einBe- dürfnis? DieHerrenPreisrichterscheinen darübernichtganzeiniggewesenzusein.
We-
nigstens schreibtDr.Willrich:„EinklarerAntiquasatz, ein SatzausschönerFraktur,aus der Behrenstype oder -Kursiv,
um vom
Modernennur das Beste zu nennen,aufgutem Papier,inden Verhältnissengutabgewogen, wirdeine tadelloseBesuchskarte geben.Ich fürmeinTeilwärevollständigdamitzufrieden.Willmanmehr, somagmansichdas ganzevoneinem Schreibkünstler schreibenlassen,dasheißt natürlich zur Vervielfälti- gung.“ Ein vorzüglichesBeispieldieser letzterenArtistdiehierabgebildeteKartefürdie PrinzessinJohann Georgvon Rudolf Koch-Offenbach;guteMusterfürtypographisch vorzüglichKartenfindet
man
z.B.inden Schriftproben derSchriftgießereiGebrüder Klingspor.GanzgewißhatWillrichsAnsicht sehrvielfür sich.Eine typographischeVer- besserung unsererVisitenkartenwäresicherlich einhöchst erstrebenswertesZiel.Um
das aber zuerreichen, hättemansichandieDruckereien, andie Setzerwendenmüssen,nicht andie Künstler.IndessenhattedasPreisausschreibenoffenbarkeineswegs diesenZweck, sondernesverlangteausdrücklich„künstlerischgeschmückte“, dasheißtdochillustrierte oder ornamentierteKarten.DieKunst der Besuchskarte, wiesievorhundert Jahrenge- blühthatte, solltezuneuem Lebenerweckt werden.Wirddies Zielerreichtwerden?Die Verfechter der Ideestützen ihreHoffnung hauptsächlichaufdieWiederbelebung derjahr- zehntehindurchfastganz vergesse-nenExlibrissitte. Mirscheint,der Vergleichstimmtnichtganz.Gewiß
istesderAnregungFriedrichWar- neckes,
dem
unermüdlichenWer- ben des Grafen Leiningen gelungen,dem
Bücherzeicheneinesehrgroße Gemeindezuverschaffen.Aberman
darf,glaubeich,nichtübersehen,daß siesichanleidenschaftlicheBücher- freundewendeten(die „Nichtsals
Sammler“kamenerst später), und daßesleichterwar, diese Biblio-
Rud. Koch, EntwurfeinerBesuchskarte
I.K.H.der PrinzessinJohann Georg
iUfiMMl»
fitreldor
i
m
J\eicps-^gslamtH. Bastanier
H.Meyer
(DieBesuchskartensindinderFelsingschenKupferdruckerei, Berlin, hergestellt)
Beilage zur Exlibris-Zeitschrift 1908, Heft3/4.
philenzuveranlassen, ihre Lieblinge miteinem künst- lerischenEignerzeichen zu schmücken, als das uner- meßlicheHeerderBenutzer vonVisitenkarten fürderen künstlerische Ausstattung zu gewinnen. Eine allmäh- licheWiedergeburt, wiesie das Exlibris erfahren, ist
überdiesbeiderBesuchs- kartemeines Erachtens un- möglich.
Man
mageinnoch so warmer Anhänger der Ideeseinundwirdsichdoch bedanken,als ihrApostel aufzutreten, dasheißt, fürsiedurch Abgabe, durchtat- Bruno Heroux, Besuchskarte
sächlicheBenutzungder Karte außerhalb des KreisesseinernächstenBekannten Propa- ganda zumachen.MögenalsoKünstlernoch so schöne Arbeitenliefern,mögenKunst- freundenochso bereitwilliginihren GeldbeutelgreifenundsichKartenhersteilen lassen, mögenFabrikantennochsoschöne UniversalkartenaufdenMarktbringen
—
Erfolgwird dieBewegungmeinerÜberzeugungnachnur haben,wennes gelingt, dieBesuchskartezum
Modeartikel zumachen, dessenVerwendungfürjeden,derinderGesellschaft ver- kehrt,unbedingtnotwendigist.Solange dasnicht erreichtist,wird derBenutzereinerillu- striertenVisitenkarteetwa mit denselbenAugenangesehen werden, wiedieHerren,die voreinigenJahren vergeblich denfarbigenFrackunddieKniehosenindenBallsaalein- zuführensuchten.Setzensich alsonicht gesellschaftlichsehreinflußreiche,sehrhoch- stehende Personen energischfürdie künstlerischgeschmückte Besuchskarteeinund bringensiedurchihrBeispielindieMode,so wird, fürchteich,alleLiebesmüheumsonst Rob. Oreans, Besuchskarte gewesensein,wirddieschöneBe- wegung imSandeverlaufen.Unddas müßtejederFreundderGebrauchs- graphikaufrichtigbedauern.—
Literatur. K. Trautmann, Altbay- rischeVisitenkarten(Monatsschrift des HistorischenVereinsvonOber- bayern,VII, 5
—
8).K.E.GrafzuLei-ningen-Westerburg, ÜberVisiten- kartenundExlibris,Exlibris-Zeit- schriftBd.VIII,S.109ff.GrandCar- teret,Vieuxpapiers,vieillesimages, Paris 1896,Kap.II:Cartesdevisite et cartesdesouhaits. LisaWeise,
1
Z
I1021—
\
HistorischeVisitenkarten,WestermannsMonatshefte, Januar1898.Josef August Lux,Ge- schäfts-undVisitenkarten(Daheim1900 Nr.50).L.deSevery de Luze, EineSammlung
alterVisitenkarten
(Vom
Felszum
Meer, XIV,S.1543f.).F.B.,IllustrierteVisitenkarten (LeipzigerIllustrierteZeitung,11.April 1907). Ettore Modigliani,Oldartisticvisitingcards, 2Teile(Connoisseur1908).G.E.Pazaurek, Künstlerische Besuchskarten, (Archivfür Buchgewerbe,1907,S.445ff.).PaulFlobert,Cartes devisiteitaliennes(L’-artdecoratif, April 1908).G.E.Pazaurek, KünstlerischeBesuchskarten, Mitteilungen desWürttem- bergischen Kunstgewerbevereins,1908,HeftII.Dr.E.Willrich,DerBesuchskarten-Wett- bewerb, ArchivfürBuchgewerbe, Juni1908,S.225ff.II.
Die Glückwunschkarte.
jlerNeujahrstagwarschonim AltertumeinTaggegenseitigerBeglück- wünschung.Daströmtendierömischen Würdenträgerundvielanderes VolkindenprächtiggeschmücktenKaiserpalast,
um dem
Herrscher zugratulieren,der andiesemTageallgemeinenEmpfanghielt;da ver- sammeltensichzugleichemZweckedieKlientenimHausedesPatrons, da beglückwünschtensichFreundeundBekannte.Und
mankam
nicht mit leerenHänden zumNeujahrsbesuch;manbrachte „strenae“,Neujahrsgeschenke, mit undnahmeineGegengabeinEmpfang.Indenälteren,einfachen Zeiten beschenkteman sichmitPalmenzweigen,mitHonig, mit Feigenundanderen Früchten,um
desgutenVor- zeichenswillen;sosüß wieHonig undFeigensolltedem
Beschenkten das Jahr dahin- fließen.„Quidvoltpalmasibirugosaquecarica dixi“, heißt esinOvidsFasten(I185ff-),„Etdatasub niveoconditamellacado?
Omen,
ait,causaest;utressaporillesequatur etperagatcoeptumdulcis utannusiter.“Späterbegnügtemansichnicht mitsolchensym- bolischenGaben, sonderngriff inden GeldbeutelundschenktesichKunstgegenstände, Schaumünzen,Lampen undähnliches.Eine besonderscharakteristische strena bilde ich hier(nach A.L. MillinsMythologischerGalerie, BerlinundStettin 1820) ab: Viktoria, mitLorbeerbekränzt, hältinder einenHand
einenPalmenzweig,inderanderneineVotiv- tafel,aufdermanliest:Anno novofelixfaustumquetibisit(mögeDirGlück undHeilim neuen Jahr zuteilwerden).Hinter der GöttinsiehtmaneineMünze(einenQuinarius) mitdem
Januskopf,einGefäßvollHonig, einenTannen-zapfenundeininderMittezusammengebundenesBün- delFeigen,Erinnerungen andiestrenaederälterenZeit.
Die KlientenpflegtenihrenPatronenauchspätergering- wertigeGaben, wieServietten, Löffel,Wachslichteru.a.
zubringen,inderfreilichnichtimmererfülltenHoff- nungaufeinreichesGegengeschenk. Besonders über- laufenwurdendieKaiser,denen
man
Geldgeschenke darbrachte. Augustusverwendetesiezum Ankaufvon Skulpturen; Tiberius pflegte die empfangenen Ge- schenkeim AnfängeseinerRegierungvierfachzuer- widern,mußtedasabererklärlicherweise baldaufgeben, daer fortanden ganzen Januar hindurchvonprofitlusti-Römischestrena
MeisterE.S.Neujahrswunsch
(AusP. Heitz,Neuiahrswünschedes15.Jahrhunderts,Straßburg,J.H.Ed.Heitzu.Mündel)
Beilage zur Exlibris-Zeitschrift 1908,Heft 3/1
\
-
I1031 1
gen Gratulantenbelästigtwurde.ErließdaherspäteralleGabenunerwidertundsuchte überhaupt den Austausch der Neujahrsgeschenke möglichst zu unterdrücken,allerdings ohneErfolg.AuchdieSittederBeschenkungder Kaiser mitGeldscheint sich biszur Zeitdes Arkadiusund Honoriuserhaltenzuhaben(Friedländer,Darstellungen aus der Sittengeschichte
Roms
IS.122, 218,Lübker, Reallexikon desklassischenAltertums,Ar- tikelstrenae).Auchinderchristlichen Zeit erhielt sich,obwohldieKirchenvätergele- gentlichdagegeneiferten,zunächstdieSittederBeschenkung und Beglückwünschungam
NeujahrstageundzwardasganzeMittelalterhindurch.Fedorv.Zobeltitzstelltinsei-nem
AufsatzüberNeujahrswünsche(Velhagen-Klasings Monatshefte 1900S.509f.nach GeorgSteinhausensSammlungdeutscherPrivatbriefedesMittelalters eineReihevon Briefstellenmit Neujahrsgratulationenund Danksagungenfürerhaltene Neujahrsge- schenkezusammen, von denendreihierwiedergegebenseien. ImJahre 1367schreibt dieGräfinMargaretevon Nassau anihreTante MathildevonGeldern, GräfinvonCleve, siedanke schönstensfür dieihr,ihrenAngehörigenund Kammerfrauenübersandten NeujahrsgeschenkeundschickedafüreinenRing zurückundihrGemahleineMünze—
„so sent dirmeingeselleeyne Muntze, daysteyt ufFeeynclymmende Lewe,datsuelz tualsoverstayn,daduey hoer(immerhöher)insinHerzeclymest.“Fernerbegleitete Herzog Wilhelmvon SachseneinrechtseltsamesNeujahrsgeschenk,einejungeLöwin, dieer1474dem
HerzogAlbrechtunddessenBrudernachWeimar
sandte,mit folgenden Zeilen:„WirschickeneurLiebehierbei einjungelewynnzum
neuenJahrund wünschen damit eurLiebevielfreudenreicherundglückseligerguter jareinfrolichem langwirigem gesunde.“Und
drittens:DieNonneMargaretevonHanauwünscht 1488 ihremVater,dem
GrafenPhilipp:„100000guter seliger gluckhaftigergesunderfrydlicher frolichernuver jarundallesgut geistlichundzitlich.“AuchgereimteGlückwünsche,sogenannte „Klopf- an“-Gedichte,kommen
nicht selten vor.Sobeginnteinervondem
NürnbergerMeister- singerHansFolz:„Klopfan,meins herzeslustundwunn
/Sohellgeschinnnochnie die sunn/Dietugent zierundSittendein/Scheinklarerindem
herzen mein.—
Desbittich gotterwondir bei/Inalldem
dasdirdienstlichsei/anleib,anseel,aneer,angut“usw.(nachBoos,Geschichte der RheinischenStädtekultur,III,S.321).Ein Neujahrsgedicht in
dem
Liederbuch der KlaraHätzlerinaufdiejahre1441—
1448 beginnt folgendermaßen:„Gottgrüßdichfraw zudisemnewenjar,Gott grüß dich frawußallerengelschar,Gottgrüß dichschönesliebbesunderbar,DaßesDir wider- farAlswolundich dirs gan,Deinich niever- gessenhan“(vergl.Forrer,Alteund moderne Neujahrswünsche,Zeitschrift fürBücherfreun- deIIIS.374.)
—
Inden romanischenLändernistNeujahr dasFestdergegenseitigenBeschen- kunggeblieben;selbst dieBezeichnung„stre- nae“hatsichin
dem
französischen „etrennes“erhalten. InDeutschland istdas Neujahrsfest dagegen allmählichan Bedeutunghinter
dem
Weihnachtsfeste zurückgetreten; diesistvor allem der Geschenktag geworden. Siehtman GußeiserneNeujahrsplaketteder Berliner Kgl. Eisengießerei (ausPazaurek,Biedermeierwünsche)
104
von den Trinkgeldernab,diebeim Jahres- wechsel herkömmlicherweise Postbote undNachtwächter, BäckerjungeundZei- tungsfrau erhalten, solebenbeiunsdie strenaeder
Römer
nurnochinden Glück- wunschkartenfort, die alljährlichinge- waltigerMenge,aberleidermeistsehrge- ringerGüteversandt werden.Die gedruckte NeujahrskartestehtanAl- ter
dem
Exlibris nichtnach; reichtsie doch,wiedies,indieAnfangszeiten des Kupferstichs und Holzschnitts zurück.Eine derfrühestenGiückwunschkarten, dieunserhaltengeblieben,isteinKupfer- stichdesgeheimnisvollen MeistersE.S.
von 1466und1467,derfür dieEntwick- lung derdeutschenGraphikvonsogroßer Bedeutungwar.Wirsehenden Christus- knaben, mit einemMantelbekleidet,in
dem
KelcheinerBlume stehen; hinter ihmistdasKreuzaufgerichtet; einSpruch- bandenthältdenWunsch:„Ein guotselig ior“.DasBlatthat offenbar vielAnklanggefunden,denneineReihevon NachbildungenWunschkartederBiedermeierzeit (aus Pazaurek,Biedermeierwünsche)
hat sich erhalten; einevonihnen, eine gegenseitige KopierührtvonIsrahelvon
Meckenem
her.SosindNamen
zweier derwichtigsten Graphiker des15.Jahr- hundertsmitden Anfängen der Neujahrskartever- knüpft.DiesonstigenNeujahrskarten,dieaus
dem
15.Jahr- hundertaufunsgekommen
sind,sindim Gegensatz zuden ebenerwähntenfastdurchwegHolzschnitte, diemeistgeschickt koloriert sind. Stets findetsich aufihneneineDarstellungdes Christusknaben,des- sen Erscheinungmandamalsoffensichtlichnochmitdem
JahreswechselinBeziehungsetzte.Wirsehen ihnnacktaufeinem Kissen im Grasesitzen,dasSzep- terhaltend,oder—
einsehrhäufigverwendetesMo-
tiv
—
miteinemKuckuckspielend,derjabisaufden heutigenTagalsprophetischer Vogelgilt.DasChrist- kindistauch regelmäßig der Träger desdieGlück- wunschformel enthaltendenSchriftbandes; gelegent- lichwirdessogar selbstredendeingeführt:„Ichhaiß ihsdasistwärUn
gibmichüch zu aimgüteJar...“Auchaufeinem Reiberdruck derk. k.Hofbibliothek
Wunschkarteder Biedermeierzeit (ausPazaurek,Biedermeierwünsche)
»
-
—
1105
inWienwird
dem
Christusknaben einVersleinindenMund
gelegt.Es handeltsichum
einbesondersin- teressantesBlatt,dessen Darstellung vondenen der übrigen Neujahrs- wünsche der Zeit wesentlich ab- weicht.Wirseheneinvondemjesus- kindgesteuertes glückhaftes Schiff aufhoherSee, es führteinejugend- liche weiblicheGestalt mit einem Heiligenschein,diev.Bartschinsei-nem
KatalogderKupferstichsamm- lung der K. K.HofbibliothekinWien füreineCharitaserklärthat,die ich|
aberfürdieJungfrau Maria halten Wunschkarteder Biedermeierzeit
möchte;einEngelblästdiePosaune, (ausPazaurek,Biedermeierwünsche) einandererpflanztdieKreuzesfahneauf.ChristusweistmitderLinkenauf einSpruch- band,das dieWorteträgt:„Zuchuffden Segel wirsintam Land undbringengudjormanger Hand“ und
am
unterenRande liestman:„VonAllexandriakom
ichhargefarnUnd
bringevilguter ior die wil ichnitsparn. Ich wilsiegebe
um
kleinesgeltrechtüundgot liep häichdamitwolvgelt.“—
Die Mehrzahl der ausdem
15.Jahrhundert erhaltenenNeu- jahrswünschehatPaul Heitzinausgezeichneten Faksimilenachbildungenherausgegeben (Neujahrswünsche desXV.Jahrhunderts, Straßburg,J.H. Ed. Heitz1899). Sie sindauf mehralsVierjahrhunderte altem Papier gedrucktundkommen,wieichmichdurcheine Vergleichungüberzeugen konnte,dem
Eindruck der Originale außerordentlich nahe.HeitzhatihneneineReihe vonZierleistenangeschlossen,dieKalendern der Inkunabel- zeitentnommensindundähnlicheDarstellungenund Wunschformelnenthalten,wie wir sieaufdenselbständigenNeujahrskartenfinden. DerChristusknabe kehrthierebenso regelmäßig wieder,wie derWunsch:
„Eingut seligjar“.Offenbarwarendie KalenderbeliebteNeujahrsgeschenke, dienichtnurvon Privatpersonen, son- dern,wiedasjaauch heutevielfach Brauch ist, teilweise vonDruckern ihrenKundenverehrtwurden.Wenig- stensdeutetdaraufder
Wunsch
aufdem
Kalender des DruckersHansZainer vonUlm
für1479:Jhesum und mariam sinmüterclärWünschtvch hanszainerzum
gutenJar.Auchinden folgenden Jahrhundertenwarder Kalender als Neujahrsgeschenk vielfach im Ge- brauch.Einprächtiges Beispielaussei- nerSammlunghatForrerinderZeit- WunschkartederBiedermeierzeit(ausPazaurek,Biedermeierwünsche)
]106
schriftfürBücherfreunde(a. a.O.S.371)in
dem
mitWappen,Kaiserbildernundallegori- schen Figurenreichgeschmückten Gerichts- kalender derStadtRottweil veröffentlicht,den derdortigeHofgerichtsprokuratorBonaven- turaSchlechim Jahre 1600mitseinenWün-
schenfüreingut glückhafftnewjarversandte.Forrer gedenktdort(a. a.O.S.376)auchnoch einerandern,besonders im16.Jahrhundert beliebtenVerbindungvon Neujahrsgeschenk und gedrucktem Neujahrswunsch.
Man
be- klebte nämlichdierunden, viereckigenund ovalen Schindelschachteln,indenenmansich damalsbeimjahreswechsel gezuckerte Früch-te,Konfektundandres zu schenkenpflegte, mitfarbig kolorierten Holzschnittblättern, die bisweilenaucheineWunschformelenthielten.
Dagegenscheint die eigentlicheNeujahrskarte inder Renaissancezeitmehr und mehrausder
Mode gekommen
zusein.Gewiß wurdendann undwannillustrierteNeujahrswünscheher- gestellt,einemitdem
Christusknabenundder Umschrift„Sumnovusutpura puerortusvir- gineChristusSictibisitfölixhicnovus annusj.A.Börner(Sammlungv.Zur Westen) homo“bildetHeitzinseinem obenerwähnten
Werke
ab.ImallgemeinenGebrauchistdieNeujahrskarte aberoffenbar nichtmehrge- wesen.Wohlabererfreuten sichplakatmäßigeNeujahrswünscheeinergewissenBeliebt- heit,dienach Artvon HaussegenandenWänden
befestigtwurden. Langatmige schwül- stigeGedichte,diemeistimAnhang DanksagungenfürGottes Weltleitung imverflosse- nen JahreunddannWünsche undBitten fürdaskommende
enthielten,wurdenmitin Kupfer gestochenenallegorischenDarstellungenumgeben.SolcheBlätterwurdenauch vonKorporationen ausgegebenundinNürnbergvondem
Sprecherdem
Rateüberreicht.Indieser Stadt hat sichderBrauchbisindenBeginn des19.Jahrhundertserhalten.
Zu
denletztenVerfertigernsolcherGedichte gehörtenMichaelGrynäus, „Teutsch-PoetischerRuhm-
undEhrensprecher,wie auch der Posamentierkunst Ergebener“,undG.S.Wolf.ErstindenletztenJahrzehnten des 18.Jahrhunderts beginntdie eigentlicheGlückwunsch- kartekleinenFormates
Mode
zuwerden.Siefolgtder Einführung der Besuchskarteundistvermutlichdurchsieveranlaßt.Trafmanbeider üblichenNeujahrsvisitedenBe- suchtennicht an,sogabmanseine Visitenkarte ab,wieesdieschon einmal erwähnte Sa- tire:„Inconvenientsdujourdel’an“sohübschschildert:Qu’ilaimequ’älaporteunzele domestique Luidise
:
„On
est sorti.“.C’est alorsqu’ilressentCertainplaisirsecretdevoir qu’onestabsent:„Etsonnom
bienecritrendsavisiteen forme:Telest lebeiusageauquel’ilseconforme.“ Bei solcher Gelegenheit versahmandieVisitenkartewohlmit einerkur- zenGlückwunschformel,
um
denZweckdesBesuches anzudeuten,undimmertatman
I 11071 -i das,wenndieÜbersendungder Kartediepersönliche Gratulationersetzensollte.
Was
lag näher,alsdieHerstellung besondererKarten, dieschon durchihreDarstellungund einen beigedruckten Vers oder ProsasatzdieAbsicht derBeglückwünschungzum Aus- druck brachten? Zunächstsind dieWunschkartenden Besuchskarten sehrähnlich; es sindeinfarbigeKupfersticheoder,wasallerdings recht seltenundnurbeidenbilligsten Erzeugnissenvorkommt,Holzschnitte,oderendlich,gegenEndedes Jahrhunderts,Kar- teninPrägedruck,dieantikeOrnamente,allegorischeFiguren,Amorettenundähnliche Darstellungenzeigen. Sehrbald führteaberderWettbewerbder Fabrikanten solcher Karten zu
dem
Bestreben,siemöglichstmannigfaltigundabwechslungsreich zugestalten, unddasistinderTatinstaunenswerterWeisegelungen.Man
kolorierte dieKupferstiche fastdurchweg,man umgabsiemitRändernvonSpitzenpapier,manstelltePrägekarten, stattausPapier,ausAtlasheroderman
klebteinweißemPapier geprägteOrnamente auf einemhellblauenoder braunenGrundeaufunderzieltesoWirkungen,dieanWeg-
woodpoterienerinnern.BisweilendientaucheinStückMusselinalsUnterlagefüreine inPapier geprägteGruppe.Eineneue Variante schuf man,indemman
ausder Karte einen Teil,meistinMedaillonform,herausschnittunddieLückedurcheinStückfarbigeSeide ausfüllte,aufdasmandenGlückwunschgedruckthatte.Baldkam
mandarauf,dieBru- talitätdieses Eingriffsdadurch zu mildern, daßmandasherausgeschnitteneStückam
oberenEndemitdem
Blatteverbundenließ,sodaßeswie eine Klappe denauf dieLücke geklebtenV
ersverdeckt.Zuweilenistdie A.Menzel(Sammlungv.Zur Westen) Klappe durchdieDarstellunggeschicktmotiviert,indemzum Beispiel eineTür odereinFensterladenzuöffnenist.Eine vielgeringereBedeutung
kam
derTrans- parentkarte zu, beiderein TeilderDar- stellung erst sichtbar wird,wennmandas Blattgegendas Lichthält.EinBeispiel:Aufeinem blauen Kissen mit goldener Bordüreliegteinberingter Finger.Darun- ter steht:
„Nehmen
sieden kleinen Finger alsUnterpfand— Wenn
Sie sich gut'auf- führenbekommen
Sie vielleicht die—
.“Hältman nundieKartegegen dasLicht, soergänzt sichder Finger zueiner
Hand
undmanliestden Schluß des Verses:„die ganzeHand.“Soharmloswarennatürlich nicht alleTransparentkarten; waren siedochdiegegebeneFormfürgewagteScher- ze; eigentlich Unanständigesfindetman aberfastniemals.Eine weitereVariante, aufdie
man
imLaufe der Entwicklungver- fiel,war,daßmanan geeignetenStellen EinschnitteindieKartemachte undPa- pierstreifen,auf die dieWunschformelnI
—
~ 'I1081
1
gedruckt waren,durchsteckte, sodaß derEmpfängererstnach
dem
Herausziehen der StreifendieihmdargebrachtenWünschelesenkonnte.Die Einkleidungwarhäufigrecht geschickt:Ein jungesMädchenreicht einBlumenkörbchendar,dasMyrthen,Rosen und Vergißmeinnichtenthältunddie Etikette:„MeineWünsche“trägt.ZiehtmandieMyrthen heraus, soliestmanaufdem
daranbefestigten Streifen:„DieszarteMyrthenreissollDir derLiebe höchstesGlückverkünden.“Beiden Rosenheißt es:„EssollmitRosenfürund fürDie LiebestetsdeinHauptumwinden“ undendlich beiden Vergißmeinnicht:„Und
diesesBlümleinBittund
Wunsch
WirstDu
inmeinem Herzenfinden.“Oder mansieht eineHand,dieaußereinem RosensträußedreiBilderallegorischerFigurenhält,diean- scheinend,Poesie,LiebeundGlücksymbolisierensollen.ZiehtmandieoberenRänder derRahmen
heraus, soliestman:„Sie“ (diePoesie)„begleitedichfreundlich aufdeinem Pfade“,„Er“(Amor)stillestetsDeine heißen Triebe“,„Sie“ (Fortuna)„überschütteDich mit reichem Segen.“AberauchmitdiesenEinsteckkartenbegn ügtesichdieKartenindu- Tisch, der mit man- cherlei Geschirrund Kunstgegenständen beladenist,einenjun- genMann
über eine Kiste gebeugt, deren Deckel ererfaßthat.Darüber liest man:
„ManbringtDirzum Neujahrmanchnied- licheWare, Verneigt sichundwünschetvie- lerley,Dochweißt
Du
wasichDirfürimmer bewahre, Ein Herz...“
Man
ziehtden Hebel- zugheraus,derMann
Z. B. neben einem F.Fleischmann(Sammlungv.Zur Westen) richtet sich langsam empor undhebtden DeckelindieHöhe,einPapierstreifenerscheintundmanliestauf einemHerzen: „nochimTodegetreu.“EinDruckaufdenHebelundder
Mann
schließt den Deckel wieder.Aufeinerandern Kartesiehtman Amor,derPsycheeineRoseüber- reicht. Derdarunter stehende Verslautet:„WassinntundforschtderMenschsoviel,Wie
ervollkommenglücklichwerde,Hierzeigtein zartesGötterspiel,denWeg zum
höchstenGlückder Erde.“Man
ziehtandem
Hebel,dieKöpfebewegensichaufeinander zuundschließlich treffen sich dieLippenim Kuß. Unendlich großistdieZahl solcher beweglichen KartenunddererfinderischeGeistunddieGeschicklichkeit, die bei ihrer Herstellung zuTagetreten,setzenimmervonneueminErstaunen.Auseinemso ge- brechlichenStoffe,wie Papierist,hatmaneineScharvonniedlichenMarionetten ge- schaffen, dieaufeinenleisenDruckoderZugihreKunststücke vorführenunddienoch heutewohl jedemdas gleicheVergnügenbereiten,dasGoetheübersieempfundenhat.AlsMarianne vonEybenbergihmeineAnzahl beweglicher Kartengeschickthatte,schrieb strienichtlange.Sieer-
fandzahlloseweitere Tricks,
um
ihreEr- zeugnisserechtüber- raschendundabwechs- lungsreich zu ge- stalten. Durchsinn- reicheVorrichtungen brachteman Lebenin die kleinen Figuren der Karten,ließsiedie schwierigsten Bewe- gungen ausführen,Kis- tenund Körbeöffnen, Rosendarreichenund anderes.Aufeiner sol- chen KartesiehtmanI J 109(
er ihr
am
16.1.1809:„Siemüssensogleichden lebhaftestenDank
empfangen. Diezierlichen, nickenden,bückenden undsalutierendenklei- nen Geschöpfesind glücklichangekommen und habennicht allein mir,sondern ganzen Gesell- schaften,indenenichsieproduzierte, vielVer- gnügen gemacht.“ Eine wesentlicheinfachere, aber,wieich glaube, recht seltene Variante,ist dieZusammenfaltkarte,von dericheinBei- spielinmeinerSammlunghabe. Esisteinin der Art der bekanntenPatenbriefezusammen- gelegtesBlatt.Aufder Außenseitesiehtmanun-terder Überschrift: „Die vierTageszeiten“, J.A.Klein(Sammlungv.Zur Westen)
„DerMorgen“,einen JünglingingriechischerGewandung,derBlumenbegießt;darun- tersteht:„Mit
dem
erstenMorgenstrahlestehtDein holdes Bild vormir.“ Faltetmandie Karte auseinander,so erblicktmannacheinander:Mittag,Abend undNacht,vonähnli- chen Versenbegleitet;der zur Nacht gehörigeschließt:„DereinzigeWunsch
fürDein Glückbleibtewig imHerzenzurück.“Schonausden wenigenhiergegebenen Beispielenist,glaubeich,derGesamtcharakter derWunschkartederZopf-undBiedermeierzeit zu ersehen.Sieströmtübervon
Emp-
findsamkeit,vonschönen Gefühlen,vonBeteuerungen der LiebeundFreundschaft.
Man
hatbesondere KartenfürEltern,Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, Freunde, Freundin- nenundselbst fürSchwiegermütter,denen durchwegdieüberschwenglichsten Versicher- ungen derVerehrungundLiebe dargebracht werden. „Zuden bestenFreundenaufder Erde,die ichehren,ewig ehren werde,zähle ichvor allemSie.Die Verdienste,dieSie
um
michhaben,bleibenmeinem Herzeneingegraben,sievergessenkannichnie.Möchte dochdieVorsichtSiemitsanftenFreudenbis inshöchsteZieldesAlters leiten.“— Und
weiter:„Was wünschichDir, geliebtesKind,Ich binsoleer,ich binsovoll,
Weiß
selbst nicht,wasichsagensoll,Wie
alle,die vollLiebesind.Mein Engel,meineFreud’und Lust,IchdrückeDich anmeineBrust.Und
der,deralleswohlgemacht, Gibt auch auf stummeWünscheacht.“—
Wolltemanrecht gebildet sein,sokam
manderAngebeteten französisch: „Quandjevoisvos gräcesetvoscharmes, Je trouve
ma
victoireävous rendre mesarmes“,oder:„Mon
etudeäl’ordinaire estde songeravousplaireQue
voulezvous donc que jefassepour acquerir vos bonnes gräces?“—
Die Gedichtesindmeist ziemlich langatmigundfastdurchwegjämmerlich
—
undzwarnichtnurdie empfindsamen, sondern auchdiehumoristischen, obwohlsichhiernoch verhältnismäßigdie leid- lichstenReimereienfinden.Soheißt esaufeinem Kärtchen ganzniedlich:„WashilftdasWünschen stundenlang In Prosa,Versen, Reimenklang,Komm,
liebesMädchen,laßDich küssenUnd
Wolf(Sammlungv.Zur Westen)
rr :_
ino
i -isodas neue Jahr begrüßen“,unduntereiner,offenbarnochdenachtzigerJahren des 18.Jahrhundertsentstammenden,inHolzschnitt ausgeführtenKußszeneheißtes:„Geküßt voneinem schönen Kinde, Schlaf
Du
anjedemAbendein,Das KüssenistjakeineSünde, Esistnoch süßeralsderWein. EinKuß
spähtneue LebensfunkenDochwirdmanauchvom
Küssentrunken,Und
so einRauschsollmehralsWeinVon
großen üblen Folgen sein.“StändendieseVersenichtauf einer altenWunschkarte—
könntemandannnicht aufdenGedanken kommen,daß der „Biedermeiermitei“der „Jugend“mitihnendieVer- semacherei der damaligenZeit hätteverspottenwollen?Übrigenssollhier nichtunerwähntbleiben,daßeinschönesundsinnvollesGedicht, das aufeinerauchkünstlerisch weitüber
dem
Durchschnitt stehenden Neujahrskartevon F.Bolt fürdas Jahr 1799 zulesenist,mithoher WahrscheinlichkeitkeinemGeringeren alsSchillerzugeschrieben wird(zu vergl.Jonas, EinNeujahrswunschauf das Jahr1799, haltengebliebe- nenBlätter, ins- besondere auch aufden Mecha- nismus derZug- undDrehkarten unddiesonstigen technischen Tricksdoch nicht gestattet hätte,soerschien die Heranzie- hung weiteren Materialesüber- flüssig.Wer
sich eingehender un- terrichten will,dem fließt seit
kurzemeinerei- cheQuellein
dem
vonPazaurekherausgegebenenprächtigenTafelwerk:„Biedermeier- wünsche“(Stuttgart,JuliusHoffmann),dem
fünfderdiesem Aufsatze beigegebenenAb- bildungendankdem
gütigenEntgegenkommendes Verlagesentnommen werdenkonnten.Da
findetmandieGeheimnissederStreifenzug-,Einsteck-,Dreh-,Faltfächer-,Hebel- zug-undSpiralkartenusw. eingehenderläutert,dafindetmaneinVerzeichnis derKarten- verlegerundvieleanderewertvolle Mitteilungen,dafindetman
vor allemauf50 Tafeln wohlan vierhundert der amüsantestenWunschkarteninvortrefflichemLichtdruckab- gebildet. FreilichfehltdieFarbe, die beiden Originalen einen grossenTeildes Reizesaus- macht, aber trotzdem gewährtdasDurchblätterndieserreichenSammlungeinenhohen Genuß. Hierkommt
unserstrecht die Fülle, dieunendlicheMannigfaltigkeitderIdeenzum
Bewußtsein,dieBeweglichkeit derPhantasie, die für einunddieselbeAufgabe im- merneueundüberraschendeLösungengefundenhat.Und
vorallem:ausdiesen Kärt- chen gewinntmaneineso lebhafteVorstellungvondem
äußerenundinnerenLeben,von ZiCiibuinni.du-cherfreundeIX, S.81f.). Bisher habeichmeiner Schilderung der Wunschkarten aus Zopf- und Biedermeierzeit lediglich meine Sammlung und einigemirselbst freundlichst ge- liehene Blätt- chen zuGrunde gelegt; denn da der
Raum
ein ge- naueres Einge- hen aufdieTau-sende der unser- W. Wegener (Sammlungv.Zur Westen)
B.(J.Böhm?)lith.
Beilagezur Exlibris-Zeitschrift 1908, Heft3/4.
r-
:m
ii=
=
====
KleidungundEinrichtung,vonGeschmacksrichtungundEmpfindungsweiseihrerEnt- stehungszeit, „dieimGroßenkleinund imKleinengroß war“, wieihningleichemGrade
kaum
einanderesWerk
vermittelnkönnte.Was
den künstlerischenWertder Kartenbetrifft,soisterfreilichnichtbesondersgroß.„Epochemachende Kunstwerkesindsienicht“, sagtPazaurek treffend,„sondernan- spruchsloseBlättchen, die viel
Anmut
undbodenständigeNatürlichkeitmitbehäbigemHumor
undwitzigen Einfällen vereinen.“Stilistischstehensienatürlichunterdem
Ein- flußder großen Kunstihrer Zeit,inersterLinie alsodes Klassizismus; daßsieimGegen- satzzu dessen Schöpfungen auf uns sofrisch underfreulichwirken,erklärtPazaurek füreineFolgeihreskleinen Formates.„InkleinemMaßstabe entzücken uns auchdiesüße- stenPuppenköpfchen unddieneckischen Genrefigürchen, en miniature ergötzenIdyllen undElegien, dieinMammutausgabentötlichlangweiligwirken;selbstromantischeundneu- tung entnom- men. Schon1786 werdenAtlaskar- tenangepriesen, zu denen 1795 dieWegwood-
kartenkommen.DiePreisedieser Karten schwan- ken zwischen dreiundvierzig Kreuzern.
Inden zwanziger fahrenblühte ne- ben der gedruck- tenWunschkarte das sogenannte
„Kunstbillet“, das als Einzel- leistungderMas- senproduktion gegenüberstandundmit
dem
riesigenPreisevon2bis5GuldendasStück bezahltwurde.Und
dochhandeltees sichnurum
einezwar unendlichmühsam
herzu- stellende,abereigentlichrechtgeschmackloseSpielerei. Auf einemGrund von KreppstelltemanausMoos,Stroh,Glasstückchen,Perlen,Fischschuppen, Federn, Perlmutter undallenmöglichenanderenStoffen nichtnur
Monogramme
undOrnamente, sondern auch Blumenstücke, Freundschaftstempel,ja,selbstLandschaften mit lebenderStaffage her.Rahmen
ausgepreßtem Goldpapier oder Messingblechleisten umschlossendiese seltsa-men
Stillleben,inderen HerstellungJ.Endletzberger^SignaturJ.E.) besonders geschickt war.—IndenvierzigerJahren des 19.Jahrhundertsgeht esmitderGlückwunschkarte über- raschendschnellbergab.An
die StellederZugkartentretenkleinebunteBildchenauf Glanzpapier mit Spitzenmanschette. Dannfolgtschließlich dieheutenochnichtüber- wundeneZeitderaufGlanzkarton geklebtenOblate.gotische Motive werden inklei- nenDosenleich- terverdaulich.“
Die großeMehr- zahlder Karten istinWienher- gestellt;daneben
kommen
Prag, Nürnberg und Augsburg als Verlagsorte in Betracht.Einige interessanteAuf- schlüsseüberdie Datierung der Karten hat Pa- zaurek denAn- kündigungen derWienerZei-Tuu+n,Q?aAr*ft?7.jvtutfofr.A.-
J.A.Klein(Sammlungvon Zur Westen)